Lügde (Nordrhein-Westfalen)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/0/0f/Lage_Kreis_Pyrmont.jpgDatei:Lügde in LIP.svg Lügde - einst Residenzort der Grafschaft Pyrmont - ist heute eine Kleinstadt mit derzeit ca. 9.500 Einwohnern im westfälischen Kreis Lippe – ca. 25 Kilometer südöstlich von Lemgo gelegen bzw. ca. 20 Kilometer südlich von Hameln (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Lippe', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Lügde um 1670 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Um 1600/1620 können Juden im Amt Lügde erstmalig urkundlich nachgewiesen werden; erst gegen Mitte des 18.Jahrhunderts erreichte die Zahl der hier ansässigen Familien eine nennenswerte Größe; sie lebten zumeist in recht ärmlichen Verhältnissen.

Zunächst wurden Gottesdienste in angemieteten Privaträumen abgehalten; 1764 erwarb die Gemeinde in der Hinteren Straße ein Haus, in dem ein Synagogenraum, eine Schule und eine Lehrerwohnung untergebracht wurden. Der Betsaal bot 40 Plätze; regelmäßige Nutzung war mit einer Pachtzahlung für jeden Sitzplatz verbunden. Zwischen 1842 und 1879 gab es in Lügde eine jüdische Elementarschule, die von den Gemeindemitgliedern finanziert wurde: So entrichteten die Eltern schulpflichtiger Kinder ein jährliches Schulgeld, sozial schwache Familien wurden durch den Armenfonds der jüdischen Gemeinde unterstützt. Als Schullokal diente zunächst die Synagoge, später ein Raum im Rathaus. Die Planungen für den Neubau einer Synagoge und Schule um 1860/1870 wurden nicht realisiert, da sich die Gemeinde bereits zu verkleinern begann; deshalb nutzte man weiterhin den Betraum in der Hinteren Straße. Als dann bald keine regelmäßigen Gottesdienste mehr abgehalten werden konnten, suchten die verbliebenden Mitglieder der sich in Auflösung begriffenen Gemeinde fortan die Synagoge in Bad Pyrmont auf.

Anfangs wurden verstorbene Lügder Juden vor dem Niederen Tor beerdigt; nach 1773 erhielten sie einen anderen Begräbnisplatz in den Wallanlagen zugewiesen; dieser wurde bis ca. 1890 genutzt; danach stand ein kleines Areal an der Waldstraße zur Verfügung.           

Die Synagogengemeinde Lügde - offiziell 1853 gegründet - unterstand dem Oberrabbinat Münster.

Juden in Lügde:

         --- 1670 .........................   3 jüdische Familien,

    --- 1703 .........................   4     "       "    ,

    --- 1760 .........................  12     “       “    ,

    --- 1803 .........................  80 Juden,*          *andere Angabe: 65 Pers.

    --- 1842 ......................... 106   “  ,*          *andere Angabe: 80 Pers.

    --- 1859 ......................... 128   “  (5,7% d. Bevölk.),

    --- 1863 ..................... ca. 130   “  (in 26 Familien),

    --- 1871 ......................... 105   “  ,

    --- 1893 .........................  34   “  ,

    --- 1925 .........................  20   “  ,

    --- 1933 .........................  17   “  ,

    --- um 1937 .................. ca.  15   “  .

Angaben aus: Josef Friese, Zur Geschichte der Juden in Lügde, S. 10

und                  Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil III: Reg. bez. Detmold, S. 330

 

Die jüdischen Familien in Lügde lebten insgesamt in bescheidenen Verhältnissen. Nach einem Namensverzeichnis der in Lügde lebenden Juden aus dem Jahre 1864 verdienten von insgesamt 26 jüdischen Haushalten allein 14 Familien ihren Lebensunterhalt im Handel. Im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts war ein abrupter Niedergang der Lügder Kultusgemeinde zu verzeichnen; innerhalb weniger Jahre hatten ca. 70% der Lügder Juden dem Ort den Rücken gekehrt. Die hier verbliebenen Familien brachten es in der Folgezeit zu gewissem Wohlstand

Der Lügde Marktplatz im Jahr 1911.

 

 

 

 

 

 

 

Marktplatz in Lügde, um 1910 (Abb. aus: luegde.de)

In den ersten Jahren des NS-Regimes soll sich das Verhältnis zwischen jüdischem und nicht-jüdischem Bevölkerungsteil kaum verändert haben; so sollen die antijüdischen Boykottmaßnahmen - trotz aufgestellter Propaganda-Schilder - vom Gros der Bevölkerung kaum befolgt worden sein. Während des Novemberpogroms von 1938 fuhren auswärtige SA-Angehörige lärmend durch die Straßen; doch zu Ausschreitungen und Zerstörungen kam es in Lügde nicht. Einer der drei männlichen jüdischen Bewohner wurde „in Schutzhaft“ genommen. Mindestens zwei jüdische Familien aus Lügde wurden vermutlich 1942 deportiert. Dem Holocaust fielen nachweislich sieben Lügder Juden zum Opfer.

Während vom alten jüdischen Friedhof – im Bereich der Wallanlagen am Oberen Tor – keine Grabsteine mehr vorhanden sind, befinden sich auf dem Gelände des jüngeren Friedhofs (Waldstraße/An der roten Kuhle) heute noch mehr als 30 Grabstätten.

Lügde - 119 - An der Roten Kuhle (4).jpg

neuer jüdischer Friedhof in Lügde (Aufn. Ts., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

In den heutigen Ortsteilen Elbrinxen und Rischenau haben auch einige jüdische Familien gelebt.

Nur ein einziger Grabstein erinnert heute noch an den am Postweg befindlichen jüdischen Friedhof in Elbrinxen.

einziger Grabstein (Aufn. Ts., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0) 

Der nördlich der Ortschaft Rischenau gelegene jüdische Friedhof - auf dem ehemaligen „Judenbrink“ - wurde vermutlich bis Mitte des 19.Jahrunderts genutzt; auf dem während des Zweiten Weltkrieges völlig verwüsteten Geländes - heute eine Grünfläche - befinden sich nur noch zwei Grabsteine.

Aufn. Ts., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

Weitere Informationen:

Edmund Schlieker, Aus der Geschichte der Stadt Lügde - Chronik, Band I, 1950

Josef Friese, Chronik der Stadt Lügde, Band II, Lügde 1983

Josef Friese, Zur Geschichte der Juden in Lügde, Maschinenmanuskript, Lügde 1989

Manfred Willeke, Die Geschichte der Juden in Lügde, in: "Genealogie", Jg. 39, Bd. 20, Heft 5/1990, S. 129 - 150 und Heft 7

Manfred Willeke, Die Geschichte der Lügder Judenfamilie Marcus, später Heinemann, Sonderdruck aus: "Deutsches Familienarchiv", 115/1994, S. 107 f.

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil III: Regierungsbezirk Detmold, J.P.Bachem Verlag, Köln 1998, S. 330 – 334

Willy Gerking (Bearb.), Lügde, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Detmold, Ardey-Verlag, Münster 2013, S. 519 – 529 (incl. Ortsteile Elbrinxen und Rischenau)

Manfred Willeke, Die Geschichte der Grafschaft Pyrmont, ihrer Ortsteile und ihrer ehemaligen Residenzstadt Lügde, 2015 (online abrufbar unter: archiv-willeke.de)