Polna (Mähren)

DeutschbrodEtwa 15 Kilometer nordöstlich von Iglau/Jihlava liegt die kleine Stadt Polna (auch Polm, tsch. Polná), die im 13.Jahrhundert an der Kreuzung der Handelswege entstand und im 14./16.Jahrhundert wirtschaftlich aufblühte. Insbesondere die Tuchmacherei und Weberei waren für den Ort von großer Bedeutung. Derzeit leben in Polná etwa 5.000 Einwohner (Ausschnitt aus hist. Landkarte aus: europa1900.eu und Kartenskizze 'Tschechien' mit Polna rot markiert, K. 2005, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 Polna - Kupferstich, um 1650 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Bereits um 1415 sollen sich in der Region um Polna Juden aufgehalten haben. In der Marktsiedlung Polna selbst wurden - laut Angaben in den Stadtbüchern - jüdische Familien erst im 16. Jahrhundert ansässig; alsbald bildete sich eine stetig wachsende Gemeinde, deren Angehörige als Handelsleute und als Geldverleiher (Pfandleiher) tätig waren. Um einen weiteren Zuzug jüdischer Familien zu unterbinden, begrenzte die Stadtherrschaft (Ferdinand Joseph von Dietrichstein) die Zahl der niederlassungsberechtigten Juden auf 16 Familien und ordnete die Einrichtung eines Ghettos an (1875). Seit den 1680er Jahren bestand dann ein neu eingerichtetes Ghetto mit zwei Toren; es löste einen wenige Jahre zuvor angelegten Ghettobezirk ab, der sich nahe des kleinen Friedhofs befunden hatte und zu klein geworden war. Rund um den „Jüdischen Platz“, den heutigen Karlsplatz, befanden sich ca. 40 Häuser. Seit 1684 gab es im Ghetto eine Synagoge (im Stile des Barock), die einen älteren Betraum ablöste. 1861 wurde der Synagogeninnenraum restauriert worden war; allerdings fiel das Gebäude zwei Jahre später einem Großfeuer zum Opfer; auch Behausungen der jüdischen Familien wurden zerstört. Alsbald wurde die Synagoge neu aufgebaut.

                                      Rabbinerhof mit Synagoge (ganz rechts im Bild)

Der Friedhof, der heute noch gut erhaltene barocke und klassizistische Grabsteine aufweist, war bereits im 16.Jahrhundert (andere Angabe: seit 1619) angelegt und danach mehrfach erweitert worden.

Juden in Polna:

    --- um 1570 ..........................    2 jüdische Familien,

    --- um 1715 ...................... ca.   50     "       "    ,

    --- um 1790 ...................... ca.   90     “       “    ,

    --- 1811 .............................   87     “       “    ,

    --- 1830 .............................  120     “       “   (ca. 750 Pers.),

    --- um 1850 ...................... ca.  750 Juden,

    --- 1869 .............................  430   "  ,

    --- 1890 .............................  238   “  ,

    --- 1920 .............................   85   “  ,

    --- 1930 .............................   51   “   (ca. 1% d. Bevölk.),

            --- um 1940 ..........................   40   “  .

Angaben aus: Bretislav Rénych, Polna

und                 Jiri Fiedler, Jewish Sights in Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 139

 

1899 geriet der Ort Polna in die Schlagzeilen, als dort der jüdische Schustergeselle Leopold Hilsner für einen angeblichen Ritualmord an einem Christenmädchen zum Tode verurteilt worden war. Dieser ‚Fall’ löste einen antijüdischen Pogrom aus.

Der erste tschechoslowakische Staatspräsident Tomas Masaryk, damals Universitätsprofessor in Prag, äußerte öffentlich Zweifel an der Mordtheorie; damit zog Masaryk den Hass der nationalen Presse und der breiten Öffentlichkeit auf sich. Eine regelrechte Kampagne stellte den „Judenfreund“ Masaryk ins Abseits; zudem musste er sein Amt als Professor aufgeben. In einer Revisionsverhandlung 1900 wurde das Urteil in „lebenslänglich“ umgewandelt. 1918 wurde Hilsner begnadigt und kam frei. Hundert Jahre nach dem „Fall Hilsner“ fand in Prag eine Konferenz in der Karlsuniversität statt, die sich unter dem Titel „Hilsner Affäre und die tschechische Gesellschaft von 1899 – 1999“ mit dem Thema Antisemitismus und Aberglauben auseinandersetzte.


Als die meisten jüdischen Familien Polna bereits verlassen hatten und die „Ghetto-Häuser“ in christlichen Händen waren, verließ im Jahre 1920 auch der letzte Rabbiner Polnas, David Alt, seine Wirkungsstätte.

Während der NS-Okkupation wurden die noch etwa 40 Juden aus Polna nach Theresienstadt deportiert und ihr Hab und Gut konfisziert; von hier aus wurde ein Teil in den Distrikt Lublin verfrachtet; nur vier Polnaer Juden sollen den Holocaust überlebt haben.

 

Heute stehen noch 32 Häuser, darunter das ehemalige Rathaus mit der Wohnung des Rabbiners, die Schule und das Bad; dieser ehemalige jüdische Wohnbezirk gehört heute zu den größten und besterhaltenen in Tschechien. Dieser besteht aus zwei Teilen - der ursprünglichen Stadt mit einem dreieckigen Grundriss und dem Abschnitt um den Rabbiner-Platz. Das während der 1990er Jahre restaurierte Synagogengebäude dient heute musealen und kulturellen Zwecken; die beiden Dauerausstellungen, nämlich "Der Fall Leopold Hilsner" und "Geschichte der Juden im Polná-Gebiet", sind hier untergebracht.

Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Sch. J., 2011 und W. Sauber, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0 bzw. 4.0)

Der jüdische Friedhof - seit 1988 als "gschütztes Kulturdenkmal" eingetragen - wird derzeit wieder hergerichtet. Derzeit befinden sich in dem durch eine niedrige Mauer begrenzten Areal etwa 900 barocke, klassizistische und neuzeitliche Grabsteine; die ältesten stammen aus dem 17.Jahrhundert.

 

Friedhof in Polná (Aufn. H. Seldon, 2010, aus: wikimedia.org, gemeinfrei und Aufn. Filo, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

Weitere Informationen:

Bretislav Rénych (Bearb.), Polna, in: Hugo Gold (Hrg.), Židé a židovské obce v Cechách v minulosti a prítomnosti, Židovské nakladatelství, Brno - Praha 1934, S. 508 – 513

Hellmut Schramm, Der jüdische Ritualmord – eine historische Untersuchung, 1944 (auch online unter: antimatrix.org)

Jiri Fiedler, Jewish Sights in Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 139/140

Jaroslav Klenovský, Židovské mesto v Polné [Die jüdische Stadt in Polna], Polná 2000

The Jewish Community of Polná (Polna), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/polna

Jewish Families from Polná (Polna), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Poln%25C3%25A1-Bohemia-Czech-Republic/15306

Kateřina Čapková /Hillel J. Kieval (Hrg.), Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 140, München 2020, u.a. S. 390