Deutsch-Krone (Westpreußen)

  undefinedhttps://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/44/Landkarte_Walcz.pngDeutsch-Krone (Stadtrechte seit 1303) – nordwestlich von Schneidemühl gelegen und seit der 1.Teilung Polens dem preußischen Königreich zugehörig - ist die heutige polnische Stadt Wałcz mit derzeit ca. 26.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Landkarte 'Landkreis Deutsch-Krone' um 1890, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Walcz rot markiert, B. 2005, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Anfang der 1620er Jahre wurden zum ersten Mal jüdische Bewohner in Deutsch-Krone erwähnt; vermutlich waren es Zuwanderer aus Pommern oder aus der brandenburgischen Neumark. Die Kroner Juden lebten in einem ihnen zugewiesenen Areal der Neustadt, für das sie einen festen Jahreszins zahlen mussten. Ende des 17.Jahrhunderts wohnten dort je vier Familien in 37 Häusern vor der Stadt; nach dem großen Stadtbrand von 1706 wurde ein Teil der vernichteten Häuser wieder aufgebaut. Nach dem Kroner Privileg durften in der Altstadt keine Juden wohnhaft sein. Bis zu dessen Aufhebung waren dem Wachstum der jüdischen Gemeinde so enge Grenzen gesetzt.

Die Lebensverhältnisse der Juden in Deutsch-Krone schildert ein Aufsatz von Adolf Sperling in der Chronik der Stadt:„ ... In Deutsch-Krone verweigerte man den Juden das Bürgerrecht, den Erwerb von Häusern und Grundbesitz und die Erbauung einer Synagoge. Über ihren häuslichen bedarf hinaus durften sie kein Getreide aufkaufen, keine Bäckereibetriebe einrichten oder Verkaufsstellen begründen. Erst am Anfang des 17.Jahrhunderts beginnen sie in der Neustadt niederzulassen. Durch das Privilegium Judeorum Valensium de anno 1623 räumte ihnen der Starost Melchior Weyher das Recht ein, sich in der Kietzgasse – der späteren Judenstraße – anzusiedeln. Der von der gesamten Bürgerschaft unter Führung des Bürgermeisters Johann Bruno hiergegen eingelegte Protest verlangte „die Ungültigkeitserklärung dieses durch den erlauchten Starosten Melchior Weyher ausgestellten Privilegs ...“ Nach langem hin und her einigte man sich auf der Grundlage, daß das Privileg nicht aufgehoben wurde, die Juden aber jährlich 150 Gulden Grundzins an den Starosten und 50 Tympf Zapfengeld (Anm.: 5 Tympf= ein Taler) an die Stadt zu zahlen hatten. Dafür wurde ihnen gestattet, Branntwein zu brennen und in der Kietzgasse Wein und Met zu schenken. Gegen Zahlung weiterer Gebühren übernahm es der Magistrat, die Juden vor dem Übermut der Jesuitenzöglinge zu schützen, unter denen sie außerordentlich zu leiden hatten. Ferner wurde den Juden die Verpflichtung auferlegt, dreimal im Jahre, nämlich zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten an die katholische Kirche drei Pfund des besten Zuckers, drei Pfund Safran, drei Pfund Nägelein (=Nelken) und zur Unterhaltung der ewigen Lampe auf dem Hauptaltar der Kirche jährlich einen Stein Talg und 24 Pfund Fett zu liefern. Bei Prozessionen hatten sie sich, ebenso wie die evangelische Bevölkerung, fein stille zu Hause zu halten und die Läden zu schließen. Wenn ihnen der Priester mit der heiligen Hostie begegnete, hatten sie auszuweichen. Schließlich waren sie noch gehalten, Fische, Branntwein und andere Erzeugnisse, die der Starost zum Verkauf stellte, zu bestimmten Preisen abzunehmen. Bei Weigerung warf man ihnen diese Dinge in die Synagoge. ...“

Gegen Ende des 18.Jahrhunderts bestand knapp ein Viertel der Bevölkerung Deutsch-Krones aus jüdischen Einwohnern.

Die Judenschaft der Stadt besaß auch eine Synagoge, die 1771 durch einen Brand zerstört wurde; es sollte zwei Jahrzehnte dauern, ehe die zumeist in ärmlichen Verhältnissen lebenden Juden des Ortes ein neues Gebäude errichten konnten. Bis dahin hatte der Starost den hiesigen Juden als Betlokal einen Raum zur Verfügung gestellt.

In den Jahren 1921/1922 ließ die Gemeinde dann einen Synagogenneubau erstellen.

  neue Synagoge (hist. Postkarte um 1925)

Die 1842 ins Leben gerufene jüdische Elementarschule wurde kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges geschlossen.

Ein jüdischer Friedhof wurde in der ersten Hälfte des 19.Jahrhundert angelegt.

Juden in Deutsch-Krone:

         --- 1772 ......................... 215 Juden (ca. 20% d. Bevölk.),

    --- 1783 ......................... 321   “  ,

    --- 1788 ......................... 464   “  ,

    --- 1804 ......................... 606   “  ,

    --- 1816 ......................... 540   “  ,

         --- 1837 ......................... 526   “   (ca. 18% d. Bevölk.),

    --- 1865 ......................... 611   "   (ca. 10% d. Bevölk.)

    --- 1850 ......................... 542   "  ,

    --- 1871 ......................... 647   “  ,

    --- 1885 ......................... 514   “  ,

    --- 1895 ......................... 456   “  ,

    --- 1910 ......................... 335   “   (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1925 ......................... 225   “  ,

    --- 1933 ..................... ca. 250   “   (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1939 (Mai) ............... ca.  60   “  .

Angaben aus: Dorothea Elisabeth Deeters, Juden in (Märkisch) Friedland, S. 145

und                 The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), S. 307

 

Während des gesamten 19.Jahrhunderts blieb der jüdische Bevölkerungsteil in Deutsch-Krone relativ stabil; jeder 5. Bewohner der Kleinstadt war mosaischen Glaubens. Deutsch-Krone war eine der wenigen westpreußischen Ortschaften, die nach Ende des Ersten Weltkrieges bei Deutschland verblieben.

hist. Postkarte von Deutsch-Krone (Abb. aus: deutsch-krone.com)

Anfang der 1930er Jahre lebten in der Kleinstadt etwa 250 Bürger mosaischen Glaubens und stellten damit ca. 2% der Einwohnerschaft.

Während der Pogromnacht vom 9./10.November 1938 - bis zu diesem Zeitpunkt hatten schon zahlreiche jüdische Bewohner ihre Heimatstadt verlassen - wurde das neue Synagogengebäude Deutsch-Krones niedergebrannt, jüdische Läden demoliert und ihre Besitzer ins KZ Sachsenhausen verfrachtet. Die in der Stadt verbliebenen Juden wurden einige Monate nach Kriegsbeginn nahe Schneidemühl interniert und anschließend von dort deportiert.

 

In der Nachkriegszeit wurde der jüdische Friedhof eingeebnet und auf der Freifläche das städtische Kulturhaus errichtet. Bei Tiefbauarbeiten am Seeufer wurden 2011 einige Grabsteine bzw. –relikte vom jüdischen Friedhof gefunden, die seitdem im lokalen Museum aufbewahrt werden.

Walcz - macewa Walcz - macewa Grabsteinrelikte (Aufn. K. Kloskowska, aus: kirkuty.xip.pl

 

 

 

In Zippnow (poln. Sypniewo, derzeit ca. 1.300 Einw.) – im Landkreis Deutsch-Krone – existierte im 19.Jahrhundert eine sehr kleine jüdische Gemeinde; trotz der geringen Zahl von Gemeindeangehörigen besaß sie eine eigene Synagoge. Nach dem Ersten Weltkrieg lebten im Ort nur noch drei jüdische Familien. Auf Grund des fehlenden Minjans suchten die Juden dann die Synagoge in Jastrow auf. Das in Zippnow (ungenutzte) Synagogengebäude wurde im Nov. 1938 ein Raub der Flammen; die Ruine musste von den hier noch wohnenden Juden abgetragen werden. Während des Pogroms wurde das Geschäft der jüdischen Fam. Eisenstädt (Königstraße) geplündert und zerstört. Kurz danach verließen die wenigen hier noch lebenden jüdischen Bewohner ihren Heimatort.

 

 

 

In Groß Poplow, früher Popplau (poln. Popielewice) - ca. zehn Kilometer südöstlich von Polzin - ließen sich um 1660 die ersten jüdischen Familien nieder; sie wurden dazu von der adligen Grundherrschaft wegen ihrer zu zahlenden Abgaben „geschätzt“. Um 1775 lebten im Dorf immerhin ca. 40 Familien, die ihren schmalen Lebensunterhalt im Grenzhandel mit Schnitt- und Kurzwaren bestritten. Trotz kgl. Dekrets von 1776, dass Juden auf dem „platten Lande“ nicht mehr wohnen durften, blieb in Groß Poplow zunächst alles beim alten. Erst nach 1816 verließen die allermeisten Juden das Dorf. Neben einem eigenen, relativ großen Friedhof gab es im Dorf auch zwei Synagogen, die auch von Bewohnern umliegender Orte aufgesucht wurden. Nach 1900 wohnten in Groß Poplow zwei jüdische Familien, die der Gemeinde von Polzin angehörten.  Von einstiger jüdischer Ansässigkeit sind heute keinerlei Spuren mehr vorhanden; der Friedhof ist verfallen, alle Grabsteine abgeräumt.

 

 

 

In der Ortschaft Tütz (poln. Tuczno, derzeit ca. 2.000 Einw.) bestand seit der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde, die um 1805/1815 immerhin fast 250 Angehörige zählte und damit mehr als ein Viertel der Dorfbevölkerung stellte. Da der Ort seinen Bewohnern kaum wirtschaftliche Perspektiven bot, setzte bereits im ersten Jahrzehnt des 19.Jahrhunderts eine Abwanderung ein. Ein Großbrand der Kleinstadt (1834) ließ weitere Familien ihren Wohnort verlassen. Um 1840 lebten in Tütz nur noch ca. 80 Juden; im Jahre 1900 waren es nur noch ca. 50 Personen.

Während des Pogroms vom Nov. 1938 soll das Synagogengebäude – es war im Sommer 1938 veräußert worden – unzerstört geblieben sein*; die rituelle Einrichtung war zuvor nach Schneidemühl gebracht worden. Hingegen wurden zwei jüdische Geschäfte und Wohnungen verwüstet, drei Männer ins KZ Sachsenhausen verbracht. *Einer anderen Angabe zufolge soll das Synagogengebäude in Brand gesetzt worden sein.

Die wenigen jüdischen Bewohner wurden nach 1940 in Ghettos Ostpolens deportiert.

Der einstige jüdische Friedhof, dessen Anlage aus den Anfängen der Gemeinde stammt, ist heute völlig in Vergessenheit geraten; nur wenige Grabsteinrelikte und Reste der Friedhofsmauer weisen auf das frühere Begräbnisgelände hin. 

vgl. Tütz (Westpreußen)

 

 

 

Die Anfänge einer jüdischen Gemeinde reichen in Kallies (poln. Kalisz Pomorski, derzeit ca. 4.000 Einw.) bis in die zweite Hälfte des 18.Jahrhunderts zurück. Um 1770 lebten hier drei Familien. Ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte die hiesige israelitische Gemeinde um 1840/1850 mit ca. 160 Angehörigen. Als Kauf- und Handelsleute, aber auch als Handwerker, verdienten sie ihren Lebensunterhalt. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine Synagoge und ein Friedhof, der um 1815 am Koppelberg angelegt worden war. Das zeitgleich geschaffene Synagogengebäude – es war ein Fachwerkbau mit je 28 Männer- und Frauenplätzen – stand auf einem Hinterhofgelände der Kasernen- bzw. der späteren Witwenstraße. Infolge Abwanderung in größere Städte lebten um 1900 nur noch ca. 40 Juden in Kallies, 1933 waren es noch 26 Personen. Während der Reichspogromnacht wurde das Synagogengebäude demoliert. Über das Schicksal der neun jüdischen Bewohner, die kurz vor Kriegsbeginn noch in Kallies wohnten, ist nichts bekannt.

Mitte der 1960er Jahre wurde der jüdische Friedhof, letztes sichtbares Relikt der einstigen Gemeinde, von den Kommunalbehörden abgeräumt. 

vgl. Kallies (Westpreußen)

 

 

 

Ca. 25 Kilometer südwestlich von Deutsch Krone liegt das Städtchen Schloppe (poln. Czlopa, derzeit ca. 2.300 Einw.); hier lebten bereits in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts einige jüdische Familien. Im Laufe des 18.Jahrhunderts wuchs die Gemeinde stark an und erreichte um 1840 ihren zahlenmäßigen Zenit mit mehr als 350 Angehörigen. Im Besitz der Gemeinde waren ein Friedhof, angelegt im Laufe des 18.Jahrhunderts, und eine um 1840 erbaute Synagoge, die einen älteren Vorgängerbau ablöste. Nach Mitte des 19.Jahrhunderts nahm die jüdische Bevölkerungszahl stark ab; Anfang der 1930er Jahre lebten in Schloppe noch etwa 50 - 60 Bewohner mosaischen Glaubens. Zu Beginn des Jahres 1938 waren die meisten jüdischen Geschäfte bereits „arisiert“; das gemeindliche Eigentum war in kommunalen Besitz übergegangen. Die verbliebenen jüdischen Bewohner wurden im März 1940 aus Schloppe vertrieben und in ein Internierungslager bei Schneidemühl verbracht; von hier aus erfolgte ihre Deportation.

Von dem verwüsteten Friedhof sind heute noch einige Grabsteine - die ältesten aus den 1860er Jahren - erhalten geblieben. 

vgl. Schloppe (Westpreußen)

 

 

 

Weitere Informationen:

G. Vietzke, Die Judenkolonie zu Poplowl, in: "Unser Pommerland" - Sonderheft Kreis Belgard, Heft 11/12 (1929)

Max Aschkewitz, Zur Geschichte der Juden in Westpreußen, in: "Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas", hrg. vom Johann Gottfreid Herder-Institut No. 81, Marburg 1967

Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981,Teil 2, Abb. 6

Deutsch-Krone, Stadt und Land. Chronik der Stadt Deutsch Krone, Heimatkreisausgabe 1981, S. 142 f.

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 96 - 98

Margret Heitmann/Julius Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem Lande jedes Verderben ...” Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Georg Olms Verlag, Hildesheim 1995

Gerhard Salinger, Jüdische Gemeinden in Hinterpommern, in: M. Heitmann/J. Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem Lande jedes Verderben ...” Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Georg Olms Verlag, Hildesheim 1995, S. 72/73

Dorothea Elisabeth Deeters, Juden in (Märkisch) Friedland - Aspekte ihres Gemeindelebens in Polen und Preußen, in: M.Brocke/M.Heitmann/H.Lordick (Hrg.), Zur Geschichte und Kultur der Juden in Ost- und Westpreußen, Georg Olms Verlag, Hildesheim/u.a., 2000, S. 125 f.

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 307 und Vol. 2, S. 587 und S. 1148

Gerhard Salinger, Die einstigen jüdischen Gemeinden Pommerns. Zur Erinnerung und zum Gedenken, Teilband 2, Teil III, New York 2006, S. 448 – 456 (Kallies) und Teilband 3, Teil III, S. 867 – 870 (Popplau)

Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken. Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Teilband 2, New York 2009, S. 254 - 281

Burkhard Krüger/Paul u. Norbert Lüdtke (Bearb.), Die Synagoge von Zippnow – Sypniewo, online abrufbar unter: deutsch-krone.com/zippnow-Synagoge.htm

Wałcz, in: sztetl.org.pl

K. Bielawski (Red.), WAŁCZ (Deutsche Krone), in: kirkuty.xip.pl