Ilmenau (Thüringen)

Datei:Arnstadt 1905.jpg Ilm-Kreis Karte Ilmenau mit derzeit ca. 26.000 Einwohnern (Ilm-Kreis) liegt ca. 35 Kilometer südwestlich der Landeshauptstadt Erfurt am Nordrand des Thüringer Waldes (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, CCO  und  Kartenskizze 'Ilm-Kreis', aus: ortsdienst.de/thueringen/ilm-kreis).

 

Erstmals wird der Aufenthalt von Juden in Ilmenau 1236 erwähnt. Langfristig angesiedelt müssen sich Juden in Ilmenau - der Ort war seit ca. 1300 mit Stadtrechten ausgestattet - zu Beginn des 15. Jahrhunderts haben. 1428 soll es hier nämlich eine Synagoge gegeben haben, die angeblich 1492 vom Grafen von Schwarzenburg - nach Vertreibung der jüdischen Familien - in eine christliche Kirche umgewandelt wurde; dies erscheint nach neueren Untersuchungen jedoch mehr als zweifelhaft, da keinerlei urkundliche Hinwreise dafür vorhanden sind. Erst ab Mitte des 16.Jahrhunderts liegen dann verlässliche Belege für die Existenz von Juden in Ilmenau vor. Kollektive Schutzbriefe der Grafen Wilhelm und Georg Ernst von Henneberg (um 1540/1560) garantierten Wohn- und Handelsrechte. Auch die Bezeichnung eines der vier Stadttore als "Judentor" und die "Judengasse" lässt um 1700 eine dauerhafte, wenn auch sehr geringe jüdische Ansässigkeit vermuten. Doch die unter dem Schutz der Grafen von Henneberg stehenden Juden waren beim Ilmenauer Magistrat unerwünscht, wie eine Bitte des Stadtrates von 1543 an den Grafen zeigt: „ ... daß er die Stadt mit der Unterbringung von Juden verschonen möchte“. Etwa zwei Jahrzehnte später kündigte Graf Georg Ernst - auf Drängen der Geistlichkeit - den von seinem Vorgänger erteilten Judenschutz auf und ordnete an, dass die Grafschaft „ohne jeden Verzug von Juden gänzlich zu räumen” sei. Von da an durften sich Juden für lange Zeit in Ilmenau nicht ansiedeln. Erst die 1823 durch Großherzog Carl August erlassene „Judenordnung“ ermöglichte wieder ein Wohnrecht jüdischer Familien in Ilmenau; doch wurde es in den folgenden Jahrzehnten kaum genutzt. Um 1840 existierte eine „Jüdengasse“ im Bereich der heutigen Weimarer Straße. Angaben über die damals in Ilmenau lebenden jüdischen Familien sind nicht bzw. nur äußerst spärlich vorhanden; diese setzen erst wieder ab den 1870er Jahren ein.

Die Angehörigen der kleinen „Israelitischen Religionsvereinigung“ trafen sich zum Gottesdienst in einer Betstube in einem Hinterhaus der Burggasse; zu hohen Feiertagen reiste ein Rabbiner von auswärts an. Religionsunterricht erhielten die jüdischen Kinder zeitweise von einem Thora-Studenten aus Arnstadt.

Ein eigenes Friedhofsareal gab es in Ilmenau zu keiner Zeit; Verstorbene wurden u.a. auf dem jüdischen Friedhof in Plaue - unterhalb der Ehrenburg gelegen - begraben.

Die "Jüdische Religionsvereinigung e.V." von Ilmenau gehörte zum Landesrabbinat Sachsen-Weimar-Eisenach mit Sitz in Eisenach.

Juden in Ilmenau:

    --- um 1550 ......................... wenige Familien,

    --- nach 1570 ....................... keine, 

    --- 1880 ............................  8 Juden,

            --- 1895 ............................  52   "  ,

              --- 1900 ............................  50   “  ,*       * nach neueren Forschungen sind diese Angaben nicht mehr zu halten

    --- 1910 ............................. 82   “  ,*

    --- 1925 ............................. 68   “  ,*

    --- 1930/32 .......................... 80   “  ,*

    --- 1933 ............................. 51   “  ,**       ** andere Angabe: 90 Pers.

    --- 1939 ............................. 19   “  ,

    --- 1944 ............................. eine Jüdin.

Angaben aus: Gerlinde Hoefert, Spurensuche - Fragmentarisches zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Ilmenau

und                 Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band II, S. 953

und                 R. Borsdorf,/B. Frankenberger/ Chri. Macholdt, Jüdische Nachbarn in Ilmenau, Verlag Kern, Ilmenau 2018

Ilmenau - Postkarte um 1900, aus: alt-ilmenau.de

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20298/Ilmenau%20Israelit%2009041903.jpg Kleinanzeige von 1903

Die meisten Ilmenauer Juden waren um 1920 vor allem im Textilhandel tätig, die das wirtschaftliche Leben in der Kleinstadt maßgebend mitbestimmten. Drei größere Geschäfte Ilmenaus waren im Besitz jüdischer Familien (Kaufhaus der Gebr. Eichenbronner, das Warenhaus Samuel Gronner und Kaufhaus Max Gabbe); daneben existierten noch weitere wie z.B. das Konfektionsgeschäft Münz, die Schuhgeschäfte Schwesinger und Cohn & Freudenthal und das Hutgeschäft von Herta Israel.

holländisches Fachwerkhaus an einer Kreuzung'Berliner Warenhaus' Gabbe, Alexanderstraße (hist. Postkarte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Bis zur NS-Machtübernahme lebten Christen und Juden in der Kleinstadt zumeist problemlos zusammen; auch der im Frühjahr 1933 reichsweit angeordnete Boykott jüdischer Geschäfte wurde von der Ilmenauer Bevölkerung mehrheitlich ignoriert. Doch dies änderte sich in der Folgezeit, als nun immer mehr antijüdische Agitation betrieben wurde. Besonders massive Boykott-Propaganda war im Laufe des Jahres 1935 zu verspüren; so forderte damals ein in Ilmenau erschienenes Flugblatt die Bevölkerung auf, jüdische Geschäfte nicht mehr zu betreten; wer dies nicht befolge, sei ein „Volksverräter“. Der auf dem Hetz-Flugblatt gedruckte „Ilmenauer Judenspiegel” gab die Anschriften aller jüdischen Geschäfte an, die es zu meiden galt. Ihrer wirtschaftlichen Grundlagen beraubt, wanderten die jüdischen Geschäftsleute Mitte der 1930er Jahre vermehrt ab, vor allem ins außereuropäische Ausland, vor allem nach Südamerika und die USA.

In den Tagen des 9./10.November 1938 wurden auch in Ilmenau Gewalttaten verübt; Schaufenster jüdischer Geschäfte wurden beschmiert, der Betsaal in der Burggasse geplündert und die geraubten Ritualgegenstände - Gebetsmäntel, Thorarollen und Altargerät - zum Marktplatz geschleppt, wo sie öffentlich verbrannt wurden. Angehörige und Studenten der in der Stadt befindlichen Reichsfinanzschule nahmen verantwortlich an den Ausschreitungen teil; ihnen hatten sich auch Ilmenauer Bürger angeschlossen. Sechs jüdische Männer wurden festgenommen; zwei von ihnen ins KZ Buchenwald gebracht.

Aus der Ilmenauer Tageszeitung „Die Henne” vom 11.11.1938:

Aufgewühlte Volksseele. Protestaktion gegen die Juden in Ilmenau.

Nur die Weihestimmung des 9.November bannte zunächst die brodelnde Empörung, die sich dann aber, als dieser Gedenktag in den Schoß der Ewigkeit eingegangen war, in unaufhaltsamen Protestaktionen gegen die Artgenossen des blutigen Mörders Luft verschaffte. Im ganzen Reich gab es nur einen Ausdruck: Vergeltung ! ... Auch Ilmenau, wo die Juden bisher ungeschoren und frei lebten, wo man ihnen sonst gar keine Beachtung schenkte, wurde in den Mittagstunden des Donnerstag zu einem brodelnden Hexenkessel. Eine gewaltige Menschenmenge sammelte sich vor dem Berliner Warenhaus und gab ihrer Einstellung in Sprechchören Ausdruck. Das Geschäftshaus mußte geschlossen werden. Die Schaufenster und später auch die Aushängekästen wurden geräumt. Zu Übergriffen kam es aber nicht, weil Kreisabschnittsleiter und Erster Bürgermeister Walther mit seinem Einfluß die Empörung der Menge einzudämmen vermochte, nachdem er das Haus geschlossen hatte. Die Demonstration dauerte mehrere Stunden. Erst abends trat Beruhigung ein. ...

Ende 1938 endete die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Ilmenau. Während einer Reihe von Familien (etwa 30 Pers.) noch ihre Emigration gelang, blieben andere in der Kleinstadt zurück. 14 Ilmenauer Juden wurden Mitte Mai 1942 zusammen mit Hunderten anderer Thüringer Juden ins Ghetto Belzyce (bei Lublin) verschleppt; von ihnen soll kein einziger überlebt haben. Einzelne wurden nach Theresienstadt deportiert - letztmals im Spätherbst 1944

Nachweislich sind nahezu 40 gebürtige bzw. längere Zeit in Ilmenau wohnhaft gewesene jüdische Personen während der NS-Zeit gewaltsam ums Leben gekommen. 14 haben haben die Deportationen bzw. Lagerhaft überlebt (Angaben aus: Rainer Borsdorf,/Bernd Frankenberger/ Christoph Macholdt, Jüdische Nachbarn in Ilmenau, Verlag Kern, Ilmenau 2018, S. 22/23).

 

Das Gebäude, in dem sich der jüdische Betraum befand, wurde in den 1980er Jahren abgerissen.

Der in den USA lebende John Gronner ließ am ehemaligen Kaufhaus seiner Eltern in der Friedrich-Hoffmann-Straße eine Gedenktafel anbringen, die folgende Inschrift trägt:

Dieses Geschäftsgebäude wurde im Jahre 1929 von Samuel und Helene Gronner an der Stelle des ehemaligen Pfarramtes Ilmenau erbaut.

Das nationalsozialistische Gewaltregime deportierte beide am 5.Mai 1942 nach dem Osten in den sicheren Tod.

Diese Tafel dient ihrer Erinnerung und als stete Mahnung an kommende Geschlechterzur menschlichen, gegenseitigen Toleranz.

Datum der Weihung: Juli 1993

Eine weitere Gedenktafel - von dem in Brasilien lebenden Enkel von David Eichenbronner initiiert – erinnert seit 2007 an die Gebrüder David und Sigmund Eichenbronner, die in der Lindenstraße seit 1907 ein Kaufhaus betrieben hatten. Die Inschrift auf der Tafel lautet: „Zum Gedenken an die Brüder David und Sigmund Eichenbronner, die dieses Geschäft 1907 erbauten. Die gesamte Familie Eichenbronner fiel dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer.“.

Etwa zeitgleich wurden die ersten drei sog. „Stolpersteine“ in Ilmenau verlegt, die an die Familie Dr. Walter Eichenbronner erinnern. Ein Jahr später wurden weitere drei Steine in den Gehweg der Schwanitzstraße eingelassen - gewidmet der jüdischen Familie Münz. Inzwischen sind mehr als 20 dieser kleinen messingfarbenen Steinquader ins Gehwegpflaster eingefügt (Stand 2022); einige davon erinnern an politische Gegner, die der NS-Staat "ausgeschaltet" hatte.

           Stein für Mathilde Eichenbronner (Aufn. aus: ilmenau.de)

                                          für Angehörige der Familie Münz   (Stadtverwaltung Ilmenau)

   

 

 

Weitere Informationen:

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band II, S. 953

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 423

Gerlinde Hoefert, Spurensuche - Fragmentarisches zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Ilmenau, in: Ilmenau - Beiträge zur Geschichte einer Stadt, Hrg. Stadt Ilmenau (Bearb. Silke Leisner), Ilmenau/Hildburghausen 1995, S. 139 - 148

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 836/837

Juliane Rauprich, Erinnerungen an die Juden der Stadt Ilmenau, in: Hans Nothnagel (Hrg.), Juden in Südthüringen geschützt und gejagt. Eine Sammlung jüdischer Lokalchroniken in sechs Bänden, Band 6: Über jüdisches Leben im mittleren Werra- und Rennsteiggebiet, Verlag Buchhaus, Suhl, 1999, S. 194 - 228

Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischer Vergangenheit in Thüringen. Eine Dokumentation, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Sömmerda 2007, S. 161/162 

Ilmenau, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Ute Bach/Hanne Nastoll/Christine Spira, „Stolpersteine“ in Ilmenau – 1. Verlegung 2007, bearb. von der Arbeitsgruppe "Stolpersteine", online abrufbar unter: ilmenau.de

Stadtverwaltung Ilmenau (Stadtarchiv), Stolpersteine – Auflistung der Verlegeorte, online abrufbar unter: ilmenau.de

Auflistung der in Ilmenau verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Ilmenau

Heimatgeschichtlicher Verein Ilmenau (Hrg.), Die jüdische Familie Eichenbronner, online abrufbar unter: alt-ilmenau.de

Arthur Seiler (Red.), Bürger erinnern an die ermordeten 30 Ilmenauer Juden, in: „Thüringer Allgemeine“ vom 11.11.2015

Theodore Wohlfahrt/Melanie Schambach/Rebecca Richter (Red.), Spuren jüdischen Lebens in Ilmenau (Internet-Präsentation), online abrufbar unter: ilmenau.de/projekt/zeitstrahl.html

Rainer Borsdorf,/Bernd Frankenberger/ Christoph Macholdt, Jüdische Nachbarn in Ilmenau, Verlag Kern, Ilmenau 2018