Birstein (Hessen)

Datei:Kurhessen Kr Gelnhausen.png – Wikipedia Main-Kinzig-Kreis Karte Birstein kam 1816/1817 als ‘Isenburger Amt’ an Kurhessen. Seit der Gebietsreform der 1970er Jahre ist Birstein zentraler Ort von insgesamt 16 Ortsteilen – am nordöstlichen Rand des Main-Kinzig-Kreises zwischen Hanau und Fulda gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und  Kartenskizze 'Main-Kinzig-Kreis', aus: ortsdienst.de/hessen/main-kinzig-kreis).

 

Die erste urkundliche Erwähnung von Juden im Amt Birstein erfolgte gegen Mitte des 17.Jahrhunderts; um 1675 bildete sich hier bereits eine kleine jüdische Gemeinde. Diese hatte schon um 1700/1710 einen „Schulmeister“, der zugleich auch Vorsänger war. Die im 18./19.Jahrhundert ansässigen jüdischen Familien lebten in recht ärmlichen Verhältnissen; einige waren völlig mittellos und außerstande, das Schutzgeld an die gräfliche Herrschaft zu zahlen. Der Bau einer neuen Synagoge erfolgte im Jahre 1866, nachdem die seit 1749 bestehende Betstube ausgedient hatte und die wachsende Zahl der Gemeindemitglieder nicht mehr aufnehmen konnte.

                Ehem. Synagoge rechts im Bild, Aufn. um 1950 (Geschichtsverein Birstein e.V.)

1845 wurde eine eigene Elementarschule eingerichtet, die aus einer Religionsschule hervorgegangen war.  Diese Schule nahm auch jüdische Kinder aus den Nachbarorten auf. 1904 wurde neben der Synagoge ein neues Schulgebäude errichtet. Mitte der 1930er Jahre besuchten immerhin noch mehr als 20 jüdische Kinder aus Birstein und Umgebung die jüdische Volksschule; 1937 wurde sie auf behördliche Weisung aufgelöst.

           Stellenangebot der Gemeinde aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 10.1.1907

Das Schulhaus „Am Riedbach“ beherbergte auch die Mikwe. Der Birsteiner Gemeinde waren die Juden aus Unterreichenbach und Untersotzbach angeschlossen. Zu den in Hellstein lebenden Glaubensgenossen bestanden ebenfalls enge Beziehungen; so suchten bis Ende der 1860er Jahre die Hellsteiner Juden die Synagoge in Birstein auf, ehe eine eigene Gemeinde sich konstituierte. Der Schulverband zwischen Birstein und Hellstein hatte hingegen weiterhin Bestand.

Das relativ große, um 1680 angelegte Friedhofsareal - jenseits des Reichenbaches - diente als jüdischer Sammelfriedhof auch Juden aus anderen Ortschaften als Bestattungsgelände. So fanden hier Verstorbene aus Bindsachsen, Fischborn, Hellstein, Hitzkirchen, Lichenroth, Kirchbracht, Mauswinkel, Schlierbach, Untersotzbach, Unterreichenbach und anderen kleinen Orten ihre letzte Ruhe.

Juden in Birstein:

         --- um 1680 ......................   3 jüdische Familien,

    --- 1766 .........................  18     “       “    ,*

    --- 1796 .........................  20     “       “    ,*

    --- 1806 .........................  25     “       “    ,*     * Amt Birstein

    --- 1835 .........................  76 Juden,

    --- 1861 .........................  76   “  ,

    --- 1871 .........................  67   "  ,

    --- 1885 ......................... 104   "   (ca. 9% d. Bevölk.),

    --- 1893 .........................  36 jüdische Familien,

    --- 1905 .........................  95 Juden,

    --- 1925 ......................... 116   “  ,

    --- 1930 ......................... 128   “   (knapp 10% d. Bevölk.),

    --- 1939/40 ......................   keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 81

und                 Jürgen Ackermann, Die Judenschule in Birstein, in: ‘Birsteiner Heimatbote’ 1983/1984

 

Um 1800 gehörten auch die Juden aus Fischborn, Kirchbracht und Mauswinkel zur Birsteiner Synagogengemeinde; später bildeten die Juden Fischborns eine eigene Gemeinde, der dann auch Mauswinkel und Kirchbracht angeschlossen waren.

[vgl. Fischborn (Hessen)]

Bereits 1868 hatten sich die Juden aus Hellstein von der Birsteiner Kultusgemeinde gelöst und bildeten fortan eine autonome Gemeinde.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20209/Birstein%20Israelit%2004081902.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20209/Birstein%20Israelit%2013081925.jpg gewerbliche Annoncen von 1902 bzw. 1925

Die in den 1920er Jahren in Birstein lebenden jüdischen Familien, die ihren Lebensunterhalt vor allem mit ländlichen Handelsgeschäften und als Viehhändler bestritten, hatten es zu beachtlichem Wohlstand gebracht, deshalb galt die jüdische Gemeinde auch als recht finanzkräftig.

Kurz nach der NS-Machtübernahme verließen die meisten jüdischen Bewohner Birstein; ein Teil verzog in größere Städte, ein Teil ging in die Emigration. Birstein war einer der wenigen Orte, die vom Novemberpogrom unberührt blieben. Die Inneneinrichtung der Synagoge war bereits vorher vom letzten jüdischen Bewohner entfernt worden; er emigrierte 1939/1940 in die USA.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 26 gebürtige bzw. länger in Birstein ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/birstein_synagoge.htm).

 

Das einstige Synagogengebäude wurde zu einem Wohnhaus umgebaut; auf Grund der Umbaumaßnahmen lassen sich heute keinerlei bauliche Spuren des früher als jüdisches Gotteshaus genutzten Gebäudes mehr erkennen.

Heute erinnern auf einer Fläche von ca. 4.500 m² des Birsteiner Sammelfriedhofs noch etwa 420 Grabsteine an frühere jüdische Ansässigkeit in der Region; der älteste Stein trägt die Jahresangabe "1740". (Aufn. J. Hahn, 2010, aus: alemannia-judaica.de und Teilansicht des Friedhofs, Aufn. B. 2021, aus:wikipedia.org CC BY-SA 4.0)

Jüdischer Friedhof in Birstein - Grabsteine im älteren Teil (alle Aufn. J. Hahn, 2010)

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20246/Birstein%20Friedhof%20184.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20246/Birstein%20Friedhof%20185.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20246/Birstein%20Friedhof%20175.jpg

Im Birsteiner Ortsteil Lichenroth existierte ebenfalls eine jüdische Gemeinde.

[vgl. Lichenroth (Hessen)]

 

 

Die in Hellstein lebenden jüdischen Familien, die ursprünglich zur jüdischen Gemeinde Birstein gehört hatten, bildeten ab den 1860er Jahren eine eigene Synagogengemeinde. Um 1870 zählte sie ca. 50 Mitglieder in neun Familien, die als Viehhändler recht begütert gewesen sein sollen. Ihnen stand ein eigener kleiner Betraum zur Verfügung; als Begräbnisstätte wurde der in Bierstein gelegene Verbandsfriedhof genutzt. Anfang der 1930er Jahre lebten in Hellstein noch knapp 20 jüdische Bewohner. 

[vgl. Hellstein (Hessen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 81/82 (Bierstein) und S. 346 (Hellstein)

Jürgen Ackermann, Die Judenschule in Birstein, in: "Birsteiner Heimatbote", 1983/1984

Jürgen Ackermann, Ein Biersteiner Jude erzählt, in: "Birsteiner Heimatbote", Dez. 1985

Jürgen Ackermann, Die Juden in und um Birstein im 17. und 18.Jahrhundert, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, No.93/1988, S. 95 - 110

Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945?, Königstein i.Ts. 1988, S. 147/148

Christa Wiesner, Der jüdische Friedhof in Birstein, in: "Birsteiner Heimatbote", o.J.

Birstein, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen, zumeist personenbezogenen Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Jüdischer Friedhof in Birstein, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen)