Wiesenbronn (Unterfranken/Bayern)

Datei:Wiesenbronn in KT.svg Wiesenbronn mit derzeit ca. 1.000 Einwohnern gehört heute zur Verbandsgemeinde Großlangheim (Kreis Kitzingen); der durch den Weinbau bekannte Ort liegt im Steigerwaldvorland am Fuße des Schwanbergs – ca. 30 Kilometer südöstlich von Würzburg (Kartenskizze 'Kreis Kitzingen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Gegen Mitte des 16.Jahrhundert sind erstmals Juden im Dorf Wiesenbronn genannt. Die Ansiedlung jüdischer Familien nach dem Dreißigjährigem Krieg wurde durch die Markgrafen von Ansbach gefördert, die sich damit wirtschaftliche Vorteile versprachen. Hingegen wurden die hier lebenden Juden von der lokalen Verwaltung nicht gern gesehen: „Diße Judten seindt bey der gemein alda bürgerlich angenommen wordten, vndt geben ihr burger geldt: gleich denen Christen; seindt aber der gemin höchst schättlich, in deme sie ihre Nahrung vndt handel so wohl under andern herrschafts Vnderthanen suchen ...“)

Eine Gemeinde soll sich um die Wende vom 17. zum 18.Jahrhundert gebildet haben; ein erster Betraum, der erst auf Grund einer markgräflichen Genehmigung (mit jährlicher Abgabe) eingerichtet werden konnte, ist seit 1718 nachweisbar. Die jüdische Gemeinde verfügte seit ca. 1795 in der Badersgasse über eine Synagoge in einem Gebäude, das vormals vermutlich ein Herrensitz war; die Decke des Innenraumes zierte ein blauer Sternenhimmel. Auch eine Mikwe zählte zu den gemeindlichen Einrichtungen.

Religiöse Aufgaben der Gemeinde bestritt ein angestellter Lehrer. In besonderer Erinnerung blieb der in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts tätige Lehrer Jacob Rosenbaum (gest. 1897), der mehr als drei Jahrzehnte dieses Amt in Wiesenbronn ausübte.

    Anzeigen aus: „Der Israelit“ vom 13.12.1900 und 16.12.1907

Über eine eigene Schule verfügte die Judenschaft aber nicht; die Kinder besuchten die protestantische Ortsschule.

Ihre verstorbenen Gemeindeangehörigen begrub die Wiesenbronner Judenschaft auf dem jüdischen Verbandsfriedhof im benachbarten Rödelsee. Hier wurden auch verstorbene Juden aus Kitzingen, Marktbreit, Segnitz, Sommerhausen, Sommerach, u.a. zur letzten Ruhe gebettet.

Die Gemeinde gehörte zum Distriktrabbinat Kitzingen.

Juden in Wiesenbronn:

        --- 1714 ........................    8 jüdische Familien,

--- 1740 ........................   12     "        "   ,

--- 1753 ........................   13     "        "   ,

--- 1813 ........................  112 Juden (ca. 12% d. Bevölk.)

    --- 1830 ........................  128   “  ,

    --- 1837 ........................  160   “   (ca. 15% d. Bevölk.)

    --- 1851 .................... ca.  140   "   (in 33 Haushalten),

    --- 1867 ........................  105   “   (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1875 ........................  112   “  ,

    --- 1890 ........................   80   “  ,

    --- 1900 ........................   52   “   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1910 ........................   44   “  ,

    --- 1925 ........................   27   “  ,

    --- 1933 ........................   22   “  ,

    --- 1939 ........................    9   “  ,

    --- 1942 (Apr.) .................    keine.

Angaben aus: Christian Reuther/Michael Schneeberger, Nichts mehr zu sagen und nichts zu beweinen

und                  W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, S. 1293

 

Bei der Erstellung der Matrikel (1817) waren für Wiesenbronn 26 jüdische Familienvorstände aufgelistet; mehrheitlich lebten die Familien damals vom Viehhandel (in Verbindung mit dem Schlachtgewerbe), im Weinhandel und Feldbau.

In dem kleinen Orte Wiesenbronn, der um 1890 knapp 1.000 Einwohner zählte, soll „das Verhältnis zwischen den beiden Bevölkerungsteilen ... ein sehr gutes [gewesen sein] und die Grenzen der konfessionellen Zugehörigkeit [überbrückt haben].” Mit dem Rückgang der Zahl der Gemeindenangehörigen wurde die Synagoge nur noch selten zu Gottesdiensten benutzt (fehlender Minjan); auch die Lehrerstelle blieb nun verwaist.

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten nur noch sehr wenige Familien israelitischen Glaubens im Ort. 1935 kam es in Wiesenbronn zu judenfeindlichen Ausschreitungen, in deren Verlauf Sachbeschädigungen an Privathäusern und dem Synagogengebäude zu verzeichnen waren; das Synagogengebäude wurde bald darauf verkauft.

Während des Novemberpogroms von 1938 wurden die beiden noch am Ort bestehenden jüdischen Geschäfte demoliert; Fensterscheiben von Privathäusern wurden eingeworfen. Die jüdischen Bewohner setzte man in Angst und Schrecken, indem man vor ihren Augen eine Strohpuppe verbrannt wurde; ein dieser umgehängtes Schild benannnte alle diejenigen Dorfbewohner auf, die bislang noch mit Juden verkehrt hatten. Zwei jüdische Männer aus Wiesenbronn wurden ins KZ Dachau verschleppt, wo einer von ihnen, der letzte Gemeindevorsteher Sali Heippert, im Dezember 1938 umkam.

1939/1940 verließen weitere sechs jüdische Einwohner das Dorf; einem gelang noch die Emigration nach Palästina; die anderen fünf verzogen in andere Orte Deutschlands. Anfang Februar 1942 lebten nur noch drei jüdische Frauen in Wiesenbronn, die via Kitzingen/Würzburg deportiert und später ermordet wurden.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945“ sind insgesamt 31 aus Wiesenbronn stammende bzw. länger hier ansässig gewesene jüdische Personen Opfer der NS-Herrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/wiesenbronn_synagoge.htm).

 

Die Bausubstanz der ehemaligen Synagoge ist heute noch weitgehend erhalten; sogar die Originaldecke – der blaue Sternenhimmel – hat die Zeiten überdauert. Nach mehrfachen Umbauten wird das Gebäude heute zu Wohnzwecken genutzt. Jüngst wurde das Gebäude mit hohem finanziellen Aufwand von seinen privaten Eigentümern restauriert; von der unterfränkischen Kulturstiftung wurde ihnen dafür eine Auszeichnung zuteil.

1 Synagoge Wiesenbronn 2.jpg

 

restauriertes Synagogengebäude (Aufn. Monandowitsch, 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0) und historischer Betsaal (Aufn. R. Hüßner, 2013, aus: alemannia-judaica.de)

Bei den Renovierungsmaßnahmen fanden die Eigentümer im Dachboden eine Genisa mit mehr als 800 Einzelstücken; der Großteil der Funde (zumeist Schriftstücke) stammt aus der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts.

Auch Wiesenbronn beteiligt sich – wie zahlreiche andere Kommunen Unterfrankens – am Projekt „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ mit einer Koffer-Skulptur. (vgl. dazu: Würzburg)

   WiesenbronnBeitrag der Kommune Wiesenbronn (Abb. aus: denkort-deportationen.de)

 

In Wiesenbronn stand bis Anfang der 1980er Jahre das Geburtshaus des berühmten Rabbiners Seligmann Bär Bamberger; in unmittelbarer Nähe befindet sich eine Gedenktafel mit folgender Inschrift: "Auf diesem Platz stand das Geburtshaus der ‘Würzburger Raw’ Seligmann Bär Bamberger. Die Gemeinde Wiesenbronn gedenkt ihrer ehemaligen jüdischen Mitbürger".

Seligmann Baer Bamberger wurde 1807 als Sohn eines Kleinhändlers in Wiesenbronn geboren und wuchs in den Traditionen des fränkischen Landjudentums auf. Seine rabbinische Ausbildung erhielt er an der Jeschiwa in Fürth. Im Alter von 20 Jahren kehrte Bamberger als Rabbiner in seine Heimatdorf zurück. Seit 1838 wirkte er in Würzburg, seit 1840 als Bezirksrabbiner. Er – der „Würzburger Rav“ - war einer der führenden Vertreter der jüdischen Orthodoxie in Deutschland. Baer verstarb 1878 an seinem Wirkungsort in Würzburg; sein Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Höchberg.

Moses Löb Bamberger (geb. 1838 in Wiesenbronn), Sohn des bekannten Würzburger Rabbiners Seligmann Bar Bamberger, stand von 1867 bis zu seinem Tode (1899) dem Distriktsrabbibat Bad Kissingen vor. Wegen seiner Gelehrsamkeit und seiner Frömmigkeit war er allseits geachtet. Während seiner Amtszeit forcierte er den Bau der neuen Synagoge in Kissingen, deren Fertigstellung er aber nicht mehr erlebte.

 

[vgl. Großlangheim und Kleinlangheim (Bayern)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Hermann Klugmann, Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30.Januar 1933, unveröffentlichtes Manuskript

Baruch Z.Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München 1979, S. 428/429

Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen Würzburger Juden, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Band 1, Verlag Max Rötter, Bad Neustadt a.d.Saale 1980, S. 383 - 388

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 352

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Bayr. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 137

Christian Reuther/Michael Schneeberger, Nichts mehr zu sagen und nichts zu beweinen. Ein jüdischer Friedhof in Deutschland, Edition Hentrich, Berlin 1994

Trude Maurer, Beziehungen zwischen Juden ind Nichtjuden: Beobachtungen zur Alltagsgeschichte Frankens, in: G.Och/H.Bobzin (Hrg.), Jüdisches Leben in Franken, Bibliotheca Academica, Geschichte, Band 1, Würzburg 2002, S. 157 f.

Wiesenbronn, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle., in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13/2008, S. 179/180

Reinhard Hüßner, „Ist die Synagoge ohnehin baufällig und nur mittelst Klammern und Rügeln zusammengebunden“. Zur Baugeschichte der Wiesenbronner Synagoge, in: "Jahrbuch für den Landkreis Kitzingen", Dettelsbach 2009, S. 239 – 254

Hans-Peter Süss, Jüdische Archäologie im nördlichen Bayern. Franken und Oberfranken, in: "Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands", Band 25, Büchenbach 2010, S. 148 - 151

Ralf Weiskopf (Red.), 25.000 Euro Preisgeld für die Sanierung der ehemaligen Synagoge, in: „Main-Post“ vom 15.7.2011

Sebastian Kunigkeit (Red.), Umgebaute Synagoge: Wohnen unterm Sternenhimmel, in: spiegel-online.de vom 11.10.2013

Barbara Herrmann (Red.), Wiesenbronn. Fenster in die Vergangenheit, in: „Main-Post“ vom 4.11.2015

Timo Lechner (Red.), Wiesenbronn: Jüdische Geschichte unterm Sternenhimmel, in: „Main-Post“ vom 16.9.2016

Reinhard Hüßner, Im Schatten des Sternenhimmels. Über die ehemalige Synagoge und die jüdische Gemeinde in Wiesenbronn, Wiesenbronn 2016

BR (Red.), Erhalt durch Wandel. Wie die Synagoge Wiesenbronn als Wohnhaus bewahrt wird , in: BR 2 vom 1.1.2017

Gerhard Krämer (Red.), Wiesenbronn. Filmreife Sanierung: Neues Leben in zwei alten Synagogen, in: „Main-Post“ vom 27.2.2020

Hans-Christof Haas (Bearb.), Wiesenbronn, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 1282 - 1295

Anfrea Strößner, Der Genisafund aus der Synagoge in Wiesenbronn, Röll-Verlag Dettelbach 2021

Ralf Dieter (Red.), Wiesenbronn/Würrzbutrg. Der Schatz im Dachboden, in: „Die Kitzinger“ vom 5.10.2021