Sontheim (Baden-Württemberg)

Bildergebnis für landkreis heilbronn ortsdienst karte  Datei:HeilbronnKarteSontheim.png Sontheim ist seit 1938 ein Stadtteil von Heilbronn (Kartenskizzen 'Landkreis Heilbronn', aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/landkreis-heilbronn  und  'Stadtteile von Heilbronn', S. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CCO).

 

Ob bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts Juden im Dorfe Sontheim ansässig waren, kann nicht eindeutig belegt werden. Angeblich soll der Sontheimer Pfarrer während des Pogroms 1348/1349 die hiesigen Juden in Schutz genommen haben; als Dank dafür soll die jüdische Gemeinde - bis ins 20.Jahrhundert hinein - alljährlich zu Neujahr dem katholischen Ortspfarrer einen Geldbetrag gestiftet haben. Sichere urkundliche Belege, dass jüdische Familien von der hiesigen Landesherrschaft, dem Deutschen Orden, die Genehmigung zur Ansiedlung erhielten, stammen erst aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts; sie mussten alle sechs Jahre neue Schutzbriefe beantragen und ein jährliches Schutzgeld von 15 Gulden entrichten. Außerdem waren sie verschiedenen Restriktionen unterworfen, z.B. auf dem Handelssektor oder bei der Beherbergung nicht ortsansässiger Juden. Die Juden, die sich nach 1760/1780 hier niederließen, waren zumeist wohlhabende Kaufleute; sie nutzten von hier aus die Möglichkeit, in der nahen Reichsstadt Heilbronn ihre Geschäfte zu tätigen. In Heilbronn bestand über lange Zeit ein Niederlassungsverbot für Juden, die von der christlichen Konkurrenz teilweise auch aggressiv abgelehnt wurden.

Zu Beginn ihrer Ansässigkeit in Sontheim war den jüdischen Familien die Einrichtung eines Betraumes gestattet worden, erstmals 1672 erwähnt; ein Lehrer und Rabbiner soll ab Beginn des 18.Jahrhunderts in Sontheim gewirkt haben. In den 1770er Jahren wurde im „Judengängle“, längs des Deinenbachs, im Obergeschoss eines Privathauses ein neuer Betsaal eingerichtet; dieser wurde 1827 an gleicher Stelle durch einen Synagogenneubau ersetzt.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2039/Sontheim%20Synagoge%20002.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2039/Sontheim%20Synagoge%20001.jpg Synagoge in Sontheim (hist. Aufn., um 1930)

Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch eine Mikwe, die in den 1860er Jahren nahe der Synagoge entstand. Die jüdischen Kinder besuchten ab den 1830er Jahren bis 1924 eine eigene Schule.

Lange Zeit fanden verstorbene Juden aus Sontheim ihre letzte Ruhe auf dem jüdischen Friedhof in Affaltrach. In den 1840er Jahren legte man einen eigenen Begräbnisplatz vor dem Ort an. Auf diesem Friedhofsareal wurden auch die Juden aus Horkheim und Talheim, anfangs auch die aus Heilbronn, begraben.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images3/Sontheim%20Friedhof1932.jpg Teilansicht des jüdischen Friedhofs (hist. Aufn., um 1925/1930)

Im Zuge der Neuorganisation der jüdischen Gemeinden in Württemberg waren die Horkheimer Juden 1832 der Kultusgemeinde Sontheim zugewiesen worden.

Die jüdische Gemeinde Sontheim gehörte seit etwa 1830 zunächst dem Rabbinat Lehrensteinfeld, ab 1867 dem Rabbinat Heilbronn an.

Juden in Sontheim:

         --- 1692 ...........................   5 jüdische Familien,

    --- 1710 ...........................   7     “        “   ,

    --- um 1750 ........................  15     “        “   ,

    --- 1818 ........................... 129 Juden,

    --- 1828 ...........................  88   “  ,

    --- 1846 ........................... 113   “  ,

    --- 1855 ...........................  80   “  ,

             ........................... 220   “  ,*     * Kultusgemeinde (Horkheim/Heilbronn)

    --- 1870 ...........................  46   “  ,

    --- 1900 ...........................  46   “  ,

    --- 1910 ...........................  72   “  ,**    ** incl. Bewohner des Landesasyls

    --- 1933 ...........................  65   “  ,**

    --- 1939 ...........................   ?   “  .

Angaben aus: W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, S. 218

Blick auf das Dorf Sontheim, um 1880 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Die jüdischen Familien lebten zunächst vor allem vom Vieh- und Pferdehandel sowie vom Frucht- und Wollhandel. Seit dem 19. Jahrhundert gehörten ihnen mehrere Handels- und Gewerbebetriebe am Ort. Zu den größten Arbeitsgebern am Ort gehörte die „Mechanische Schuhfabrik Wolf und Comp.“ (Markenname "WOLKO"); diese besaß zu Beginn des 20.Jahrhunderts etwa 800 Beschäftigte.

         

 Schuhfabrik Wolf & Co. - Firmenbriefkopf              -             Reklametafel für WOLKO-Schuhe

Ein weiterer größer Industriebetrieb war die „Mechanische Zwirnerei Karl Ackermann und Cie.“

Namensaktie der Zwirnei Ackermann AG (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Mitte des 19.Jahrhunderts wanderten zumeist die wohlhabenderen jüdischen Familien nach Heilbronn ab.

Als überregionale Einrichtung bestand seit 1907 in Sontheim das israelitische Landesasyl „Wilhelmsruhe”, ein Altersheim. Anlässlich seiner Einweihung berichtete die Zeitschrift „Der Israelit" in ihrer Ausgabe vom 30.Mai 1907: „Sontheim, 22. Mai. An die israelitische Waisenanstalt Wilhelmspflege in Eßlingen hat sich nunmehr ein weiteres humanitäres jüdisches Institut, das Württemb. Landesasyl Wilhelmsruhe in Sontheim, würdig angereiht. Die Einweihung desselben gestaltete sich zu einer erhebenden Feier. Nachdem nach 12-jähriger rühriger Tätigkeit des Ausschusses des israelitischen Landesasyls der Gedanke, ein Altersheim in Württemberg für württemb. ältere erwerbsunfähige Israeliten männlichen und weiblichen Geschlechts zu gründen, vor einigen Tagen durch die Vollendung eines auf einer Anhöhe mit weithin schauender Aussicht in nächster Nähe des hiesigen Ortes gelegenen schönen Baues sich verwirklicht hatte, versammelten sich jetzt die Mitglieder des Ausschusses, viele geladenen Gäste und ein zahlreiches Publikum aus Nah und Fern, um die Feier der Einweihung festlich zu begehen. ...“

 

In der Zeit des Nationalsozialismus fand hier eine größere Zahl älterer Juden aus ganz Südwestdeutschland Unterkunft. Vermutlich gab es in dieser Einrichtung auch einen Betsaal. Während des Novemberpogroms von 1938 wurden am Gebäude Zerstörungen vorgenommen. Ende 1940 wurde das Heim zwangsgeräumt; die Insassen wurden in andere Altersheime oder Orte verbracht.

Isr. Landesasyl „Wilhelmsruhe” (hist. Postkarte, um 1910, Stadtarchiv Heilbronn)

Die Sontheimer Synagoge blieb im November 1938 - dank Eingreifens eines Sontheimer Bürgers - unzerstört; das Gebäude diente im Zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangenenlager, nach 1949 als Wohnhaus.

In Sontheim bestand die jüdische Gemeinde bis 1939.

Von den aus Sontheim stammenden Juden kamen nach Angaben der Gedenkstätte Vad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." 13 Personen gewaltsam ums Leben. Von den Insassen des Landesasyls wurden fast 120 Menschen ermordet.

 

Im Rahmen der Ortssanierung wurde das ehemalige Synagogengebäude 1985 abgerissen, das Gelände anschließend überbaut. Im Frühjahr 1988 wurde am Synagogenplatz in Anwesenheit des Stuttgarter Landesrabbiners ein Gedenkstein mit Tafel zur Erinnerung an das Synagogengebäude aufgestellt, der folgende Inschrift trägt:

Aufn. P. Schmelzle, 2007

Nach wechselvoller Geschichte beherbergt das Gebäude der ehem. „Wilhelmsruhe“ die Alice-Salomon-Schule für Kinder mit besonderem Erziehungsbedarf.

2015 wurde am jüdischen Friedhof - das Gelände hat eine Fläche von ca. 3.000 m² und weist noch mehr als 300 Grabsteine auf - eine Hinweistafel platziert, die über die Geschichte der Begräbnisstätte Auskunft gibt. 

   von Efeu umrahmte Grabmäler (Aufn. S. 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

BetOlamin Sontheim 31.jpgBetOlamin Sontheim 38.jpgBetOlamin Sontheim 35.jpgStelen (Aufn. סרנג, aus: commons.wikimedia.org, CCO)

In Heilbronn und seinen Stadtteilen findet man zahlreiche in den Gehwegen eingelassene Stolpersteine für Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft; in Sontheim erinnern Steine an Angehörige der Fam. Kirchheimer (Hofwiesenstr.), an das Ehepaar Israel (Parkstraße) und an das Ehepaar Maier (Hauptstraße).

         verlegt in der Parkstraße (Aufn. aus: tracesofwar.com/)

                                    ... und in der Hofwiesenstraße Tod in Riga (Aufn. aus: stimme.de)

 

 

 

Weitere Informationen:

Hans Franke, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn. Vom Mittelalter bis zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgungen (1050 - 1945), in: "Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn", No. 11, Heilbronn 1963, S. 168 - 181

Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S. 101 - 103

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 317

W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte - Schicksale - Dokumente, in: Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn, Band 1, Hrg. Landkreis Heilbronn, 1986, S. 213 - 221

Dan Bondy, Jüdischer Friedhof in Heilbronn-Sontheim, Heilbronn 1990 (Maschinenmanuskript)

Deutsch-Jüdischer Freundeskreis Heilbronn e.V. (Hrg.), Warum die Synagogen brannten ... Eine lokalhistorische Dokumentation zur Erinnerung an die jüdischen Gemeinden in Heilbronn und Umgebung und ihre Zerstörung nach 1933, 2. Aufl., Heilbronn 1993

Sontheim, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 196 – 198

Gertrud Schubert (Red.), Tod in Riga, in: „Stimme“ vom 12.12.2018 (betr. Stolpersteine für Fam. Kirchheimer)

Auflistung der in Heilbronn und seinen Stadtteilen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Heilbronn

Sabine Friedrich (Red.), Jüdischer Friedhof in Sontheim ist eine Quelle für Orts- und Familiengeschichte Talheims, in: „Heilbronner Stimme“ vom 21.8.2021

In der epigraphischen Datenbank des Steinheim-Institutes in Duisburg findet sich eine Dokumentation des jüdischen Friedhofes in Heilbronn-Sontheim