Ochtrup (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Ochtrup in ST.svg Ochtrup ist heute eine Stadt mit ca. 20.000 Einwohnern im nordwestlichen Münsterland - in Grenzlage zu Niedersachsen und den Niederlanden (Kartenskizze 'Kreis Steinfurt', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Seit Beginn des 18.Jahrhunderts sind Ansiedlungen von Juden in Ochtrup urkundlich belegt; dabei handelte es sich nur um zwei Familien, die Geleitbriefe des Fürstbischofs zu Münster besaßen. Die Ansiedlung weiterer Familien stieß auf den Widerstand des Stadtrats von Ochtrup, der keine wirtschaftliche Konkurrenz entstehen lassen wollte.

„ ... Wir hegen zwar keinen Haß und Verfolgungsgeist gegen die Juden, allein wir glauben doch unterthänigst, so viel als bekannt annehmen zu dürfen, daß die Juden in ihrem Handel und Gewerbe viel schlauer als die Christen sind, und können wenigstens die traurige Erfahrung nicht verhehlen, daß die bei uns befindlichen beiden Judenfamilien wenigstens ein Drittel der ganzen Handelung des Wigbolds bereits an sich gerissen haben. ...”

Gottesdienste fanden in angemieteten Betstuben in Privathäusern statt.

Zwischen 1848 und 1856 war Ochtup als Filialgemeinde der Hauptsynagogengemeinde Burgsteinfurt angeschlossen.

1868 erwarben zwei Gemeindeangehörige ein Wohnhaus am Kniepenkamp, in dem im Erdgeschoss ein Betsaal eingerichtet wurde. Aus einer Beschreibung: „Der Betraum war 4,50 m breit und 8,50m lang. Man betrat ihn vom Kneipenkamp. Rechts neben der Tür standen zwei Reihen Bänke für die Frauen, die durch ein Holzgitter vom übrigen Raum abgetrennt waren. An den beiden Längsseiten standen sich die Gebetsschemel der Männer gegenüber. Mitten im Raum stand der mit einem schwarzen Tuch abgedeckte Thoraschrein, in dem die Thorarollen und ein Schofarhorn aufbewahrt wurden. An der Decke hing ein Kronleuchter. Beheizt wurde der Raum durch einen Eisenofen in der Ecke. Im Haupteingang lag ein Teppichläufer. Die Wände waren schmucklos.“

Das Amt des Vorbeters übte jeweils „der dazu geeigneste“ aus. Wenn man am Ort keinen Minjan zusammenbringen konnte, dann versuchte man die noch fehlenden Männer aus den Nachbarorten Burgsteinfurt, Metelen oder Epe zu „requirieren“.

Ende des 19.Jahrhunderts wurde der Bau einer Synagoge geplant. Er scheiterte allerdings, weil die hiesige Judenschaft diesen wegen der geringen Zahl ihrer Angehörigen nicht finanzieren konnte; so erfolgte dann 1904 ein Umbau des bereits bestehenden Betsaales.

Religionsunterricht erhielten die Ochtruper Kinder durch den jüdischen Lehrer aus Burgsteinfurt.

Der israelitische Friedhof wurde in napoleonischer Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwischen Hellstiege und Laurenzstraße angelegt; der älteste vorhandene Grabstein auf dem ca. 1.200 m² großen Gelände stammt aus dem Jahre 1824. 

Juden in Ochtrup:

         --- um 1720 ...................... eine jüdische Familie,

    --- um 1750 ......................   2     “       “    n,

    --- 1813 .........................   4     “       “    n,

    --- 1816 .........................   5     "       "    n (ca. 30 Pers.),

    --- 1831 .........................  44 Juden,

    --- 1843 .........................  43   "   (in 8 Familien),

    --- 1895 .........................  42   “  ,

    --- 1925 .........................  46   “  ,

    --- 1931 .........................  44   “  ,

    --- 1938 .........................  14   “  .

Angaben aus: Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Reg.bez. Münster, S. 378

 

Die Ochtruper Juden arbeiteten zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich als Viehhändler und Metzger. 1922 sind für Ochtrup neun jüdische Viehhändler und drei Metzger registriert. Einen florierenden Viehhandel übte die Familie Löwenstein aus, die weit über die Region hinaus ihre Handelsgeschäfte betrieb.

Zu Beginn der NS-Zeit lebten noch ca. zehn jüdische Familien am Ort.

1937 wurde die Synagoge an das Amt Ochtrup verkauft, doch bereits kurz danach von zwei Gemeindemitgliedern erworben. Während des Novemberpogroms von 1938 demolierten einheimische und auswärtige SA-Angehörige die Ochtruper Betstube; auf eine Brandlegung des Gebäudes am Kniepenkamp wurde wegen Gefährdung nahestehender Häuser verzichtet. Auch die noch bestehenden jüdischen Geschäfte am Ort wurden von NS-Anhängern geplündert und zerstört. Unter dem Druck der Repression verließen fast alle jüdischen Familien den Ort. Das letzte in Ochtrup verbliebene jüdische Ehepaar Gottschalk wurde Ende Juli 1942 nach Theresienstadt abtransportiert. Insgesamt wurden ca. 40 Ochtruper Gemeindemitglieder in NS-Lager verbracht, der überwiegende Teil von ihnen von Westerbork aus; 15 Pesonen überlebten die Lagerhaft.

 

In den 1960er Jahren kehrte eine einzige Jüdin nach Ochtrup zurück, wo sie bis zu ihrem Tode lebte.

Das Gebäude, in dem sich der Gebetsraum befand, ging nach 1938 in den Besitz der Stadt Ochtrup über und diente bis in die Nachkriegsjahre als Wohnhaus. In den 1950er Jahren wurde das völlig verwahrloste Gebäude abgerissen. Seit Mitte der 1980er Jahre erinnert am einstigen Standort der Ochtruper Betstube am Kniepenkamp eine Gedenkstele - geschaffen vom Künstler Josef Krautwald - mit der Inschrift:

Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker sein. Jes.56.7

Hier befand sich die Synagoge der jüdischen Gemeinde Ochtrup.

Im Gedenken an ihre Zerstörung am 9.Nov. 1938 und an die Opfer des Nationalsozialismus

errichtet von der Stadt Ochtrup im Jahre 1984

 Gedenkstele (Aufn. Georg Sporkmann, 2011, aus: wiki-de.genealogy.net)

Seit 2007 erinnern sog. „Stolpersteine“ im Stadtkern Ochtrups an die Familien, die vom Nazi-Regime verfolgt, deportiert und zu Tode gekommen sind. Derzeit findet man an acht Standorten insgesamt ca. 20 dieser messingfarbenen Gedenktäfelchen (Stand 2022).

in der Lautstr. u. Bültstr. (Aufn. aus: wiki-de.genealogy.net)

Auf dem jüdischen Friedhof in Ochtrup - zwischen Hellstiege und Laurenzstraße gelegen - finden sich heute noch ca. 45 Grabsteine; das ca. 1.200 m² große Areal wurde 1986 in die Denkmalliste der Stadt Ochtrup eingetragen. Einige Jahre später wurden mit Hilfe von Mitteln des Denkmalförderungsfonds die Grabmale restauriert.

Datei:Ochtrup-Jüdischer Friedhof.jpgAufn. Georg Sporkmann, 2011 (aus: genwiki-de.genealogy.net)

[vgl. Burgsteinfurt (Nordrhein-Westfalen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Jürgen Hübner, Nationalsozialismus in einer katholischen Landgemeinde - Das Beispiel Ochtrup 1929 - 1936, Münster 1986

Stadt Ochtrup (Hrg.), Geschichte der jüdischen Gemeinde Ochtrup von den Anfängen bis zur Zerstörung und Vernichtung, AG Geschichte Klasse 10, Realschule Ochtrup 1986/87 (Textzusammenstellung Gertrud Althoff)

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 412/413

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 377 - 381

Willi Feld/Thomas Starosta, Die Geschichte der Juden im Kreis Steinfurt, in: "Steinfurter Hefte", No. 13, Steinfurt o.J.

Willi Feld, Synagogen im Kreis Steinfurt. Geschichte, Zerstörung, Gedenken, Hrg. Kreis Steinfurt, 2004, S. 42 - 46

Reinhard Brahm (Bearb.), Ochtrup, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 537 - 545

Ochtrup: Gedächtnissteine für Opfer des Nationalsozialismus, in: wiki-de.genealogy.net/Ochtrup/Stolpersteine

Veranstaltungs- u. Werbegemeinschaft Ochtrup e.V. (Hrg.), Jüdischer Friedhof Ochtrup – Ochtrup Jewish cemetery, online abrufbar unter: vwo-ochtrup.de/sehenswuerdigkeiten/juedischer-friedhof

Anne Eckrodt (Red.), Deutsch-Israelischer Konzern engagiert sich für den jüdischen Friedhof, in: „Westfälische Nachrichten - Tageblatt für den Kreis Steinfurt“ vom 11.12.2013

Ludger Bügener (Bearb.), Reichspogromnacht in Ochtrup, Hrg. Heimatverein Ochtrup e.V. (online abrufbar unter. heimatverein-ochtrup.de/Reichpogromnacht_in_Ochtrup.234.0.html)

Rieke Tombült (Red.), Jüdischer Friedhof. Am „Ort des Lebens“ den Blick gen Osten, in: „WN - Westfälische Nachrichten“ vom 14.5.2021