Gleusdorf (Unterfranken/Bayern)

Karte Unterfrankens mit Landkreisen und Kreisstädten  Datei:Untermerzbach in HAS.svg Gleusdorf gehört heute zur Kommunalgemeinde Untermerzbach im Landkreis Haßberge – ca. 20 Kilometer südwestlich von Coburg gelegen (Kartenskizzen 'Unterfranken', aus: bezirke-unterfranken.de  und  'Landkreis Haßberge', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Im nördlich von Bamberg gelegenen kleinen Dorfe Gleusdorf sind wenige jüdische Bewohner seit dem beginnenden 16.Jahrhundert ansässig gewesen; sie standen unter dem Schutz der Herren von Füllbach, später dann unter dem des Klosters Banz.

Nach zwischenzeitlicher Abwanderung bzw. Vertreibung lassen sich erst wieder nach dem Dreißigjährigen Krieg Juden in dem fast komplett zerstörten Dörfchen Gleusdorf nachweisen. In einem Eintrag der Kirchenchronik von Gleusdorf (aus dem Jahre 1660) hieß es: „ ... Begreifft das Dorff in sich 29 Haushaltung, derer 6 von den Jüden, 23 von den Christen bewohnt seindt. ...

Die hier lebenden jüdischen Familien wurden - neben Schutzgeldzahlungen - auch zu andersweitigen Abgaben wie Neujahrsgeld, Holzgeld, u.a. herangezogen, was bisweilen zu Streitigkeiten führte. Die jüdischen Familien wohnten in einer eigenen Gasse am Dorfrand. Die meisten Familien lebten in ärmlichen Verhältnissen; neben Viehhandel wurden „Landkramhandel”, Lumpensammeln, Weberei und Seifensiederei als Erwerbstätigkeiten betrieben. In den Matrikellisten des Jahres 1817 sind für Gleusdorf acht Familienvorstände aufgeführt. In den 1830er Jahren lebten etwa 45 Juden im Dorf und stellten so ca. 16% der hiesigen Bevölkerung.

In der Dorfstraße errichtete die kleine, recht arme jüdische Gemeinde gegen Mitte des 19.Jahrhunderts ihr aus Sandsteinquadern gefertigtes Synagogengebäude. Nur durch eine damals im Kgr. Bayern durchgeführte Kollekte konnte die finanziellen Mittel für den Bau aufgebracht werden.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20401/Gleusdorf%20Synagoge%2012061855.jpg Anzeige im "Königlich-bayerischen Kreis-Amtsblatt der Pfalz" vom 12.6.1855

                                  Ehem. Synagogengebäude (Aufn. um 1980)

Der in eine Mauer verbaute wiederentdeckte Hochzeitsstein der Synagoge http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20451/Gleusdorf%20Hochzeitsstein.jpg(Aufn. Bernhard Purin, 2019)

Zeitweilig beschäftigte die Kultusgemeinde einen Religionslehrer, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.

In mehreren Häusern der religiös-orthodox eingestellten Familien befanden sich Ritualbäder.

Verstorbene Gleusdorfer Juden wurden zumeist auf dem jüdischen Friedhof in Ebern beerdigt, der zentralen Begräbnisstätte zahlreicher Umlandgemeinden.

Juden in Gleusdorf:

         --- um 1660 .......................  6 jüdische Familien,

    --- um 1700 .......................  9     “       “    ,

    --- 1730 .......................... 40 Juden,

    --- 1770 ..........................  8 jüdische Familien,

    --- 1813 .......................... 49 Juden,

    --- um 1830 .......................  9 jüdische Familien,

    --- 1871 .......................... 31 Juden,*   * Einwohner der politischen Gemeinde

    --- 1885 .......................... 20   “  ,*

    --- 1900 ..........................  8   “  ,*

    --- 1920 ..........................  keine.

Angaben aus: Die jüdische Gemeinde Gleusdorf, S. 21

 

Um 1900/1910 löste sich die kleine Gemeinde auf, die meisten jüdischen Familien waren abgewandert; Jahre vor dem Ersten Weltkrieg haben im Dorf bereits keine Juden mehr gelebt; 1909 wurde mit Moritz Gunzenhäuser der letzte jüdische Einwohner Gleusdorfs in Ebern begraben.

Das Synagogengebäude verkaufte man an den Maurermeister Dietz aus Memmelsdorf, der sich im notariellen Kaufvertrag verpflichten musste, „dass auf dem verkauften Platze niemals Abort, Stall, Badehaus und Gerberei gebaut und eingerichtet werden dürfen“. Auch der nachfolgende neue Eigentümer musste dieser Auflage Rechnung tragen.

In seiner Bausubstanz ist das Gebäude im wesentlichen erhalten geblieben; es wurde über Jahrzehnte hinweg als Lager/Werkstatt/Scheune genutzt.

 Gleusdorf-Synagoge2.jpg

Ehem. Synagogengebäude - rechts daneben ehem. Schulhaus (Aufn. S., 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Die Kommunalverwaltung Untermerzbach bemühte sich erfolgreich darum, das ehemalige Synagogengebäude in Gleusdorf – es war über Jahrzehnte hinweg als Werkstatt bzw. Scheune genutzt worden - zu erhalten und für kulturelle Veranstaltungen zu nutzen. Mit Hilfe von Fördermitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (Efre) – insgesamt fielen Sanierungskosten von ca. 600.000 € an - wurde dieses Ziel mit der 2020 abgeschlossenen Restaurierung erreicht; 2021 erfolgte dann die offizielle Eröffnung der ehemaligen Synagoge (mit Nebengebäude) als neuer ‚Lernort‘ zur Historie des fränkischen Landjudentums.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20462/Gleusdorf%20Synagoge%20202106%20014.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20444/Gleusdorf%20Synagoge%20P1040439.jpg

  Aufn. Pia Bayer, 2021  und  J. Hahn, 2020

Anmerkung: Die wohl bekannteste jüdische Familie in Gleusdorf war die Familie Morgenthau. Moses Morgenthau war Lehrer/Kantor der jüdischen Gemeinde, dessen Familie in ärmlichsten Verhältnissen lebte. Sein Urenkel war der US-Finanzminister Henry Morgenthau jr., der im Jahre 1944 einen Plan (sog. „Morgenthau-Plan“) entwarf, nach dem das von den Alliierten besiegte Deutschland in eine Art Agrarstaat umgewandelt werden sollte; damit sollte verhindert werden, dass Deutschland jemals wieder einen Angriffskrieg führen könne.

 

vgl. Memmelsdorf (Unterfranken/Bayern/)

vgl. Untermerzbach (Unterfranken/Bayern)

 

 

 

Weitere Informationen:

Aus der Geschichte Gleusdorfs. Versuch einer Zusammenfassung geschichtlicher Tatsachen aus der Mürsbacher Chronik und eines Manuskriptes von Pfarrer Schugmann aus Mürsbach, Ebern 1968

Die jüdische Gemeinde Gleusdorf, in: "Zeitschrift des Bayrischen Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden", Jahr ?, S. 21/22

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 65

Gleusdorf, in: alemannia-judaica.de

Herbert Liedel/Helmut Dollhopf, Jerusalem lag in Franken. Synagogen und jüdische Friedhöfe, Echter-Verlag, Würzburg 2006, S. 72 - 75

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 136/137

Helmut Will (Red.), Rat nimmt sich der Synagoge an, in: infranken.de/regional vom 1.12.2015

Helmut Will (Red.), Leadermittel fließen in die Sanierung, in: infranken.de/regional vom 3.5.2017

Helmut Will (Red.), Untermerzbach steckt 130.000 Euro in Synagoge, in: infranken.de/regional vom 4.10.2017

Helmut Will (Red.), Suche nach alten Spuren der Synagoge, in: infranken.de/regional vom 15.3.2018

Eckehard Kiesewetter (Red.), Konzept für die Synagoge Gleusdorf steht, in: infranken.de/regional vom 10.4.2018

N.N. (Red.), 130.000 Euro für Sanierung der Synagoge, in: „Neue Presse“ vom 14.3.2019

Helmut Will (Red.), Hassberge. Bauarbeiten stellen Gremium zufrieden, in: „Neue Presse" vom 29.5.2020 (betr. Restaurierung Synagoge Gleusdorf)

Helmut Will (Red.), Gleusdorf/Untermerzbach. Synagoge erstrahlt in neuem Glanz, in: „Neue Presse“ vom 31.5.2021

Peter Schmieder (Red.), Gleusdorf. Jüdsche Geschichte: Synagoge in Gleusdorf eröffnet als Museum, in: „Main-Post“ vom 9.6.2021

Kathrin Zeilmann/dpa (Red.), In Unterfranken wird in der ehemaligen Synagoge ein Lernort eröffnet, in: „Süddeutsche Zeitung“ vom 9.6.2021

W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 539 - 564 (Memmelsdorf mit Gleusdorf u. Untermerzbach)

Pia Bayer (Red.), Gleusdorf. Schatzkammer Synagoge, in: „Neue Presse“ vom 22.9.2022