Liptau-Sankt-Nikolaus/Liptovský Mikuláš (Slowakei)

 Die in der mittleren Slowakei gelegene Kleinstadt ist das heutige Liptovský Mikuláš (ung. Liptoszentmiklos) mit derzeit ca. 31.000 Einwohnern – zwischen Žilina (Sillein)und Poprad (Deutschendorf) gelegen (Kartenskizze 'Slowakei', Kristo, 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

Unter der Herrschaft des Grafen Pongrac siedelten sich im frühen 18.Jahrhundert hier jüdische Familien (zumeist aus Mähren stammend) an, die von der günstigen Marktlage angezogen wurden; denn der Ort hatte sich zu einem bedeutenden Handelszentrum der Region entwickelt. So gab es in der Stadt z.B. jüdische Großhändler, die Leder und Lederprodukte im gesamten Königreich zum Verkauf boten.

Die sich rasch bildende und schnell wachsende Gemeinde errichtete bereits im Jahre 1731 eine Synagoge; ein klassizistischer Nachfolgebau wurde in den Jahren 1842/1846 erstellt.

         Synagoge, hist. Aufn. (Abb. aus: jewishgen.org)

Anm.: Nach einem Großfeuer, das auch die Synagoge in Mitleidenschaft zog (1887), wurde das Gebäude umfassend renoviert (und zudem noch erweitert) und mit Malereien im Innenraum versehen.

Alsbald gründete sich eine Talmud-Thora-Schule und eine Jeschiwa, die erste auf slowakischem Boden (eingerichtet 1776). In der Amtszeit des Rabbiners Eliezer Loew entwickelte sich die Gemeinde zu einem bedeutenden Thora-Zentrum Ungarns.

In den 1860er Jahren kam es zur Spaltung der Gemeinde: in eine „Reformgemeinde“ und eine orthodox ausgerichtete.

Zu den Einrichtungen der jüdischen Gemeinde(n) gehörten ein eigenes Hospital und eine Schule, die auch von Kindern aus der Umgebung (ebenfalls von nicht-jüdischen) besucht wurde; anfangs war hier Deutsch Unterrichtssprache, danach ungarisch. Daneben existierte auch eine jüdische Privatschule (gegründet 1860).

In der Stadt bestanden auch verschiedene jüdische Organisationen, die sozialen Zielen verpflichtet waren.

Juden in Liptau-Sankt-Nikolaus/Liptovský Mikuláš:

--- 1727 ..........................    13 jüdische Familien,

--- 1746 ...................... ca.   130 Juden,

--- 1784 ..........................    77 jüdische Familien,

--- 1828 ...................... ca.   800 Juden (ca. 47% d. Bevölk.),

--- um 1840 ................... ca.   300 jüdische Familien,

--- 1880 ...................... ca. 1.100 Juden (ca. 40% d. Bevölk.),

--- 1900 ..........................   985   “   (ca. 33% d. Bevölk.),

--- 1919 .......................... 1.033   “   (ca. 19% d. Bevölk.),

--- 1930 ...................... ca.   980   “   (ca. 13% d. Bevölk.),

--- 1940/41 ................... ca.   960   “   (ca. 15% d. Bevölk.),

--- 1942 (Febr.) .............. ca. 1.600   ”   ,

--- 1948 ...................... ca.   340   ”   ,

--- 1949 ...................... ca.   240   “   (ca. 4% d. Bevölk.).

Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S. 736

und                  jewishgen.org/yizkor/Pinkas_Slovakia/Slo302

In der Zeit, in der Juden noch nicht gleichberechtigte Bürger waren (vor 1867), waren die in der Stadt lebenden jüdischen Familien von der übrigen Bevölkerung anerkannt und besaßen einen Anteil am öffentlichen kommunalen Leben.

Zu Beginn des 20.Jahrhunderts kontrollierten jüdische Geschäftsleute etwa 90% des innerstädtischen Handels und hatten wesentlichen Anteil am Aufbau der hiesigen Industrie; allein zwölf Unternehmer waren hier - neben ca. 80 Kaufleuten und 25 Handwerkern - tätig.

In der Zwischenkriegszeit war die zionistische Bewegung in der Stadt sehr aktiv; sie gehörte zu einer der aktivsten und zahlenmäßig größten innerhalb der Slowakei.

Nach der Gründung des slowakischen Nationalstaates setzte die Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bewohner ein; sie mussten ihre Geschäfte schließen, Männer wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet. Im November 1941 wurden jüdische Wohnungen und die Synagoge demoliert.

Mit der Ankunft von mehr als 500 Juden, die aus Preßburg/Bratislava „ausgesiedelt“ worden waren, vergrößerte sich kurzzeitig die Zahl der Gemeindeangehörigen. Alsbald (März/April 1942) begannen die Deportationen nach Majdanek bzw. nach Auschwitz-Birkenau. Ein großer Transport mit ca. 600 Juden verließ im Juni 1942 die Stadt in Richtung Lublin (Majdanek/Sobibor). Nur ca. 75 jüdische Familien durften in der Stadt verbleiben. Ehe die deutsche Besetzung begann (Sept. 1944), gelang es einigen hundert Juden in die Wälder zu flüchten.

 

Nach Kriegsende kehrten etwa 350 Juden in die Stadt zurück (die meisten hatten sich in den Wäldern verstecken können) und bildeten eine kleine Kultusgemeinde, die bis in die 1980er Jahre Bestand hatte.

Das Synagogengebäude diente bis Mitte der 1950er Jahre seiner Bestimmung, wurde dann aufgegeben und zu einem Warenhaus umfunktioniert. In den 1990er Jahren begann eine Restaurierung des Bauwerks.

Synagogengebäude (Aufn. Jozef Kotulič, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Im Synagogengebäude ist heute eine Ausstellung zur jüdischen Geschichte der Region untergebracht; zuweilen dient es auch als Stätte kultureller Veranstaltungen.

Liptovsky mikulas synagoga interier 1.JPG Liptovsky mikulas synagoga interier 10.JPG

Innenraum der Synagoge (Aufn. Zuzana Grúňová, 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

In Bresowitz/Brezovica (ung. Tvrdosin) - einer kleine Ortschaft mit derzeit ca. 1.500 Einwohnern nördlich von Liptovský Mikuláš gelegen – wurden vermutlich gegen Mitte des 18.Jahrhunderts jüdische Familien aus Galizien ansässig.

Die sich hier gebildete Gemeinde, der sich jüdische Bewohner aus umliegenden kleinen Dörfern angeschlossen hatten, errichtete im Jahre 1828 einen hölzernen Synagogenbau; dieser wurde 1870 durch einen Neubau ersetzt.

Nach dem Ersten Weltkrieg gab es Brezovica auch eine regionale Elementar- und Religionsschule.

Juden in Bresowitz/Brezovica :

--- 1828 ........................ 148 Juden,

--- 1880 ........................ 272   “  ,

--- 1940 ........................  85   “  .

Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), S. 197

Ab den 1890er Jahren setzte eine Abwanderung vor allem jüngerer Gemeindemitglieder ein.

Mit der Etablierung des slowakischen Nationalstaates verloren die Juden in Brezovica zunächst ihre Lebensgrundlage, dann ihr Zuhause; ab Frühjahr 1942 begann die Deportation der jüdischen Minderheit in die Ghetto- und Vernichtungslager.

 

 

Weitere Informationen:

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York University Press, Washington Square, New York 2001, Vol. 1, S. 197 (Bresovica) und Vol. 2, S. 736 (Liptovský Mikuláš)

The Jewish Community of Liptovsky Svaty Mikulas, Hrg. Beit Hatsutfot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/liptovsky-mikulas

Madeleine Isenberg (Red.), Liptovsky Svaty Mikulas – Encyclopaedia of Jewish communities, Slovakia , online abrufbar unter: jewishgen.org/yizkor/Pinkas_Slovakia/Slo302

Maros Borský, Synagogue Architecture in Slovakia towards creating a memorial landscape of lost community, Dissertation (Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg), 2005, S. 157