Lemförde (Niedersachsen)

Bild:Lage_Orte_Kreis_Diepholz_Niedersachsen.png    Lemförde ist ein Flecken mit derzeit ca. 3.400 Einwohnern in der Samtgemeinde Altes Amt Lemförde im äußersten Süden des Landkreises Diepholz – ca. 35 Kilometer nordöstlich von Osnabrück gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Diepholz', aus: wiki-de.genealogy.net/Landkreis_Diepholz).

Lowenfort (Merian).jpg

Lemförde (Lewenfordt) – Stich von M. Merian, um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Die erste Ansiedlung eines Juden in Lemförde ist in einem für zehn Jahre geltenden Schutzbrief aus dem Jahre 1694 belegt; der aus dem Westfälischen stammende Levi He(i)demann hatte sich 1690 in Lemförde niedergelassen. Im Laufe des 18.Jahrhunderts folgten weitere Familien nach; um 1800 lebten insgesamt sieben jüdische Familien in Lemförde. Schlachtgewerbe, Tabakfabrikation und Textilhandel waren die Wirtschaftsgrundlagen der hier lebenden Familien. Als vermögend galt die Familie Kugelmann, die sich in den 1740er Jahren - aus dem Raum Kassel komend - in Lemförde angesiedelt hatte; sie betrieb zunächst eine „Tabak-Fabrik“; um 1800 wechselte sie in den Textilhandel über; Anfang der 1860er Jahre ging die Firma aber in Konkurs.

Seit 1817 verfügte die kleine jüdische Gemeinschaft über ein eigenes Synagogengebäude, das laut einem Inspektionsbericht des Landesrabbiners vom Oktober 1858 relativ „groß und schön“ gewesen sein soll. Das von Jacob Moses Kugelmann von einem Lemförder Bürger angekaufte Gebäude diente der Gemeinde in der Folgezeit als kombiniertes Bet-, Schul- und Wohnhaus. Auf dem Grundstück befand sich vermutlich auch die Mikwe.

         Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Landschaftsverband Weser-Hunte, um 2010)

Seit Ende des 18.Jahrhunderts wurden die jüdischen Kinder in Lemförde von einem von der Gemeinde angestellten Lehrer religiös unterwiesen; Unterricht und Gottesdienste wurden zunächst in einem angemieteten Hause, ab 1817 in einem für diesen Zweck angekauften Gebäude abgehalten. - Oft kam es zu Konflikten zwischen Synagogenvorstand und den hier tätigen Lehrern. Ab den 1830er Jahren wurde vorübergehend der Elementarunterricht eingestellt, weil die Gemeindemitglieder den Lehrer nicht bezahlen konnten; nach erneuter Einrichtung der Elementarschule im Jahre 1887 wurde diese 1912 dann endgültig geschlossen, weil die Schülerzahl zu gering geworden war. Hinter der Synagoge befand sich die Mikwe.

Verstorbene Lemförder Juden fanden seit den 1730er Jahren auf dem jüdischen Friedhof „Am Sande“ in Quernheim ihre letzte Ruhe; das Areal war von Levi Hedemann für „einige Henkelmann Bier und 3 Taler Geld“ erworben worden. 

Zur Synagogengemeinde, die dem Landrabbinat Hannover zugehörig war, zählten auch die jüdischen Familien aus Diebergen, Hunteburg, Holden und Wehdem.

Juden in Lemförde:

    --- 1798 ........................   7 jüdische Familien (ca. 50 Pers.),

    --- 1846 ........................   8     “       “    ,

    --- 1852 ........................  67 Juden,

    --- 1861 ........................  58   “  ,

    --- 1871 ........................  66   “  ,

    --- 1885 ........................  61   “  ,

    --- 1895 ........................  63   “  ,

    --- 1905 ........................  39   “  ,

    --- 1925 ........................  28   “  ,

    --- 1933 ........................  22   “  ,

    --- 1939 ........................   4   “ .

Angaben aus: N. Kratochwill-Gertich/A.C. Naujoks (Bearb.), Lemförde, in: H. Obenaus (Hrg.), Hist. Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen u. Bremen, Bd. 2, S. 973/74

 

Im frühen 19.Jahrhundert gewann der Viehhandel zunehmend an Bedeutung; so galt der Lemförder Moses Leeser auf dem Viehmarkt in Essen um 1910/1920 als einer der wichtigsten Personen. Die ab 1840/1850 begonnene wirtschaftliche und teilweise auch gesellschaftliche Integration der jüdischen Familien war stets von Vorurteilen begleitet, die engeren Beziehungen zwischen den Angehörigen der Glaubensgemeinschaften im Wege standen.

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Lemförde nur noch wenige jüdische Familien; innerhalb der nächsten Jahre verließen sie ihren Heimatort.

Während des Novemberpogroms von 1938 wurden die noch verbliebenen Juden in Angst und Schrecken versetzt: So zogen Lemförder SA-Männer zur Synagoge, rissen die Inneneinrichtung heraus, um diese dann auf dem alten Marktplatz zu verbrennen. An der Demolierung der Synagoge sollen auch zwei Schulklassen unter Leitung ihrer Lehrer beteiligt gewesen sein. Ebenfalls wurden jüdische Bewohner eingesperrt, indem man die Haustüren mit Brettern vernagelte; wieder andere wurden brutal verprügelt, ihre Wohnungen geplündert und teilweise zerstört.

Einige Familien konnte bis Kriegsbeginn noch emigrieren; zurückblieben nur ein jüdisches Ehepaar und eine ältere Jüdin; sie wurden 1942 bzw. 1943 deportiert und ermordet.

 

Kurz nach Kriegsende wurden die Ritualien aus der Lemförder Synagoge auf dem Dachboden der Schule aufgefunden; ihr weiterer Verbleib ist unbekannt. Über die künftige Nutzung des denkmalgeschützten Gebäudes - es gilt baulich als eines der besterhaltenen jüdischen Bethäuser in der Region -  als gibt es noch keine definitiven Planungen.

Der jüdische Friedhof in Quernheim weist heute noch ca. 80 Grabsteine auf; die ältesten stammen aus dem Jahr 1732/1733, der Zeit seiner Entstehung.

Jüdischer Friedhof Quernheim 2010 PD 008.JPG Aufn. B., 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0

 Ältere Grabsteine des jüdischen Friedhofs in Lemförde-Quernheim (Aufn. B., 2010, aus: commons.wikimedia, CC BY-SA 3.0)

Auf dem Gelände befindet sich auch eine Gedenkstätte für hier begrabene sowjetische Kriegsgefangene.

 

 Ein bekannter Sohn Lemfördes war der 1828 geborene jüdische Arzt Dr. Louis Kugelmann, der ab den 1850er Jahren bis zu seinem Tode in Hannover tätig war. Louis (Jehuda) Kugelmann, Sohn eines vermögenden Textilkaufmanns, setzte anfänglich nur widerwillig die kaufmännische Familientradition fort; nach dem Tode seines Vaters 1846 begann er ein Medizinstudium - Louis Kugelmann, der mit bekannten Führern der Arbeiterbewegung befreundet war, beteiligte sich aktiv an der 1848er Revolution. Obwohl er ein distanziertes Verhältnis zu seiner jüdischen Herkunft hatte, blieb er seinem Glauben treu. Nach seinem Tode 1902 fand er auf dem jüdischen Friedhof in Hannover seine letzte Ruhe

 

 

 

In Bohmte – einer Kleinstadt nahe von Lemförde – erinnern seit 2008 zwei sog. „Stolpersteine“ an das jüdische Ehepaar Siegmund und Karoline Stern, das 1941 ins Ghetto Riga deportiert und dort ermordet wurde.

                                    Stolperstein für Siegmund Stern Stolperstein für Karoline Stern verlegt am Hauweg (Aufn. R., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

 

Weitere Informationen:

Martin Hundt, Louis Kugelmann. Eine Biographie des Arztes und Freundes von Karl Marx und Friedrich Engels, Dietz-Verlag, Berlin 1974

Ludger v. Husen/Horst Meyer (Hrg.), Flecken Lemförde. Eine 750jährige Gemeinde zwischen Dümmer und Stemweder Berg, Diepholz 1998 (mit verschiedenen Aufsätzen zur jüdischen Geschichte Lemfördes)

Ludger v. Husen, Genealogien der jüdischen Familien in Lemförde (unveröffentlicht)

Wilfried Gerke, Was geschah mit der Lemförder Thora ?, in: "Heimatblätter des Landkreises Diepholz", No. 18/1998/99

Wilfried Gerke, Enteignet 1942, in: "Heimatblätter des Landkreises Diepholz", No. 20/2004, S. 55 - 57

Andrea Baumert, Jüdisches Schulwesen auf dem Lande in Lemförde und Diepholz, in: Fund-Stücke. Nachrichten und Beiträge zur Geschichte der Juden in Niedersachsen und Bremen 2004, S. 11 - 15

Harald Storz, Louis Kugelmann - Arzt aus Lemförde, in: Fund-Stücke. Nachrichten und Beiträge zur Geschichte der Juden in Niedersachsen und Bremen, Hannover 2004, S. 8/ 9

Harald Storz, Der soziale Aufstieg der Lemförder Familie Goldschmidt im 19.Jahrhundert, in: Fund-Stücke. Nachrichten und Beiträge zur Geschichte der Juden in Niedersachsen und Bremen, Hannover 2004, S. 10

Harald Storz, Dokumentation des jüdischen Friedhofs der Synagogengemeinde Lemförde in Quernheim, o.O. o.J.

Nancy Kratochwill-Gertich/Antje C. Naujoks (Bearb.), Lemförde, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 973 – 981

N.N. (Red.), Familie Kugelmann prägte Lemförde, in: „MK-Kreiszeitung“ vom 21.7.2009

Ulrich Knufinke, Stätten jüdischer Kultur und Geschichte in den Landkreisen Diepholz und Nienburg, hrg. vom Landschaftsverband Weser-Hunte e.V, Nienburg 2012, S. 24 - 26

Auflistung der in Bohmte verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bohmte

Simone Brauns-Bömermann (Red.), Lemförde hatte Synagoge: Auch in der Samtgemeinde wurden Menschen vertrieben, deportiert und getötet, in: „MK-Kreiszeitung“ vom 8.2.2022