Rodenberg (Niedersachsen)

 Bildergebnis für landkreis Schaumburg karte ortsdienstRodenberg mit derzeit ca. 6.600 Einwohnern ist eine Samtgemeinde im niedersächsischen Landkreis Schaumburg – östlich von Stadthagen bzw. ca. 35 Kilometer südwestlich der Landeshauptstadt Hannover gelegen (hist. Karte der Grafschaft Schaumburg mit Sachsenhagen, Z. 2013, aus: wikipedia.org, CC BY 2.5 und  Kartenskizze 'Landkreis Schaumburg' ohne Eintrag von Rodenberg, aus: ortsdienst.de/niedersachsen/landkreis-schaumburg).

 

1615 wurde Rodenberg vom Grafen Ernst von Schaumburg zur Stadt erhoben. Juden siedelten sich hier erstmalig in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts an. Im nahen Dorfe Grove - vor den Toren Rodenbergs - werden jüdische Familien bereits Mitte des 16.Jahrhunderts erwähnt. Um 1745 lebten sieben jüdische Familien - ausgestattet mit hessischen Schutzbriefen - im Raum um Rodenberg; in der Stadt selbst waren Juden erst seit 1760 ansässig. Mehr als 100 Jahre später zählte die Rodenberger Judenschaft etwa 90 Personen, die damit ungefähr ein Viertel aller in der Grafschaft Schaumburg ansässigen Juden ausmachte. Durch Aus- und Abwanderung sank ihre Zahl gegen Ende des 19.Jahrhunderts auf nur noch etwa 20 Personen.

Eine erste Betstube richtete ein Mitglied der kleinen jüdischen Gemeinschaft nach 1760 in einem Raume seines Privathauses an der Langenstraße ein. Um 1815 erwarb die Gemeinde ein Gebäude in der Hinterstraße, das als Schulhaus genutzt wurde und zudem als Wohnung des jüdischen Lehrers diente. Auf dem Grundstück in der Hinterstraße ließ die Gemeinde wenig später eine Synagoge erbauen, die im September 1819 eingeweiht wurde; doch 40 Jahre danach fiel das Gebäude einem Großbrand zum Opfer; danach erfolgte ein Neubau.

Eine jüdische Elementarschule existierte in Rodenberg seit 1835; doch mit dem steten Rückgang der jüdischen Bevölkerung bzw. der Schülerzahlen wurde auch die Schule überflüssig und 1908 endgültig geschlossen.

Verstorbene Juden aus Rodenberg sollen eine Zeitlang auf einem Gelände in Stadthagen begraben worden sein. Über einen eigenen Begräbnisplatz verfügte man seit ca. 1830; dieser befand sich am Osthang des Rodenberges und diente auch Juden aus Orten der Umgebung wie Apelern, Beckedorf, Hohnhorst und Groß Nenndorf als letzte Ruhestätte.

Juden in Rodenberg:

         --- um 1745 .......................  7 jüdische Familien,*   * mit Schutzbriefen

    --- 1823 .......................... 16     “       “    ,*

    --- 1823 .......................... 92 Juden,**               ** incl. Grove

    --- 1861 .......................... 93   “  ,

    --- 1895 .......................... 24   “  ,

    --- 1909 .......................... 46   “  ,

    --- 1925 .......................... 11   “  ,

    --- 1933 .......................... 27   “  ,

    --- 1939 ..........................  3   “  .

Angaben aus: Marlis Buchholz (Bearb.), Rodenberg, in: H.Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 1315

 

Die Familie von Gumpert Simon Levy zählte im 19.Jahrhundert zu den wohlhabenderen Kaufmannsfamilien in Rodenberg. Sein 1831 geborener Sohn Iwan Julius Levy machte sich unter dem Namen Julius Rodenberg als Schriftsteller, Publizist und Herausgeber der von ihm begründeten und mehr als 40 Jahre von ihm geleiteten „Deutschen Rundschau“, einer literarischen und wissenschaftlichen Zeitschrift, einen Namen. Als ältestes von sechs Kindern verbrachte Julius Levy seine Kindheit in Rodenberg, wo ihn ein Privatlehrer unterrichtete. Nach seinem Abitur in Rinteln begann er ein Jura-Studium, das ihn nach Heidelberg, Göttingen, Berlin und Marburg führte. Nach dem Abschluss seines Studiums unternahm er größere Reisen; in Paris arbeitete er für eine deutsche Zeitung als Berichterstatter.Nach seiner Rückkehr nach Deutschland änderte er - mit Genehmigung des Kurfürsten von Hessen-Kassel - seinen Namen und promovierte an der Universität Marburg. 1859 kam er nach Berlin; hier begründete er das „Deutsche Magazin“; 1874 rief er die „Deutsche Rundschau“ ins Leben. In den folgenden Jahren veröffentlichte Julius Rodenberg zahlreiche Romane, Erzählungen und Skizzen; in seinen Romanen schilderte er das Leben in Berlin. 1914 verstarb er in Berlin; er wurde auf dem Gemeindefriedhof in Friedrichsfelde begraben. An Julius Rodenberg erinnern heute zwei Schulen mit seinem Namen: eine Grundschule in Rodenberg und ein Gymnasium in Berlin-Prenzlauer Berg.

Anmerkung: Seine jüngere Schwester Bertha Levy, verh. Markheim (1833-1919) wurde durch ihre Freundschaft und Korrespondenz mit Karl und Jenny Marx bekannt.

 

Ende der 1920er Jahre lebten nur noch drei jüdische Familien in Rodenberg (Fam. Bonwitt, Lehmann und Windmüller). Die Mitglieder dieser Familien wurden zumeist Ende 1941/Anfang 1942 deportiert. Das Synagogengebäude wurde in der NS-Zeit abgerissen.

Seit 2012 beteiligt sich Rodenberg am sog. „Stolperstein-Projekt“.

Stolperstein Rodenberg Lange Straße 23 Gustav Windmüller Stolperstein Rodenberg Lange Straße 23 Else Windmüller Stolperstein Rodenberg Lange Straße 23 Oskar Windmüller 

verlegt für Familie Windmüller, Lange Straße (Abb. T. 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf dem jüdischen Friedhof am Osthang des Rodenberges (an der „Kilianskammer“), der zu den größeren im Schaumburger Land zählt, findet man heute noch ca. 95 Grabsteine, die aus dem 19. und frühen 20.Jahrhundert stammen.

Rodenberg - Synagoge

Friedhof in Rodenberg (Aufn. aus: spurensuche.schaumburgerlandschaft.de und W. Peter – Förderverein ehemalige Synagoge e.V. Stadthagen, 2001)

 

 

 

Im nahgelegenen Bad Nenndorf hielten sich um 1900/1920 zu Kur-Zwecken auch jüdische Gäste aus dem In- und Ausland auf; die streng rituell geführte Pension Adler, die auch einen Andachtsraum besaß, bot Unterkunft und Verpflegung. Der in Bad Nenndorf lebende jüdische Geschäftsmann Simon Apolant war mehrere Jahre Vorsteher der Rodenberger Kultusgemeinde. Die wenigen in Bad Nenndorf ansässigen Juden verließen Ende der 1930er Jahre den Kurort; von ihren neuen Wohnsitzen wurden sie zumeist deportiert.

Am ehemaligen Hause des jüdischen Arztes Dr. Ernst Blumenberg an der Hauptstraße in Bad Nenndorf ist seit 1989 eine Gedenktafel angebracht. Auch mehrere sog. „Stolpersteine“ weisen seit 2009/2010 auf ehemalige jüdische Einwohner hin, so z.B. in der Parkstraße vor der ehemaligen "Pension Adler"*.

Stolperstein Bad Nenndorf Parkstraße 8 Alfred Jacobsohn Stolperstein Bad Nenndorf Parkstraße 8 Franziska Jacobsohn * Das Ehepaar Jacobsohn hatte die "Pension Adler", in der jüdische Kurgäste sich aufhielten, einst streng rituell geführt: es wurde koscher gekocht und im Andachtsraum fand ein wöchentlicher Gottesdienst unter  Leitung eines Rabbiners aus Hannover statt. Wegen antisemitischer Vorfälle verließ das Ehepaar Jacobsohn Bad Nenndorf und verzog nach Hamburg; von dort aus erfolgte 1942 ihre Deportation nach Thereesienstadt (und danach nach Auschwitz-Birkenau).

Drei weitere Stolpersteine liegen in der Gehwegpflasterung der Bad Nenndorfer Hauptstraße.

Stolperstein Bad Nenndorf Hauptstraße 14 Ernst Blumenberg Stolperstein Bad Nenndorf Hauptstraße 27 Franziska Kahn Stolperstein Bad Nenndorf Hauptstraße 27 Jeanette Apolant(Abb. T. 2017, aus: wikipedia-org, CC BY-SA 4.0)

Heute hat die "Jüdische Kultusgemeinde im Landkreis Schaumbug e.V." ihren Sitz in Bad Nenndorf; diese setzt sich derzeit aus ca. 100 Personen zusammen (Stand 2022).

 

 

In Grove bestand ebenfalls eine nur aus wenigen Familien bestehende Landgemeinde. Das Leben der jüdischen Bewohner beschreibt eine Familienchronik des 1766 geborenen Itzig Behrend

 

 

In Beckedorf, einer Ortschaft der Samtgemeinde Lindhorst im Landkreis Schaumburg (derzeit ca. 1.500 Einw.), lebten Anfang der 1930er Jahre zwei jüdische Familien. 1942 wurde ein Teil der wenigen jüdischen Bewohner in die isrealitische Gartenbauschule Ahlem verbracht, von dort „in den Osten“ deportiert, wo sich ihre Spuren verlieren.

2010 wurde neben der Godehardi-Kirche ein schlichtes Mahnmal (mit Inschriftentafel) enthüllt, das an das Schicksal der Beckedorfer jüdischen Glaubens erinnert; die Aufstellung wurde vom hiesigen Kirchenvorstand initiiert.

 

 

 

Weitere Informationen:

Adolf Mithoff, Chronik der Stadt Rodenberg von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Rodenberg 1912

Eva Rademacher, Jubiläumsschrift zum 150.Geburtstag des Dichters Julius Rodenberg am 26.Juni 1981, Hrg. Ortsgruppe Rodenberg und Umgebung des Heimatbundes Grafschaft Schaumburg, Rinteln 1981

Monika Richarz, Bürger auf Widerruf - Lebenszeugnisse deutscher Juden 1780 - 1945, Verlag C.H. Beck, München 1989, S. 59 – 70 (zu Grove)

Hardy Krampertz, Chronik der Stadt Rodenberg (Band III). Beiträge zur Rodenberger Sozialgeschichte des ausgehenden 19. und beginnenden 20.Jahrhunderts, Rodenberg 1990

Marlis Buchholz (Bearb.), Rodenberg, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1315 - 1320

hga (Red.), Ein Mahnmal gegen das Unrecht, in: „Schaumburger Nachrichten“ vom 14.11.2010

N.N. (Red.), 20 Kandidaten für „Stolpersteine“, in: „Schaumburger Nachrichten“ vom 17.7.2013

Auflistung der Stolpersteine in Rodenberg, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Rodenberg

Jens-Christian Wagner (Red.), RODENBERG - Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/rodenberg/

Auflistung der Stolpersteine in Bad Nenndorf, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bad_Nenndorf

Andrea Göttling (Red.), Stolpersteine in der Parkstraße versetzt, in: „Schaumburger Nachrichten“ vom 21.12.2018 (betr. Bad Nenndorf)

Wolfgang Schimke, Jüdische Mitbürger in Beckedorf, hrg. vom Arbeitskreis Geschichte der ev. Kirche Beckedorf, online abrufbar unter: stadthagen-synagoge.de/media/pdf/Beckedorf_2.pdf