Deutsch-Brod (Böhmen)

    Jüdische Gemeinde - Polna (Mähren)Map cz Havlíčkův Brod kroton.svg Die 1257 gegründete ostböhmische Stadt Brod - 25 Kilometer nördlich von Iglau/Jihlava gelegen - wurde wegen des starken Zuzugs deutscher Bergleute jahrhundertelang ‘Deutsch-Brod’ bezeichnet. Heute heißt die in Tschechien liegende Stadt Havlíčkův Brod und besitzt derzeit ca. 24.000 Einwohner (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Tschechien' mit Havlíčkův Brod rot markiert, K. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

    Deutsch-Brod um 1810 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Jüdische Einwohner wurden in Brod bereits im ausgehenden 14./beginnenden 15.Jahrhundert erstmals erwähnt; doch schienen in den Folgejahrhunderten nur sehr wenige Familien hier gelebt zu haben, dann auch nicht dauerhaft. Erst gegen Mitte des 19.Jahrhunderts setzte ein Zuzug von Juden nach Deutsch-Brod ein; es bildete sich eine autonome Gemeinde, deren Gründung im Jahre 1884 erfolgte. Gottesdienste wurden in Räumen eines Privathauses abgehalten, danach in einem Gebäude am Hauptplatz.

Im Jahre 1888/1890 wurde ein jüdischer Friedhof eingeweiht.

Juden in Deutsch-Brod:

    --- 1880 ......................... 159 Juden,

    --- 1900 ......................... 247   “   (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- 1930 ......................... 146   “  .

Angaben aus: Institut Terezínské iniciativy

 

    Hauptstraße in Brod (hist. Postkarte)

Brod entwickelte sich ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts u.a. zu einem Zentrum der Textilindustrie; so gründete hier Šimon Mahler eine Textil- u. Maschenfabrik, die in den 1930er Jahren mehr als 1.000 Arbeitskräfte beschäftigt haben soll. Die Mahlers waren damals wohl die bedeutendste jüdische Unternehmerfamilie in der Stadt.

Während des Ersten Weltkrieges waren in einem Lager in Deutsch-Brod bis zu 10.000 jüdische Flüchtlinge aus Galizien untergebracht. Wegen einer Typhus-Epidemie mit der damit verbundenen hohen Mortalitätsrate reichte der lokale jüdische Friedhof nicht mehr aus, so dass ein neues Begräbnisareal angelegt werden musste.

Im August 1939 wurden jüdische Familien aus Deutsch-Brod nach Prag ausgewiesen. Im Juni 1942 wurden hier noch wohnhafte Juden und solche aus den umliegenden Ortschaften (insgesamt ca. 130 Personen) nach Theresienstadt verschleppt; hier verloren sich ihre Spuren.

Anm.: Von der „Zentralstelle für Jüdische Auswanderung“ wurde in Lipa (dt. Linden) – wenige Kilometer von Havlíckuv Brod - während der deutschen Besatzungszeit ein Umschulungslager eingerichtet, in dem junge Männer bei Arbeiten in der Landwirtschaft eingesetzt waren. Die meisten von ihnen wurden nach Theresienstadt „verschickt“; etwa 100 von ihnen sollen überlebt haben.

 

Einzige Relikte jüdischer Anwesenheit in Deutsch-Brod sind der israelitische Friedhof und der sog. „Typhus-Friedhof“, der während des Ersten Weltkrieges hier verstorbenen galizischen Flüchtlingen als letzte Ruhestätte zugewiesen worden war.

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Eingang und Teilansicht des jüdischen Friedhofs (Aufn. J. Erbenová, 2014, commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

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Grabstätten aus der Zeit um 1900 (Aufn. J. Erbenová, 2014, commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Die Gräber auf dem sog. "Typhus-Friedhof" sind in Reihen angelegt, die Grabsteine zumeist schlicht gehalten.

Havlíčkův-Brod-tyfový-hřbitov2013a.jpg "Typhus-Friedhof" (Aufn. Ben Skála, 2013, aus: commons.wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Wenige sog. "Stolpersteine" erinnern an ehemalige jüdische Bewohner, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind.

              Stolperstein für Pavel Pachner.JPG Stolperstein für Ida Pachnerová.JPG Aufn. Chr. Michelides, 2015, aus: commpons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

 

Wenige Kilometer westlich von Deutsch-Brod existierte in Ledetsch (tsch. Ledeč nad Sázavou, derzeit ca. 5.100 Einw.) seit dem 17.Jahrhundert eine jüdische Gemeinde, deren Angehörige ghettoartig lebten. Anfang der 1930er Jahre bestand die Gemeinde nur noch aus wenigen Familien; die anderen waren in die Städte abgewandert. 

Das um 1740 im Barockstil errichtete, mit Stuck und Malereien ausgestaltete Synagogengebäude - ist erhalten geblieben; nach einem Brand wurde das Gebäude im klassizistischen Stil wiederhergerichtet.

      

Synagogengebäude vor und nach der Restaurierung (Aufn. aus: ledecns.cz und BiláVrána, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Im Gebäude - es wird heute zu kulturellen Veranstaltungen genutzt - ist heute eine Ausstellung über die Geschichte der Juden in Ledetsch zu sehen.

Auch der zu Beginn des 17.Jahrhunderts angelegte jüdische Friedhof - einer der ältesten Böhmens - hat die Jahrhunderte überdauert; das Areal, das mehr als 1.000 Gräber aufweist, ist auch von umliegenden kleinen Gemeinden mitgenutzt worden.

 File:ŽH Ledeč nad Sázavou (007).jpg

Jüdischer Friedhof in Ledeč nad Sázavou (Aufn. Eva Moravková, 2013, aus: wikidata.org, CC BY-SA 3.0 und Cheva, 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

 

Im Dorf Drewikau oder Drschewikau (tsch. Dřevíkov, derzeit Teil der Kommune Vysočina mit derzeit ca. 700 Einw. ) - ca. 25 Kilometer nordöstlich von Deutsch-Brod entfernt - soll eine jüdische Gemeinschaft seit Mitte des 18.Jahrhunderts bestanden haben. Um 1850 wohnten mehr als 30 jüdische Familien im Ort. Die aus der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts stammenden Holzhäuser der „Judengasse“ wurden Mitte des 19.Jahrhunderts durch massive Gebäude ersetzt. In den Folgejahrzehnten setzte die Abwanderung der jüdischen Familien in größere Städte ein. Um 1895 erlosch die Gemeinde; die letzten Familien hatten bis ca. 1930/1935 Drewikau verlassen.

Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählten eine aus dem Jahre um 1750 stammende Synagoge (erneuert im 19.Jahrhundert) und ein ca. 500 Meter von der Dorfmitte entfernt liegendes Friedhofsgelände, dessen Anlage ebenfalls in diese Zeit fällt.

Das Synagogengebäude wurde 1922 verkauft und zu einem Wohnhaus umgewandelt.

Der in den 1970er Jahren restaurierte Friedhof besaß damals noch eines der letzten hölzernen Grabmale in Tschechien (es stammte aus der Zeit des Ersten Weltkrieges). Ein sehr seltener Grabstein aus Gusseisen (aus der Mitte des 19. Jahrhunderts) wird heute im Museum aufbewahrt. Im Eingangstor-Bereich befinden sich Fragmente von Grabsteinen aus der Zeit des Barock und des Klassizismus. Der älteste nachweislich erhaltene Grabstein von Aser ben Jicchaka stammt aus dem Jahr 1761.

    

                   Eingangstor zum jüdischen Friedhof                            Grabmal aus Gusseisen (Aufn. Stadt Chrudim)

File:Oldest gravestone at Jewish Cemetery in Dřevíkov, Chrudim District.JPG Die ältesten Grabsteine (Aufn. Jiří Sedláček, 2011, aus: wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

 

Im Dorf Pollerskirchen (tsch. Úsobí, südlich von Deutsch-Brod) war nach dem 30jährigen Krieg eine kleine jüdische Gemeinschaft ansässig; aus dieser Zeit stammte auch ein dort eingerichtetes Bethaus, das bis in die 1920er Jahre als solches genutzt wurde. Heute dient das umgebaute Gebäude Wohnzwecken.

 

 

 

Weitere Informationen:

Jaroslav Polák-Rokycana, Deutschbrod, in: Hugo Gold (Hrg.), Židé a židovské obce v Cechách v minulosti a prítomnosti, Židovské nakladatelství, Brno - Praha 1934, S. 134

Auskünfte der Stadtverwaltung Havlíckuv Brod

The Jewish Cemetery Ledeč nad Sázavou, online abrufbar unter: region-vysocina.cz/the-jewish-cemetery-ledec-nad-sazavou-cx1753

Pavel Bartos, Gallery - Židovský hřbitov Ledeč nad Sázavou (Aufnahmen vom Friedhofsgelände)

Michal Kamp (Verf.), Mahlerové v Německém Brodě 1861 – 1948. Bakalářská diplomová práce, Masarykova univerzita v Brně Filozofická fakulta Historický ústav, Brno 2007 („Die Mahlers in Německý Brod 1861-1945“, Bachelorarbeit)

Milan Sustr/Michal Kamp (Bearb.), Havlickuv Brod gestern und heute, Bilddband, o.J. (in tsch. Sprache)

Karel Cerny/Jaroslav Libal/Mailand Sustr (Bearb.), Německý Brod auf alten Postkarten, Bilder aus der Geschichte der Stadt, o.J.

Kateřina Čapková /Hillel J. Kieval (Hrg.), Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 140, München 2020