Städtel/Krs. Namslau (Schlesien)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b4/Map_Namyslow.png?uselang=de  Das mittelschlesische Städtel ist das heutige polnische Miejsce; das kleine Straßendorf mit derzeit ca. 250 Einwohnern – in unmittelbarer Nähe von Schwirz/Świerczów  - liegt ca. 60 Kilometer östlich von Breslau/Wroclaw bzw. ca. 40 Kilometer nordwestlich von Oppeln/Opole (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Städtel, südlich von Namslau, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Lage von Miejsce, P. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Im Dorf Städtel war einst die einzige größere jüdische Landgemeinde im Gebiet des Regierungsbezirkes Breslau beheimatet; zeitweise machte der jüdische Bevölkerungsanteil ca. 40% (!) aus.

Die Ortschaft bestand zunächst aus drei Teilen; diese wurden 1813 unter der Grundherrschaft des Herzogs von Braunschweig-Oels zu einem Ort zusammengefasst. Juden wohnten vor allem in der sog. „Kolonie“. Die erste jüdische Familie hatte sich um 1660 - während des schwedisch-polnischen Krieges - in Städtel niedergelassen; bis in die Zeit der Weimarer Republik lebten hier kontinuierlich Juden. Mitte der 1730er Jahre lebten hier sechs jüdische Familien; fünf von ihnen waren vermutlich von dem Edikt des Jahres 1738 betroffen, das die Ausweisung aller nicht-privilegierten Juden beinhaltete.

Nach der Eroberung Schlesiens durch Preußen besaß das Dorf Städtel - besonders für Juden aus dem oberschlesischen Raume - eine gewisse Anziehungskraft, weil die Grundherrschaft hier die Ausübung auch anderer Berufe - nicht nur der Branntweinschankpächter - erlaubt hatte; so zogen um 1780 zahlreiche jüdische Familien nach Städtel, so dass gegen Mitte der 1780er Jahre schon mehr als 150 Personen mosaischen Glaubens im Dorfe lebten.

Um 1780 errichtete die inzwischen stark angewachsene Dorfjudenschaft eine hölzerne Synagoge; etwa drei Jahrzehnte später ersetzte diese ein massiver Steinbau (Einweihung des Gebäudes im Juli 1811).

Ein bereits über Jahre hinweg genutzter Begräbnisplatz auf einer kleinen Anhöhe vor der Ortschaft – auf halben Wege zwischen Städtel und Schwirz - war gegen Ende des 18.Jahrhunderts von der Grundherrschaft angekauft worden. Nach einer Erweiterung des Friedhofsgeländes umfriedete man die gesamte Fläche mit einer Mauer und errichtete auch dort ein Taharahaus.

Zur Städteler jüdischen Gemeinde gehörten auch die Familien umliegender Dörfer, so aus Dammer, Eckersdorf, Groß- u. Klein-Butschkau, Lorzendorf, Nassadel, Noldau, Steinersdorf und Strehlitz.

Juden in Städtel:

         --- um 1660 ........................ eine jüdische Familie,

    --- 1737 ...........................   6     “       “    n,

    --- 1751 ...........................   5     "       "    n,

    --- um 1760 ........................  26 Juden,

    --- um 1770 ........................   7 jüdische Familien,

    --- 1778 ...........................  18   “         “   (ca. 70 Pers.),

    --- 1782 ...........................  33   “         “   (ca. 150 Pers.),

    --- 1812 ...........................  64   “         “    ,

    --- 1841 ........................... 241 Juden (ca. 40% d. Bevölk.),

    --- um 1855 ........................  20 jüdische Familien,

    --- um 1865 .................... ca.  25 Juden,

    --- 1904 ....................... ca.  10   “  ,

    --- 1913 ...........................   8   “  ,

    --- um 1925 .................... ca.  10   “  .

Angaben aus: Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens - Entstehung und Geschichte, S. 22

 

Ihren zahlenmäßigen Höhepunkt - mit mehr als 60 Familien - erreichte die jüdische Gemeinde um 1820/1830. Zu dieser Zeit beschäftigte die Gemeinde sogar einen eigenen Rabbiner, den Rabbi David b. Eliezer/David Lazarus Laque[u]r (1772-1836); er war der einzige in der jüdischen Ortsgeschichte von Städtel; nach ihm bestritten „nur“ jüdische Lehrer die religiös-rituellen Besorgungen innerhalb der Gemeinde.

Mitte des 19.Jahrhunderts setzte eine Abwanderung jüdischer Familien aus Städtel ein; ein Teil verzog ins benachbarte Carlsruhe; zurück blieben nur ärmere Juden. Die Städteler Synagogengemeinde war damals „unstreitig die ärmste in unserer Provinz Schlesien”. Sie konnte nicht einmal ihre eingestürzte Synagoge aus eigenen Mitteln wieder instand setzen lassen und war deshalb auf Spenden angewiesen. Die verstärkte Abwanderung von Gemeindemitgliedern führte alsbald zum Verlust ihrer Selbstständigkeit; seit 1860 war sie „Filialgemeinde“ des neu gegründeten Synagogenbezirks von Namslau. (Anm.: Zu den neuen Siedlungsorten der Abwanderer zählten neben den umliegenden Städten - wie Namslau, Brieg und Oels - auch die Metropolen Berlin, Breslau und Budapest.) 1890 wurde schließlich die Kultusgemeinde von Städtel an die von Namslau angegliedert.

Im ersten Viertel des 20.Jahrhunderts endete die jüdische Geschichte von Städtel; fast alle Juden hatten das Dorf verlassen bzw. waren inzwischen verstorben. Friedhof und Synagoge wurden der Namslauer israelitischen Gemeinde übertragen; einmal im Jahr fand in der Städteler Synagoge noch ein Gedenkgottesdienst statt.

 

Das ehemalige, seit langem als Wohnhaus genutzte Synagogengebäude ist bis in die Gegenwart erhalten geblieben; rein äußerlich lassen sich kaum Rückschlüsse auf dessen gottesdienstliche Nutzung erkennen.

Die jüdische Begräbnisstätte ist der größte bestehende jüdische Landfriedhof in Schlesien; etwa 250 Grabsteine haben die Zeiten überdauert. Seit 2007 haben Schüler der Namslauer Gesamtschule den fast schon in Vergessenheit geratenen Friedhof in Pflege genommen und das inzwischen von der Vegetation überwucherte Gelände freigelegt, Grabsteine gesäubert und Grabsteinfragmente - so weit es möglich war - wieder zusammengefügt.

2010 wurde am ehemaligen Eingang zum Friedhof eine Tafel in drei Sprachen (polnisch, deutsch und hebräisch) angebracht, die über die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Städtel und ihren Friedhof informiert. Die deutsche Inschrift lautet:

Der Friedhof der Jüdischen Gemeinde in Städtel befand sich hier schon im Jahre 1771. Das Grundstück wurde offiziell am 17.August 1789 von Juden unter der Federführung von Joseph Jochem gekauft. Die meisten Grabsteine stammen aus dem 19.Jahrhundert. Im Jahre 1841 hatte das Dorf Städtel etwa 800 Einwohner, von denen 241 sich zum jüdischen Glauben bekannten. Damals hatte die Jüdische Gemeinde in Städtel einen eigenen Rabbiner, David Lazarus Laqueur. Er übte sein Amt bis zum Jahre 1846 aus. Auf dem Friedhof befinden sich Grabsteine der Juden u.a. aus Städtel, Bankwitz, Schwirz, Gülchen, Dammer, Sterzendorf, Minkowski und Hönigern. Die Bestattungen fanden hier bis zum Jahre 1924 statt. Der Friedhof hat eine Fläche von 0,36 ha. Gemäß der Inventur aus dem Jahre 2008 gibt es hier 239 Grabmale.

 Jüdischer Friedhof Staedtel 

Jüdischer Friedhof von Städtel (beide Aufn. Hans-Peter Laqueur, 1995 und 2012)

 

 

 

Im ca. zehn Kilometer entfernten Dorfe Carlsruhe (poln. Pokoj) begann dauerhafte jüdische Ansässigkeit in den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts. Zunächst war jüdischen Händlern nur erlaubt, sich tagsüber hier aufzuhalten und ihre Geschäfte zu tätigen. Auf herzogliche Anweisung waren ihnen in Städtel Siedlungshäuser zur Verfügung gestellt worden.*

*Anm.: Um 1770/1780 hatten Juden für einige Jahre im Dorfe leben können, mussten es dann aber wieder verlassen. Aus dieser Zeit (um 1780) datiert die Anlage eines Friedhofs in Carlsruhe.

Juden in Carlsruhe:

--- 1811 ..........................  14 Juden,

--- 1861 .......................... 128   “  ,

--- 1871 .......................... 139   “  ,

--- 1880 .......................... 123   “  ,

--- 1890 ..........................  86   “  ,

--- 1900 ..........................  55   “  ,

--- 1910 ..........................  58   “  ,

--- 1925 ..........................  44   “  ,

--- 1933 ...................... ca.  30   “  .

Angaben aus: H. Marsch, Carlsruhe

In den 1870/1880er Jahren erreichte die Zahl der jüdischen Bewohner in Carlsruhe mit ca. 140 Personen ihren Zenit (etwa 5% der Ortsbevölkerung); danach setzte eine kontinuierliche Abwanderung aus dem Dorfe ein.

Zu ihren gemeindlichen Einrichtungen zählten ein Friedhof und eine Synagoge, die gegen Mitte der 1860er Jahre errichtet worden war. Auch eine Schule bestand seit Anfang der 1860er Jahre.

Zu Beginn der NS-Zeit lebten im Ort nur noch etwa 30 - 40 Juden; in der „Kristallnacht“ vom November 1938 wurde die Synagoge in Brand gesteckt und Häuser/Geschäfte jüdischer Eigentümer zerstört. Den meisten jüdischen Bewohnern gelang es zu emigrieren.

Am ehemaligen Standort der Synagoge ist heute eine Freifläche. 

vgl. Carlsruhe (Oberschlesien)

 

 

 

Weitere Informationen:

Georg Wiener, Aus der Geschichte der Juden in Städtel, in: "Mitteilungen der Synagogengemeinde zu Oppeln", No. 41 vom 20.7.1936

Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens - Entstehung und Geschichte, Verlag Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1972, S. 172 – 182

Eberhard Schlegel, Jüdisches Leben im Städtel, Aufsatz, o.J. (online abrufbar unter: namlau-schlesien.de)

H. Marsch, Geschichte von Carlsruhe, in: Genealogischer Arbeitskreis Carlsruhe O.S., o.J. (online)

Manfred Rossa, Jüdisches Leben in den Kreisen Namslau und Oppeln. - Carlsruhe/Oberschlesien und Städtel/Niederschlesien in der Herrschaft Carlsruhe als Zuflucht für Juden , Selbstverlag 2003

Miejsce, in: sztetl.org.pl

Hans-Peter Laqueur, Vor dem Vergessen bewahrt. Polnische Schüler pflegen einen jüdischen Friedhof in Schlesien, in: haGalil.com, vom 10.7. 2013

K.Bielawski (Red.), Miejsce, in: kirkuty.xip.pl (Informationen über den jüdischen Friedhof)