Ribnitz-Damgarten (Mecklenburg-Vorpommern)

Vorpommern-Rügen Karte Die Doppelkommune Ribnitz-Damgarten entstand im Jahre 1950 durch Zusammenlegung; sie ist Verwaltungssitz des gleichnamigen Amtes mit derzeit ca. 15.500 Einwohnern – ca. 35 Kilometer nordöstlich von Rostock gelegen bzw. westlich von Stralsund (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Vorpommern-Rügen', aus: ortsdienst.de/mecklenburg-vorpommern/vorpommern-ruegen).

                 Damgarten-1615-StralsunderBilderhandschrift.JPGDamgarten, in: Stralsunder Bilderhandschrift von 1615 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, CCO)

Jüdische Bewohner hat es vorwiegend im Ortsteil Ribnitz gegeben.

Vermutlich hielten sich Mitte des 15.Jahrhundert zeitweise wenige Juden in Ribnitz auf; von dauerhaften Ansiedlungen kann aber erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts die Rede sein, als der mecklenburgische Herzog zwei Juden eine Handelserlaubnis erteilte. Der erste verlässliche Nachweis für Ribnitzer Juden liefert eine Schutzgeldliste aus dem Jahr 1760.

Fast alle hier ansässigen Juden verdienten unter schwierigen Bedingungen als Hausierer und Kleinhändler den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien; so war ihr Wirkungskreis sehr eingeengt, da sie nicht ins nahe Schwedisch-Vorpommern und in die Stadt Rostock einreisen durften. Immobilienbesitz durften sie in Ribnitz erst ab etwa 1840/1850 erwerben.

                 Aus dem Jahre 1811 ist der folgende Schutzbrief überliefert:

Wir, Friederich Franz von Gottes Gnaden Souverainer Herzog zu Mecklenburg p.p. Geben hiermit öffentlicvh zu vernehmen, daß Wir auf geziemendes Ansuchen auch aus sonst Uns dazu bewegenden Ursachen und Gnaden, Vorzeiger dieses, den Juden Joseph Simon zu Ribnitz mit Weib und Kindern, nicht nur in unsern landesherrlichen Schutz genommen, sondern ihn auch dahin privilegirt haben, daß er sich in Unserer Stadt Ribnitz wohnhaft niederlassen und, ohne einen offenen Laden zu halten, den Hausirhandel durch Packentragen aufs platte Land für seine Person und durch einen unbeweibten Knecht treiben, die öffentlichen Jahrmärkte beziehen und Landesproducte zum Wiederabsatz an andere Kaufleute in oder außerhalb des Landes ankaufen möge, hingegen so wenig an seinem Wohnorte als sonst in anderen Städten außerhalb Jahrmarkts mit Sachen, welcherley Art sie auch seyn mögen, blos alte Kleider und andere zum Trödel gehörige Dinge ausgenommen, hausiren, mithin bei Strafe oder Confiscation nicht damit in den Gassen umhergehen und Haus bei Haus zum Nachtheil anderer Kaufleute seine Waaren anpreisen, sondern daß die Käufer entweder zu ihm ins Haus kommen, oder ihn auch mit den zu erhandelnden Waaren zu sich rufen lassen, ... ... Solchem nach befehlen Wir Unsern Beamten, auch Bürgermeister, Gericht und Rath zu Ribnitz, hiemit gnädigst ernstlich: obbenannten nunmehrigen Schutzjuden Joseph Simon bei diesem ihm gnädigst erteilten Schutz-Briefe und Privilegio bis an Uns wieder alle und jede Beeinträchtigungen, Hinderungen und Störungen kräftigst zu schützen und zu handhaben. An ihm geschiehet Unser gnädigster Wille und Meinung. ...

(aus: Paul Kühl, Geschichte der Stadt und des Klosters Ribnitz, S. 527)               

Gottesdienste wurden zunächst in privaten Räumlichkeiten abgehalten; 1803 soll die kleine Gemeinde über ein eigenes Synagogengebäude („ein schlichter quadratischer Bau“) in der Büttelstraße verfügt haben.

Anm.: Nach 1906 wurde das Gebäude von der immer kleiner werdenden jüdischen Gemeinde nicht mehr als Gotteshaus genutzt und 1921 öffentlich versteigert. Der Erlös wurde der gemeindlichen Arbeit (z.B. Erhaltung des Friedhofs) zugeführt.

Ein kleinflächiger Friedhof wurde um 1750/1760 auf Antrag dreier Schutzjuden (Behrend Hirsch, Salomon Isaak und Isaak Levin) am westlichen Ortsrand vor dem Marlower Tor angelegt; auf diesem Gelände wurden in den folgenden Jahrzehnten auch die verstorbenen Juden des Umlandes begraben. Ende der 1880er Jahre wurde am Schleusenberg eine zweite Begräbnisstätte in Nutzung genommen; diese wurde in den 1950er Jahren völlig eingeebnet. Die wenigen Juden von Damgarten - sie gehörten der Synagogengemeinde in Stralsund an - begruben ihre Verstorbenen zunächst in Niederhof und in Stralsund; später nutzten sie zunächst das Areal im nahen Ribnitz, anschließend ein von zwei Familien zur Verfügung gestelltes Grundstück am Ort.

Juden in Ribnitz-(Damgarten)*:   

    --- 1742 ..........................  3 jüdische Familien,

    --- um 1765 ................... ca. 25 Juden,

    --- 1797 ..........................  7 jüdische Familien,

    --- 1811/12 ................... ca. 50 Juden,

    --- 1846 .......................... 14 jüdische Familien,

    --- 1852 .......................... 82 Juden,

    --- 1867 .......................... 92   “   (in 18 Familien),

    --- 1880 .......................... 78   “  ,

    --- 1900 .......................... 53   “  ,

    --- 1913 .......................... 27   “  ,

    --- 1925 .......................... 16   “  ,

    --- 1933 .......................... 17   “  ,

    --- 1935 .......................... 10   “  ,

    --- 1942 (Dez.) ................... keine. 

* Über die Zahl der Damgartener Juden ist wenig bekannt; es dürften aber zu keiner Zeit mehr als 25 Personen gewesen sein.

Angaben aus: Irene Dieckmann (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Mecklenburg-Vorpommern, S. 181 f.

und                 Paul Kühl, Geschichte der Stadt und des Klosters Ribnitz, Neubrandenburg 1933, S. 526 - 533

 

Gegen Ende des 19.Jahrhunderts - die Abwanderung in die größeren Städte hatte bereits eingesetzt - zählten die Ribnitzer Juden zu den angesehenen Bürgern der Stadt; sie arbeiteten als Geschäftsleute und in freien Berufen.

       Lange Straße mit Geschäft Salomon rechts (Postkarte um 1910)

Zu Beginn der NS-Zeit hielten sich nur wenige jüdische Familien in Ribnitz auf.

                 Über den Boykotttag in Ribnitz berichtete das „Marlower Tageblatt” am 2.4.1933:

"... Auf Grund der Tatsache ..., erfolgte in Ribnitz ein Marsch durch die Stadt mit Schildern, die aufforderten, jüdische Geschäfte zu meiden. Es wurde ein Telegramm an Hitler verlesen, welches für ganz Ribnitz die treue Gefolgschaft im Abwehrkampf gegen die Juden bekräftigte."

Laut einer Namensliste lebten 1935 zehn Juden am Ort. Noch vor der „Kristallnacht“ mussten die beiden jüdischen Geschäfte schließen. Während der Novembertage von 1938 fanden am Ort antijüdische Demonstrationen statt; das schon länger leerstehende Synagogengebäude wurde wenig später abgetragen. Auf Veranlassung der NS-Behörden wurde der alte jüdische Friedhof eingeebnet.

Der „Niederdeutsche Beobachter“ berichtete am 11. November 1938:

... Die Empörung und Erbitterung der Volksgenossen über den jüdischen Mord in Paris hatte auch in Ribnitz seine Folgen. Die Fensterscheiben des Manufakturwarengeschäfts Salomon wurden eingeschlagen. Die schon immer das Straßenbild verschandelnde frühere Synagoge fing Feuer, doch konnte sich dasselbe nicht entwickeln und richtete daher nur geringfügigen Schaden an.

In einem ähnlichen Artikel des „Stadt- u. Landboten“ vom gleichen Tage hieß es: „Der baufällige Tempel der ehemaligen jüdischen Gemeinde in der Büttelstraße war ein Objekt, um der Empörung der Bevölkerung Luft zu machen. Er sollte in Flammen aufgehen. Da aber nichts Brennbares in dem Bauwerk vorhanden war, reagierte der Tempel nicht auf diese Angriff. Die Feuerlöschpolizei war auch sofort zur Stelle und beseitigte die Gefahr, zumal der Tempel mitten in der Straßenzeile liegt. Des weiteren mußten noch die Fensterscheiben bei einem jüdischen Geschäft daran glauben.

1942 wurden die letzten vier Jüdinnen aus Ribnitz-Damgarten deportiert. So vermeldete am 12.Nov.1942  die Polizeidienststelle Ribnitz: „Die im Schreiben benannten Jüdinnen sind am 11.11.1942 durch den Unterzeichneten mit dem ersten Zuge 4.43 Uhr nach Rostock transportiert. Hier sind diese alsdann einem Beamten der Staatspolizeistelle Schwerin zu übergeben." In etwa zeitgleich wurde die „Arisierung“ des Haus- und Grundbesitzes vorangetrieben.

 

Auf dem ehemaligen Friedhofsgelände erinnert ein Granit-Obelisk an die Angehörigen der ehemaligen jüdischen Gemeinde mit den Worten:

Den in Ribnitz sowie allen durch die Wirrnisse der Zeit 1933 / 45

fern der Heimat verstorbenen jüdischen Bürgern unserer Stadt zum Gedenken.

Der Rat der Stadt Ribnitz-Damgarten

         erhaltene Grabsteine und Gedenkstein (Aufn. Anna Mittermayer, 2009)

Im Jahre 2011 wurden im Ortsteil Ribnitz drei sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an ehemalige jüdische Bewohnerinnen erinnern, die deportiert und ermordet wurden.

 

 

 

In Ahrenshoop (im Ortsteil Althagen) – Teil des Amtes Darß-Fischland -  sind zwei „Stolpersteine“ verlegt, die an die beiden Jüdinnen Edla Charlotte Rosenthal und Eliza Kohlman erinnern..

  Aufn. Z., 2017, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

 

Weitere Informationen:

Leopold Donath, Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874), Leipzig 1874

Paul Kühl, Geschichte der Stadt und des Klosters Ribnitz, Neubrandenburg 1933, S. 526 - 533 (Anmerkung: Im Kapitel 30 ‘Juden und ihre Einbürgerung in Ribnitz’) - Neuauflage: Rostock 2004

Jana Behnke, Zur Entwicklung der Stadt Ribnitz unter den Bedingungen der faschistischen Diktatur 1933 - 1945, Diplomarbeit Universität Rostock, Rostock 1987

Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Hrg. Autorenkollektiv, Tourist-Verlag, Berlin 1992

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 495/496

Eleonore Rösel, Spurensuche: Jüdisches Leben in Ribnitz und Umgebung, in: "Kleine Schriftenreihe Regionalgeschichte", Heft 3, Scheunenverlag, Kükenshagen 1996

Irene Dieckmann (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Mecklenburg-Vorpommern, Verlag für Berlin Brandenburg, Potsdam 1998, S. 181 - 194

Wolfgang Wilhelmus, Juden in Vorpommern, in: Irene Diekmann (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Vorpommern, Verlag für Berlin-Brandenburg 1998, S. 23 - 26

Axel Attula, Zur Synagoge der Stadt Ribnitz und dem Verbleib ihres Inventars, in: 775 Jahre Ribnitz – 750 Jahre Damgarten. Beiträge zur neueren Stadtgeschichte, Ribnitz-Damgarten 2008, S. 367 – 370

Auflistung der Stolpersteine in Ribnitz-Damgarten, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Ribnitz-Damgarten

Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Ribnitz-Damgarten, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 28.3.2016, in: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Ribnitz_Damgarten

Edwin Sternkiker (Red.), Verfolgt, vertrieben und ermordet – RibnitzerJuden in der Zeit des Nationalsozialismus, hrg. vom Freundeskreis Kloster- u. Stadtgeschichte Ribnitz-Damgarten e.V., in: rdg-historisch.de