Ober-Ramstadt (Hessen)

Datei:Municipalities in DA (district).svg  Datei:Ober-Ramstadt in DA.svg Ober-Ramstadt ist eine Kommune mit derzeit ca. 15.000 Einwohnern im südhessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg – etwa zehn Kilometer östlich von Darmstadt gelegen (Kartenskizzen 'Landkreis Darmstadt-Dieburg' mit Ober-Ramstadt rot markiert, Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Erste urkundliche Hinweise auf in Ober-Ramstadt ansässige Juden liegen aus der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts vor. Die wenigen Familien lebten dort unter landesherrschaftlichem Schutz.

Das im Jahre 1885 erbaute Synagogengebäude befand sich in der Hammergasse; die hiesige christliche Gemeinde hatte mit einem finanziellen Beitrag den Bau unterstützt.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20150/Oberramstadt%20Israelit%2025061885.jpg

Mitteilung aus: "Der Israelit" vom 25.Juni 1885   und  Synagogengebäude in der Hammergasse (hist. Aufn. um 1930/1935)

Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch eine Schule, deren Stellenbesetzung über einen längeren Zeitraum hinweg einem häufigen Wechsel unterworfen war.

   

Stellenangebote aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 31.7.1878 und vom 29.9.1898 und von 1903

Als Begräbnisstätte diente den Juden aus Ober-Ramstadt der israelitische Friedhof in Dieburg. Zur Gemeinde zählten auch die wenigen Familien aus Nieder-Ramstadt.

Die Synagogengemeinde gehörte bis um 1910 zum orthodoxen Bezirksrabbinat Darmstadt II, danach zum liberalen Bezirksrabbinat Darmstadt I.

Juden in Ober-Ramstadt:

         --- um 1745 .......................   5 jüdische Haushalte,

    --- 1798 ..........................   4    “        “   ,

--- 1825 ..........................  30 Juden,

--- 1850 ..........................  50   “  ,

    --- 1871 ..........................  64   “  ,

    --- 1900 ..........................  76   “  ,

    --- 1910 ..........................  87   “  ,

    --- 1925 ..........................  86   “  ,

    --- 1933 ..........................  73   “  ,

    --- 1939 (Mai) ....................  26   “  ,

    --- 1942 (Dez.) ...................  keine.

Angaben aus: Helmut Beier (Bearb.), Ober-Ramstadt und seine Juden - Dokumente und Berichte, S. 39

 

Die meisten hier lebenden Familien verdienten ihren Lebensunterhalt in der Mehrzahl als Vieh- und Pferdehändler. Sie spielten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben von Ober-Ramstadt.

Kurzwarengeschäft der Fam. Bendorf, Hammergasse (hist. Aufn. aus: stolpersteine-ober-ramstadt.com)

Über die Situation der in Ober-Ramstadt lebenden jüdischen Familien Mitte der 1930er Jahre geben Bericht der Kommunalverwaltung Auskunft.

Aus den "Lageberichten" der Kommunalverwaltung an die zuständige Kreisverwaltung:

„... Die hier ansässigen Juden bemühen sich nach wie vor, Existenzen im Ausland zu finden. Einzelne jüdische Geschäfte gingen bereits pachtweise an christliche Firmen über. Auch sind Anzeichen dafür vorhanden, daß die Juden immer mehr aus dem Viehhandel herausgedrängt werden. ...”

(vom 27.Febr. 1936)

„... Es ist nach wie vor festzustellen, daß die hier ansässigen Juden von einem starken Drang zum Auswandern beherrscht sind. Jedenfalls ist heute schon die Zeit abzusehen, wo kein Jude mehr in Ober-Ramstadt ansässig ist. ...”

(vom 26.Juni 1936)

„ ... Von einem Einfluß der hiesigen Juden auf die Wirtschaft kann nicht mehr die Rede sein. Die noch hier ansässigen Familien beschäftigen sich fast alle mit dem Gedanken der Auswanderung. Erst vor kurzem hat eine achtköpfige jüdische Familie Ober-Ramstadt verlassen, um nach Argentinien auszuwandern. ...”

(vom 28.Oktober 1938)

„ ... Wegen bevorstehender Auswanderung hat letzthin wieder eine hiesige Familie ihren Grundbesitz veräußert. Ein jüdischer Metzger hat sein Geschäft aufgegeben und wird ebenfalls demnächst höchstwahrscheinlich nach Luxemburg auswandern. ...”

(vom 26.Februar 1938)

Am frühen Morgen des 10.November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge von SA-Männern zerstört, anschließend das Gebäude in Brand gesetzt. Auch Anwesen jüdischer Familien (Geschäftshaus von Abraham Wartensleben, Baustraße) wurden durch Brandstiftung vernichtet. An den Ausschreitungen beteiligte sich eine mehr als 200köpfige Menschenmenge; nicht nur jüdische Wohnungen und Geschäfte wurden verwüstet, sondern auch „Volksgenossen“ misshandelt, die als „Judenfreunde“ weiterhin Geschäfte mit jüdischen Viehhändlern gemacht hatten.

                           

    Brennende Synagoge (Aufn. vom 10.11.1938, Archiv Museum Ober-Ramstadt)

                   Die „Odenwälder Nachrichten” berichteten am 12.11.1938 wie folgt:

                          

Mitte Dezember 1938 teilte der Bürgermeister dem Kreisdirektor in Darmstadt mit, dass in Ober-Ramstadt keine jüdischen Geschäfte mehr existierten. Die meisten jüdischen Bewohner hatten Ober-Ramstadt bereits vor der „Kristallnacht“ verlassen; sie waren vor allem nach Übersee emigriert. Ab Frühjahr 1942 wurden verbliebene Juden aus Ober-Ramstadt deportiert.

                 Aus einem Schreiben des Bürgermeisters an den Landrat:

18.März 1942

...

Betrifft: Judenaktion in Ober-Ramstadt

Zu dem am 18.März 1942 in Ober-Ramstadt stattgefundenen Abtransport von acht Juden ... teile ich dem Herrn Landrat ergebenst mit, daß diese Aktion morgens um 7.00 Uhr einsetzte und abends um 7.00 Uhr reibungslos beendet war. ... Da heute schon ein Ansturm auf meinem Amt wegen der freigewordenen Judenwohnungen erfolgte, auch erfolgen mußte, ... , bitte ich Sie ... veranlassen zu wollen, daß recht bald über die Wohnungen bzw. deren Innenausstattung verfügt werden kann. ...

Im November 1942 wurde Ober-Ramstadt als „judenfrei” gemeldet; die letzten jüdischen Einwohner wurden über die Sammelstelle in Darmstadt (Liebig-Oberrealschule) „in den Osten umgesiedelt“.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 35 aus Ober-Ramstadt stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der "Endlösung" geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/ober-ramstadt_synagoge.htm).

 

   Aufn. J. Hahn, 2009      1983 errichtete die Stadt Ober-Ramstadt am Standort der 1938 zerstörten Synagoge ein Mahnmal für die jüdischen NS-Opfer; unter einer stilisierten Menora stehen die Worte:

Hier stand die Synagoge unserer jüdischen Mitbürger. Sie wurde am 8. November 1938 durch Brandstiftung zerstört.

Du sollst nicht rachgierig sein, noch Zorn halten gegen die Kinder Deines Volkes.

Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst.     3.Mose 19, 18

 

2010 wurde in Ober-Ramstadt mit der Verlegung von neun sog. „Stolpersteinen“ begonnen; 2012 kamen weitere Steine hinzu, so dass sich ihre Anzahl auf derzeit ca. 20 beläuft (Stand 2024). Die Initiative dafür kam von Schüler/innen des 12.Jahrgangs der Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule.

verlegt in der Hammergasse (Aufn. aus: stolpersteine-ober-ramstadt.com)

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen, Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 155/156

Helmut Beier (Bearb.), Ober-Ramstadt und seine Juden. Dokumente und Berichte, Hrg. Magistrat der Stadt Ober-Ramstadt, 1988

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945, Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, 1995 S. 41/42

Thomas Lange (Hrg.), ‘L’chajim’ - Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg, Hrg. Landkreis Darmstadt-Dieburg, Reinheim 1997, S. 223 - 225

Klaus Hesse/Philipp Springer, Vor aller Augen - Fotodokumente des nationalsozialistischen Terrors in der Provinz, Klartext Verlag, Essen 2002, S. 92/93 (mit 8 Abbildungen)

Andreas Nachama/Uwe Neumärker/Hermann Simon (Bearb.), „Es brennt!“ Antijüdischer Terror im November 1938, Berlin 2008 (über Ober-Ramstadt S. 49 - 51)

Ober-Ramstadt, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten aus der jüdischen Ortshistorie)

N.N. (Red.), „Mit dem Kopf und mit dem Herzen stolpern“, in: „Darmstädter Echo“ vom 15.3.2010

Auflistung der Stolpersteine in Ober-Ramstadt, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Ober-Ramstadt

Stolpersteine für Ober-Ramstadt (2012), online abrufbar unter: stolpersteine-ober-ramstadt.de (informative Darstellung mit biografischen Daten)

Sebastian Funk/Jannik Tröller (Red.), Die Synagoge in der „Reichskristallnacht“, online abrufbar unter: stolpersteine-ober-ramstadt.de

Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule (Bearb.), Stolpersteine Ober-Ramstadt: „Tot sind nur die, die man vergisst“, online abrufbar unter: stolpersteine-ober-ramstadt.com