Wehrda (Hessen)

Datei:Haunetal in HEF.svg Im Zuge der Gebietsreform 1971/1972 wurde Wehrda (derzeit ca. 600 Einw.) der neugebildeten Gemeinde Haunetal im Kreis Hersfeld eingegliedert - gelegen zwischen Bad Hersfeld und Fulda (Kartenskizze 'Landkreis Hersfeld', NNW 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In der Region um Hünfeld/Wehrda/Burghaun hielten sich bereits ab Mitte des 14.Jahrhunderts unter dem Schutz der Ritterschaft Juden auf; die jüdischen Familien in Wehrda unterstanden den Herren von Trümbach und waren diesen zu Leibzöllen, Steuern und anderen Abgaben verpflichtet. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts standen die hier lebenden Juden vor allem bei den ansässigen adligen Familien in Brot und Arbeit.

Zu Gottesdiensten kamen die Wehrdaer Juden zunächst im Hause der jüdischen Metzgers Plaut zusammen. Ab 1804 stand eine neuerbaute Synagoge - ein schlichtes Gebäude in der Dorfstraße - zur Verfügung. Das Bauholz war von der Grundherrschaft von Trümbach gespendet worden; aus Dankbarkeit wurde über dem Schrein in der Synagoge das Trümbacher Wappen angebracht.

Ab den 1830er Jahren besaß Wehrda eine jüdische Elementarschule; diese bestand bis gegen Ende des Ersten Weltkrieges.

Stellenausschreibungen von 1884 – 1891 - 1921:


Die Judenschaft Wehrdas nahm um 1855 einen eigenen Begräbnisplatz am Mühlweg in Benutzung; zuvor waren die Verstorbenen auf dem Begräbnisplatz in Burghaun beerdigt worden, der für die Juden der Ritterschaft bestimmt war.

Zwischen den Wehrdaer Juden und denen des nächst gelegenen Ortes Rhina bestanden zahlreiche geschäftliche und private Beziehungen; zwischen beiden Dörfern verlief ein kleiner Weg, der von den jüdischen Dorfbewohnern zu gegenseitigen Besuchen benutzt und im Volksmund „Judenpfädchen” genannt wurde.

Die Gemeinde Wehrda unterstand dem Provinzial-Rabbinat Fulda.

Juden in Wehrda:

         --- 1808 .......................... 124 Juden,

    --- 1830/32 ....................... 141   "  ,

    --- 1852 .......................... 113   “  ,

    --- 1861 .......................... 130   “   (ca. 16% d. Bevölk.),

    --- 1875 .......................... 116   “  ,

    --- 1885 ..........................  94   “   (ca. 15% d. Bevölk.),

    --- 1895 ..........................  76   “  ,

    --- 1905 ..........................  77   “  ,

    --- 1910 ..........................  41   “  ,

    --- 1924...........................  28   "  ,

    --- 1933 ..........................  34   “  ,

    --- 1936 ..........................  22   “  ,

    --- 1939 ..........................   5   “  ,

    --- 1942 ..........................   keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 348                                                

und                 Elisabeth Sternberg-Siebert, Jüdisches Leben im Hünfelder Land: Juden in Burghaun, S. 23

 

Ihren Lebenserwerb verdienten die Wehrdaer Juden im Handel - vor allem im Vieh- und Pferdehandel, teilweise auch in der Landwirtschaft.

Um 1930 lebten im Dorf noch knapp zehn jüdische Familien, von denen die meisten nach der NS-Machtübernahme 1933 die Ortschaft verließen; mehrfache Übergriffe auf jüdisches Wohneigentum (1933/1934) hatten deren Bewohner verängstigt und zum Wegzug bewegt. So konnten hier bald keine Gottesdienste mehr abgehalten werden, sodass die wenigen jüdischen Bewohner von Wehrda die Rhinaer Synagoge aufsuchten. 1935/1936 löste sich die Synagogengemeinde Wehrda völlig auf.

Auf die geschäftlichen Verbindungen zwischen jüdischen Händlern und ihren „arischen“ Kunden hatte die NSDAP-Ortsgruppe schon frühzeitig versucht, Einfluss zu nehmen:

                                          

Am 28.7.1938 wurde in einem Schreiben des Bürgermeisters an den Landrat die Ortschaft Wehrda offiziell als „judenfrei“ gemeldet, nachdem der letzte jüdische Bewohner in die USA emigriert war.

(Anm. Einer anderen Angabe zufolge sollen im Sept. 1942 die letzten beiden jüdischen Bewohner - Sally u. Fanny Adler - 1942 deportiert worden sein.)

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 25 aus Wehrda stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/wehrda_synagoge.htm).

 

Das nach 1945 in Privatbesitz gelangte ehemalige Synagogengebäude wurde später abgebrochen; zurückblieben nur noch Reste der Grundmauern.

Als einziges verbliebenes bauliches Relikt erinnert heute der jüdische Friedhof daran, dass in Wehrda einmal eine jüdische Gemeinde bestanden hat.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20176/Wehrda%20Friedhof%20175.jpg

Jüdischer Friedhof in Wehrda (Aufn. E. Sternberg-Siebert und J. Hahn, 2006)

vgl. dazu Rhina (Hessen)

 

 

 

In dem in der Nähe liegenden Dorf Langenschwarz stammt die früheste Erwähnung jüdischer Bewohner aus dem Jahre 1583. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts war im Dorf eine größere jüdische Gemeinde als in Wehrda beheimatet; 1830 hatte der Ort mit 132 Personen (in 28 Haus­halten) die viertgrößte jüdische Ge­meinde im Altkreis Hünfeld. Außer Vieh- Waren- und Fellhändlern gab es in diesem Zeitraum vier Weber, zwei Schuhmacher, einen Schneider und einen Lehrer. Anfang der 1840er Jahre erreichte die Langenschwarzer Judengemeinde mit 160 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Höchststand.

Seit ca. 1800 besaß die jüdische Ge­meinde ihre eige­ne Synagoge. Etwa vier Jahrzehnte später wurde eine selbstständige jü­dische Volksschule ins Leben gerufen, die 1842 von 29 Kindern besucht wur­de.

Im Laufe der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts war hier eine starke Abwanderung von Juden, vor allem nach Nordamerika, zu verzeichnen. Um 1890/1900 lebten in Langenschwarz nur noch fünf jüdische Familien, wenige Jahre später dann keine mehr.

vgl. dazu Burghaun (Hessen)

 

 

 

Auch im nahen Rothenkirchen hatte sich Ende des 18.Jahrhunderts eine israelitische Gemeinde gebildet, die um 1840/1850 immerhin mehr als 100 Angehörige umfasste. Erste Erwähnungen jüdischer Bewohner reichen bis ins beginnende 18.Jahrhundert zurück. Die Rothenkirchener Juden waren meist Kleinhändler, aber auch im Viehhändel tätig.

Die jüdische Gemeinde hatte eine aus Fachwerk erstellte Synagoge; dieses Gebäude in der Brunnenstraße, das bis heute vollständig erhalten ist, diente schon seit 1908 Wohnzwecken. Ganz in der Nähe befand sich die Mikwe - bei älteren Einwohnern Rothenkirchens als „Badloch“ bekannt

Als Begräbnisstätte nutzten die Rothenkirchener Juden den israelitischen Sammelfriedhof in Burghaun.

Juden in Rothenkirchen:

--- 1774 ...........................   3 jüdische Familien,

--- 1830 ....................... ca. 100 Juden (in 25 Haushalten),

--- 1852 ...........................  88   “  ,

--- 1861 ...........................  89   “  ,

--- 1875 ...........................  64   “  ,

--- 1905 ...........................  40   “  ,

--- 1906 ...........................   2   “  .

Angaben aus: Elisabeth Sternberg-Siebert, Auf den jüdischen Spuren im Hünfelder Land: Rothenkirchen

Durch Abwanderung löste sich schließlich um 1905 die Gemeinde auf; die wenigen verbliebenen Juden wurden der Kultusgemeinde Burghaun angeschlossen.

vgl. dazu Burghaun (Hessen)

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 348 - 350

Elisabeth Sternberg-Siebert, Jüdisches Leben im Hünfelder Land: Juden in Burghaun, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2001

Wehrda (Hessen), in: alemannia-judaica.de (mit diversen Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Jüdische Geschichte in Rothenkirchen, in: alemannia-judaica.de

Langenschwarz, in: alemannia-judaica.de

Dieter Woischke/Horst Lehnert (Red.), Jüdische Bürger in Wehrda. Dokumentation jüdischer Menschen aus Wehrda, erstellt im Auftrag der SPD in Wehrda, 2007

Das Dorf im Tal – Juden in Wehrda, aus: Katharina Maul, Nach meinen Erinnerungen, aus Dokumenten und Erzählungen, 2010, als PDF-Datei online abrufbar (Anm. enthält Biografien der ehemals in Wehrda lebenden jüdischen Familien)

Elisabeth Sternberg-Siebert, Auf den Spuren jüdischen Lebens im Hünfelder Land, Internet-Präsentation in: juedspurenhuenfelderland.de/die-jüdischen-gemeinden/wehrda/  (Anm.: mit vielen Informationen)

Till Conrad (Red.), Wehrda meldet 1938 Vollzug. „Judenfrei“, in: „Oberhessische Presse“ vom 17.9.2014

Barbara Wagner (Red.), Stolpersteine. Steine gegen das Vergessen, online abrufbar unter: geschichtswerkstatt-marburg.de (mit detaillierten biografischen Angaben zu den betroffenen Familien)