Westheim/Main - Knetzgau (Unterfranken/Bayern)

Datei:Knetzgau in HAS.svg Die Ortschaft Westheim bei Haßfurt ist heute ein Ortsteil von Knetzgau - zwischen Bamberg (im O) und Schweinfurt (im W) gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Hassberge', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Im Dorfe Westheim (erstmals 1231 urkundlich erwähnt) waren im Laufe der Jahrhunderte verschiedene weltliche und geistliche Ortsherrschaften zu verzeichnen, die zuweilen zueinander in Konkurrenz standen. Namentlich wird ein Westheimer „Schutzjude“  erstmals 1587 genannt. Die Bildung einer jüdischen Gemeinde in Westheim geht ins ausgehende 17./beginnende 18.Jahrhundert zurück. Im Laufe des 18.Jahrhunderts hatten die hier lebenden jüdischen Familien wiederholt unter den ‚Grabenkämpfen‘ der miteinander konkurrierenden weltlichen und geistlichen „Schutzherrschaften“ (den Landesherren von Sachsen-Hildburghausen, den Ganerben von Fuchs und dem Hochstift Würzburg) zu leiden. Auch der Ortspfarrer tat sich durch seine judenfeindlichen Unterstellungen hervor.

Bei der Erstellung der Matrikellisten im Königreich Bayern (1817) wurden hier 25 Familienvorstände genannt; Vieh- und Schnitthandel waren die Haupterwerbsquellen der Juden in Westheim.

Ein maroder Synagogenbau - vermutlich um 1740 (andere Angabe: 1770) errichtet - wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg durch einen Neubau in der Kirchgasse ersetzt: An der Mitte Sept. 1913 erfolgten feierlichen Einweihung nahmen neben den Honoratioren des Ortes auch die beiden Pfarrer teil. Im „Jüdischen Blatt“ vom 2.10.1913 hieß es dazu: „Westheim bei Haßfurt. Am 19. d. M. fand in hiesiger Gemeinde die Einweihung der neuerbauten Synagoge statt. Diese Feier legte ein beredtes Zeugnis ab von dem einmütigen Zusammenleben der aus drei Konfessionen zusammengesetzten Ortsbevölkerung. Das Dorf hatte reichen Flaggenschmuck angelegt. Die Straßen, die von der alten zur neuen Synagoge führten, waren mit Triumphbögen versehen. Die Feier nahm ihren Anfang mit einem Abschiedsgottesdienst in der alten Synagoge. Hierauf wurden die Thorarollen in feierlichem Zuge, in welchem sich unter anderem der königliche Bezirksamtmann Hagen von Haßfurt als Regierungsvertreter, die katholische und protestantische Geistlichkeit, der Bürgermeister und sonstige zahlreiche Ehrengäste befanden, unter den Klängen der Musik zur neuen Synagoge gebracht. betraten die Teilnehmer des Festzuges das Gotteshaus, das trotz seiner verhältnismäßig geräumigen Dimensionen die große Menge nicht zu fassen vermochte. ... Den Höhepunkt der Feier bildete die Weihepredigt des Herrn Distrikts-Rabbiners Dr. Stein, ... Nach der selben wurde das Königsgebet gesprochen. ... Am 20. fand in der Synagoge Festgottesdienst statt, wobei der Herr Distriktsrabbiner in gleicher Weise wie am vorhergehenden Tage über die Bedeutung des Gotteshauses predigte. Der Nachmittag war der gemütlichen Unterhaltung gewidmet. Musikalische Weisen und theatralische Vorträge bannten die Erschienenen bis zur eintretenden Dunkelheit. ... Möge die Begeisterung für unsere heilige Religion, zu welcher das neue Gotteshaus in diesen Tagen seine Besucher hingerissen, auch ferner in den Herzen aller entfacht bleiben. Möge insbesondere die Zukunft die berechtigte Hoffnung erfüllen, dass die Landgemeinde W., so wie sie jetzt ein erfreuliches Bild im Kapitel 'Landflucht' bildet, es in allen Zeiten bleiben möge."

Auch ein Gemeindehaus mit Schulräumen und ein rituelles Bad gehörten zu den Einrichtungen der jüdischen Gemeinde in Westheim. Ein von der Gemeinde angestellter Religionslehrer versah auch das Amt des Vorbeters und Schächters.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20100/Westheim%20HAS%20Israelit%2009021912.jpg aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9.Febr. 1912

                     aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 29.Okt. 1931

Die jüdischen Kinder besuchten bis 1929/1930 die örtliche katholische und die evangelische Volksschule; zwischen der Schulbehörde und der Kultusgemeinde kam es dabei zuweilen zu Konflikten, die sich am Schulbesuch jüdischer Kinder an Sabbaten und jüdischen Feiertagen entzündeten.

Ihre Verstorbenen begrub die Gemeinde auf dem jüdischen Bezirksfriedhof in Kleinsteinach, teilweise auch in Gerolzhofen.

Die Kultusgemeinde Westheim unterstand dem Distriktrabbinat Schweinfurt.

Juden in Westheim:

         --- 1699 .........................   5 jüdische Familien (mit 17 Pers.),

    --- 1740 .........................  18     "        "   ,

    --- 1752 .........................   8     “        “   ,

    --- 1797 .........................  21     "        "   ,

    --- 1814 ......................... 104 Juden (in 27 Familien, ca. 18% d. Dorfbev.),

    --- 1825 ......................... 105   “  ,

    --- 1834 ......................... 100   “  ,

    --- 1857 .........................  22 jüdische Familien,

    --- 1867 ......................... 101 Juden (ca. 14% d. Bevölk.),

    --- 1885 ......................... 109   “   (in 20 Familien),

    --- 1900 .........................  90   “   (ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1910 .........................  75   “  ,

    --- 1925 .........................  60   “  ,

    --- 1933 .........................  45   “  ,

    --- 1938 .........................  33   "  ,

    --- 1939 (Okt.) ..................  23   “  ,

    --- 1942 (Jan.) ..................  20   “  ,

             (Juni) ..................  keine.

Angaben aus: Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 426

und                 Cordula Kappner, Aus der jüdischen Geschichte des heutigen Landkreises Haßberge

und                W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, S. 590/91

 

gewerbliche Anzeigen von 1890 und 1902:

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20187/Westheim%20HAS%20Israelit%2010111890.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20304/Westheim%20Israelit%2006101902.jpg

 

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten die jüdischen Familien zumeist vom Viehhandel und von der Landwirtschaft.

In dem Miteinander von Christen und Juden änderte sich in Westheim zunächst kaum etwas. Auch der Minjan konnte bis Anfang 1938 noch erreicht werden, da die Abwanderung der jüdischen Familien in Grenzen blieb.

Doch dieses Einvernehmen sollte sich dann in den Tagen des Novembers 1938 abrupt ändern: Während des Pogroms wurden alle gemeindlichen jüdischen Einrichtungen beschädigt. Sechs Häuser jüdischer Familien wurden demoliert, Wertgegenstände teilweise gestohlen und Bewohner verprügelt. Alle jüdischen Männer wurden festgenommen und in die Synagoge gebracht; dort mussten sie miterleben, wie die Inneneinrichtung mitsamt der Ritualien zerstört wurde. Thora-Rollen und religiöse Schriften wurden - unter den Augen von vielen Dorfbewohnern - vor dem Synagogengebäude verbrannt. Anschließend wurden die jüdischen Männer mit einem Viehtransporter ins Gefängnis nach Haßfurt abtransportiert. An den Aktionen beteiligt waren neben einheimischen auch aus Haßfurt und Umgebung kommende SA-Angehörige. Im September 1940 mussten alle noch verbliebenen jüdischen Einwohner in einem Haus zusammenziehen. Ende April 1942 wurden 15 Personen nach Würzburg verbracht; von hier aus erfolgte ihre Deportation nach Izbica bei Lublin. Die wenigen noch im Dorfe verbliebenen Juden wurden noch im gleichen Jahre nach Theresienstadt verschleppt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ fielen nachweislich 34 aus Westheim stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene Juden dem Holocaust zum Opfer (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/westheim_has_synagoge.htm).

Im Herbst 1948 fand vor dem Landgericht Bamberg ein Prozess gegen etwa 30 an den Aktionen des Novemberpogroms von Westheim Beteiligte statt. Neun Angeklagte wurden schuldig gesprochen und zu kurzzeitigen Haftstrafen verurteilt; die meisten wurden freigesprochen.

 

In den unmittelbaren Nachkriegsjahren hielten sich ca. 60 – 70 jüdische DPs – sie stammten zumeist aus Osteuropa – im Dorf auf; im Laufe des Jahres 1948 verließen sie ihren vorläufigen Wohnort und emigrierten zumeist in Richtung Palästina/Israel.

Das gesamte unter Denkmalschutz stehende Ensemble der ehemaligen Synagoge und des Gemeinde- und Schulhauses - inzwischen z.T. vollkommen marode - wurden nach einem Besitzwechsel teilweise für den Abbruch freigegeben; der Abriss des Gemeinde- und Schulhauses erfolgte im Jahre 2008.

 http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20165/Westheim%20Judenschule%20605.jpghttps://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2097/Westheim%20HAS%20Synagoge%20104.jpg

ehem. Schul- u. Gemeindehaus vor dem Abbruch (Aufn. aus: "Main-Post" vom 24.3.2008)

Das ehemalige Synagogengebäude wurde hingegen im Jahre 2011 als Wohnhaus saniert. An der alten Schule des Ortes befand sich seit 1989 eine Gedenktafel mit der folgenden Inschrift:

In Westheim bestand eine jüdische Kultusgemeinde,

deren Synagoge Kirchgasse 4 in der Kristallnacht 1938 vernichtet wurde.

ZUR ERINNERUNG UND MAHNUNG.

Westheim (Knetzgau) Die Kommune Westheim gehört den zahlreichen unterfränkischen Orten, die sich am „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ in Würzburg mit einer metallenen „Koffer-Skulptur“ beteiligt, die vom Künstler Hannes Betz geschaffen wurde (Aufn. Hannes Betz, 2020, aus: denkort-deportationen.de). Das in der Eschenauer Straße in Westheim im Nov. 2021 eingeweihte Mahnmal weist neben der Koffer-Skulptur und einem Davidstern zudem eine Tafel auf, die dem Gedenken an die ehemaligen jüdischen Bewohner der Gemeinde Westheim Rechnung trägt.

 

 

 

In der am Mainufer liegenden Ortschaft Knetzgau war vermutlich vom 16.Jahrhundert bis ins ausgehende 19.Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde beheimatet. Laut der Matrikel lebten um 1820 sechs jüdische Familien im Ort, die ihren Lebenserwerb mit Viehhandel und Schnittwarenhandel bestritten.

Zu den Kultuseinrichtungen zählten - trotz der geringen Gemeindegröße - eine im 17. Jahrhundert eingerichtete Synagoge mit Schulräumen und eine Mikwe; das alte Gebäude hat in seiner Bausubstanz die Jahrhunderte überdauert. Verstorbene wurden in Kleinsteinach bzw. in Limbach beerdigt.

Aus- bzw. Abwanderung aus dem Dorf führten in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts zu einer Auflösung der Kleinstgemeinde.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2097/Knetzgau%20Synagoge%20106.jpg Ehem. Synagogengebäude, rechts vor der Kirche (Aufn. J. Hahn, 2004)

 

 

Hinweis: Im gleichnamigen Westheim im Kreis Hammelburg existierte auch eine jüdische Kultusgemeinde; die 1731 oder 1768 eingerichtete Synagoge war in einem stattlichen Steinbau untergebracht. Noch Anfang des 20.Jahrhunderts waren hier etwa 16% der Bevölkerung mosaischen Glaubens. 

[vgl.  Westheim - Hammelburg (Unterfranken/Bayern)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 426/427

Rainer Wailersbacher, 750 Jahre Westheim: 1231 -1981, Westheim 1981

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 349/350

Gisela Krug, Die Juden in Mainfranken zu Beginn des 19.Jahrhunderts: Statistische Untersuchungen zu ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation, in: "Mittelfränkische Studien", Band 39/1987, Würzburg 1987, S. 19 ff.

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 89, S. 136

Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 3: Markt Berolzheim - Zeckendorf, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaiitach, Fürth 1998, S. 777 - 779

Cordula Kappner, Aus der jüdischen Geschichte des heutigen Landkreises Haßberge, Hrg. Landratsamt Haßberge, Haßfurt 1998

Cornelia Binder/Michael Mence, Nachbarn der Vergangenheit - Spuren von Deutschen jüdischen Glaubens im Landkreis Bad Kissingen mit dem Brennpunkt 1800 bis 1945, Selbstverlag, o.O. 2004

Westheim, in: alemannia-judaica.de (mit etlichen Bild- u. Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Knetzgau, in: alemannia-judaica.de

Michael Mösslein, Heimat nur für kurze Zeit, in: „Main-Post“ vom 24.10.2011 (Bericht über DPs)

Matthias Lewin (Red.), Westheim. Ein Koffer erinnert an die Deportationen, aus: „Main-Post“ vom 30.6.2020

Axel Töllner/Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Westheim bei. Haßfurt, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 577 - 593

Christiane Reuther (Red.), Ein Koffer voll Schmerz und Erinnerung, in: „Neue Presse“ vom 11.11.2021

Christiane Reuther (Red.), Zeitreise durch die Westheimer Geschichte: Warum Künstler Hannes Betz ein Buch über die Gemeinde geschrieben hat, in: „Main-Post“ vom 10.8.2022

Hannes Betz, Made in Westheimb – Dokumente des Lebens. Einblicke in ein bäuerliches Dorf vom 16.Jahrhundert bis zur Jahrtausendwende, Westheim 2022