Wallertheim (Rheinland-Pfalz)

Rheinhessen Bildergebnis für Wörrstadt kreis alzey-worms landkarte Wallertheim mit seinen derzeit ca. 1.800 Einwohnern ist ein Teil der Verbandsgemeinde Wörrstadt im Kreis Alzey-Worms (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 mit Eintrag von Wörrstadt, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Alzey-Worms', Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die Wurzeln einer kleinen jüdischen Gemeinde im Dorfe Wallertheim liegen im ausgehenden 17.Jahrhundert, als sich hier Familien unter der Herrschaft der Grafen von Leiningen ansiedelten. Erstmals wird bereits um 1555 die Existenz von zwei Juden am Ort genannt.

Die Wallertheimer Juden errichteten vermutlich Mitte des 19.Jahrhunderts ihren Synagogenbau – ganz in der Nähe der evangelischen Kirche; nach einem Um- oder Neubau wurde das Gebäude im September 1884 erneut eingeweiht.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20180/Wallertheim%20Synagoge%20188401.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20180/Wallertheim%20Synagoge%20188402.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20180/Wallertheim%20Synagoge%20188404.jpg

Über dem Eingang des aus Backsteinen erstellten Gotteshauses befand sich als Portalinschrift ein Zitat aus Psalm 118,20: "Dies ist das Tor zum Herrn, Gerechte ziehen durch es hinein".

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                       Ehem. Synagoge in Wallertheim, Aufn. um 1950   -   Gruppenbild vorm Synagogeneingang, um 1930 (Abb. Landesamt)

Zur Besorgung religiöser Aufgaben war ein Lehrer angestellt, der als Vorbeter und Schochet tätig war.

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   Stellenangebote aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8.März 1865, vom 25.März 1909 und vom 12.Febr. 1920

Ihre verstorbenen Angehörigen begrub die Gemeinde auf einem ihr 1840 zugewiesenen Gelände an der Wörrstädter Straße; zuvor stand ein bereits um 1640 angelegtes älteres Begräbnisareal „An der Oberen Pforte“ zur Verfügung, von dem sich heute kaum mehr Spuren finden. (Anm.: Dieses ältere Begräbnisareal wurde erst vor wenigen Jahren zufällig wiederentdeckt.)

Zur Kultusgemeinde Wallertheim, die dem Bezirksrabbinat Alzey zugeordnet war, gehörten ab 1910 auch die Juden aus Gau-Bickelheim (seitdem „Israelitische Kultusgemeinde Wallertheim - Gau-Bickelheim“).

Juden in Wallertheim:

         --- 1804 ..........................  28 Juden,

    --- 1824 ..........................  36   “  ,

    --- um 1850 ................... ca.  70   “  ,

    --- 1861 ..........................  61   “  ,

    --- 1900/05 .......................  54   “  ,

    --- 1931 ..........................  49   “  (in 18 Familien),

    --- 1933 (Dez.) ...................  36   "  ,

    --- 1940 (Dez.) ...................  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 341

und                 Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff, Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, S. 378

 

Die jüdischen Familien lebten in wirtschaftlich recht gesicherten Verhältnissen; sie waren im Vieh- und Getreide-, aber auch im Weinhandel tätig.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20264/Wallertheim%20Israelit%2005091901.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20179/Wallertheim%20FrfIsrFambl%2028041911.jpg gewerbliche Anzeigen von 1901 bzw. 1911

Durch  Abwanderung der jüdischen Einwohner wurde es bereits in den 1920er Jahren immer schwieriger, Gottesdienste abzuhalten.

                 Über diese missliche Situation berichtete die Zeitschrift „Der Israelit“ am 24. März 1927:

Wallertheim, 2. März   Der Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde Wallertheim erläßt an die Mitglieder der Gemeinde folgendes Rundschreiben:“ Ich habe Veranlassung als Vorstand unserer Kehilla Ihnen folgendes zu unterbreiten. Schon verschiedene Male mußten wir an Samstag Vormittagen die Pforten unserer Synagoge schließen, ohne unsere heiligen Gebete verrichten zu können. Ganz zu schweigen von den Freitag-Abenden, wo wir schon lange kein Minjan mehr bekommen. Die einst so blühende jüdische Gemeinde Wallertheim scheint demselben Schicksal verfallen zu sein, wie ihre Schwestergemeinden in Rheinhessen. Angesichts dieser betrübenden Tatsache ist es mir Bedürfnis, ein ernstes Wort in letzter Stunde an Sie zu richten. Wollt Ihr, daß Eure Kinder unserer heiligen Religion erhalten bleiben, daß die stolzen Traditionen unseres jüdischen Volkes hochgehalten werden, dann besinnt Euch auf Eure Pflicht! Legt ab die Gleichgültigkeit und gebt Euren Kindern das Beispiel von Menschen, die sich würdig ihrer Ahnen zeigen. Helft mit das Werk erhalten, auf das wir Wallertheimer immer stolz waren. Es ist ja nicht viel, was von Euch verlangt wird. Die paar Minuten, die der Gottesdienst erheischt, kann jeder opfern im Hinblick darauf, daß er einer großen Sache dient. Ich bin sicher, daß es nur dieses Hinweises bedurfte, um eine Änderung der seitherigen Zustände eintreten zu lassen und ich würde mich freuen, wenn mein Ruf nicht ungehört verhallt."

(Es ist tieftraurig, daß es so weit kommen kann, und auf der anderen Seite erfreulich, daß es noch Männer in der Gemeinde gibt, die so energisch zupacken, bevor noch alles verloren ist.  D. Red.).

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Wallertheim noch fast 50 Bewohner israelitischen Glaubens.

Der Versuch, im November 1938 die Synagoge durch Brandstiftung zu zerstören, misslang zwar, doch wurde die Inneneinrichtung demoliert; auf Grund der hohen Abbruchkosten überstand das Synagogengebäude die NS-Zeit. In einem Bericht an den Landrat (Oktober 1940) wurde vermeldet, dass „das Vermögen der israelitischen  Religionsgemeinde (Synagoge u. zwei Hofreite)  von der Civilgemeinde kostenlos übernommen wurde."

Bei den gewalttätigen Ausschreitungen, die auch mit Plünderungen verbunden waren, kam ein hochbetagter jüdischer Bewohner ums Leben. Bis 1940 verließen alle anderen Wallertheim und wurden dann teilweise von ihren neuen Wohnorten deportiert. 

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 26 gebürtige bzw. längere Zeit in Wallertheim ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/wallertheim_synagoge.htm).

 

In den 1950er Jahren erwarb die Kommune das ehemalige Synagogengebäude und baute es zum Rathaus um. Dort informiert heute eine bronzene Tafel darüber, dass das Gebäude früher der kleinen jüdischen Gemeinde als Synagoge gedient hatte.

 Gedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2005)

Der in der Wörrstädter Straße (hinter dem Ortsausgang) befindliche (neue) israelitische Friedhof weist heute noch ca. 40 Grabsteine auf. Von dem bereits gegen Mitte des 19.Jahrhunderts geschlossenen (alten) jüdischen Friedhof gibt es keine sichtbaren Hinweise mehr; die hier ehemals vorhandenen Grabsteine waren während der NS-Zeit abgeräumt und das Gelände eingeebnet worden.*

* Dem privaten Erwerber des ehem. Friedhofsgrundstücks wurde per Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz von 2014 eine Bebauung untersagt.

 

(neuer) jüdischer Friedhof in Wallertheim (Aufn. Günter Eisold und Karsten Ratzke, 2014, aus: wikipedia.org, CCO)

 

An vier Angehörige der jüdischen Familie Bronne erinnern in der kleinen Ortschaft Armsheim (nur wenige Kilometer südlich von Wallertheim) sog. „Stolpersteine“ daran, dass sie nach ihrer Deportation „in den Osten“ gewaltsam ums Leben kamen.

Armsheim Stolperstein Hauptstraße 40 Ludwig Bronne.jpgArmsheim Stolperstein Hauptstraße 40 Emilie Bronne.jpgArmsheim Stolperstein Hauptstraße 40 Gertrude Bronne.jpgArmsheim Stolperstein Hauptstraße 40 Ruth Bronne.jpgAufn. Alfons Tewes, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

 

In Gau-Bickelheim, heute ein Ortsteil der Verbandsgemeinde Wöllstein, ist erstmals 1429 eine jüdische Familie nachweisbar, die einen zeitlich befristeten Schutzbrief besaß. Ab Ende des 17.Jahrhunderts zogen weitere Familien nach und bildeten im Dorf eine Gemeinde, die jedoch stets klein blieb; sie zählte maximal 45 Personen. Um 1855 richtete man in einem Scheunengebäude einen Betraum ein; bereits zwei Jahrzehnte zuvor war ein kleiner Friedhof angelegt worden. Als Anfang des 20.Jahrhunderts die jüdischen Familien abwanderten, löste sich die Gemeinde auf; die wenigen verbliebenen schlossen sich der Kultusgemeinde Wallertheim an. Das Synagogengebäude in der Stühlhockergasse wurde um 1920 verkauft. 

 [vgl. Gau-Bickelheim (Rheinland-Pfalz)]  

 [vgl. auch dazu: Partenheim, Schornsheim und Wörrstadt (Rheinland-Pfalz)]                          

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 341 - 343

Dieter Hoffmann, “ ... wir sind doch Deutsche” . Zu Geschichte und Schicksal der Landjuden in Rheinhessen, Hrg. Stadt Alzey, Alzey 1992, S. 263

S. Fischbach/I. Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “ Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 378/379

Wallertheim, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Günter Eisold, Die jüdischen Friedhöfe in Wallertheim (Fotoband), 2014

Auflistung der Stolpersteine in Armsheim, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Armsheim