Kommern (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Kreis Euskirchen 1905.jpg – WikipediaBildergebnis für mechernich Kommern – am nordwestlichen Rand der Eifel gelegen - ist heute ein Ortsteil der Stadt Mechernich (Kreis Euskirchen) mit derzeit ca. 4.500 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Euskirchen', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Nachweislich lebten bereits ab Mitte des 16.Jahrhunderts vereinzelt jüdische Familien in Kommern; vermutlich waren sie Nachkommen von Flüchtlingen aus rheinischen Städten, die im Spätmittelalter in der Eifel Aufnahme gefunden hatten. Nach jahrzehntelangem Siedlungsverbot durften erst wieder zu Beginn des 18.Jahrhunderts Juden zuziehen; gegen Zahlung eines jährliches „Judentributs“ erhielten sie einen befristeten Schutz- bzw. Geleitbrief. Ihre dürftigen Erwerbsquellen lagen im Kleinhandel und im Hausiergewerbe, auch manchmal im Geldverleih.

Der Aufstieg der Kommerner Juden begann 1820, als der Kommernder Gemeinderat vier jüdischen Kleinkaufleuten Gewerbepatente mit folgender Begründung vergab: „In Erwägung, daß die in dieser Gemeinde anwesenden Juden sich bis heran weder mit Wu­cher noch sonst mit unerlaubten Gewerben abgegeben haben, ist der Gemeinderat einstimmig des Erachtens, dass ein Patent der Ehrlichkeit und der Moral erteilt werden kann.“

Erst im Laufe des 19.Jahrhunderts - das Dorf Kommern entwickelte sich zunehmend zum Zentrum am Rande der Eifel - verbesserte sich die wirtschaftliche Situation der ansässigen Juden; ihre berufliche Struktur war nun breiter gefächert. Einige Familien waren recht wohlhabend geworden; die Familie Levano besaß hier Unternehmungen unterschiedlicher Art, u.a. ein überregionales Getreide- u. Futtermittelmonopol. Neben innerörtlichem Handel gingen einige Kommerner Juden dem Hausierhandel nach, der sie auch in abgelegene Eifeldörfer führte.

Seit 1848 (oder 1854) besaß die hiesige Gemeinde - ihre Mitglieder waren zumeist religiös-orthodox - eine eigene Synagoge in der Pützgasse; in den Jahrzehnten zuvor hatten die wenigen Kommerner Juden ihren Gottesdienst in einem kleinen Betraum in einem Privathaus abgehalten. Eine jüdische Schule existierte - mit Unterbrechungen - von 1838 bis 1893; als ihr Gründer gilt Heymann Levano.

Der jüdische Friedhof wurde vermutlich schon im 18.Jahrhundert angelegt und befand sich am Fuße des Griesberges, am heutigen Prinzenweg.

Juden in Kommern:

    --- um 1550 ..........................   4 jüdische Familien,

    --- 1806/08 ..........................  25 Juden,

    --- 1843 .............................  66   “  ,

    --- 1854 .............................  70   “  ,

    --- 1880 ............................. 101   “  ,

    --- 1885 .............................  96   “  ,

    --- 1895/1905 ........................  99   “   (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1925 .............................  61   “  ,

    --- 1935 ......................... ca.  60   “  ,

    --- 1941 (Mai) .......................  26   “   (in 12 Familien),

             (Juli) ......................  35   “  ,*     *‘Zuzug’ aus Münstereifel

    --- 1942 (Aug.) ......................  keine.

Angaben aus: Juden in Kommern - eine Dokumentation aus Anlaß der 750-Jahrfeier, Rheinland-Verlag 1979

 

Ihren numerischen Höchststand erreichte die Judenschaft Kommerns gegen Ende des 19.Jahrhunderts mit ca. 100 Personen. Zwar waren die jüdischen Bewohner bei der übrigen Dorfbevölkerung weitgehend akzeptiert; doch trotz des über Generationen hinweg andauernden friedlichen Zusammenlebens bestanden kaum private Kontakte zwischen Juden und Christen; so blieben die jüdischen, um 1920 noch orthodox-gläubigen Dorfbewohner bei Feiern und Festen meist unter sich.

         Anzeigen jüdischer Geschäftsleute um 1880

Zu Beginn der 1930er Jahre kam es hier zu ersten, zunächst nur verbalen Auseinandersetzungen zwischen Juden und NSDAP-Angehörigen: Als bei der feierlichen Einweihung des Kriegerdenkmals für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges im März 1933 auch Juden teilnehmen wollten, wurden sie aus dem Festzuge ausgeschlossen. - 1935 setzte dann eine antijüdische Hetzkampagne in der Presse - besonders im „Westdeutschen Beobachter” - ein; auch Juden Kommerns wurden persönlich diffamiert. Aus dem „Westdeutschen Beobachter” vom 5.Febr. 1935:

Talmudjude Kaufmann

Commern. Der Jude Kaufmann aus Commern steht in sittlicher Beziehung den Rasseschändern Levano nicht viel nach, wenn auch die finanziellen Mittel kleiner waren als bei jenen Kriegsgewinnlern. Aber das Vergiften deutschen Blutes war sein Spezialgebiet, ... Vor einigen Jahren zeigte er einem Volksgenossen eine Menge Aufnahmen, die nackte deutsche Mädchen darstellten. ... Es ist wohl unverständlich, daß es immer noch Menschen gibt, die sich nicht scheuen, in einer Gaststätte an demselben Tische Platz zu nehmen, auf den die Juden ihre Pfoten hinlegen. ...

Innerhalb der Kommerner Einwohnerschaft soll es gegen die judenfeindliche NS-Politik allerdings zu diesem Zeitpunkt noch deutliche Vorbehalte gegeben haben.

Während der „Aktionen“ des Novemberpogroms wurde am 10.November die Kommerner Synagoge in der Pützgasse von Euskirchener SA-Angehörigen und hiesiger HJ in Brand gesteckt. Bereits einen Tag zuvor waren die Gebetbücher und die Kultgegenstände beschlagnahmt, Fenster und Inneneinrichtung zerschlagen worden. Dieser „unerklärliche Brand” führte dazu, dass das Gebäude bis auf die Grundmauern zerstört wurde.

Die Schulchronik berichtete darüber wie folgt:

„ ... Mittags gegen zwei Uhr versinkt auch die hiesige Synagoge in Schutt und Asche. Die danebenliegende Judenschule und das Haus des Synagogenwärters wurde von den Jungen des Jungvolks (Knabenoberklasse) so gründlich zerstört, daß keine Fensterscheibe und kein Möbelstück mehr ganz blieb; die Kommerner Bevölkerung mitsamt den hier einquartierten Arbeitern der Westfront waren rächend über die zahlreichen Judenhäuser gekommen. Nichts war ganz geblieben, als von oben der Befehl zum Einstellen derAktionen kam. ...”

Um sie vor gewalttätigen körperlichen Übergriffen zu schützen, wurden Juden von einigen Bewohnern in das schützende Kloster gebracht. Nachts wurden die Wohnhäuser der jüdischen Familien geplündert und Inventar zerschlagen. In der Folgezeit wurden die in Kommern verbliebenen Juden aus ihren Häusern ausquartiert und in wenigen „Judenhäuser“ zusammengepfercht. Im Frühjahr/Sommer 1941 lebten noch etwa 35 jüdische Bewohner im Ort; einige waren inzwischen von Münstereifel hierher „verlegt“ worden. Mitte Juli 1942 wurden alle Juden aus Kommern vermutlich ins Warschauer Ghetto (oder nach Minsk ?) deportiert. Ob jemand der 31 Deportierten den Holocaust überlebt hat, ist nicht bekannt.

 

Der am Dorfrand liegende jüdische Friedhof (Prinzenweg) legt heute noch Zeugnis einst hier lebender Familien ab; der älteste noch erhaltene Grabstein stammt aus dem Jahre 1858.

File:Jüdischer Friedhof Kommern 01.JPG

jüdischer Friedhof Kommern (Aufn. 2010, aus: commons.wikimedia.org und Aufn. P., 2010, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)

Seit 1985 erinnert dort ein Gedenkstein an die jüdischen NS-Opfer von Kommern; dessen Inschrift lautet:

Zum Gedenken an unsere jüdischen Mitbürger

durch nationalsozialistische Gewaltherrschaft 1933 – 1945 vertrieben und ermordet.

2015 wurde nahe des Standortes der ehemaligen Synagoge ein Mahnmal in Form einer Stele aus schwarzem Granit eingeweiht; dessen Erstellung kam auf Grund privater Initiative zustande.

                               Gedenk-Stele mit Inschrift (Aufn. Paul Düster, 2015)

Die Inschrift lautet: „Zur Erinnerung an die Synagoge in Kommern. An dieser Stelle stand bis November 1938 die Synagoge der jüdischen Gemeinde Kommerns. Ein Tag nach der Pogromnacht wurde am 10.November Mittags das Gebäude angezündet und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Die jüdische Gemeinde Kommerns wurde ausgelöscht. Verneigen wir uns vor den Opfern.

Wie in zahlreichen anderen Kommunen weisen auch im Mechernicher Ortsteil Kommern sog. „Stolpersteine“ auf die Wohnsitze der einst hier lebenden jüdischen Familien hin; 2003 wurden die ersten Steine verlegt; fast zwanzig Jahre später kamen weitere hinzu: jeweils vier Steine für Angehörige der Familie Kaufmann (Kölner Straße) und Familie Lewin (Mühlengasse). Seit 2023 erinnern nun weitere sechs messingfarbene Gedenkquader an die jüdische Familie Schwarz (Gielsgasse), der es gelang, ihr Leben durch eine Emigration in die USA zu retten.

File:Stolpersteine Kommern, Julius Kaufmann (Mühlengasse 24).jpg Stolpersteine Kommern, Helene Kaufmann (Mühlengasse 24).jpg Stolpersteine Kommern, Jack Kaufmann (Mühlengasse 24).jpg verlegt in der Mühlengasse

und in der Kölner Straße Stolpersteine Kommern, Abraham Horn (Kölner Straße 11).jpgStolpersteine Kommern, Ida Horn (Kölner Straße 11).jpgStolpersteine Kommern, Leo Horn (Kölner Straße 11).jpgStolpersteine Kommern, Eva Horn (Kölner Straße 11).jpgStolpersteine Kommern, Carl Horn (Kölner Straße 11).jpg

alle Aufn. marcus, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0

Auf Initiative von Schülern der Mechernicher Hauptschule wurde 2009 am Geburtshaus von Emmy Kaufmann, verh. Golding, eine Gedenktafel angebracht.

In der Gielsgasse erinnert seit 2018 eine Gedenktafel an die Familie Kaufmann.

 

[vgl.  Mechernich (Nordrhein-Westfalen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Jörg Kleinen, Die Geschichte der Juden im Kreis Schleiden und ihre Friedhöfe, in: "Heimatkalender Kreis Schleiden/Eifel 1965", S. 125 f.

Klaus H.S. Schulte, Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17.Jahrhundert, in: "Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein ...", Band 12, S. 121 - 126, Verlag L.Schwann, Düsseldorf 1972

Norbert Leduc, Kommern - ein ortskundliches Lexikon. Band 1 (A-K), Rheinland-Verlag, Köln 1979

Norbert Leduc, Juden in Kommern, hrg. vom Landschaftsverband Rheinland - Dokumentation aus Anlaß der 750-Jahrfeier, Rheinland-Verlag, Köln 1979

Hans-Dieter Arntz, Judaica - Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983

Hans-Dieter Arntz, Separatismus in der Eifel - Der jüdische Getreidehändler Levano aus Kommern gerät in die Mühlen der deutschen Politik, in: "Eifel-Jahrbuch 1983", S. 34 - 39

Hans-Dieter Arntz, Die „Kristallnacht“ in der Eifel. Münstereifel, Kommern, Gemünd und Blumenthal, in: "Eifel-Jahrbuch 1984", S. 88 - 95

Hans-Dieter Arntz, Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990

Norbert Leduc, Aspekte jüdischen Daseins im 18.Jahrhundert - Juden im heutigen Stadtgebiet, in: "Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Mechernich", 1990 (einige Ausgaben)

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 368 - 372

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 309/310

Hans-Dieter Arntz, Wie die Juden von Kommern endlich zu ihrem Gedenkstein kamen, Aufsatz  vom Mai 2007 (online abrufbar unter: hans-dieter-arntz.de/mahnmahl_in_kommern.html)

Hans-Dieter Arntz, „Reichskristallnacht“. Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande - Gerichtsakten und Zeugenaussagen am Beispiel der Eifel und Voreifel, Helios-Verlag, Aachen 2008

ksta (Red.), Stolpersteine für die Familie Levano, in: „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 15.12.2009

Renate Hotze (Red,.), Mahnmal wird eingeweiht, online abrufbar unter: eifelon.de/mechernich/ vom 6.11.2015

Auflistung der in Mechernich verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Stolpersteine_in_Mechernich (betr. Stadtteil Kommern)

N.N. (Red.), Novemberpogrome 1938 – Erinnerung und Mahnung zugleich, in: „Blickpunkt am Sonntag“ vom 31.10.2018

Tom Steinicke (Red.), Gegen das Vergessen. Künstler verlegt in Kommern acht Stolpersteine, in: „Kölner Stadtanzeiger“ vom 26.1.2022

Holger Slomian (Red.), Stolpersteine. Kommern gedenkt mit Stein und Baum, in:: „Rheinische Anzeigenblätter“ vom 17.2.2023