Oschersleben/Bode (Sachsen-Anhalt)

Der Raum Osterwieck-Wernigerode-Halberstadt 1905Bildergebnis für landkreis Börde ortsdienst karte Oschersleben (Bode) ist mit seinen derzeit ca. 20.000 Einwohnern die einwohnerstärkste Stadt im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt – ca. 30 Kilometer südwestlich von Magdeburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikiwand.com/de und Kartenskizze 'Landkreis Börde', aus: ortsdienst.de/sachsen-anhalt/landkreis-boerde).

 

In der lange Zeit dem Bistum Halberstadt unterstehenden Kleinstadt Oschersleben sollen sich die ersten jüdischen Familien in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts angesiedelt haben; dies geschah im inzwischen brandenburgisch gewordenen Ort als Folge der Kriegszerstörungen und verheerenden Stadtbrände, da man seitens kapitalkräftiger Juden einen schnelleren Wiederaufbau und eine Wiederbelebung des Handels erhoffte. So konnten sich unter dem Schutz des Großen Kurfürsten von Brandenburg eine kleine Gruppe wohlhabender Juden hier ansässig machen.

Der alte jüdische Friedhof, an der Stadtmauer in der Nähe des ehemaligen Halberstädter Tores gelegen, wurde urkundlich 1678 erwähnt. Die Juden wohnten außerhalb der Stadt. 1728 richtete die Judenschaft ihren Synagogenraum „Auf dem Alten Wall” ein. Bis 1718 hatten die Oscherslebener Juden den Betraum in Klein Alsleben aufgesucht. Nach 1800 kaufte die jüdische Gemeinde das bislang in Privatbesitz befindliche Gebäude „Auf dem Alten Wall“ und baute es vollständig zur Synagoge um. Mitte der 1850er Jahre ließ die Gemeinde eine neue Synagoge errichten; damit wurde das alte baufällige Haus an gleicher Stelle ersetzt. Seit 1836 bestand auch eine Synagogenordnung, die den Gemeindeangehörigen ihr Benehmen im „Tempel“ vorschrieb und bei Zuwiderhandlungen mit empfindlichen Strafen drohte.

Im Laufe des 18.Jahrhunderts wuchs die jüdische Gemeinde in Oschersleben stetig an; doch der Rat der Stadt bestimmte, „daß kein Israelit als Einwohner hier aufgenommen werde, der nicht mindestens 10.000 Taler Vermögen habe”; auch für die hier ansässigen Juden galt diese Vermögenspflicht, sodass einige jüdische Familien Oschersleben wieder verlassen mussten. Um 1800 sollen nur noch vier jüdische Familien in der Kleinstadt gelebt haben. Die Kinder, die bislang in der jüdischen Schule von einem Lehrer unterrichtet wurden, nahmen seit 1862 am Unterricht der allgemeinen Oscherslebener Schule teil; nur die religiöse Unterweisung blieb in der Hand des „Judenlehrers“. Anfang der 1920er Jahre wurde die Religionsschule geschlossen.

Als die Stadt Oschersleben expandierte, musste der 1678 unmittelbar an der Stadtmauer angelegte jüdische Friedhof geschlossen bzw. verlegt werden; 1905 wurde direkt neben dem städtischen Friedhof an der Hornhäuser Chaussee ein neuer jüdischer Begräbnisplatz angelegt, auf dem auch alle damals noch vorhandenen Grabsteine des alten Friedhofs ihren Platz fanden.

Juden in Oschersleben:

         --- 1727 ...........................   4 jüdische Familien,

    --- 1739 ...........................  39 Juden,

    --- 1799 ...........................   4 jüdische Familien,

    --- um 1806 ........................  12    “         “   ,

    --- 1840 ...........................  65 Juden (ca. 20 Familien),

    --- 1886 ...........................  99   “  ,

    --- 1895 ...........................  85   “  ,

    --- 1900 ....................... ca. 100   “  ,

    --- 1913 ...........................  78   “  ,

    --- 1925 ...........................  60   “  ,

    --- 1933 ....................... ca.  50   “  ,

    --- 1939 ...........................  keine.

Angaben aus: Geschichte jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt - Versuch einer Erinnerung, S. 210

und                 Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band 1, S. 334/335

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts arbeiteten die meisten Juden in Oschersleben als Textilkaufleute; daneben gab es noch zwei Pferdehändler, vier Metzger und einige Trödelhändler. Um 1900 zählten alle Juden in Oschersleben zur mittelständischen Schicht; sie waren Kaufleute, Viehhändler und Ärzte.

     hist. Straßenansicht in Oschersleben (Aufn. 1930er Jahre, G. Blume)

Mit der NS-Herrschaft nahm der psychische Druck auf die Oscherslebener Juden zu; in Folge wanderten die jüdischen Familien nun ab bzw. aus. Da die Synagoge in Oschersleben (am Bruchgraben) nicht mehr genutzt und das Gebäude im September 1938 verkauft worden war, blieb sie - wie auch der jüdische Friedhof - von Zerstörung verschont. Das Warenlager und die Geschäftsräume der "Fa. Mendelsohn und Kugelmann" (Halberstädter Straße) wurden verwüstet, danach der Verkauf dort eingestellt und das Geschäft „arisiert“.

Bis 1939 hatten alle Juden Oscherslebens ihre Heimatstadt verlassen. Diejenigen, die in die Anonymität einer größeren Stadt verzogen waren und hier sich sicherer glaubten, wurden später von hier bzw. ihrem ihnen vorläufig zugewiesenen Aufenthaltsort in Halberstadt ins Ghetto Warschau bzw. nach Theresienstadt deportiert; die meisten kamen gewaltsam ums Leben.

Das ehemalige Synagogengebäude ist heute noch als Wohnhaus erhalten.

  Die unmittelbar neben dem kommunalen Friedhof liegende jüdische Begräbnisstätte weist auf einer Fläche von ca. 1.000 m² heute nur noch drei Grabsteine auf.

Zum Gedenken an die jüdischen Bürger Oscherslebens wurde am 9.Nov. 2009 auf dem (neuen) jüdischen Friedhof eine Gedenkstele enthüllt, die neben einem Bibel-Zitat die folgenden Worte in hebräischer und deutscher Sprache trägt:

Zum Gedenken an die jüdischen Mitbürger unserer Stadt, die hier bestattet wurden,

und an alle vertriebenen und ermordeten Angehörigen der alten Synagogengemeinde.

Auf Betreiben des Vereins „Kunst und Kirche in Emmeringen“ wurden jüngst im Stadtgebiet von Oschersleben 15 sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Menschen erinnern, die Opfer von Gewalt in der NS-Zeit geworden sind.

 

 

In Alikendorf – einem Dorf im südlichen Bördekreis, seit 2003 ein Ortsteil von Oschersleben – existierte bis in die 1940er Jahre ein jüdischer Friedhof, der sich an der Chaussee nach Kleinalsleben etwa 300 Meter hinter dem Ortsausgang befand und mit einer Mauer umgeben war. Ob das Begräbnisgelände während der NS-Zeit zerstört oder während der kommunistischen Herrschaft eingeebnet wurde, ist nicht bekannt.

 

 

 

In Gröningen - etwa zwölf Kilometer südlich von Oschersleben gelegen - gab es seit dem frühen 18.Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde, deren Angehörige gegen Ende des 19.Jahrhunderts den Ort verließen. Einziger Beleg für die Ansiedlung von Juden ist der kleine, von einer Bruchsteinmauer umgebene israelitische Friedhof; dieser wurde erstmals 1719 erwähnt und vor 1900 geschlossen.

Der am Ortsausgang Richtung Deesdorf/Weegeleben liegende Friedhof weist heute noch einige Grabsteine auf, so neun aus dem 18.Jahrhundert und wenige aus dem 19.Jahrhundert; ansonsten ist das baumlose Areal eine Grünfläche.

Jüdischer Friedhof (Aufn. Hans-Peter Laqueur, 2007) http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20106/Groeningen02.JPG

 

 

In Großalsleben – heute ein Ortsteil von Gröningen, ca. fünf Kilometer südlich von Oschersleben - hat es im 18. und 19.Jahrhundert eine jüdische Landgemeinde gegeben haben, die um 1805 immerhin fast 200 Angehörige zählte. Die Kultusgemeinde setzte sich aus Angehörigen der drei Ortschaften Großalsleben, Kleinalsleben und Alikendorf zusammen.

Dank eines vom Fürsten Leopold I. von Anhalt-Dessau ausgestellten Privilegs (1712) hatten mehrere jüdische Familien das Recht der dauerhaften Ansässigkeit erhalten; in den Folgejahrzehnten kamen weitere Familien hinzu. Ein Bethaus muss es schon im 18.Jahrhundert gegeben haben (Standort unbekannt); das im Laufe der Zeit baufällig gewordene Gebäude wurde um 1840 renoviert; wegen der Armut der Gemeinde soll der regierende Herzog einen finanziellen Beitrag geleistet haben

An der Landstraße zwischen Kleinalsleben und Alikendorf befand sich der jüdische Friedhof.

Juden in Großalsleben/Kleinalsleben/Alikendorf:

--- 1712 .................  20 Juden,

--- 1753 ................. 105   "  (in 21 Familien),

--- 1800 ................. 150   "  ,

--- 1805 ................. 195   "  ,

--- 1810 ................. 175   "  ,

--- 1818 .................  83   "  ,

--- 1848 .................  70   "  (in 14 Familien),

--- 1890 ................. ein Jude..

Angaben aus: Bernd G. Ulbrich (Bearb.), Großalsleben, in: Jüdisches Leben in Anhalt - , S. 177

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts lebten in den drei Ortschaften nur noch insgesamt 14 Schutzjuden mit ihren Familien. Das letzte Gemeindemitglied soll 1890 nach Halberstadt verzogen sein.

 

Wenige Relikte des jüdischen Friedhofs soll es noch bis in die 1940er Jahre gegeben haben; danach wurde das Gelände eingeebnet und landwirtschaftlich genutzt. Gegenwärtig stellt sich das mit einem Drahtzaun umfriedete Areal als eine Grünfläche dar.

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In Wanzleben – zwischen der Landeshauptstadt Magdeburg und Oschersleben gelegen – wurden jüngst einzelne „Stolpersteine“ verlegt (2023).

Aus Wanzleben stammte der 1869 geborene Heinrich (Eljakim) Loewe, der als Journalist u. Publizist, Sprachwissenschaftler u. Bibliothekar sich einen Namen machte; er gehörte auch zu den „Vätern des deutschen Zionismus“ und war Teilnehmer des ersten Zionistenkongresses in Basel. Nach vorübergehender Emigration nach Palästina kehrte er nach Deutschland zurück und engagierte sich in den 1910er u. 1920er Jahren besonders für jüdische Kultur- u. Bildungseinrichtungen. 1933 emigrierte Heinrich Loewe mit seiner Familie nach Palästina; bis 1948 war er Direktor der Stadtbibliothek von Tel Aviv. Drei Jahre später starb er.

 

 

Weitere Informationen:

R. Setzepfandt, Beiträge zur Geschichte der Juden in Oschersleben und zur jüdischen Namensforschung, in: "Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg", No.40/1905

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band I, S. 334/335

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 538 - 540

Martin Onnasch, “ ... keine getrennte Gesellschaft im Staate ...” - Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Oschersleben, o.O. 1994

Geschichte jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt - Versuch einer Erinnerung, Hrg. Landesverband jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt, Oemler-Verlag, Wernigerode, S. 208 - 211

Holger Brülls, Synagogen in Sachsen-Anhalt. Arbeitsberichte des Landesamtes für Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt 3, Verlag für Bauwesen, Berlin 1998, S. 117

René Döring (Red,), Gestern Abend ist auf dem jüdischen Friedhof in Oschersleben während des Totengebets ein Stein enthüllt worden – Zum Gedenken an die jüdischen Mitbürger der Stadt, in: „Volksstimme“ vom 10.11.2009

Bernd Gerhard Ulbrich, Zur Geschichte der Juden in der anhaltinischen Exklave Großalsleben, in: "Schriftenreihe der Moses-Mendelssohn-Gesellschaft Dessau e.V.", Dessau 2010

Günther Blume, „Oschersleben war uns Heimat“ – jüdisches Leben in Oschersleben 1650 bis 1950, in: "Beiträge zur Kulturgeschichte der Magdeburger Börde und ihrer Randgebiete", Band 10, Ziethen Verlag 2011

René Döring (Red.), Das jüdische Leben in der Bodestadt auf 23…, in: "Volksstimme" vom 6.7.2011

Sebastian Pötzsch (Red.), Kunstprojekt. Stolpersteine für Oschersleben, in: "Volksstimme" vom 10.1.2017

Yvonne Heyer (Red.), Stolpersteine für Oschersleben, in: "Volksstimme" vom 8.10.2019

Bernd G. Ulbrich (Bearb.), Großalsleben, in: D. Bungeroth/J.Killyen/W.-E.Widdel (Red.), Jüdisches Leben in Anhalt - „Suche den Frieden und jage ihm nach“ (Psalm 34, 15), Hrg. Kirchengeschichtliche Kammer der Ev. Landeskirche Anhalts, Dessau-Roßlau 2020, S. 172 - 177 (in 3.Aufl. 2023, S. 176 - 181)

Michelle Kosub (Red.), Gegen das Vergessen, in: "Volksstimme" vom 5.2.2021

Constanze Arendt-Nowak (Red.), Darum sollen auch in Oschersleben Stolpersteine verlegt werden, in: „Volksstimme“ vom 12.3.2023

Constanze Arendt-Nowak (Red.), In Wanzleben sollen Stolpersteine an Nazi-Verbrechen erinnern, in: „Volksstimme“ vom 4.4.2023

Christian Besecke (Red.), Stolpersteine: Börde-Gemeinden erinnern an Nazi-Opfer, in: „Volksstimme“ vom 23.6.2023