Nordhausen/Harz (Thüringen)

Feuerwehr in Thüringen - Wikiwand Koenigreich westphalen 1811 Nordhausen.pngDas am Südrand des Harzes gelegene Nordhausen mit seinen derzeit ca. 40.500 Einwohnern ist Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises im äußersten Norden des Bundeslandes Thüringen (Kartenskizze 'Bundesland Thüringen', aus: wikiwand.com  und  Ausschnitt aus hist. Karte von 1811, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

 

Im ersten Viertel des 20.Jahrhunderts zählte die nahezu 500 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde in Nordhausen - nach Gera und Erfurt - zu einer der größten Thüringens.

Vermutlich haben bereits zur Zeit der Stadtgründung Nordhausens (um 1000) vereinzelt Juden hier gelebt. Die erste Urkunde (Verordnung Kaiser Rudolf I.), welche Nordhäuser Juden erwähnt, stammt allerdings erst aus dem Jahre 1280; in dieser Zeit verfügten sie in der Hütergasse am Südhang des Petersberges über eine Synagoge; in der Nähe lag auch der jüdische Friedhof. Zunächst besaß der Kaiser das Judenregal, der es zu Beginn des 14.Jahrhunderts der Stadt übertrug. Die jüdische Gemeinde in Nordhausen war damals relativ groß; u.a. zog die günstige geographische Lage der Stadt jüdische Händler des Umlandes an. Sie trieben zunächst vor allem Geldhandel; nach dessen Verbot waren Pferde-, Tuch- und Leinwandhandel ihre wirtschaftliche Basis. Die Juden Nordhausens lebten vor allem in der Jüdenstraße, wo sich ab ca. 1320/1322 auch ihre neue Synagoge und Mikwe befanden; der Friedhof („joddinkerchoff“) lag am Frauenberg außerhalb der Stadt.

Erste Verfolgungen Nordhäuser Juden sind aus dem Jahre 1324 dokumentiert; damals wurde auch die Synagoge zerstört. In den Pestjahren 1348/1349 wurden die jüdischen Familien ermordet bzw. aus der Harzrandstadt vertrieben. Am sog. „Judenturm“, der seinen Namen nach dem später dort befindlichen israelitischen Friedhof erhielt, sollen Nordhäuser Juden 1349 verbrannt worden sein. Legalisiert wurde das gewaltsame Vorgehen gegen die hiesigen Juden durch ein Schreiben des thüringischen Landgrafen an den Rat der Stadt Nordhausen. Unmittelbar danach siedelten sich einige jüdische Familien aber wieder in der Stadt an. 1567 wurden sie aber nach einem Rechtsstreit mit dem Rat der Stadt endgültig vertrieben.

Datei:Northaussen (Merian).jpg

"NORTHVSIA - Northausen"  -  Merian-Stich, um 1650 (Abb. aus: wiki-de.genealogy.net)

Es sollte bis in die französische Besatzungszeit dauern (1808), ehe sich wieder Juden in nennenswerter Anzahl in Nordhausen ansässig machten. Ihr Zuzug erfolgte vor allem aus umliegenden Landgemeinden wie Ellrich, Immenrode, Sülzhayn u.a.

historische Stadtansicht - um 1840 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Die neuzeitliche jüdische Gemeinde Nordhausen wurde 1813 gegründet. Ihren religiösen Mittelpunkt besaßen die Nordhäuser Juden zunächst in einem Betlokal in der Ritterstraße, anschließend in der 1843/1845 erbauten und 1888 erneuerten Synagoge am Pferdemarkt, einem imposanten Kuppelbau mit einem neoromanischen Saal und neobyzantinischen Bauelementen. Dessen feierliche Einweihung nahm im September 1845 der aus dem nahen Ellrich stammende braunschweigische Landesrabbiner Dr. Levi Herzfeld vor.

   

Bauzeichnung und hist. Aufnahmen der Synagoge von 1897/1920 (aus: H. Stern, 1927, Stadtarchiv Nordhausen)

Aus einer Schilderung des Synagogengebäudes: Die Synagoge ist ein Saalbau mit Emporen und tonnengewölbter Decke, den im Osten eine Konche (= Nischenwölbung) abschließt. Innerhalb letzterer erhebt sich in der Achse des Raumes das wie ein Triumphbogen ... aufgeführte, die Thorarollen bergende Allerheiligste. Die Gestalt des bei der Erneuerung 1888 im Westen hinzugefügten Vorbaues ist im Grundzuge romanisch mit einem gewissen Anklange an Neobyzantinisches. Die Mitte nimmt ein mächtiges, oben mit Mastwerk, unter durch Rundbogen tragende Pfeiler gegliedertes Bogenfenster ein. ... Noch aus dem siebenzehnten Jahrhundert stammend, in starkgeschweiften Formen des Barock stehen kupfergetrieben ein Lavor und daneben ein Wasserkessel für die rituelle Priesterwaschung im Vorraume. ...” (aus: Heinrich Stern, Geschichte der Juden in Nordhausen, S. 61/62)

Anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Synagoge erschien am 13.Sept. 1895 ein Artikel in der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“

Nordhausen, 8. September. Am Sonntag, den 1. September fand hier anläßlich des 50-jährigen Bestehens unserer im Jahre 1888 sowohl durch Anbau vergrößerten, als auch in architektonischer Weise wesentlich verschönerten Synagoge in derselben eine Feier statt, die sich zu einem wahren Kiddusch haschem (Anm.: Heiligung des Gottesnamens) gestaltete und zu welcher auf ergangene Einladung der Magistrat vollständig und eine größere Anzahl Stadtverordneter erschienen waren. Die Feier begann mit dem vom Synagogenchor gesungenen Ma towuo und einem Theile des von Gemeinde und dem Vorbeter abwechselnd gesungenen Hallelgebets, worauf unser Rabbiner Herr Dr. Schönberger die Kanzel bestieg und eine wirkungsvolle, formvollendete Rede hielt, die auf alle Zuhörer einen großen Eindruck machte. Wann ist ein Haus geweiht und von wem ist es geweiht? Das waren die Fragen, welche sich der Redner als Thema vorlegte und welche er in geschickter Weise löste, ausführend, daß ein Gotteshaus erst geweiht ist, sobald wir uns selbst weihen, und daß es für Jeden geweiht ist, der aus der Tiefe seines Herzens darin bete. In treffender Weise verband der Redner damit die Erinnerung an den glorreichen Tag von Sedan. Mit Segen für König, Vaterland und die Vertreter der Stadt, die durch ihr Erscheinen bewiesen hätten, daß ein Gotteshaus geweiht ist für Jeden, der darin beten will und mit dem vom Synagogenchor gesungenen Hallelujah schloß die wahrhaft erhebende Feier. - Unser erster Herr Bürgermeister verabschiedete sich mit Dankesworten an den Vorstand und gab dem Wunsche Ausdruck, daß die schönen Worte des Redners von allen Festtheilnehmern beherzigt werden und ihre Früchte tragen mögen."        

Die meisten Nordhäuser Juden waren religiös-liberal eingestellt; nur wenige befolgten streng die überlieferten Gebote. Innerhalb der jüdischen Gemeinde gab es in den 1850er Jahren heftige Dispute um die gemeindliche Organisation und um den Kultus. Folge war die Ausarbeitung einer sehr detaillierten Gemeindeordnung; auch der Streit um die Benutzung einer Orgel entzweite jahrelang die Gemeinde.

Zur Verrichtung religiöser Aufgaben der Gemeinde waren zwischen 1875 und 1925 Rabbiner tätig, deren Amtsdauer – bis auf wenige Ausnahmen) jeweils einen nur relativ kurzen Zeitraum umfasste. (Anm.: Rabbiner Dr. Samuel Auerbach 1856-1874, Rabbiner Dr. David Leimdörfer 1875-1883, Rabbiner Dr. Siegmund Gelbhaus 1883-1889, Rabbiner Dr. Philipp Schönberger 1889-1909, Rabbiner Dr. Alfred Levy 1909-1925, Rabbiner Dr. Gustav Pfingst 1925-1927 und Rabbiner Dr. Heinrich Lemle (bis 1933).

Ansonsten (zeitweise auch zusätzlich) war ein Lehrer angestellt, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war. 

  aus: "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 27.Febr. 1883 

Die jüdische Gemeinde in Nordhausen zeichnete sich durch ein reges Vereinsleben aus. So gab es hier den Wohltätigkeitsverein „Chewra Gemilus Chassidim“ (bzw. Chewra Kadischa), den Israelitischen Frauenverein, eine Ortsgruppe des „Centralvereins“, eine Ortsgruppe des „Hilfsvereins“, einen Synagogengesangverein, eine Zionistische Ortsgruppe, eine Deutsch-jüdische Jugendgruppe, einen Verein zur Abwehr des Antisemitismus, die „Jacob-Plaut-Loge U.O.B.B.“ und den Verein Wanderfürsorge.

Am Ammerberg besaß die jüdische Gemeinde seit Ende der 1820er Jahre ihre Begräbnisstätte, die im Laufe des 19.Jahrhunderts mehrfach erweitert werden musste; um 1870 wurden hier eine Leichenhalle (Taharahaus) errichtet, die dann um 1900 durch eine neue ersetzt wurde.

Juden in Nordhausen:

         --- um 1630 ........................   4 „Schutzjuden“,

--- 1809 ...........................   5 jüdische Familien,

    --- 1817 ...........................  14     “       “    (74 Pers.),

    --- um 1825 .................... ca. 100 Juden,

    --- um 1830 .................... ca. 165   “   (ca. 30 Familien),

    --- 1840 ....................... ca. 210   “  ,

    --- 1880 ....................... ca. 490   “  ,

    --- 1910 ........................... 452   “  ,

    --- 1927 ....................... ca. 450   “  ,

    --- 1932/33 ........................ 438   “  ,

    --- 1934 ........................... 303   “  ,

    --- 1937 ........................... 386   “  ,

    --- 1939 ........................... 128   “  ,

    --- 1942 (Jan.) ....................  79   “  ,

             (Nov.) ....................  19   “  ,

    --- 1946 ...........................   7   “  .

Angaben aus: Manfred Schröter, Die Verfolgung der Nordhäuser Juden 1933 - 1945

und                 Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band II, S. 877 f.

 

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gab es zahlreiche jüdische Geschäfte in der Rauten- und in der Töpferstraße.

   Datei:AK Nordhausen, Rautenstraße mit Stadthaus (um 1900).jpgRautenstraße (aus: wikipedia.org, CCO)

Gewerbliche Anzeigen jüdischer Geschäftsinhaber (von 1850 - 1875):

 (1850) (1855)

(1860)  (1863)

(1869)    (1872)

 (1873)    (1875)

 Weitere Kleinanzeigen jüdischer Gewerbetreibender siehe: alemannia-judaica.de/nordhausen_synagoge.htm

In die städtische Gesellschaft waren die alteingesessenen Familien weitestgehend integriert; die zuwanderten „Ostjuden“, die in bescheidenen Altstadtquartieren lebten, hatten allerdings weder Kontakte zur Stadtbevölkerung, noch solche zu den wohlhabenderen „alten“ jüdischen Familien Nordhausens. Finanzkräftige jüdische Familien riefen mehrere Stiftungen zugunsten der ärmeren Juden Nordhausens und zum Ausbau und Erhalt der Synagoge ins Leben.

Gegen Ende des 19.Jahrhunderts regten sich auch in Nordhausen erste nationalistisch-antisemitische Kräfte, die besonders nach Ende des Ersten Weltkrieges verstärkt Auftrieb erhielten.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20372/Nordhausen%20JuedWZKassel%2010041931.jpgKurznotiz von Mitte April 1931

In Wirtschaft, Gewerbe und Handel Nordhausens spielten die jüdischen Unternehmen eine wichtige Rolle; Anfang der 1930er Jahre gab es mehr als 30 Geschäfte bzw. Betriebe, die in jüdischem Besitz waren: außerdem waren einige Nordhäuser Juden in freien Berufen tätig.

Betriebsgelände der O&K AG („Maschinenfabrik Montania“, Aufn. um 1914)*

* Die jüdischen Besitzer der Firma Orenstein & Koppel wurden 1935 im Rahmen der „Arisierung“ enteignet.

Nach der NS-Machtübernahme 1933 war auch in Nordhausen der Boykott jüdischer Geschäfte der erste Höhepunkt antijüdischer Maßnahmen. Am 1.April 1933 wurde die folgende Erklärung verschiedener jüdischer Organisationen Nordhausens veröffentlicht, die den beabsichtigten NS-Boykottmaßnahmen die Spitze nehmen sollte:

Mit Entrüstung verurteilen wir die im Auslande von unverantwortlichen Hetzern betriebene Greuel-Propaganda gegen Deutschland und den Boykott deutscher Erzeugnisse. Wir werden jederzeit mit allen Kräften den gegen Deutschland gerichteten Lügen entgegentreten.

Synagogengemeinde Nordhausen ...          Zentralverein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens ...        Reichsbund jüdischer Frontsoldaten - Ortsgruppe Nordhausen ...  Zionistische Vereinigung Deutschlands - Ortsgruppe Nordhausen

Über den Verlauf des Boykotts in Nordhausen erschien am gleichen Tage der folgende Zeitungsartikel in der „Nordhäuser Allgemeinen Zeitung”:

Die Schließung der jüdischen Geschäfte

Wie wir bereits mitteilten, hat die Nordhäuser SA und SS gestern vormittag um 10.00 Uhr sämtliche jüdischen Geschäfte und Betriebe sowie die Büros der jüdischen Rechtsanwälte und Ärzte geschlossen. Nach der Schließung wurden an den Eingängen rote Plakate angebracht mit folgender Aufschrift: “ Geschlossen solange, bis die Weltjuden den Kampf gegen das erwachte Deutschland eingestellt haben. SA und SS Nordhausen.” Den ganzen Tag über standen Posten der SA und SS vor den geschlossenen Geschäften. Diese Maßnahme erregte naturgemäß großes Aufsehen. Den ganzen Tag über waren die Straßen, besonders im Zentrum der Stadt, sehr belebt. Die SA und SS haben auch heute vormittag wieder Posten aufgestellt.

 Boykottiertes Modehaus Schönbeck am Kornmarkt (Aufn. April 1933)

Bis 1935 gab es in Nordhausen keine weiteren spektakulären antijüdischen Aktionen; doch ab Sommer 1935 verstärkte sich erneut die antisemitische Hetze. So berichtete die lokale NS-Zeitung „Allgemeine Zeitung” am 5.8.1935 über eine Ratssitzung in Nordhausen, in der der hiesige Oberbürgermeister Dr. Meister seine Absichten dargelegt hatte:

Die Judenfrage in Nordhausen

Eine Frage, die heute die ganze Welt bewegt, ist die Judenfrage.  Die Stadt Nordhausen ist überzeugt, eben weil sie nationalsozialistisch ist, daß diese Frage gelöst werden wird und muß. Um auch äußerlich den Zusammenhang zwischen dem Wollen des Nationalsozialismus und der Stadt zu dokumentieren, wird mit dem heutigen Tage die Jüdenstraße, in der vor Jahrhunderten die Juden saßen, in „Am Ratskeller” umgeändert (bravo). ... Wir wollen in Nordhausen durch die Umbenennung der Jüdenstraße kundtun, daß es uns vor allem daran liegt, in Nordhausen eine Zeit herbeizuführen, in der sich kein Jude mehr in Nordhausen aufhält (bravo).

Es kam in Nordhausen nun zur Verhaftung einzelner Juden wegen Mietwuchers oder „Rassenschändung“, aber auch zu brutalen Misshandlungen auf offener Straße. Von der sog. „Abschiebe-Aktion“ der „Ostjuden“ Ende Oktober 1938 waren auch etwa 40 in Nordhausen lebende jüdische Bewohner betroffen.

Die Aktionen der „Kristallnacht“ begannen in Nordhausen in den frühen Morgenstunden des 10.November 1938, als sich meist zivil gekleidete SA-Trupps aufmachten, den Zerstörungsbefehl in die Tat umzusetzen. Die Synagoge am Pferdemarkt wurde aufgebrochen, der Innenraum mit Brandbeschleunigern versehen und anschließend angesteckt; das Gebäude brannte völlig aus. Zahlreiche jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zertrümmert und geplündert. Fast 70 männliche Juden Nordhausens wurden verhaftet und zusammen mit weiteren 15 Juden aus dem Kreisgebiet ins KZ Buchenwald verfrachtet; von ihnen haben sechs Männer die wochenlange Haft nicht überlebt.

Aus den „Beiträgen zur Heimatkunde”: „ ... Gegen 2.15 Uhr trafen die Brandstifter am Pferdemarkt ein. Rigoros wurde die Tür der Synagoge, des jüdischen Gotteshauses, aufgebrochen. Männer des NSFK (Anm.: NS-Fliegerkorps), denen diese Aufgabe als Bewährungsprobe für ihre echte ‘nationale Gesinnung’ zugedacht war, betraten mit Kanistern das im Garten des Grundstücks Pferdemarkt 9/10 gelegene Gebäude. Sie schütteten Benzin und Petroleum über alles, was sich an Brennbarem fand ... Schon bald begann Qualm aus dem Dachstuhl zu quellen. Männer des Kommandos drangen inzwischen in das Vordergebäude, das jüdische Gemeindehaus, ein. Sie holten den jungen Kantor Kurt Singer und seinen alten Vater aus den Betten, stöberten durch alle Räume. Stapelweise schleppten sie aus der Gemeindebibliothek Bücher zur brennenden Synagoge und warfen sie in die Flammen. Den Kantor Singer selbst haben sie in das Gotteshaus hineingestoßen und die Tür hinter ihm verschlossen; doch beließen sie es bei dieser makabren Drohung, und er konnte halberstickt das brennende Gebäude wieder verlassen. Einige SA-Männer schleppten aus dem Gotteshaus ein Klavier auf den Hof. Jemand setzte sich an das Instrument und spielte angesichts dieser Szenen des schlimmsten Vandalismus und zu nächtlicher Stunde laut die Melodie ‘Freut Euch des Lebens’ ...

                               Schaulustige vor der Synagoge (Stadtarchiv Nordhausen)

Nach dem Novemberpogrom von 1938 wurden zahlreiche frühere jüdische Geschäfte von „arischen“ Eigentümern übernommen. Bereits Ende August 1938 war das Modeshaus Schönbeck (Kornmarkt) in „arische“ Hände übergegangen:

            Geschäftsanzeige (31.8.1938)

Insgesamt ca. 200 Juden aus Nordhausen konnten noch rechtzeitig emigrieren, vor allem nach Palästina und in die USA. Bald nach Kriegsbeginn mussten die in Mietwohnungen lebenden Nordhäuser Juden diese verlassen und wurden in amtlich bestimmte Unterkünfte eingewiesen; in Nordhausen hat es bis 1942 neun sog. „Judenhäuser“ gegeben; in der Arnoldstraße 17 waren die meisten Menschen untergebracht. Im Mai 1942 begannen die Deportationen: Per Zug wurden einige Dutzend Nordhäuser Juden nach Weimar gebracht, dort in einer Viehauktionshalle festgehalten und wenige Tage später - zusammen mit anderen aus Sachsen - in ein Ghetto im polnischen Bełżyce verschleppt. Die letzten Nordhäuser Juden wurden 1942/1943 in drei Transporten in die Vernichtungslager Osteuropas und nach Theresienstadt deportiert; nur die „in Mischehe“ lebenden Juden verblieben bis Kriegsende in der Stadt.

Mehr als 200 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum hinweg in Nordhausen lebende jüdische Bürger wurden nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." Opfer des Holocaust (vgl. dazu namentliche Nennung der Opfer in: alemannia-judaica.de/nordhausen_synagoge.htm).

 

Heute erinnern noch der in der NS-Zeit weitgehend unzerstört gebliebene jüdische Friedhof sowie ein Gedenkstein am ehemaligen Standort der Synagoge (an der Wolfstraße/Ecke Pferdemarkt) an die einstige jüdische Gemeinde Nordhausens. Unweit der einstigen Synagoge weisen zwei steinerne Stelen auf die ehemalige Nordhäuser Synagoge und deren Zerstörung während der Reichspogromnacht hin.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20294/Nordhausen%20Synagoge%20160.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20294/Nordhausen%20Synagoge%20161.jpg (Aufn. J. Hahn, 2011)

2005 erinnerte ein gemeinsames Projekt hiesiger Vereine an den 160. Jahrestag der Einweihung der Nordhäuser Synagoge: am ehemaligen Standort der Synagoge wurden die ersten drei Eingangsstufen des Gotteshauses symbolisch nachgestaltet.

Am 70.Jahrestag der Pogromnacht stellte die Jugendkunstschule Nordhausens e.V. der Öffentlichkeit ein nach historischen Plänen erstelltes Modell der ehemaligen Synagoge vor.

           Modell der Nordhäuser Synagoge (Aufn. Stadt Nordhausen)

Nordhausen gehört seit 2004 zu den ersten Städten Thüringens, in denen sog. „Stolpersteine“ an Opfer der NS-Zeit erinnern; derzeit findet man in den Gehwegen der Stadt ca. 40 Steine (Stand 2023). Die beiden jüngst verlegten Steine sollen die Erinnerung an Simon Weiß und Amanda Meyer wachhalten.

Stolperstein des Nordhäusers Isodor Levin, ermordet von Nationalsozialisten im KZ Buchenwald Stolperstein der Nordhäuserin Stephanie Pinthus. Sie wurde von Nationalsozialisten deportiert und in Sobibor ermordet.  Am Denkmal der von Nationalsozialisten niedergebrannten Synagoge befinden sich auch die beiden Stolpersteine von Kurt und Eduard Singer.

verlegt in der Rautenstraße und Pferdemarkt (Aufn. J. Kretzmann, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Die seit 1991 in Nordhausen lebenden Juden haben sich im Verein „Schalom“ zusammengefunden und bilden hier eine Außenstelle der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen mit derzeit ca. 20 Mitgliedern (Stand 2022).

Der Anfang des 19.Jahrhunderts angelegte jüdische Friedhof überstand die NS-Zeit ohne größere Beschädigungen; noch heute sind ca. 440 Grabsteine vorhanden. Taharahaus bzw. Friedhofshalle wurden allerdings abgebrochen.

Jüdischer Friedhof, 1, Nordhausen, Landkreis Nordhausen.jpgEingangstor zum Friedhof (Aufn. G., 2020, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Eine am Eingang zum Friedhof in hebräischer und deutscher Sprache abgefasste Info-Tafel trägt den ff. Text:Jüdischer Friedhof. Bereits im 13. und 14. Jahrhundert existierte in Nordhausen eine jüdische Gemeinde mit einer Synagoge und einem Begräbnisplatz am 'Rähmen' vor dem 'Judenturm'. Um 1820 wurde der jüdische Friedhof an den Ammerberg verlegt, 1854 und in den sechsziger Jahren des 19.Jahrhunderts vergrößert. Die meisten Gräber stammen aus der Zeit der Jahrhundertwende bis Anfang der dreißiger Jahre, als Nordhausen eine stattliche jüdische Gemeinde von etwa 450 Personen zählte. Über 200 von ihnen fielen der Nazibarbarei zum Opfer. Nur wenige Gräber stammen aus der Zeit nach 1945."


 Teilansichten des jüdischen Friedhofs in Nordhausen (beide Aufn. J. Hahn, 2011)

Das hier befindliche Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten Nordhausens – es war durch Kriegseinwirkung 1945 beschädigt worden – wurde 2005 nach dessen Restaurierung erneut eingeweiht.

 Der 1807 geborene Jakob Plaut gehörte zu den bedeutendsten Juden in Nordhausen. Seinen in eigenen Bankhäusern erworbenen Reichtum verwendete Jakob Plaut auch für soziale und wohltätige Einrichtungen; so verdankte ihm die Stadt Nordhausen u.a. ein Altenheim und eine Volkslesehalle. Wegen ihres philanthropischen Wirkens ernannte die Stadt Nordhausen die Gebrüder Jakob und Moritz Plaut zu Ehrenbürgern. Heute erinnern eine Straße und eine Treppenanlage an das soziale Engagement der beiden Brüder.

 

 

In unmittelbarer Nähe des Stadtgebietes von Nordhausen entstand Ende August 1943 das KZ DORA-MITTELBAU als letztes großes Konzentrationslager. Die Entwicklung des Konzentrationslager-Komplexes KZ Mittelbau im Harz steht in engem Zusammenhang mit der Untertageverlagerung der deutschen Rüstungsindustrie während des Zweiten Weltkrieges. Es war zunächst ein Außenlager des KZ Buchenwald, ab Oktober 1944 ein selbstständiges Lagersystem mit ca. 30 eigenen Außenkommandos, in denen 60.000 Menschen aus 21 Nationen unter unmenschlichsten Bedingungen in der Kriegsproduktion eingesetzt waren. Nordhausen war damit eines der wichtigsten Zentren der untertage-verlagerten deutschen Rüstungsindustrie, insbesondere der V-Waffen. Die beiden größten KZ-Außenlager waren die in Ellrich-Juliushütte und Harzungen. Seit Ende Januar 1945 trafen aus den östlichen Konzentrationslagern zahlreiche Evakuierungstransporte ein und führten zu hoffnungsloser Überbelegung und zu chaotischen Zuständen. Die Sterblichkeitsrate in Dora-Mittelbau war höher als in fast jedem anderen Konzentrationslager Deutschlands; innerhalb von zwei Jahren kamen etwa 20.000 Menschen ums Leben.  

20 Jahre nach Kriegsende wurde auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Dora eine Gedenkstätte eingerichtet.      

KZ Mittelbau-Dora – WikipediaEingang zur Gedenkstätte Dora-Mittelbau (Aufn. J. 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

 

Weitere Informationen:

David Leimdörfer, Die Hochziele des Gotteshauses: Festrede zur Einweihung der neuen Synagoge am 1.Juni 1882, Nordhausen 1882

Karl Meyer, Die Juden in Nordhausen, in: "Blätter für Handel, Gewerbe und soziales Leben - Beilage zur Magdeburgischen Zeitung", 1903 (mehrere Ausgaben)

Heinrich Stern, Geschichte der Juden in Nordhausen, Selbstverlag, Nordhausen 1927 (Neuaufl. 1990/2002/2009)

Germania Judaica, Band II/2, Tübingen 1968, S. 590 – 592 und Band III/2, Tübingen 1995, S. 994 - 1000

Manfred Schröter, Judenverfolgung im Jahre 1938 in Nordhausen, in: "Nordhäuser Nachrichten - Südharzer Heimatblätter" (Sonderbeilage der "Thüringer Allgemeine") vom 29.10.1988, S. 1 - 4

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band II, S. 877 f.

Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 280 - 283

Manfred Schröter, Die Verfolgung der Nordhäuser Juden 1933 - 1945, Verlag C.Kohlmann, Bad Lauterberg/Harz 1992 (Neubearb. und Neuauflage 2013)

Jörg-Michael Junker, Vom Schicksal der Nordhäuser Synagoge nach dem Pogrom, in: "Beiträge zur Heimatkunde aus Stadt und Kreis Nordhausen", Heft 18/1993, S. 62 - 66

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 527 – 530

Joachim Neander, Das Konzentrationslager "Mittelbau" in der Endphase der nationalsozialistischen Diktatur - Dissertation, Clausthal-Zellerfeld 1996

Monika Kahl, Denkmale jüdischer Kultur in Thüringen - Kulturgeschichtliche Reihe, Band 2, Hrg. Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege, Bad Homburg/Leipzig 1997, S. 112 f.

André Sellier, Zwangsarbeit im Raketentunnel - Geschichte des Lagers Dora, (dt. Ausgabe), Klampen Verlag, Lüneburg 2000, S. 235 ff.

Joachim Neander, “Hat in Europa kein annäherndes Beispiel gegeben”. Mittelbau-Dora - ein KZ für Hitlers Krieg, Metropol-Verlag, Berlin 2000, S. 7 f.

Jens-Christian Wagner, Produktion des Todes - Das KZ Mittelbau-Dora, Hrg. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Wallstein-Verlag, Göttingen 2001 (2. Aufl. 2004)

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945, Band 8: Thüringen, Frankfurt/M. 2003, S. 192 - 199

Herbert Gerhardt, Die unglaubliche Geschichte der Nordhäuser Synagoge, in: "Heute und einst. Jahrbuch des Landkreises Nordhausen 12/2004", Nordhausen 2005, S. 121 - 126

Monika Gibas (Hrg.), Quellen zur Geschichte Thüringens: ‘Arisierung’ in Thüringen (1.Halbband) - Entrechtung, Enteignung und Vernichtung der jüdischen Bürger Thüringens 1933 - 1945, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2006, S. 95/96

Peter Kuhlbrodt, Verzeichnis der Nordhäuser jüdischen Familien zur Zeit des Neuanfangs im Jahre 1808, 1822 und 1829, erstellt 2006 (online abrufbar)

Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischer Vergangenheit in Thüringen. Eine Dokumentation, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Sömmerda 2007, S. 190 – 201

Hans-Jürgen Grönke, Richard Philipp - ein jüdischer Stadtverordneter und unbesoldeter Stadtrat in Nordhausen in der Zeit von 1913 bis 1932, in: "Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen", Band 33/2008, S. 79 – 85

Monika Gibas, „Ich kam als wohlhabender Mensch nach Erfurt und ging als ausgeplünderter Mensch davon“ – Schicksale 1933 – 1945, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2008, S. 85 – 92 (Gebr. Heilbrun in Nordhausen)

Nordhausen, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur Gemeindehistorie)

N.N. (Red.), Im Oktober werden weitere Stolpersteine in der Stadt verlegt – Broschüre geplant, in: „Neue Nordhäuser Zeitung“ vom 27.8.2010

Marie-Luis Zahradnik (Red.), Das Haus des Lebens. Der Judenkirchhof in Nordhausen im 19.Jahrhundert, in: "Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Landkreis Nordhausen", Band 39/2014, S. 231 - 246

Jens-Christian Wagner (Hrg.), Vernichtung und Arbeit. Jüdische Häftlinge im KZ Mittelbau-Dora, Nordhausen/ Weimar 2014

Jens-Christian Wagner (Bearb.), Wegweiser durch die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, hrg. von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Dora-Mittelbau, Weimar/Nordhausen 2014

Marie–Luis Zahradnik (Red.), „Die religiöse Reform“ des Braunschweiger Landesrabbiners Dr. Levi Herzfeld – Die Predigt zur Einweihung der Synagoge in Nordhausen 1845, in: "Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter", Hrg. Stadtarchiv Nordhausen, 2,3/2015

Jens-Christian Wagner, Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora. Hrg. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Wallstein Verlag Göttingen 2015

Hans-Peter Blum (Red.), Drei neue Stolpersteine in Nordhausen verlegt, in: "Thüringer Allgemeine" vom 10.6.2015

Auflistung der in Nordhausen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Nordhausen

Stadt Nordhausan am Harz (Bearb.), Stolpersteine in der Stadt Nordhausen, online abrufbar unter: nordhausen.de (mit Namen der betroffenen Personen und Verlegeorte auf einer Stadtkarte Nordhausens)

Cornelia Klose (Bearb.), Geschichte der Juden in Mühlhausen, in: "Netzwerk für jüdisches Leben in Thüringen", online abrufbar unter: juedisches-leben-thueringen.de

Nordhausen im Nationalsozialismus – ein historischer Wegweiser (online)

KZ- Gedenkstätte Mittelbau Dora, in: Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, online abrufbar unter: buchenwald.de

Marie-Luis Zahradnik, Vom reichsstädtischen Schutzjuden zum preußischen Staatsbürger jüdischen Glaubens: Chancen und Grenzen der Integration der Nordhäuser Juden im 19.Jahrhundert. Dissertation Universität Jena (2016), in: "Schriftenreihe der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung", Band 37, Nordhausen 2018

Stadt Nordhausen am Harz (Hrg.), 25 Stolpersteine in Nordhausen erinnern an Opfer des Nationalsozialismus, online abrufbar unter: nordhausen.de (Jan. 2018)

Angelo Glashagel (Red.), Vier neue Stolpersteine gesetzt. Erinnerungskultur im 21.Jahrhundert, in: nnz-online.de vom 22.3.2018

Marie-Luis Zahradnik (Red.), Vom Fundstück zum Familienschicksal – die Nordhäuser Goldschmidts, in: „Nordhäuser Nachrichten – Südharzer Heimatblätter“, Jg. 27/2 (2018) und 28/1 (2019)

Doreen Hotzan (Red.), Vier neue Stolpersteine erinnern in Nordhausen an ermordete Juden, in: Thüringer Allgemeine“ vom 18.2.2020

Hans-Peter Blum (Red.), Nordhausen: Auch der jüdische Glaube leidet unter der Pandemie, in: „Thüringer Allgemeine“ vom 24.2.2021

Franziska Gutt/MDR Thüringen (Red.), Kulturelles Erbe erhalten: Hochschule Nordhausen digitalisiert Jüdische Friedhöfe, in: mdr.de vom 28.7.2021

Hans-Peter Blum (Red.), Friedhöfe als Zeugnisse jüdischen Lebens im Südharz, in: „Thüringer Allgemeine“ vom 26.8.2021

Jens Feuerriegel (Red.), 40 Steine in Nordhausen erinnern an Nazi-Opfer, in: „Thüringer Allgemeine“ vom 30.8.2021

Nathanja Hüttenmeister (Red.), Die Digitalisierung der jüdischen Friedhöfe im Landkreis Nordhausen, in: Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte aus dem Salomon Ludwig Steieheim-Institut an der Universität Duisburg-Essen, Heft 2-4 (2022)

Marie-Luis  Zahradnik (Red.), Das kulturelle Erbe erhalten: Dokumentation und Präsentation der jüdischen Friedhöfe im Landkreis Nordhausen, in: Jüdische Geschichte in Thüringen , Böhlau Verlag Wien 2023, S. 427 - 449