Barchfeld/Werra (Thüringen)
Barchfeld ist ein derzeit von mehr als 3.000 Menschen bewohnter Ortsteil der Gemeinde Barchfeld-Immelborn im thüringischen Wartburgkreis – ca. 30 Kilometer südlich von Eisenach gelegen (Karte des Wartburgkreises ohne Eintrag von Barchfeld, aus: ortsdienst/thueringen/wartburgkreis und Kartenskizze 'Barchfeld-Immelborn', Metilsteiner 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
In den Jahrzehnten um 1850 erreichte die Zahl der Gemeindeangehörigen ihren personellen Höchststand; damals war zeitweise jeder 8. Bewohner des Ortes mosaischen Glaubens.
Eine erstmalige Erwähnung von Juden in Barchfeld datiert aus der Mitte des 16.Jahrhunderts; allerdings waren es zunächst nur sehr wenige Familien, die hier eine Duldung des Landesherrn besaßen. Gegen Ende des 18.Jahrhunderts nahm dann die Zahl der jüdischen Einwohner stetig zu – sie bezeichneten das südthüringische Barchfeld als ihr „Gelobtes Land“ - und erreichte ca. 100 Jahre später mit ca. 240 Personen ihren numerischen Höchststand. Ihren Lebensunterhalt verdienten die Juden Barchfelds vor allem als Viehhändler, aber auch als Handwerker und kleine Handelsleute. Später führten Emigration und Abwanderungen in größere deutsche Städte zu einem starken Rückgang der Gemeinde.
Ihren zweiten Synagogenbau errichtete die jüdische Gemeinde Barchfeld im Jahre 1845, nachdem der erste durch einen Brand beschädigt und für die wachsende Gemeinde zu klein geworden war. Auch dieser zweite Bau wurde 1879 durch einen Brand teilweise zerstört, doch bereits 1880 wiederhergestellt und erneut eingeweiht.
Skizze der Synagoge in Barchfeld (aus: alemannia-judaica.de)
Unmittelbar an die Synagoge schlossen sich das Wohnhaus des Lehrers der jüdischen Schule und eine Mikwe an. Die Mitte der 1830er Jahre eingerichtete jüdische Elementarschule existierte für ca. 90 Jahre.
Anzeigen aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 12.Aug. 1873 und der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 12.März 1903
Neben dem Lehrer/Kantor beschäftigte die Kultusgemeinde zeitweilig noch eine weitere Person, die für das Schächten zuständig war.
Anzeige aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 4.8.1921
Ein Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 23. Oktober 1878 charakterisierte die Gemeinde Barchfeld wie folgt:
... Zur Seite bleiben Barchfeld, Schmalkalden und Walldorf liegen. Die beiden ersten Orte gehören dem frühern Kurhessen, jetzt Provinz Hessen, an. Kurhessen war einer der ersten Staaten Deutschlands, welche den synagogalen und Schulverhältnissen seiner israel. Unterthanen seine volle Aufmerksamkeit zuwendete und denselben eine feste Gestaltung gab. Diese haben sie auch nach der Annection behalten. Wir finden daher in beiden Synagogengemeinden sehr geordnete Zustände, geregelt gottesdienstliche und Schulverhältnisse und einen regen religiösen Sinn. Die circa 40 Mitglieder zählende Synagogengemeinde Barchfeld hat sich namentlich schon seit langen Jahren durch für ihre Verhältnisse nicht unbedeutende Opfer, welche sie für Gottesdienst und Schule verwendet, vor vielen bedeutend größeren Gemeinden rühmlich hervorgethan. Diesem hier herrschenden lebendigen Sinne für Schule und Gottesdienst ist es wohl auch zuzuschreiben, dass aus dieser Gemeinde schon eine ganze Reihe recht tüchtiger Lehrer hervorgegangen ist, ...
Bereits gegen Ende des 17.Jahrhunderts verfügten die Juden Barchfelds über einen kleinen Begräbnisplatz vor dem Dorf, der ihnen von der Landgräfin Hedwig Sophie von Hessen gegen Zahlung eines jährlichen Erbzinses zur Verfügung gestellt worden war; für Begräbnisse war dann jeweils eine weitere Gebühr fällig. In der Folgezeit wurde das Friedhofsgelände vergrößert. Auch Verstorbene aus den jüdischen Gemeinden Bad Salzungen und Bad Liebenstein fanden hier ihre letzte Ruhe. Mitte der 1920er Jahre wurde an der heutigen Nürnberger Straße ein neuer Friedhof angelegt.
Zur jüdischen Gemeinde Barchfeld, die zum Rabbinatsbezirk Fulda zählte, gehörten auch die jüdischen Einwohner von (Bad) Salzungen und Bad Liebenstein.
Juden in Barchfeld:
--- um 1700 ........................ 6 jüdische Familien (ca. 40 Pers.),
--- 1720 ........................... 76 Juden,
--- um 1745 ........................ 14 jüdische Familien,
--- um 1775 ........................ 20 “ “ ,
--- 1825 ........................... 32 “ “ (165 Pers.),
--- 1848 ........................... 170 Juden,
--- 1861 ........................... 237 “ (ca. 13% d. Bevölk.),
--- 1894 ........................... 149 “ ,
--- 1905 ........................... 147 “ ,
--- 1914 ....................... ca. 25 jüdische Familien
--- 1924 ........................... 86 Juden (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1933 ........................... 63 “ ,
--- 1940 ........................... keine.
Angaben aus: Monika Kahl, Denkmale jüdischer Kultur in Thüringen, S. 37
und Hans Nothnagel, Juden in Südthüringen geschützt und gejagt, Bd. 6, S. 75 f.
alte Ortsansicht von Barchfeld - hist. Postkarte (Abb. aus: akpool.de)
Anzeigen aus den Jahren 1889 und 1909
Zu Beginn der NS-Zeit lebten in Barchfeld noch ca. 60 jüdische Bewohner.
Im Jahr der NS-Machtübernahme beging Barchfeld die Tausendjahrfeier seines Dorfes, und anlässlich dieses Jubiläums hatte der Parnes der Gemeinde, Justin Herrmann, eine Chronik jüdischer Dorfgeschichte Barchfelds verfasst, die aber nicht erscheinen durfte.
In der Nacht des 9.November 1938 drangen SA-Kommandos in Wohnungen von Juden ein, nahmen die Männer in Haft und überstellten sie dem KZ Buchenwald. Die Barchfelder Synagoge, das angrenzende Wohnhaus des Rabbiners bzw. Gemeindevorstehers und Teile des Friedhofs fielen den „Aktionen“ der Pogromnacht zum Opfer. Die Fachwerk-Synagoge wurde abgerissen, die Trümmer und das noch vorhandene Inventar auf einer Wiese an der Werra verbrannt. Auf Anweisung ihres Lehrers warfen Schüler am Morgen des 10.November an von Juden bewohnten Häusern die Fenster ein.
Direkt von Barchfeld aus fanden keine Deportationen statt, da bis dahin alle jüdischen Einwohner den Ort verlassen hatten.
Als sicher gilt, dass mindestens 30 Barchfelder Juden deportiert wurden; das Schicksal von weiteren 20 Personen ist ungeklärt.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind nachweislich 48 gebürtige bzw. längere Zeit in Barchfeld ansässig gewesene Juden Opfer der NS-Gewaltherschaft geworden (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/barchfeld_synagoge.htm).
Seit 1988 erinnert unmittelbar neben dem Standort des Synagogengebäudes in der Nürnberger Straße ein Gedenkstein mit der folgenden Inschrift an das einstige jüdische Gotteshaus:
An dieser Stelle stand die im Jahre 1845 geweihte Synagoge der jüdischen Gemeinde Barchfeld.
Das Gotteshaus wurde in der Pogromnacht des 9.November von nazistischen Machthabern zerstört.
Vergeßt es nie !
1996 wurde der Gedenkstein auf den ehemaligen jüdischen Friedhof umgesetzt (siehe Abb. unten); eine zusätzliche Inschriftentafel trägt den Text:
Dieser Gedenkstein erinnert
an die von deutschen Nationalsozialisten zerstörte Barchfelder Synagoge auf dem Grundstück Nürnberger Straße 38.
Die Umsetzung des Gedenksteines wurde erforderlich wegen geänderter Eigentumsverhältnisse am ursprünglichen Standort der Synagoge.
Die meisten der auf dem Barchfelder Friedhof sich ehemals befundenen Grabsteine „verschwanden“ während der NS-Zeit; die noch vorhandenen wurden nach 1945 wieder aufgerichtet.
Jüdischer Friedhof Barchfeld und Gedenkstein (Aufn. Metilsteiner, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Auf dem Gedenkstein ist neben der Inschrift ein Relief der Frontseite des Synagogengebäudes angebracht (Aufn. J. Hahn, 2005).
In den Gehwegen Barchfelds wurden 2013 die ersten sog. „Stolpersteine“ für Opfer der NS-Herrschaft verlegt; weitere kamen in den Folgejahren hinzu. so dass derzeit ca. 35 messingfarbene Steinquader anzutreffen sind (Stand 2024).
verlegt in der Nürnberger Straße (alle Aufn. Gmbo 2021, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
verlegt in der Hotzelgasse
In (Bad) Salzungen - wenige Kilometer westlich Barchfelds - sind Juden erstmals im ausgehenden 13.Jahrhundert erwähnt; beim Pestpogrom sollen sie 1349 vertrieben oder ermordet worden sein. Erst im 19.Jahrhundert kann jüdische Ansässigkeit erneut nachgewiesen werden. Um 1900 besaß der Ort ca. 50, zu Beginn der NS-Zeit ca. 40 jüdische Bewohner; eine selbstständige Gemeinde bildete sich auf Grund der hier lebenden wenigen Familien nicht. Mit der Deportation der letzten Juden aus Salzungen Mitte 1942 war das Ende der kleinen jüdischen Gemeinschaft besiegelt. Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind 32 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bad_salzungen_juedgeschichte.htm).
In Bad Salzungen wurde 2009 mit der Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ begonnen; mittlerweile sind insgesamt 16 Gedenktäfelchen in die Gehwege des Kurortes eingefügt (Stand 2020); sie befinden sich an fünf Standorten: in der Michaelisstraße, vor zwei Häusern in der Ratsstraße, am Nappenplatz und am Markt.
verlegt an drei Standorten in der Ratsstraße (Aufn. Cr. Michelides, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Bad Liebenstein - wenige Kilometer östlich von Barchfeld – waren seit Mitte des 19.Jahrhunderts einige wenige jüdische Familien wohnhaft – ohne dass es hier zu einer Gemeindegründung kam. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts lebten hier kaum mehr als zehn Personen.
Am Ort gab es zwei von jüdischen Familien geführte Restaurants bzw. Pensionen.
Geschäftsanzeigen aus den Jahren 1891 und 1903
Die hier lebende Familie Liebenstein führte bis in die 1930er Jahre im Ort (Aschenbergstraße) ein Textilgeschäft. Einem Teil der Familie gelang die Emigration nach Übersee.
Ein um 1910 von der Familie Liebenstein angelegter privater Begräbnisplatz am Ort wurde in den 1960er Jahren eingeebnet.
2021 wurden vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Liebenstein in der Aschenbergstraße vier sog. „Stolpersteine“ verlegt
Aufn. M.- L. Otto, 2021
Weitere Informationen:
Justin Herrmann (Hrg.), Zur Tausendjahrfeier Barchfeld (Werra). Ein vollständiger Ueberblick der Geschichte der israelitischen Gemeinde, Selbstverlag des Herausgebers, Barchfeld 1933 (Anmerkung: Justin Herrmann war letzter Gemeindevorsteher der israelitischen Gemeinde Barchfeld)
Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band II, S. 927 f.
Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 259/260
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 240
Monika Kahl, Denkmale jüdischer Kultur in Thüringen - Kulturgeschichtliche Reihe, Band 2, Hrg. Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege, Leipzig 1997, S. 37 f.
Hans Nothnagel, Juden in Südthüringen geschützt und gejagt. Eine Sammlung jüdischer Lokalchroniken in sechs Bänden, Verlag Buchhaus Suhl, Suhl 1999, Band 6, S. 13 ff. und S. 125 - 156
Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischer Vergangenheit in Thüringen. Eine Dokumentation, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Sömmerda 2007, S. 59 – 63
Stadtarchiv Bad Salzungen, Gedenkbuch – ein Projekt gegen das Vergessen, Bad Salzungen o.J.
Barchfeld an der Werra, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Jüdischer Friedhof in Barchfeld, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen)
Bad Salzungen, in: alemannia-judaica.de
Bad Liebenstein, in: alemannia-judaica.de
Geschichtswerkstatt Bad Liebenstein (Hrg.), Jüdische Mitbürger, online abrufbar unter: heimatfreundebali.de/heimatgeschichte/kirchen/jüdische-mitbürger/
Peggy Machoi (Red.), Das Ende einer langen Reise, in: "Südthüringer Zeitung" vom 30.9.2013 (betr. Verlegung von Stolpersteinen)
Kirchenkreis Schmalkalden (Bearb.), Verlegung von Stolpersteinen (in Barchfeld), in: eksm.de vom 9.10.2013
Archiv Bad Salzungen (Red.), Auflistung der bisher in Bad Salzungen verlegten Stolpersteine und ihre Sponsoren, in: badsalzungen.de
N.N. (Red.), Pogromnacht – Über „Stolpersteine“ nachdenken – Gedenken auf dem jüdischen Friedhof, in: „Südthüringer Zeitung“ vom 10.11.2009
N.N. (Red.), Stolpersteine für Barchfelder Juden, in: "Südthüringer Zeitung" vom 3.9.2017
Gerhild Elisabeth Birmann-Dähne, Barchfeld (Thüringen), in: Jüdische Friedhöfe in der Rhön. Haus des ewigen Lebens, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S. 30 - 33
Marie-Luise Otto (Red.), Vier Stolpersteine für die Liebensteins, in: "Südthüringer Zeitung" vom 5.10.2021 (betr. Bad Liebenstein)
Klaus Schmidt, Leben und Schicksal der jüdischen Landgemeinde Barchfeld/Werra. Sie waren Nachbarn und Freunde unserer Vorfahren, Hrg. Verein für Heimatgeschichte Barchfeld/Werra e.V., Michael Imhof Verlag Fulda 2021
Die ehemalige jüdische Gemeinde von Barchfeld, online abrufbar unter: heimatgeschichte-barchfeld.de (diverse Text- u. Bildmaterialien)