Meseritz (Posen)

 Bildergebnis für meseritz historische landkarte mapa PolskiMeseritz ist heute eine Stadt in der polnischen Woiwodschaft Zielona Góra und heißt Międzyrzecz. Um 1260 hatte der Ort Stadtrechte erhalten, unterstand ab 1329 der Oberherrschaft Polens und fiel infolge der 2.Teilung Polens (1793) an Preußen; die zu Posen zählende Stadt lag im äußersten Westteil der Provinz (südlich von Schwerin/Warthe). Nach 1945 gehört die Stadt zum polnischen Staatsgebiet und besitzt derzeit etwa 18.000 Einwohner (hist. Landkarte der Region Meseritz, aus: Heimatkreis Meseritz e.V.  und  Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, CCO und Kartenskizze 'Polen' mit Międzyrzecz markiert, aus: miedzyrzecz.livecity.pl/wikipedia.org).

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts gehörte jeder vierte Bewohner von Meseritz dem mosaischen Glauben an.

Nach ihrer Vertreibung aus der Mark Brandenburg (um 1510) zogen vermehrt jüdische Familien nach Meseritz, wo sich bereits seit dem 14.Jahrhundert wenige Juden niedergelassen hatten. Der Erfolg ihrer Handelsgeschäfte ließ die alteingesessene Stadtbevölkerung beim polnischen König Sigismund intervenieren, um die jüdische Konkurrenz aus Meseritz zu vertreiben. Ein Ausweisungsdekret von 1520 wurde aber wenige Jahrzehnte später aufgehoben, sodass erneut Juden nach Meseritz zogen. Als Gegenleistung hatte sich die Judenschaft zu erheblichen Abgaben bereit erklärt. In den ersten Jahrzehnten des 17.Jahrhunderts waren den Meseritzer Juden bestimmte Branchen verschlossen, sodass ein Teil wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen musste.

Im Laufe des Schwedisch-Polnischen Krieges wurde 1656 auch Meseritz von marodierenden Soldaten heimgesucht; u.a. wurde die Talmud-Schule zerstört. In den Jahrzehnten um 1700 verursachten neue Kriegswirren, aber auch Seuchen, viele Opfer unter der gesamten Stadtbevölkerung; allein ca. 1.700 Juden sollen davon betroffen gewesen sein; zudem verließen immer mehr jüdische Bewohner den Ort.

Als 1793 in Folge der 2.Teilung Polens Meseritz preußisch wurde, huldigte auch die jüdische Einwohnerschaft ihrem neuen König Friedrich Wilhelm III.

„ ... Auch die hiesige Judengemeinde hat am Huldigungstage Sr. Maj. des Königs ihre Freude auf eine ausgezeichnete Art an den Tag gelegt. Die Straßen, in denen die Gemeinde wohnt, waren den Abend stark erleuchtet und aufs geschmackvollste mit goldenen und silbernen Geschirren und reich gestickten Kleidern verziert. In der Hauptstraße sah man eine Ehrenpforte, die aufs prächtigste dekoriert war. An beiden Seiten derselben hingen Tafeln, worauf mit goldenen Lettern jüdische Gebete für das Wohl Sr. Königlichen Majestät angebracht waren. ... und man sah eine Anzahl Personen in türkischer, der Feierlichkeit des Tages angemessener Kleidung durch die Ehrenpforte ziehen. Sie begaben sich zu dem hier kommandirenden Obristlieutenant und überreichten ihm auf einem sehr reich brodirten Kissen ein Gedicht, welches die Gemeinde auf die Huldung Sr. Mjestät hatte verfertigen lassen. Von dan an führte der Zug ...nach der Synagoge, die ebenfalls stark erleuchtet war. Hier war die ganze Gemeinde versammelt und der Vorsänger sang, unter Begleitung von Trompeten und Pauken, ein Gebet für das Wohl der ganzen Königl. Hauses, worüber alle Anwesenden ihren ausgezeichnetsten Beifall zu erkennen gaben. ..."

(aus: A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, S. 624)

Eine große Feuersbrunst vernichtete 1824 fast das gesamte Judenviertel, einschließlich der um 1790 errichteten Synagoge; bereits in den folgenden Jahren wurde ein sehr repräsentativer Synagogenneubau im Stile des Klassizismus fertiggestellt und 1827 eingeweiht.

    

Synagoge Meseritz (Lithographie)  -  Innenansicht (hist. Aufn., um 1930, aus: commons.wikimedia, gemeinfrei)

Ein jüdischer Friedhof soll bereits gegen Mitte des 14.Jahrhunderts auf dem sog. Judenberg - an der Straße nach Schwerin/Warthe, zum Dorf St. Adalbert gehörig - angelegt worden sein; die Ortsherrschaft hatte das Areal gegen die Einrichtung einer Pachtgebühr und von Bestattungsgeldern zur Verfügung gestellt.

Juden in Meseritz:

         --- um 1765 ..................... ca. 1.100 Juden,*    *Stadt und Umland

--- um 1795 ..................... ca.   560 Juden (ca. 18% d. Bevölk.),

    --- 1828 ............................   804   “  ,

    --- 1840 ............................ 1.155   “   (ca. 24% d. Bevölk.),

    --- 1845 ............................ 1.080   “  ,

    --- 1855 ............................   773   “  ,**      ** incl. Dorfgemeinde Paradies

    --- 1871 ............................   466   “  ,

    --- 1880 ............................   377   “  ,

    --- 1895 ............................   253   “  ,

    --- 1905 ............................   206   “  ,

    --- 1910 ............................   144   "  ,

    --- 1926 ........................ ca.   130   “  ,

    --- 1933 ............................   105   “  ,

    --- 1939 ........................ ca.    35   “  .

Angaben aus: Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und ..., S. 627

und                 The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S. 812

Die jüdische Gemeinde in Meseritz Die jüdische Gemeinde in Meseritz

  Judenstraße und Hohe Straße in Meseritz (hist. Aufn aus: Heimatkreis Meseritz e.V. unter: heimatkreis-meseritz.de/4_167.htm)

 

In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts ging die Zahl der Meseritzer Juden stark zurück. Obwohl die Gemeinde nach dem Ersten Weltkrieg bereits keinen eigenen Rabbiner mehr besaß, ließ sie noch Ende der 1920er Jahre das Synagogengebäude renovieren; Ende September 1929 wurde es wieder feierlich eingeweiht.

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten nur noch ca. 100 Juden im Ort, die von Teilen der Bevölkerung für die schlechte wirtschaftliche Lage verantwortlich gemacht wurden und darunter zu leiden hatten; so waren sie z.B. im Juli 1933 Aggressionen ausgesetzt („Die Juden müssen nach Hammerstein, sonst schmeißen wir sie in die Obra rein!“), die auch zu kurzzeitigen Festnahmen einiger jüdischer Männer führten. Während der „Kristallnacht“ von 1938 mussten die hier noch ansässigen Juden miterleben, wie ihre Geschäfte und Häuser demoliert wurden; die Synagoge blieb nahezu unberührt, wurde aber geschlossen und fortan als Lagerraum benutzt. Einige Männer wurden ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Jegliches jüdische Leben endete dann im März 1940, als alle noch verbliebenen jüdischen Einwohner - etwa 15 Familien - in das Internierungslager Bürgergarten bei Schneidemühl verbracht wurden; von hier wurden sie in die Vernichtungslager deportiert.

 

Das ehemalige Synagogengebäude ist bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben; dank eines privaten Investors wurde das Gebäude in den letzten Jahren grundlegend saniert, um es dann als Geschäfts- bzw. Bürohaus zu nutzen.

Synagogengebäude vor und nach der Sanierung (Aufn. TravelPhoto, um 1995 bzw. Aufn. Danuta B., 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

 Synagoda w Międzyrzeczu - wnętrze 4.jpg  Synagoda w Międzyrzeczu - wnętrze 3.jpg

Details aus dem restaurierten Innenraum (Aufn. Staszek, 2008, aus: commons.wikimedia.org, GDFL)

Das hügelige Gelände des jüdischen Friedhofs wurde Anfang der 1970er Jahre eingeebnet und danach als Kiesgrube genutzt. 20 Jahre später baute man eine städtische Umgehungsstraße durch den nun nicht mehr existierenden Friedhofshügel. Insgesamt sind nur sieben Grabsteine erhalten geblieben, die im Regionalmuseum aufbewahrt werden.

Einer der noch erhaltenen Grabsteine (Aufn. Tomasz Nowak, in: kirkuty.xip.pl)  Macewa z cmentarza żydowskiego w Międzyrzeczu

Hinweis: Bei Meseritz gab noch einen weiteren jüdischen Friedhof; dabei handelte es sich um ein separates Bestattungsareal auf dem Gelände des Krankenhausfriedhofs der Nervenklinik Meseritz-Obrawalde. Bis in die 1960er Jahre konnte man noch einzelne Grabsteine finden. Im Jahre 2004 wurde hier ein Denkmal errichtet, das auch an die jüdischen Opfer der in Obrawalde ermordeten Patienten erinnert.

 

 

 

Weitere Informationen:

Johannes Zachert, Chronik der Stadt Meseritz, Posen 1883

A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Koschmin - Bromberg 1909, S. 622 – 627

Paul Becker, Geschichte der Stadt Meseritz, Meseritz 1930

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 257/258

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 812

Andrzej Kirmiel, Jüdische Spuren in Miedyrzecz (Meseritz), in: "Transodra-online", 2007

Miedzyrzecz, in: sztetl.org.pl 

K. Bielawski (Red.), Jewish cemetery in Miedzyrzecz (in poln.), in: kirkuty.xip.pl

Andrzej Kirmiel, Die jüdische Gemeinde in Meseritz vor 1989 (in Übersetzung von M. Diefenbach), Hrg. Heimatkreis Meseritz e.V. und Heimatkreisgemeinschaft Birnbaum

Andrzej Kirmiel (Bearb.), Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Meserritz (Miedzyrzecz) und des Friedhofs, in: Universität Potsdam – Institut für jüdische Studien und Religionswissenschaft (Hrg.), Jüdische Friedhöfe in Polen auf den Gebieten der ehemaligen Provinz Brandenburg, online abrufbar unter: uni-potsdam.de/ (2021)