Rotenburg/Wümme (Niedersachsen)

Familienforschung im Elbe-Weser-Dreieck - GeschichteDatei:Rotenburg in ROW.svg Rotenburg (Wümme) ist eine Stadt mit derzeit ca. 22.000 Einwohner im nordöstlichen Niedersachsen – im Städtedreieck zwischen Bremen, Hannover und Hamburg nordöstlich voin Verden/Aller gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: elbe-weser-forschung.de  und  Kartenskizze 'Landkreis Rotenburg', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Rotenburg a.d.Wümme besaß bis ins beginnende 20.Jahrhundert eine winzige jüdische Gemeinde. Erste Familienhatten sich nach 1750 hier niedergelassen; eine Synagogengemeinde, die Familien aus dem gesamten Amtsbezirk Rotenburg (mit Scheeßel und Visselhövede) umfasste, bildete sich im Jahre 1812; 1816 waren dies neun Familien mit ca. 50 Personen. Synagoge und Schule - letztere existierte nur wenige Jahrzehnte -, ebenso ein kleines Friedhofsgelände am Imkersfeld gehörten zu den gemeindlichen Einrichtungen. Eine kurzzeitig in Rotenburg bestehende Schule war bereits um 1840 aufgelöst, die wenigen Kinder dem Schulverand im benachbarten Ottersberg angeschlossen worden.

Bereits in den 1860er Jahren hatte sich das Ende der winzigen Synagogengemeinde abgezeichnet; doch ein Anschluss an die Gemeinde Ottersberg scheiterte am Widerstand zweier Familien. Erst 1933 (!) wurde das endgültige Ende der Rotenburger Gemeinde offiziell vollzogen.

Die einzige jüdische Familie, die bis in die NS-Zeit in Rotenburg verblieb, war die der Cohns. 1939 verließ sie den Ort und verzog nach Berlin; während den Töchtern die Emigration gelang, wurden die Eltern 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Der kleine jüdische Friedhof, auf dem während des Krieges sowjetische Kriegsgefangene in einem Massengrab beerdigt worden waren, wurde 1947 wieder hergerichtet; ein Denkmal mit namentlicher Nennung der hier ca. 40 begrabenen Soldaten erinnert an sie. Auf dieser Begräbnisstätte – sie liegt im Bereich „Rönnebrocksweg/Imkersfeld“ - befinden sich auf einer ca. 600 m² großen Fläche ca. 15 Grabsteine von verstorbenen Juden aus Rotenburg und Umgebung; letztes Begräbnis war hier im Jahre 1927. Nach 1945 wurden die umgeworfenen und geschändeten Grabsteine wieder aufgerichtet. Eine Hinweistafel informiert seit 1991 in aller Kürze über die Geschichte des Friedhofs.

 Jüdischer Friedhof Rotenburg Wümme 2011 PD 29.jpgGräberreihe ( alle Aufn. 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Jüdischer Friedhof Rotenburg Wümme 2011 PD 23.jpgJüdischer Friedhof Rotenburg Wümme 2011 PD 21.jpgJüdischer Friedhof Rotenburg Wümme 2011 PD 16.jpgJüdischer Friedhof Rotenburg Wümme 2011 PD 12.jpg

 

Im Jahre 2009 wurde der Grundstein für den Wiederaufbau der „Cohn’schen Scheune“ gelegt, nachdem ein Förderverein mit engagierten Bürgern den Weg dafür freigemacht hatte. Zwar an anderer Stelle errichtet (etwa 100 Meter vom Originalstandort entfernt ) soll das 2010 fertiggestellte, überwiegend aus Spendengeldern finanzierte Gebäude an die letzte jüdische Familie Rotenburgs erinnern. Als Gedenkstätte, Ort der Begegnung und kleines jüdisches Museum ist das Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich.

Anm.: Seit dem 19. Jahrhundert beherbergte das Gebäude eine Schneiderwerkstatt; bis 1934 diente es als Werkstatt und Lager für die stadtbekannte Textilhandlung der Familie Cohn.

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"Cohn-Scheune" vor und nach der Sanierung (Aufn. B. Haase, 2004 und M. Wichmann 2010, aus: wikipedia.org CCO)

Vor der Rotenburger Cohn-Scheune befindet sich seit 2016 ein Mahnmal des Künstlers Matthias Bantz.

In Höhe des Cohn´schen Hauses (Große Straße) wurden im Jahre 2005 die ersten sechs sog. „Stolpersteine“ in Rotenburg verlegt. Vier davon erinnern an die Familie des Schneidermeisters Hermann Cohn; die anderen beiden Steine sind dem Angedenken an zwei Angestellte gewidmet.

Gertrud Cohn Hermann Cohn Bernhard Heilbronn Erna Appel Paul Immermann

"Stolpersteine" in Rotenburg, Große Straße und Lindenstraße (Abb. aus: wikipedia.org, CCO)

Zum Gedenken der Opfer der Eugenik wurden vor dem Eingang des Diakoniekrankenhauses ebenfalls „Stolpersteine“ in den Gehweg eingefügt.

 

 

In Sottrum – heute eine Samtgemeinde im Landkreis Rotenburg wenige Kilometer westlich der Kreisstadt – haben nur einzelne jüdische Familien gelebt.

Für die alteingesessene jüdische Familie Moses* wurden in der Großen Straße jüngst vier weitere „Stolpersteine“ verlegt (2024); u.a. engagierten sich für dieses Projekt Oberstufen-Schüler/innen einer AG des Gymnasium.

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verlegt in der Großen Straße (Aufn. Sänger, 2024, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

* Die Familien von Rudolf und Albert Moses, zwei Cousins, betrieben jeweils Schlachtereigeschäfte an der Großen Straße. Während der NS-Zeit gelang Albert Moses, seiner Frau Ida und den beiden Töchtern 1939 die Emigration in die USA. Rudolf Moses wurde im Nov. 1941 ins Ghetto Minsk deportiert, wo er verstarb.

 

 

 

Weitere Informationen:

Jürgen Bohmbach, Die Juden im alten Regierungsbezirk Stade 1848 - 1945, in: "Stader Jahrbuch", 67/1977, S. 31 – 76

Klaus Peter Schulz, Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Rotenburg/Wümme, Kreisheimatmuseum Osterholz 1985

N.N. (Red.), „Der Leidensweg der Cohns hat hier bei uns in Rotenburg begonnen.“ Stolpersteine im Rat einstimming abgesegnet, in: „Rotenburger Rundschau“ vom 20.12.2004

Jürgen Bohmbach (Bearb.), Rotenburg, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1325 – 1328 (Rotenburg/Wümme)

Manfred Wichmann (Hrg.), Jüdisches Leben in Rotenburg. Begleitbuch zur Ausstellung in der Cohn-Scheune, Heidenau 2010

Wibke Woyke (Red.), Ein Mosaik jüdischer Geschichte, in: „Jüdische Allgemeine“ vom13.9.2010

Cohn-Scheune – jüdisches Museum und Kulturwerkstatt, online abrufbar in: cohn-scheune.de

Cohn-Scheune – Flyer, 2012

Wibke Woyke, Jüdisches Leben an der Wümme. Aus einem Bürgerprojekt ist ein anerkanntes Museum geworden, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 26.7.2012

Wibke Woyke, Ein Museum an der Wümme. Seit fünf Jahren zeigt die Cohn-Scheune jüdisches Leben der kleinen Stadt in Niedersachsen, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 24.12.2015

Uwe Buschmann (Red.), Dokumentation des jüdischen Lebens – Matthias Bantz schafft eine neue Skulptur für die Cohn-Scheune, in: „Rotenburger Kreiszeitung“ vom 10.11.2016

Dennis Bartz (Red.), Neues Mahnmal vor der Rotenburger Cohn-Scheune – Kunstwerk von Bantz, in: „Rotenburger Rundschau“ vom 11.11.2016

Auflistung der in Rotenburg verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Rotenburg_(Wümme)

Jens-Christian Wagner (Bearb.), ROTENBURG (Wümme) – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/rotenburg-wuemme/

jt (Red.), Stolpersteine gegen das Vergessen, in: „Rotenburger Rundschau“ vom  29.1.2021

Wieland Bonath (Red.), Buch erzählt Geschichte der Cohn-Familie weiter, in: „Kreiszeitung“ vom 15.4.2021

Inge Hanse-Schaberg (Hrg.), Weitererzählen - Die Cohn-Scheune – Jüdisches Museum und Kultuswerkstatt“, Verlag Hentrich & Hentrich, Leipzig 2021

Claudia Coppert (Bearb.), Ländliches Jüdisches Leben von der Ansiedlung bis zur Vertreibung: Fünf Generationen der Familie Seligmann und Moses in Sottrum, in: „Weitererzählen: die Cohn-Scheune – Jüdisches Museum und Kulturwerkstatt", Verlag Hentrich&Hentrich, Leipzig 2021, S. 82 - 136

Tom Gath (Red.), Gegen das Vergessen: Vortrag über jüdische Vergangenheit Sottrums, in: „Kreiszeitung“ vom 21.9.2022

Inge Hansen-Schaberg (Bearb.), Zur Lebensgeschichte von Siegmund Julius Cohn (1878-1959) und seiner Familie, in: „Rotenburger Schriften“ Bd. 103/2023, S. 164 - 182

Matthias Röhrs (Red.), Stolpersteine sollen an die jüdische Familie aus Sottrum erinnern, in: „Kreiszeitung“ vom 12.1.2024

Lars Köppler (Red.), Stolpersteine verlegt: Gedenken an jüdische Familie Moses in Sottrum, in: „Weser-Kurier“ vom 23.2.2024