Villmar/Lahn (Hessen)

Datei:Villmar in LM.svg Der Marktflecken Villmar mit derzeit ca. 7.000 Einwohnern ist eine Kommune im mittelhessischen Landkreis Limburg-Weilburg - etwa zehn Kilometer östlich von Limburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Limburg-Weilburg', Hagar 2011, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Ansicht Villmars, Ausschnitt aus einem Flurplan, um 1740Villmar – Ausschnitt aus Flurplan, 1740 (Abb. Historische Ortsansichten, aus: lagis-hessen.de)

 

Gegen Mitte des 15.Jahrhunderts wird die Existenz von Juden in Villmar erstmals erwähnt; in den folgenden Jahrhunderten schienen nur sehr wenige jüdische Familien hier gelebt zu haben.

Seit Mitte der 1840er Jahre verfügten die Villmarer Juden im Obergeschoss eines in jüdischem Besitz befindlichen Wohnhauses in der Weilburger Straße über eine neueingerichtete Synagoge; sie bot etwa je 50 Männern und Frauen Platz; zuvor hatten gottesdienstliche Zusammenkünfte in verschiedenen Privathäusern stattgefunden. Im Erdgeschoss des Gebäudes war die Lehrerwohnung untergebracht.

1868 schlossen sich die Judenschaften von Villmar, Münster, Runkel und Weyer zu einem Schulverband zusammen. 1817 wurde erstmals eine „Judenschule“ an der Weede erwähnt. Die Besetzung der Lehrerstelle war zeitweilig einem häufigen Wechsel unterworfen, wie die Ausschreibungen im ausgehenden 19.Jahrhundert beweisen.

aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13.3.1890 u. 10.1.1901

Bis in die 1920er Jahre beerdigten die Villmarer Juden ihre verstorbenen Gemeindemitglieder auf dem jüdischen Friedhof am rechten Lahnufer in Arfurt - dort gab es aber keine jüdische Gemeinde.

 jüdischer Friedhof in Arfurt (Aufn. DIZer, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)  Datei:Jüdischer Friedhof bei Arfurt.jpg

Als dieser belegt war, fanden Begräbnisse auf einem eigenen Gelände in der Weilburger Straße (Ortsausgang Richtung Aumenau) statt.

Der jüdischen Kultusgemeinde Villmar waren die wenigen jüdischen Familien aus Aumenau, Runkel und Schadeck angeschlossen. Runkel hatte noch bis Ende des 19.Jahrhunderts eine eigene kleine Gemeinde besessen.

Juden in Villmar:

--- um 1640 ........................  2 jüdische Familien,

--- 1823 ........................... 12     “        “   ,

--- 1843 ........................... 68 Juden (ca. 4% d. Bevölk.),

--- 1885 ........................... 62   “  ,

--- 1895 ........................... 61   “  (ca. 3% d. Bevölk.),

--- 1905 ........................... 50   “  ,

--- 1924 ........................... 40   “  ,

--- um 1930 .................... ca. 10 jüdische Familien,

--- 1941 (Juni) .................... keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 325

und                  Lydia Aumüller, Zur Geschichte der Juden in Villmar

 

Die Juden Villmars sollen um 1900 überwiegend in gesicherten ökonomischen Verhältnissen gelebt haben; ihren Lebensunterhalt verdienten sie als Viehhändler, Metzger, Landwirte, Kleinkaufleute und auch als Handwerker.

Bereits vor dem Novemberpogrom von 1938 war die Synagoge in „arischen“ Besitz übergegangen; trotzdem wurde die Inneneinrichtung zerstört, auf die Straße geworfen und vernichtet. Auch Wohnungen jüdischer Bewohner wurden demoliert. Sechs Männer wurden festgenommen und ins Gefängnis nach Diez verbracht; von hier aus überstellte die Gestapo drei von ihnen ins KZ Buchenwald, die übrigen wurden nach zehn Tagen freigelassen. Etwa 20 jüdische Bewohner von Villmar konnten noch rechtzeitig emigrieren (nach England, Argentinien und in die USA); die letzten verbliebenen Juden wurden Anfang Mai 1941 deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 21 aus Villmar stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene Juden Opfer des Holocaust; aus Aumenau waren drei Personen betroffen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/villmar_synagoge.htm).

 

Am Standort des einstigen jüdischen Gotteshauses wurde eine Gedenktafel angebracht.

Während der NS-Zeit waren die wenigen Grabsteine des Villmarer Friedhofs abgeräumt worden und zunächst „verschwunden“. Unmittelbar nach Kriegsende stellte man den ursprünglichen Zustand wieder her. Auf Grund der kurzen Belegzeit (1934–1939) stehen hier nur wenige Steine.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20227/Villmar%20Friedhof%20173.jpgAm Eingang zum jüdischen Begräbnisplatz in Villmar (Aufn. J. Hahn, 2009) 

Aus Anlass des 50. Jahrestages des Novemberpogroms enthüllte man am jüdischen Friedhof ein marmornes Mahnmal mit der folgenden Inschrift:

Zum Gedenken an die 12 Mitbürger jüdischen Glaubens

ermordet während der Nazi-Zeit 1933 - 1945

1988       Gemeinde Villmar

            Gedenkstein am Eingang zum Friedhof (Aufn. J. Hahn, 2009)

2020 wurde im Marktflecken Villmar und im Ortsteil Weyer mit der Verlegung der ersten 19 von insgesamt 50 geplanten sog. „Stolpersteinen“ begonnen - so in der Grabenstraße (Fam. Ackermann) und in der Peter-Paul-Str. (Fam. Rosenthal). Vor dem Haus Grabenstraße 43 werden künftig allein sieben Stolpersteine liegen, die an Familienmitglieder der Löwensteins und Isenbergs erinnern, deren Angehörige (bis auf eine Ausnahme) deportiert und ermordet wurden.

(Abbildungen der bislang in Villmar verlegten Steine siehe: spd-villmar.de)

 

 

 

In Runkel lebten bereits um 1300 einige jüdische Familien, die vermutlich Opfer der Verfolgungen des 14.Jahrhundert geworden sind. Gegen Anfang des 18.Jahrhunderts gründete sich hier eine neue israelitische Gemeinde, die mit ihren gemeindlichen Einrichtungen - Synagoge, (zeitweilig) Religionsschule, Mikwe und Friedhof - Kristallisationspunkt jüdischen Lebens in der Region wurde; so gehörten bis ins 19.Jahrhundert auch die in Ennerich, Hofen und Schadeck – heute Stadtteile von Runkel - lebenden jüdischen Personen zur Runkeler Judengemeinde. Im Ort lebten um 1790 knapp 20 jüdische Familien; deren Zahl blieb in den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts nahezu konstant, ging dann aber bald zurück; nach 1850/1860 verlor die jüdische Gemeinde Runkel ihre Autonomie, und die wenigen hier verbliebenen Familien schlossen sich um 1900 der Kultusgemeinde Villmar an. Das bereits Jahrzehnte lang ungenutzte Synagogengebäude soll um 1915 abgebrochen worden sein. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Runkel nur noch vier Bewohner mosaischen Glaubens.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem ist nachweislich eine in Runkel ansässig gewesene Jüdin Opfer des Holocaust geworden.

2011 wurde im Rathaus eine Gedenktafel angebracht, die der 1942 ermordeten Jüdin Lenchen Henrich geb. Oppenheimer gewidmet ist.

Das Gelände des jüdischen Friedhofs – am Lahn-Höhenweg zwischen Runkel und Ennerich gelegen – ist heute völlig von altem Baumbestand eingenommen.

Jüdischer Friedhof bei Runkel (Aufn. DIZer, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

                 Jüngst wurde in einem Gewölbekeller ein rituelles Tauchbad entdeckt.

Möglicherweise sollen künftig auch in Runkel sog. „Stolpersteine“ an Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnern (Stand 2020).

 

 

 

Seit 2015 findet man in Brechen (wenige Kilometer südlich von Villmar) einige „Stolpersteine, die an zwei Standorten in der Langen Straße an Angehörige der jüdischen Familien Stern erinnern.

Stolperstein Jette Stern, 1, Lange Straße 2, Oberbrechen, Brechen, Landkreis Limburg-Weilburg.jpgStolperstein Siegfried Stern, 1, Lange Straße 2, Oberbrechen, Brechen, Landkreis Limburg-Weilburg.jpgStolperstein Sophie Stern, 1, Lange Straße 2, Oberbrechen, Brechen, Landkreis Limburg-Weilburg.jpgStolperstein Moses Stern, 1, Lange Straße 14, Oberbrechen, Brechen, Landkreis Limburg-Weilburg.jpgStolperstein Dora Stern, 1, Lange Straße 14, Oberbrechen, Brechen, Landkreis Limburg-Weilburg.jpg Aufn. G., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

Im zur heutigen Großgemeinde Villmar zählenden Ort Weyer existierte auch eine kleine jüdische Religionsgemeinde.

[vgl.  Weyer (Hessen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 325 - 327

Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945?, Königstein i.T. 1988, S. 98/99

Lydia Aumüller, ‘Die Vergangenheit lehrt uns, nicht zu vergessen ...’ Zur Geschichte der Villmarer Juden, in: Bilder zur Geschichte Villmars 1053 - 2003, Villmar 2003, S. 170 – 177

Lydia Aumüller, Judenfriedhof war 1945 leer geräumt, Maschinenmanuskript (Nov. 2003)

Lydia Aumüller, Zur Geschichte der Juden in Villmar, in: Juden im Kreis Limburg-Weilburg, Schriftenreihe zur Geschichte und Kultur des Kreises Limburg-Weilburg, 1991

Villmar, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Runkel, in: alemannia-judaica.de

Jüdischer Friedhof in Villmar, in: cjz-limburg.de

Christa Pullmann/Eugen Caspary (Hrg.), Aus dem Leben der Juden in Runkel 1315 – 1938.  Zur 850-Jahrfeier der Stadt Runkel, Runkel 2009

N.N. (Red.), Jüdischer Friedhof - Der 'vergessene' Villmarer Friedhof, in: "Nassauische Neue Presse" vom 25.2.2016

Christiane Müller-Lang (Red.), Villmar bekommt 50 Stolpersteine, in: mittelhessen.de vom 21.5.2019

Auflistung der in Brechen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Brechen

Jürgen Weil - Marktflecken Villmar (Hrg.), Stolpersteine, online abrufbar unter: marktflecken-villmar.de/marktflecken/stolpersteine (2020)

Christiane Müller-Lang (Red.), Stolpersteine erinnern in Weyer an die Opfer der NS-Zeit, in: mittelhessen.de vom 23.1.2020

Kerstin Kaminsky (Red.), Stolpersteine bald auch in Runkel, in: mittelhessen.de vom 26.5.2020

Kerstin Kaminsky (Red.), Runkel: Heimatforscher findet rituelles Tauchbad im Gewölbekeller, in: mittelhessen.de vom 25.2.2021

Rolf Goeckel (Red.), Villmar: 16 neue Stolpersteine erinnern an NS-Opfer, in: „Frankfurter Neue Presse“ vom 3.5.2021

Christiane Müller-Lang (Red.), Villmar stemmt sich gegen das Vergessen: Weitere 16 Stolpersteine finden ihren Platz, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 12.5.2022

Christiane Müller-Lang (Red.), Erinnerung in der Lahnstraße in Aumenau, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 19.7.2022