Großostheim (Unterfranken/Bayern)

Datei:Großostheim in AB.svg Großostheim ist ein Markt im unterfränkischen Landkreis Aschaffenburg mit derzeit ca. 16.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte - Stich von 1695, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Aschaffenburg', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die israelitische Gemeinde in Großostheim war zeitweise die größte im Altkreis Aschaffenburg.

Ob Juden bereits im Mittelalter in Großostheim gelebt haben, lässt sich nicht eindeutig belegen. Als gesichert gilt, dass einzelne Familien um die Mitte des 17.Jahrhunderts hier wohnten. Im frühen 18.Jahrhundert muss sich dann ein organisiertes jüdisches Gemeindewesen herausgebildet haben.

Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) waren für Großostheim insgesamt 17 Familienvorstände eingetragen. Die jüdischen Familien lebten vor allem vom Viehhandel und dem Handel mit Textilien; einige hatten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann eigene Läden am Ort.

Der Gemeinde verfügte um 1750 über einen Betraum, der im Gebäude auf dem Hinterhof eines Grundstücks in der Breiten Straße gelegen war. Ende der 1770er Jahre wurde der Großostheimer Judenschaft vom Landesherrn, dem Mainzer Kurfürsten, gestattet, in einer Scheune eine neue Synagoge einzurichten, da der bislang genutzte Betraum inzwischen baufällig war. Nach jahrelangen Grundstücksverhandlungen wurde schließlich eine Übereinkunft erzielt, am Standort des alten Bethauses die neue Synagoge zu errichten; dieser mit einer Frauenempore ausgestattete Fachwerkbau wurde 1787 eingeweiht.

Zu den gemeindlichen Kultuseinrichtungen zählte auch eine Mikwe, die bis ca. 1910 genutzt wurde.

Zur Besorgung religiöser Aufgaben war von der Gemeinde im 19./20. Jahrhundert zeitweise ein Religionslehrer angestellt, der auch als Kantor und Schochet tätig war.

         Stellenangebote der Kultusgemeinde von 1882 und 1899

Die Unterhaltung des gemeindlichen Eigentums (z.B. Reparatur des Synagogengebäudes) konnte die auf wenige Familien zusammengeschmolzene Judenschaft oft nur mit finanzieller Hilfe von außen (z.B. durch regionale Kollekten) bewerkstelligen.

Auf dem jüdischen Bezirksfriedhof am Erbig in Schweinheim wurden verstorbene Gemeindeangehörige beigesetzt.

Um 1930 unterstand die kleine Gemeinde dem Bezirksrabbinat Aschaffenburg.

Juden in Großostheim:

     --- um 1805 ....................... 15 jüdische Familien,

     --- 1814 .......................... 75 Juden (ca. 4% d. Bevölk.),

     --- 1867 .......................... 35   “  ,

     --- 1890 .......................... 79   “   (ca. 3% d. Bevölk.),

     --- 1900 .......................... 56   “  ,

     --- 1910 .......................... 42   “  ,

     --- 1924 .......................... 39   “  ,

     --- 1933 .......................... 28   “  ,

     --- 1939 (März) ................... 17   “  ,

     --- 1940 ..........................  5   “  ,

     --- 1942 (Sept.) ..................  keine.

Angaben aus: Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung ..., S. 168

 

Anfang/Mitte der 1930er Jahre gab es in Großostheim neben vier Viehhändlern vier weitere von Juden geführte Geschäfte, so z.B. das Textilhaus der Gebrüder Fuld (Breite Straße/Bachstraße) und die Metzgerei von Hermann Neumann (Breite Straße).

Vor dem Novemberpogrom lebten noch 18 jüdische Bewohner am Ort. In Großostheim kam es in den Abendstunden des 10.November 1938 zu erheblichen Gewaltakten gegen jüdische Anwesen und den in einem privaten Gebäude gelegenen Betraum. Inneneinrichtungen von Wohnungen wurden demoliert, z.T. auch geplündert, der Synagogenraum ausgeräumt. Drei jüdische Bürger wurden kurzzeitig „in Schutzhaft“ genommen. Die in Großostheim verbliebenen Juden lebten fortan alle im Haus von Max Neumann in der Haarstraße 1, damals Adolf Hitler Straße. Das Jahr 1942 bedeutete dann das Ende der jüdischen Gemeinde in Großostheim; die letzten sechs Angehörigen wurden im August/September - via Aschaffenburg bzw. Würzburg - nach Theresienstadt deportiert; von dort führte ihr Weg in die Vernichtungslager; keiner von ihnen soll überlebt haben.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden 22 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/grossostheim_synagoge.htm).

Beim Landgericht Aschaffenburg fand Anfang 1949 ein Prozess gegen sechs Männer statt, die in Großostheim während des Novemberpogroms für Gewalttätigkeiten verantwortlich gemacht wurden. Fünf Angeklagte wurden zu Haftstrafen unterschiedlicher Dauer (von zwei bis 15 Monate) verurteilt.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20184/Grossostheim%20JG%20154.jpg  Gedenktafel von 1991 (Abb. aus: „Main-Echo“ vom Nov. 2008)

Seit November 1991 erinnert am alten Rathaus (Breite Straße) eine Gedenktafel an die ehemaligen jüdischen Bewohner des Ortes; die darunter befindliche Inschrift lautet:

Jesaja 48, 18

Hättest Du doch auf meine Gebote geachtet

Dein Glück wäre wie ein Strom und Dein Heil wie die Wogen des Meeres

ZUM GEDENKEN AN DAS SCHICKSAL UNSERER JÜDISCHEN MITBÜRGER

An der Pfarrkirche St. Peter und Paul steht ein Gedenkstein, der namentlich die Opfer der Shoa nennt.

           Gedenkstein für die Shoa-Opfer (Aufn. aus: Bernd Hilla, Emigration ...)

Zum Gedenken an die Opfer des NS-Regimes wurden 2016 in Großostheim sechs sog. „Stolpersteine“ - in der Haarstraße und der Breiten Straße - verlegt; acht weitere Steine folgten 2018/2019.

Seit 2023 ist auch die Kommune Großostheim mit einem symbolischen Gepäckstück am unterfränkischen Deportationsmahnmal am Würzburger Hauptbahnhof vertreten; dessen Doublette befindet sich in der Großostheimer Bachstraße

  Großostheim gedenkt der deportierten jüdischen MitbürgerKofferskulptur (Aufn. Bernd Hilla, 2023)

 

 

Im Dorf Mömlingen – im äußersten NW des Landkreises Miltenberg gelegen – lebten seit ca. 1730 nur wenige jüdische Familien; für das Jahr 1800 ist die Anwesenheit von fünf Familien belegt. 1817 sind fünf Matrikelstellen im Dorf vergeben worden. Ddie maximal aus kaum mehr als sechs bis acht Familien bestehende kleine Gemeinschaft verfügte über einen Betraum und wahrscheinlich kurzzeitig auch über eine eigene Begräbnisstätte; ansonsten diente der jüdische Friedhof in Schweinheim für verstorbene Mömlinger Juden als letzte Ruhestätte. . Gemeinsam mit Ostheim und Pflaumheim unterhielt man eine kleine Religionsschule, wo ein jüdischer Lehrer abwechselnd in Mömlingen und Großostheim Unterricht erteilte. Im Revolutionsjahr 1848 kam es im Dorf zu pogromartigen Ausschreitungen gegen die hiesigen jüdischen Händler, deren Ursache angeblich deren „wucherischen Geldgeschäfte“ waren. Nach der „Demolirung und Beraubung von sechs Judenhäusern trieb man die Juden aus dem Ort.“  Nur der Einsatz von Soldaten aus der Aschaffenburger Garnison stellte die Ruhe wieder her; dabei wurden die an den Gewalttätigkeiten beteiligten Männer in Haft genommen. Die jüdischen Bewohner konnten zurückkehren. Von den 37 jüdischen Bewohnern (1848) blieben nur noch 17 (1862) im Dorf wohnen. Bis Ende der 1860er Jahre waren alle jüdischen Familien aus Mömlingen abgewandert bzw. verstorben.


 

Weitere Informationen:

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag München/Wien 1979, S. 310/311

Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen Würzburger Juden, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Band 1, Verlag Max Rötter, Bad Neustadt a.d.Saale 1980, S. 163 f.

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 67/68

Bernd Hilla, Emigration und Deportation der Großostheimer Juden (Aufsatz), in: Großostheim im Krieg – eine Dokumentation der Jahre 1933 bis 1945, o.J.

Dorothee Klinksiek, Chronik des Marktes Großostheim 1803 – 1978, Neustadt/Aisch 1994

Großostheim, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Mömlingen, in: alemannia-judaica.de

Bernd Hilla (Red.), Von Großostheim über Aschaffenburg und Theresienstadt in den Tod, in: „Main-Echo“ vom 5.9.2007

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 220

Matthias Klotz (Bearb.), Die Juden in Mömlingen bis 1868 und das Schicksal ihrer Nachfahren, in: „Aschaffenburger Jahrbuch für Geschichte, Landeskunde und Kunst des Untermaingebietes“, 28/2010, S. 233 - 259

Die Reise von Großostheim in den Tod, in: „Main-Echo“ vom 8.9. 2012

Monika Schmittner, Als die Synagogen brannten. Vor 75 Jahren: Die Reichspogromnacht in Aschaffenburg und Umland, in: "Spessart", No. 11/2013, S. 3 - 15

Axel Töllner/Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Großostheim, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 83 - 91

main.tv (Hrg.), Stolpersteine in Großostheim verlegt, in: main.tv vom 22.3.2016

Auflistung der in Großostheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Großostheim

Bernd Hilla (Red.), Acht weitere Stolpersteine erinnern an Großostheimer Juden, in: “Main-Echo” vom 25.6.2019

Bernd Hilla (Red.), Großostheim gedenkt der deportierten jüdischen Mitbürger, in: “Main-Echo” vom 3.11.2023