Westerkappeln (Nordrhein-Westfalen)

Datei:LD Osnabrück.jpg – WikipediaDatei:Westerkappeln in ST.svg Westerkappeln mit derzeit ca. 11.000 Einwohnern ist eine Kommune im Tecklenburger Land im nördlichen Teil Nordrhein-Westfalen – knapp zehn Kilometer westlich von Osnabrück gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte der 'Landdrostei Osnabrück' ohne Eintrag von Westerkappeln, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Steinfurt', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die frühesten Belege für die Existenz von Juden in Westerkappeln im Tecklenburger Land stammen aus dem beginnenden 18.Jahrhundert; danach soll sich 1706 eine jüdische Familie - mit einem Schutzbrief ausgestattet - hier niedergelassen haben; eine weitere folgte ihr knapp zehn Jahre später. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts lebten die wenigen Familien vom Klein- bzw. Hausierhandel; nach 1860/1870 hatten sie sich zu Besitzern von Textilgeschäften und Viehhandlungen hochgearbeitet. Über die Lebenssituation der Juden in Westercappeln gibt ein Bericht des Bürgermeisters vom 12.2.1818 Auskunft; dort heißt es u.a.:

Bericht über den Zustand der Judenschaft in der Stadt Cappeln

... 1803 waren in der Stadt Cappeln 3 Familien vorhanden mit 19 Köpfen.  Seit 1806 haben die Juden keine besonderen Abgaben mehr bezahlt. Vor dieser Zeit aber mußten sie Schutzgeld bezahlen, wieviel ist nicht bekannt.

... Unter der französischen Regierung wurden die Juden den Christen in Hinsicht der Bürgerrechte gleichgestellt, und konnten sie Häuser kaufen und Handel treiben mit allen Waren, ...

Eine eigentliche Synagoge ist hier nicht vorhanden, ... Die jetzigen Juden haben wieder einen Schullehrer, welcher bei ihrem Gottesdienst vorsingen und die Kinder in jüdischer Religion unterrichten muß. ... Da aber die jüdischen Schullehrer nur selten die Rechenkunst verstehen oder auch im Deutschen ... keine Kenntnisse besitzen, so wie diesselbe auch bei jetzigem hiesigen jüdischen Schullehrer der Fall ist, so lassen die Väter der Juden ihre Söhne in dieser Wissenschaft in der hiesigen christlichen Schule unterrichten ...

Da die Juden jetzt mit allen Waren seit der französischen Zeit handeln, ... so wie alle übrigen Juden mit ihrer Ware auf dem platten Lande hausieren gehen, ... so ist es ganz natürlich, daß die hiesigen christlichen Kaufleute darunter außerordentlich leiden und bei ihrem Handel zurückgehen. ...

Eigentliche Metzger gibt es unter den hiesigen Juden nicht, indessen wechseln sie jedoch den Untertanen Geld ... Die Lebensmittel ... erhalten die hiesigen Juden von den hiesigen Untertanen bei Gelegenheit des Handels ... Daß unter solchen Umständen mancher Betrug vorgeht, indem die Juden gewöhnlich die wohlfeilsten Waren einhandeln und teuer wieder verkaufen, ist wohl mehr als zu gewiß, und daß solche Betrügereien auf den moralischen Charakter sowohl als auch den Wohlstand der Untertanen Einfluß hat, ist nicht zu bezweifeln. ...

Man muß aufrichtig gestehen, daß die bürgerlichen Freiheiten, welche die Juden unter der französischen Regierung erhalten, dem christlichen Wohlstand sehr nachteilig sind, und daß die Juden durch die erlangten Freiheiten und die Ausbreitung ihres Marktes allerdings an Vermögen zunehmen, aber durchaus sich dadurch nicht bewegen lassen, außer dem Handel noch andere Gewerbe zu treiben. ...

Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden lange Zeit in einem Wohnhaus einer jüdischen Familie statt. 1830 weihte die kleine jüdische Gemeinschaft im Beisein des Landrabbiners Abraham Sutro eine neue Synagoge auf einem Hinterhofgelände in der Bramscher Straße ein.

Aus den Aufzeichnungen des Bürgermeisters: Einweihung der Synagoge in Westerkappeln

    Gesetzestafeln in der Synagoge, (hist. Aufn., Heimatbücher von Friedrich Rohlmann)

Knapp 20 Jahre später wurde die Judenschaft Westerkappelns zu einer autonomen Kultusgemeinde erhoben; gleichzeitig verabschiedeten die Gemeindeangehörigen eine Synagogenordnung, die wegen der hier festgelegten Sitzordnung in der Synagoge zu Konflikten innerhalb der Gemeinde führte. Eine aus der Religionsschule hervorgegangene jüdische Elementarschule existierte in Westerkappeln - mit Unterbrechungen - von 1840 bis 1921; die in privater Trägerschaft stehende Schule war im Vorderbereich des Synagogengrundstücks untergebracht.

Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch eine eigene Begräbnisstätte „Auf dem Gabelin“ an der Osnabrücker Straße. Sie wurde vermutlich in der Zeit des Synagogenbaus angelegt.

Juden in Westerkappeln:

            --- 1706 ........................... eine jüdische Familie,

     --- 1722 ...........................   3     “        “  n,

     --- um 1800 ........................   3     “        “   ,

     --- 1818 ...........................   5     “        “   (29 Pers.),

     --- 1843 ...........................  55 Juden,

     --- 1861 ...........................  96   “   (in 13 Familien),

     --- 1871 ...........................  75   "  ,

     --- 1895 ...........................  68   "  ,

     --- 1901 ...........................  47   “  ,

     --- 1924/25 ........................  18   “  ,

     --- 1933 ...........................  21   “   (in 5 Familien),    

--- 1937 ...........................   5   “  ,

     --- 1940 ...........................   ?  

Angaben aus: Gertrud Althoff, Geschichte der jüdischen Gemeinde Westerkappeln

 

Die kleiner gewordene jüdische Gemeinde wollte bereits Ende der 1920er Jahre das Synagogengebäude verkaufen; doch erst 1939 ging das Synagogengrundstück in Privatbesitz über; der Erwerber ließ das Gebäude später niederlegen.

In den 1930er Jahren lebten nur noch acht jüdische Familien in Westerkappeln. Ab 1935 wurde die ländliche Bevölkerung Westerkappelns wiederholt aufgerufen, jegliche wirtschaftliche Kontakte mit Juden zu unterlassen. Offen wurde gedroht, „solchen Verrätern am Volke“ jedwede staatliche Unterstützung zu entziehen.

Während der „Kristallnacht“ vom November 1938 führten SA-Angehörige in Westerkappeln einige „Aktionen“ durch, die in einem Schreiben des Amtsbürgermeisters an den Landrat nach Tecklenburg am 11.11.1938 gemeldet wurden:

„... Auch bei den hiesigen Juden wurden Vergeltungsmaßnahmen vorgenommen. Fast sämtliche Juden wurden verhauen und die Einrichtungsgegenstände ihrer Wohnungen stark zertrümmert. Die Juden haben wohl einige Verletzungen bekommen, diese sind aber nicht sehr erheblich. Getötet wurde kein Jude; auch wurde kein jüdisches Gebäude in Brand gesteckt. Im jüdischen Umschulungslager und im Hause des Tierarztes Dr.Block wurden außerdem noch die Fensterscheiben eingeworfen. Es sind 5 männliche Juden in Schutzhaft genommen worden. ... Die hiesige Bevölkerung ist im allgemeinen für diese Vergeltungsaktion, man hört aber auch verschiedentlich, man hätte die Einrichtungsgegenstände nicht zertrümmern sollen. “

Über das weitere Schicksal der Juden aus Westerkappeln liegen nur spärliche Angaben vor.

 

Der jüdische Friedhof befindet sich in einem Waldstück an der Osnabrücker Straße/Im Gabelin und weist knapp 50 Grabsteine auf; der älteste datiert von 1831.

Jüdischer Friedhof in Westerkappeln (beide Aufn. J.-H. Janßen, 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Den aus Westerkappeln stammenden jüdischen Bewohnern wurde im Nov. 1987 auf dem jüdischen Friedhof - er weist insgesamt ca. 50 Grabstellen auf - ein aufragender Gedenkstein gewidmet, auf dem es heißt:

Tröstet, tröstet mein Volk

               Spricht euer Gott.   (Jes. 40,1)

Zum Gedenken an die Westerkappelner, die als Juden in Konzentrationslagern ermordet wurden.

...

Zur Mahnung für die Lebenden

Gedenktafeln für die ehemalige Synagoge bzw. Schule sucht man bisher vergebens.

Im Jahre 2014 sind in Westerkappeln acht sog. "Stolpersteine" verlegt worden, die an das Schicksal von Angehörigen zweier jüdischer Familien erinnern sollen.

 

"Stolpersteine" verlegt in der Großen Straße bzw. der Osnabrücker Straße (Aufn. H.J. Janßen, 2015 und G. Demnig, aus: wikipedia.org, CCO)

 

 

 

In der Bauernschaft Westerbeck existierte von 1933 bis 1938 ein Hachschara-Lehrgut („Kibbuz- Westerbeck"), in dem jüdische Jugendliche eine landwirtschaftliche Ausbildung erhielten – als Vorbereitung für ihre Auswanderung und ein Siedlerleben in Palästina. Das auf dem Hof des Osnabrücker Pferdehändlers Rudolf Stern und seines Bruders gelegene Lehrgut - das einzige seiner Art in der damaligern preußischen Provinz Westfalen - war von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland gepachtet worden, der es dem Pfadfinderbund „Makkabi Hazair“ überlassen hatte, um hier eine Ausbildungsstätte zu betreiben.

Das Lehrgut bestand fünf Jahre. In der Pogromnacht wurde der Hof überfallen und ging alsbald in das Eigentum eines Landwirtes aus Haustenbeck über.

 

 

 

Weitere Informationen:

Friedrich E. Hunsche, Westerkappeln - Chronik einer alten Gemeinde im nördlichen Westfalen, Westerkappeln 1975

Kirsten Terhorst, Juden in Westerkappeln. Jahresarbeit im Fach Geschichte 1980/81, Westerkappeln 1981

Gertrud Althoff, Geschichte der jüdischen Gemeinde Westerkappeln von ihren Anfängen bis zur Vernichtung, Hrg. Gemeinde Westerkappeln, 1987

Gertrud Althoff, Der jüdische Friedhof von Westerkappeln, in: "Unser Kreis. Jahrbuch für den Kreis Steinfurt 1989", S. 194 - 204

Willi Feld, Die Geschichte der Juden im Kreis Steinfurt von den Anfängen bis zur Vernichtung, in: Geschichte des Judentums im Kreis Steinfurt, "Steinfurter Hefte", No. 13/1991

Günter Birkmann/Hartmut Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 242

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 405 - 409

Willi Feld, Synagogen im Kreis Steinfurt. Geschichte, Zerstörung, Gedenken, Hrg. Kreis Steinfurt, Steinfurt 2004, S. 70 f.

Gertrud Althoff, Jüdische Westerkappelner auf den Spuren ihrer Geschichte, in: "Schriftenreihe der Gemeinde Westerkappeln", Band 9, Westerkappeln 2005

Gertrud Althoff (Bearb.), Westerkappeln, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, "Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV", Ardey-Verlag, München 2008, S. 754 – 761

N.N. (Red.), Letztes Lebenszeichen aus Litzmannstadt, in: „Neue Osnabrücker Zeitung“ vom 11.11.2011

Dietlind Ellerich (Red.), Familie Block aus Westerkappeln: In den Tod getrieben vom eigenen Land, in: „Neue Osnabrücker Zeitung“ vom 17.9.2012

Frank Klausmeyer (Red.), Mahnmale gegen das Vergessen. Westerkappelner Initiative verlegt Stolpersteine, in: „Neue Osnabrücker Zeitung“ vom 9.2.2014

Gisbert Strotdrees (Red.), Ein Kibbuz in Westfalen, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 19.1.2015 (betr: ‚Kibbuz Westerbeck‘ Hachschara-Lehrgut)

Auflistung der Stolpersteine in Westerkappeln, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Westerkappeln

Dietlind Ellerich (Red.), Bewegende Geschichte einer jüdischen Familie in Westerkappeln, in: „Neue Osnabrücker Zeitung“ vom 17.11.2017

Gisbert Strotdrees (Red.), Fluchtpunkt Landwirtschaft: Ein Bauernhof als rettende Insel, in: „Ochenblatt für Landiwrtschaft und Landleben“ vom 12.3.2021 (betr: ‚Kibbuz Westerbeck‘ Hachschara-Lehrgut)