Großbock (Böhmen)

 Großbo(c)k (auch Groß-Bocken) ist das heutige tschechische Velká Bukovina; es ist einer von sieben Ortsteilen der Kommune Chvalkovice (dt. Chwalkowitz) im Kreis Náchod (Kartenskizze 'Tschechien' mit Chvalkovice rot markiert, K. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Der älteste gesicherte Hinweis auf jüdisches Leben in dem im südlichen Riesengebirgsvorland gelegenen Dörfchen Großbock stammt aus dem Jahre 1699; die damaligen Grundherren hatten jüdischen Familien hier ein Grundstück zur Ansiedlung zur Verfügung gestellt, auf dem sie nun gegen Mietzins Wohnungen errichteten. Aus diesen Behausungen sollte sich später die „Judengasse“ bilden; bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Gasse mit einer Kette abgeschlossen, die morgens wieder entfernt wurde. Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts sollen im Dorf zeitweilig keine Juden gelebt haben.

Um 1830 wurden die gemeindlichen Kultuseinrichtungen Synagoge und Mikwe geschaffen; der jüdische Friedhof soll aber bereits in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts angelegt worden sein.

Seit ca. 1850 gab es auch eine jüdische Schule am Ort, die in einem angemieteten Hause untergebracht war. Da die verarmte Gemeinde sich keinen Lehrer leisten konnte, übernahm dessen Aufgabe der Kantor Moses Aron; bereits 1880 wurde die kleine Schule wieder geschlossen.

Juden in Großbock:

         --- um 1710/15 .....................  7 jüdische Familien,

    --- um 1780 ........................ 19     “       “    ,

    --- 1836 ........................... 18     “       “    ,

    --- 1850 ........................... 40     “       “   (ca. 175 Pers.),

    --- 1873 ....................... ca. 60 Juden,

    --- 1880 ........................... 18   “  ,

    --- 1900 ........................... 12   “  ,

    --- 1910 ...........................  7   “  ,

    --- 1930 ...........................  2   “  .

Angaben aus: Rudolf M. Wlaschek, Zur Geschichte der Juden in Nordostböhmen ..., S. 39

 

Juden trieben hier regen Handel mit Flachs, kauften Felle, mästeten Gänse zum Verkauf, sogar mit Schnaps handelten sie, so heißt es in der Dorfchronik; in der Regel zählten die jüdischen Familien zur sozialen Unterschicht. So besaßen sie bis in die 1850er Jahre kein Eigentum an Grund und Boden, denn die Häuser gehörten weiterhin dem (früheren) Grundherrn. Als nach 1848 die Schutzverhältnisses aufgelöst wurden, endete auch für die Großbocker Judenfamilien das Leben im Ghetto. In den 1850er Jahren erreichte die jüdische Dorfbevölkerung mit ca. 180 Personen ihren numerischen Höhepunkt; das waren ca. 45% der gesamten Einwohnerschaft, dabei trug mehr als die Hälfte den Familiennamen „Nettel“.                          

Ab den 1860er Jahren setzte dann eine starke Abwanderung der jüdischen Familien aus dem Dorfe in die aufstrebenden nordostböhmischen Städte in, vor allem nach Königinhof und Nachod; denn das Leben im Dorfe konnte die zahlreichen Familien nicht mehr ernähren. Dies führte innerhalb nur weniger Jahrzehnte zur Auflösung der Gemeinde. Die Synagoge verfiel zusehends und wurde im Jahre 1906 abgerissen; die Ritualien hatte man schon zuvor nach Königinhof gebracht.

Die Anzahl der jüdischen Einwohner in Großbock nahm im Ersten Weltkrieg kurzzeitig zu, weil jüdische Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina aufgenommen wurden; sie fanden in der "Judengasse" vorläufig Unterschlupf. Anfang der 1930er Jahre lebten nur noch zwei jüdische Bewohner im Dorf.

 

Heute erinnert noch der inzwischen von der Vegetation befreite, jüngst noch stark verwilderte jüdische Friedhof mit seinen z.T. stark in Mitleidenschaft gezogenen Grabsteinen an die einst hier ansässig gewesene Judenschaft. Auf dem ca. 1.100 m² großen Gelände lassen sich heute noch mehrere hundert Grabsteine bzw. -relikte ausmachen.


Jüdischer Friedhof (Aufn. Honza Soukup, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY 2.0   und   Zdeněk Hanuš, 2008, aus: commons.wikimedia.org, CCO)

File:Jewish cemetery (Velká Bukovina), gravestones 18.jpgFile:Jewish cemetery (Velká Bukovina), gravestone 01.jpg

alte Grabmäler (Aufn. Czeva, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auch Gebäudereste der ehemaligen Judengasse sollen die Zeiten überdauert haben.

 

 

 

Weitere Informationen:

Hugo Nettel, Geschichte der jüdischen Siedlung Großbock, Maschinenmanuskript, 1936 (im Archiv des Jüdischen Museums Prag)

Handgeschriebene Dorfchronik von Großbock (im Besitz von Alfred Pritzel, Herzogenrath)

Rudolf M.Wlaschek, Zur Geschichte der Juden in Nordostböhmen unter besonderer Berücksichtigung des südlichen Riesengebirgsvorlandes, in: "Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien", Band 2, Marburg/Lahn 1987, S. 9 - 18

Vlastimila Hamácková, La cemetière juif à Velká Bukovina, in: "Judaica Bohemiae" ,25/2 (1989), S. 107 – 112

Jiri Fiedler, Jewish sights of Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 194/195