Zeitlofs (Unterfranken/Bayern)

https://de-academic.com/pictures/dewiki/75/Kreis_Salm%C3%BCnster.jpgDatei:Zeitlofs in KG.svg Die Marktgemeinde Zeitlofs mit derzeit ca. 2.000 Einwohnern liegt im Nordwesten des Landkreises Bad Kissingen - etwa ca. 40 Kilometer südlich von Fulda (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: de-academic.com  und  Kartenskizze 'Landkreis Bad Kissingen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die israelitische Gemeinde von Zeitlofs ihren personellen Höchststand und stellte damals zeitweise ca. ein Viertel der Dorfbevölkerung.

Die Anfänge jüdischer Geschichte in Zeitlofs reichen bis in die Zeit um 1600 zurück. Die Ansiedlung der Familien hatten die Herren von Thüngen unterstützt, die sich davon wirtschaftliche Vorteile versprachen. Neben den in Zeitlofs regelmäßig abgehaltenen Viehmärkten spielte auch die geografische Lage an einem frequentierten Verkehrsweg nach Frankfurt/M. für hiesiges jüdisches Leben eine Rolle.

Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) waren für das Dorf 23 Familienvorstände verzeichnet, die mehrheitlich mit Viehhandel ihren Lebensunterhalt bestritten. Entlang einer Straße am südlichen Ortsrand wohnten die meisten jüdischen Familien.

Zu den Einrichtungen der streng-religiös ausgeprägten Gemeinde gehörten eine im Jahre 1885 neu erbaute Synagoge - ein Großbrand hatte neben Wohnhäusern auch das alte Bethaus im Jahr zuvor zerstört; in dem Gebäude befand sich auch die Religionsschule mit Vorsängerwohnung. Um den Neubau finanzieren zu können, hatte die Gemeinde mehrfach zu Spenden aufgerufen; so erschien eine Anzeige der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 4. September 1884:

Aufruf. Hochverehrte Glaubensgenossen! Ein schweres Unglück hat wiederholt den hiesigen Ort, insbesondere die israelitische Gemeinde dahier, heimgesucht. Am 16. d. M., am Schabbat Reeh, brach in einer Scheune in der Nähe unserer Synagoge Feuer aus, griff ... mit Blitzesschnelle um sich und faßte so rasch unsere Synagoge, daß wir mit knapper Noth und nicht ohne Gefahr nur unsere heiligen Thorarollen retten konnten. Unsere Gemeinde ist durch diesen Schicksalsschlag schwer getroffen. ... besteht unsere Gemeinde aus nur zwölf mittelmäßig begüterten Mitgliedern, von welchen zwei durch einen kurz vorangegangenen Brand an ihrem Vermögen schwer geschädigt worden sind. Da unsere Gemeinde ohnehin schon für die Erhaltung unserer Religionsschule schwere Kosten zu tragen hat, ist sie außer Stande, für den Wiederaufbau des uns von den Flammen geraubten Gotteshauses aus eigener Kraft etwas zu tun.
In dieser Nothlage wenden wir uns an Ihren oft bewährten Wohlthätigkeitssinn, theure Glaubensgenossen, Gemeinden sowohl als Vereine und Private mit der Bitte: Helfen Sie uns durch reichliche Gaben unser zerstörtes Gotteshaus wieder aufbauen, ... In diesem traurigen Falle wird sich hoffentlich die echt jüdische Frömmigkeit wieder einmal bewähren; der Unterzeichnete ist gerne bereit, Gaben in Empfang zu nehmen, weiter zu befördern und in diesem Blatte öffentlich zu quittiren.
Gersfeld, im Monat Elul 5644. S. S. Wormser, Districts-Rabbiner.

Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gesamtgemeinde war ein Religionslehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.

  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2092/Zeitlofs%20Israelit%2018091878.jpg    http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2092/Zeitlofs%20Israelit%2019121907.jpg

    Stellenangebote von 1878 - 1891 - 1907 (alle aus der Zeitschrift "Der Israelit")

Zu den rituellen gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch eine Mikwe, die um 1830 eine ältere ersetzte, das nahe des Sinn-Flüsschens lag.

Ihre Toten begruben die Zeitlofser Juden auf dem jüdischen Bezirksfriedhof im hessischen Altengronau.

Die Gemeinde unterstand bis Anfang der 1890er Jahre dem Bezirksrabbinat Gersfeld, danach dem von Bezirksrabbinat Kissingen; sie schloss sich Mitte der 1920er Jahre dem Bund gesetzestreuer jüdischer Gemeinden an. Wie streng-orthodox die Gemeinde geprägt war, mag auch die folgende Annonce verdeutlichen, die der jüdische Lehrer von Zeitlofs veröffentlichen ließ:

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2092/Zeitlofs%20Israelit%2015021871.jpg Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Febr. 1871

Juden in Zeitlofs:

    --- 1682 .......................   3 jüdische Familien,

    --- 1813 .......................  90 Juden (ca. 20% d. Dorfbev.),

    --- 1823 ....................... 102   "   (in 20 Familien),

    --- 1835 ....................... 120   "   (in 27 Familien),

    --- 1848 ....................... 113   "   (in 23 Familien),

    --- 1867 .......................  70   “   (ca. 11% d. Dorfbev.),

    --- 1890 .......................  74   “  ,

    --- 1900 .......................  57   “   (ca. 10% d. Dorfbev.),  

    --- 1910 .......................  42   “   (ca. 7% d. Dorfbev.),

    --- 1925 .......................  34   “  ,

    --- 1933 .......................  33   “  ,

    --- 1935 (Aug.) ................  27   “  ,

    --- 1937 (Mai) .................  13   "  ,

    --- 1938 (Juni) ................   4   “  ,

             (Aug.) ................   keine.

Angaben aus: B. Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 450

und                  W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, S. 403

 

Bis Anfang der 1930er Jahre gab es in Zeitlofs mehrere Gewerbebetriebe, die sich im Besitz jüdischer Familien befanden; so z.B. die Stoffhandlungen von Isidor Regensburger und Max Reich, die Lebensmittelgeschäfte von Siegfried Regensburger und Ignaz Wormser, die Viehhandlungen von Bernhard und Leopold Goldner, das Schuhgeschäft von Samuel Goldner.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20458/Zeitlofs%20Israelit%2018990912.jpg Kleinanzeige, aus: "Der Israelit" vom 12.9.1899

Dass sich bereits in den 1880er Jahren auch in Zeitlofs und Umgebung antisemitisches Gedankengut zu verbreiten versuchte, zeigt der folgende Artikel:

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2092/Zeitlofs%20Israelit%2023051882.jpgaus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 23.Mai 1882

1938 löste sich die jüdische Gemeinde auf, nachdem alle Angehörigen auf Grund zunehmender Repressalien das Dorf verlassen hatten; zumeist waren sie in Städte innerhalb Deutschlands abgewandert, andere emigriert.

Das schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr genutzte Synagogengebäude war seit Sommer 1938 an einen Privatmann verpachtet (Jahre später erfolgte der Verkauf). Die Ritualien hatte man der Gemeinde Kissingen überlassen, wo sie während des Novemberpogroms von 1938 vernichtet wurden.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind 33 gebürtige bzw. länger in Zeitlofs ansässig gewesene Bewohner israelitischen Glaubens bekannt, die aus ihren späteren Wohnorten deportiert und Opfer der „Endlösung“ geworden sind (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/zeitlofs_synagoge.htm).

 

Ein Jahr nach Kriegsende kehrte als einziger Angehöriger der jüdischen Gemeinde der Viehhändler Josef Goldner nach Zeitlofs zurück, wo er bis zu seinem Tode wohnte.

Das einstige Synagogengebäude beherbergte dann zeitweilig einen Kindergarten; später wurde es zu einem Wohnhaus umgebaut. Äußerlich sind heute noch Spuren der Rundbogenfenster der Synagoge erkennbar. An der alten Schule (Baumallee) wurde 1986 eine Gedenktafel angebracht.

                                http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20356/Zeitlofs%20Gedenktafel%20n120.jpg Hinweistafel (Aufn. Weichert, 2013)

In Zeitlofs gibt es heute noch eine „Untere Judengasse” und eine „Obere Judengasse”; dort hatte sich ehemals das jüdische Leben des Ortes konzentriert.

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z.Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, München/Wien 1979, S. 450/451

Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen Würzburger Juden, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Band 1, Verlag Max Rötter, Bad Neustadt a.d.Saale 1980, S. 205/06

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 146

Zeitlofs, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Cornelia Binder/Michael Mence, Nachbarn der Vergangenheit - Spuren von Deutschen jüdischen Glaubens im Landkreis Bad Kissingen mit dem Brennpunkt 1800 bis 1945, Selbstverlag, o.O. 2004

Bernd K. Otto/Leo Übelacker, Markt Zeitlofs 1167 – 2007. Einblicke in die Geschichte eines Dorfes, Verlag der Rhön- und Saalepost, Neustadt a.d.Saale 2007

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 125/126

Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Zeitlofs, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S.. 387 - 408