Neusatz/Novi Sad (Serbien)

Datei:Serbien-Karte.gif – Wikipedia  Die an der Donau liegende Stadt Novi Sad (dt. Neusatz, ung. Újvidék) - ca. 75 Kilometer nordwestlich von Belgrad – ist die Hauptstadt der Wojvodina und wirtschaftliches, kulturelles u. administratives Zentrum der Provinz mit derzeit mehr als 300.000 Einwohnern und damit zweitgrößte Stadt Serbiens (Kartenskizzen 'Serbien', aus: wikipedia.org/wiki/Datei:Serbien-Karte.gif und 'Wojvodina', aus: wikipedia.org, CCO).

1748 wurde diese laut Urkunde Maria Theresias zur ‚königlichen Freistadt Neoplanta‘ (dt. Neusatz)und entwickelte sich rasch zum Zentrum serbischer Kultur im damaligen Ungarn („Serbisches Athen“). Im Laufe des 18.Jahrhunderts kamen die ersten deutschen Kolonisten im Gefolge der sog. „Schwabenzüge“ in die Region*. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten Deutsche nach Ungarn und Serben die drittstärkste Bevölkerungsgruppe in der Stadt.

* „Donauschwaben“ wird als ein Sammelbegriff für die von Ende des 17. bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die ungarisch-habsburgischen Länder eingewanderten deutschen Kolonisten benutzt.

 

Gegen Ende des 17.Jahrhunderts sollen sich die ersten jüdischen Familien in Neusatz niedergelassen haben; ihre Ansiedlung stand dabei im Zusammenhang mit der nun hier sich etablierenden österreichischen Herrschaft, die die weitgehend entvölkerte Region wieder bewohnbar machen wollte. Die jüdischen Zuwanderer bestritten damals ihren Lebenserwerb mit Handel entlang der Donau. Um 1740 erfolgte die Gründung einer Gemeinde.

Während des 18.Jahrhunderts waren die hier lebenden Juden wirtschaftlichen Restriktionen unterworfen und - neben der allgemeinen Bürgerbesteuerung - zur Zahlung besonderer Steuern (sog. „Toleranzsteuer“, ab 1843) verpflichtet. Eine gewisse Autonomie besaß die jüdische Gemeinde dahingehend, dass sie einen eigenen Richter stellen konnte, der in „Civilangelegenheiten“ offiziell tätig werden konnte.

Ihre erste Synagoge errichtete die jüdische Gemeinde im frühen 18.Jahrhundert; im Laufe der Zeit folgten ihr drei weitere Bethäuser nach.

Während der Revolutionswirren (1849) wurden die meisten von Juden bewohnten Häuser, ihre Synagoge und die Schule zerstört. Bereits einige Jahre später wurde die neue Synagoge eingeweiht.

In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts entwickelte sich ein reges Gemeindeleben, das seinen Ausdruck in verschiedenen religiösen, sozialen und kulturellen Organisationen fand; diese bestanden zumeist bis zum 2.Weltkrieg.

Juden in Novi Sad (Neusatz):

--- um 1775 ................... ca.   100 Juden,

--- 1804 ...................... ca.   400   "  ,

--- 1813 ...................... ca.   600   "  ,

--- 1848 .........................  1.320   "  ,

--- 1891 ...................... ca. 1.500   "  ,

--- 1910 ...................... ca. 2.300   "  ,

--- 1940 ...................... ca. 4.300  "  .

 Angaben aus: Melchior Erdujhelyi, Geschichte der Stadt Neusatz, hrg. von der Königl. Freistadt Neusatz, 1895, S. 217

und                  Novi Sad, in: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, Vol. 2, New York University Press, Washington/New York 2001, S. 903/904

Novi sad 19thcentury03 02.jpg

Ansicht von Novi Sad im 19.Jahrhundert (Abb. aus: commons.wikimedia.org, CCO)

History of Novi Sad - TONS

historische Postkarten, um 1900/1910 (Abb. aus: novisad.travel/en)

 

Mit dem im ausgehenden 19.Jahrhundert deutlichen Anwachsen der jüdischen Bevölkerung in der Stadt Novi Sad – als Folge der Zuwanderung aus kleineren Ortschaften der Region – wurde die 1851 erbaute (als Ersatz für die 1848/49 zerstörte) Synagoge zu klein. In den Jahren 1905 – 1909 wurde ein neuer repräsentativer Synagogenbau mit ca. 900 Plätzen errichtet - Ausdruck des wachsenden ökonomischen Einflusses der Judenschaft in der Stadt. Schöpfer des Bauwerkes (und der beiden Nachbargebäude) war der ungarisch-jüdische Architekt Lipot (Leopold) Baumhorn (geb. 1860), der seiner Zeit als führender Synagogen-Architekt in Österreich-Ungarn galt.

 Novi Sad Synagogue 01.jpg

Synagoge in Novi Sad (aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Pl., 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Im Gefolge der religiösen Spaltung der ungarischen Judenschaft in einen orthodoxen und liberalen Zweig tendierten die jüdischen Gemeindeangehörigen in Novi Sad mehrheitlich zur reform-orientierten Glaubensrichtung.

Gegen Ende des Ersten Weltkrieges gewann die zionistische Bewegung in Novi Sad immer mehr Anhänger; eine von ihr begründete Partei besaß sogar im Stadtrat einige Sitze. Ihr wachsender Einfluss zeigte sich zudem in der Schaffung kultureller und schulischer Einrichtungen.

Gegen Mitte der 1930er Jahre machte sich in der Stadt eine zunehmende antisemitische Stimmung breit, die von der lokalen Presse geschürt wurde. Mit der Ankunft jüdischer Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei, Österreich und Deutschland wuchs die jüdische Bevölkerung der Stadt auf mehr als 4.000 Personen an.

Nach der Annexion eines Teils der Wojwodina durch Ungarn (Frühjahr 1941) begannen die ungarischen Behörden gegen die Juden vorzugehen. Ein Höhepunkt war ein blutiger Pogrom, der als Vergeltungsmaßnahme auf Überfälle serbischer Partisanen seitens der ungarischen Polizei in Novi Sad verübt wurde: Mehrere hundert Juden und fast ebenso viele Serben (Männer, Frauen u. Kinder) wurden am 21./23.1.1942 zusammengetrieben, zur Donau geführt und dort umgebracht*; ähnliche Massaker fanden auch in der Umgebung statt.

* Über die genaue Zahl der Ermordeten liegen unterschiedliche Angaben vor.

Am gewaltsamen Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung war auch ein Teil der „Volksdeutschen“ beteiligt; so u.a. auch Josef Janko (SS-OStF und "Volksgruppenführer" der dt. Volksgruppe im Banat und Serbien), der an der Selektion und der Ermordung aktiv involviert war.

Ein Teil der Juden flüchtete sich nach Budapest, andere schlossen sich den Partisanen an. Diejenigen, die in der Stadt geblieben waren, wurden nach der deutschen Okkupation (März 1944) festgenommen; dabei dienten die Synagoge und die angrenzende jüdische Schule als vorübergehendes Sammellager auf dem Weg zur Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Von den mehr als 4.000 in Novi Sad lebenden Juden haben nur etwa 20 bis 25% den Holocaust überlebt. Von den Überlebenden emigrierten die meisten - besonders in den 1950er Jahren - nach Israel und in andere Länder.

 

Nach 1945 wurde die Synagoge erneut geweiht und wurde zum Kristallisationspunkt für überlebende Juden in der Region.

Seit 1966 dient die ehemalige (große) Synagoge (seit 1991 unter Denkmalschutz stehend) als Konzertsaal; nur an hohen jüdischen Feiertagen wird das Gebäude für religiöse Zwecken genutzt.

Synagogue de Novi Sad.jpgSinagoga Novi Sad 02.jpg 

Synagoge in Novi Sad (Aufn. 2006, aus: wikipedia.org, CCO und Dekanski, 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SAA 4.0)

Eingangsbereich der Synagoge (Aufn. aus: "Jüdische Rundschau", 12/2023)

                *Von den einstmals ca. 85 Synagogen in Novi Sad haben elf die Zeiten baulich überdauert; die meisten werden aber nicht mehr gottesdienstlich genutzt.

Zu Beginn des 21.Jahrhunderts waren schätzungsweise etwa 400 Personen jüdischen Glaubens in Novi Sad ansässig; damit besitzt die Stadt die zweitgrößte israelitische Gemeinde Serbiens.

Am Donau-Ufer (in der Nähe der Varadinski-Brücke) erinnert seit 1971 ein bronzenes Denkmal an die vielen hundert Juden und Serben, die im Januar 1942 von ungarischen Polizei-Einheiten ermordet und in die Donau geworfen wurden.

 Denkmal am Donau-Ufer (Aufn. Pokrajac, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Der großflächige jüdische Friedhof in Novi Sad ist bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben; die 1905 erbaute Zeremonienhalle wurde in jüngster Vergangenheit restauriert. in unmittelbarer Nähe befindet sich das Holocaust-Denkmal.

 

 

 

Weitere Informationen:

Melchior Erdujhelyi, Geschichte der Stadt Neusatz, hrg. von der Königl. Freistadt Neusatz, 1895, S. 215 f.

Eugen Werber (Bearb.), Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Novi Sad, in: „Studia Judaica Austriaca“, No. 9/1980, S. 93 – 109

Boško Petrović/Živan Milisavac, Novi Sad – Monografija [Novi Sad – Eine Monographie]. Novi Sad 1987

Israel Gutman (Hrg.) Enzyklopädie des Holocaust - Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Verlag Piper München//Zürich 1995, Band 1, S. 147 – 149

Novi Sad, in: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, Vol. 2, New York University Press, Washington/New York 2001, S. 903/904

Haim F. Ghiuzeli, The Synagogue of Novi Sad, Serbia, online abrufbar unter: bh.org.il/the-synagogue-of-novi-sad-serbia/

Jewish Virtual Library, Virtual Jewish World: Novi Sad, Serbia, online abrufbar unter: jewishvirtuallibrary.org/novi-sad-serbia-virtual-jewish-history-tour

Neusatz an der Donau, in: Gedenkstättenportal zu Orten der Erinnerung in Europa, online abrufbar unter: memorialmuseums.org/laender/view/11/Serbien

Novi Sad, in: The Cultural Guide to Jewish Europe, online abrufbar unter: jguideeurope.org/en/region/serbia-and-montenegro-ex-yugoslavia/novi-sad/

Filip Gaspar (Red.), Besuch der jüdischen Gemeinde in Novi Sad, Serbien, in: „Jüdische Rundschau“ No.12/2023