Spiesen (Saarland)

Lage der GemeindenGrosbliederstroff und KleinblittersdorfDatei:Spiesen-Elversberg in NK.svg  Spiesen ist heute ein Teil der saarländischen Kommune Spiesen-Elversberg/Landkreis Neunkirchen mit derzeit etwa 13.000 Einwohnern - etwa 15 Kilometer nordöstlich von Saarbrücken gelegen (Kartenskizzen 'Großraum Saarbrücken', aus: wikiwand.com/de/Freundschaftsbrücke und 'Landkreis Neunkirchen', Hagar 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die Zahl der in Spiesen lebenden Juden wuchs in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts stark an: Lebten um 1790 hier drei jüdische Familien, die Schutzbriefe des Fürsten Ludwig von Nassau-Saarbrücken besaßen, zählte man um 1850 knapp 80 jüdische Bewohner. Seit etwa 1820 verfügte die Judenschaft Spiesens über ein als Schule und Synagoge genutztes Gebäude; 1861 weihte die Gemeinde eine neue Synagoge ein, die aber nur etwa 40 Jahre in Nutzung war, da ab diesem Zeitpunkt wegen der fehlenden Gemeindemitglieder kein Minjan mehr zustande kam. 1935 wurde die Synagoge aufgegeben.

                            Synagoge in Spiesen (Skizze M. Wolff, 1981, in: Landesamt)

Über die Einweihung der Synagoge berichtete die Regionalzeitung wie folgt:

Spiesen, 12.Mai 1861. Am Freitag, den 5.d.Mts. fand seitens der hiesigen israelischen Gemeinde der Umzug aus der alten in die nunmehr vollendete neue Synagoge und die Einweihungsfeier der letzteren statt. Die Straßen, durch welche der Zug sich bewegte, waren mit Laubholz und einige Häuser mit Blumen und Fahnen geziert. Es hatten sich viele Gäste eingefunden, .... Nachdem Herr Konsistorial-Rabbiner J. Kahn aus Trier in der alten Synagoge eine zu Herzen aller sprechende Abschiedsrede gehalten hatte, setzte sich der Zug um 3 1/2 Uhr von der alten Synagoge aus in Bewegung. Voran ging die israelitische und evangelische Schuljugend, zum Teil bunte Fahnen tragend. Ihr folgte ein Musik-Korps, dann die Träger der heiligen Thora-Rollen ... Sodann kam der Oberrabbiner Herr J. Kahn mit den Beamten und dem Vorstande. Ihnen schlossen sich an die Gemeinde mit den übrigen Teilnehmern. ... An der Treppe der neuen Synagoge angekommen, wurde nach Überreichung des Schlüssels ... vom Bürgermeister aus Neunkirchen ... die Synagogenthüre geöffnet und nach einer kurzen und begeisterten Ansprache des Herrn Ober-Rabbiners der Einzug in das neue Gotteshaus gehalten.

Im Keller des Synagogengebäudes befand sich die Mikwe.

Während der 1870er Jahre existierte in Spiesen eine jüdische Privatschule; danach besuchten die jüdischen Kinder die protestantische Ortsschule.

      http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20190/Spiesen%20Israelit%2002041908.jpg Stellenanzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. April 1908

Prägend für die jüdische Gemeinde Spiesen soll der starke Zusammenhalt ihrer Angehörigen gewesen sein.

Gemeinsam mit den Juden aus Neunkirchen legte man Anfang der 1830er Jahre einen eigenen Friedhof auf der Spieser Höhe an; bis zu diesem Zeitpunkt waren Verstorbene in Illingen beerdigt worden.

                  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20375/Spiesen-Elversberg%20Friedhof%20080.jpg jüdischer Friedhof auf der Spieser Höhe (hist. Aufn., um 1935)

Juden in Spiesen:

         --- um 1790 .....................  3 jüdische Familien,

    --- 1833 ........................ 59 Juden,

    --- 1849 ........................ 76   “  (ca. 9% d. Bevölk.),

    --- 1890 .................... ca. 90   "  ,

    --- 1900 ........................ 66   “  ,

    --- 1927 ........................ 22   “  ,

    --- 1936 ........................ 14   “  ,

    --- 1937 ........................  keine.

Angaben aus: Hans-Jürgen Geischer, Die jüdischen Familien in Spiesen

 

Bestimmender Wirtschaftsfaktor der Juden in Spiesen war bis ins 19.Jahrhundert der Viehhandel; daneben wurde aber auch Ackerbau betrieben. In der Bevölkerung genossen die Juden Spiesens allgemeine Anerkennung; dies bewies ihr Engagement in zahlreichen lokalen Vereinen und Organisationen. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts setzte eine Abwanderung der Spiesener „Landjuden“ in die industriellen Zentren der Region ein.

Nach der „Rückkehr der Saar ins Reich” 1935 fasste auch in Spiesen die antisemitische Politik schnell Fuß; antijüdische Aktionen - wie die Zerstörung des Inventars der Synagoge - verunsicherten und verängstigten die wenigen noch hier lebenden jüdischen Familien. Die letzten 14 Spiesener Juden verließen 1936 ihr Dorf.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden mindestens 14 gebürtige bzw. länger am Ort lebende Juden Spiesens Opfer der Shoa (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/spiesen_synagoge.htm oder wikipedia.org/wiki/Synagoge_(Spiesen).

 

Das bekannteste Gebäude einer jüdischen Familie ist das heute unter Denkmalschutz stehende Haus Lion in der Nachbarschaft des jetzigen Rathauses und der ehemaligen Synagoge.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2049/Neunkirchen%20Friedhof%20052.jpgJüdischer Friedhof Spieser Höhe (Aufn. J. Hahn, 2004)

Auf dem jüdischen Friedhof auf der Spieser Höhe findet man ein großes Gräberfeld, auf dem 81 sowjetische Kriegsgefangene und 153 Zwangsarbeiter begraben sind. 1975 wurde in die Friedhofsmauer eine Gedenktafel eingelassen, die die Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die im 2. Weltkrieg verstorbenen russ. Zivilinternierten." (!)

 

[vgl. Neunkirchen (Saarland)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Hans-Jürgen Geischer, Juden und Christen in Spiesen im 19.Jahrhundert, in: "Spiesen-Elversberger Heimatkalender 1981"

Hans-Jürgen Geischer, Die Spiesener Judengemeinde, in: "Spiesen-Elversberger Heimatkalender 1983", S. 59 f.

Hans-Jürgen Geischer, Liste der jüdischen Familien in Spiesen, in: "Spiesen-Elversberger Heimatkalender 1983", S. 141 - 145

H.Jochum/J.P.Lüth (Hrg.), Jüdische Friedhöfe im Saarland. Informationen zu Orten jüdischer Kultur. Ausstellungsführer, Saarbrücken 1992, S. 37/38

Werner Weckler, Die Juden in Spiesen, in: Heimatbuch von Spiesen-Elversberg zur 800-Jahr-Feier im Jahre 1995, Ottweiler 1995, S. 205 - 213

Ulrike Puvogel/Martin Stankowski (Bearb.), Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, Band 1, Bonn 1995, S. 704 

Spiesen (Saarland), in: alemannia-judaica.de

Synagoge Spiesen mit Nennung der Opfer der NS-Herrschaft, in: wikipedia.org/wiki/Synagoge_ (Spiesen)

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 462/463

Stephan Friedrich, Wir sind Dornen geworden in fremden Augen – Die Geschichte der Juden von Spiesen, hrg. von der Gemeinde Spiesen 2011