Gronau und Epe (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Münsterland topo.jpg – WikipediaDatei:Gronau (Westf.) in BOR.svg Die Stadt Gronau (Westf.) mit derzeit ca. 47.000 Einwohnern liegt im westlichen Münsterland und ist zweitgrößte Kommune im Kreis Borken (aktuelle Karte des Münsterlandes und Kartenskizze 'Kreis Borken', TUBS 2013 bzw. 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0). Epe ist seit 1975 ein Stadtteil von Gronau ist und zählt derzeit etwa 15.000 Einwohner.

 

Die erste Nachricht über einen in Gronau lebenden Juden stammt aus dem ausgehenden 17.Jahrhundert; in der Folgezeit haben nur vereinzelt jüdische Familien in Gronau gelebt; erst in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts kann von einer nennenswerten Zahl gesprochen werden. Als erste jüdische Familien siedelten sich in Gronau die von Philipp Michael (später Rothschild) und von Meyer David (später Platz) an. Ihren Lebenserwerb bestritten die hiesigen Juden als Viehhändler bzw. Metzger und Kleinhändler.

Ab Beginn des 19.Jahrhunderts kamen die Juden Gronaus und Epes zu gottesdienstlichen Treffen gemeinsam in einer privaten Betstube zusammen. Von einer Gemeinde kann zum damaligen Zeitpunkt noch nicht gesprochen werden, da es hier keinerlei Kultuseinrichtungen gab. Erst in den 1850er Jahren konstituierte sich ein Synagogenbezirk für den Kreis Ahaus, in dem Gronau mit Epe eine Art von Untergemeinde bildete. 1895 lebten in der inzwischen selbstständig gewordenen Untergemeinde Gronau insgesamt 19 Familien, davon zehn im Hauptort Gronau.

Nachdem die wenigen Juden aus Epe einen eigenen Betsaal im Hause Lebenstein (Gronauer Straße) eingerichtet hatten, erwarben die Mitglieder der Gronauer Gemeinde ein bescheidenes Gebäude in der Wallstraße; es diente ihnen nach einem Umbau ab 1926 als Synagoge.

Die wenigen jüdischen Familien in Epe ließen einen verhältnismäßig großen Synagogenneubau in der (heutigen) Wilhelmstraße errichten, der im Jahre 1907 eingeweiht wurde.

                  Mögliches Aussehen des Synagogengebäudes in Epe (Abb. um 1910)

Die jüdischen Kinder besuchten die örtliche Schule, nur Religionsunterricht wurde privat (meist von den Eltern) erteilt.

Ein Friedhof wurde um 1828 in der Vereinsstraße angelegt und nahm die verstorbenen Juden aus Gronaus, Epe und Nienborg auf; der älteste vorhandene Grabstein stammt aus dem Jahr 1837.

Juden in Gronau:                                                             Juden in Epe:

         --- 1804 .............  3 Familien,           ............  2 Familien, (1806)

    --- 1818 ............. 14 Juden,              ............ 12 Juden,

    --- 1852 ............. 13   “  ,              ............ 10   "  ,

    --- 1897 ............. 56   “  ,              ............ 34   “  ,

    --- 1908 ............. 50   “  ,              ............ 33   “  ,(1910)

    --- 1925 ............. 47   “  ,             

    --- 1932/33 .......... 44   “  ,              ............ 35   “  ,(1935)

    --- 1939 .............  9   “  .              ............  ?   “  .

Angaben aus: Norbert Diekmann, Die jüdische Gemeinde - Wachsen und Untergang, S. 208

und                 Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Reg.bez. Münster, S. 91                                                  

 

Bis ins 20.Jahrhundert hinein zeigte sich bei den hiesigen jüdischen Familien eine deutlich religiös-orthodoxe Grundhaltung: so sollen noch 1930 (!) christliche Kinder am Sabbat den jüdischen Haushalten zur Hand gegangen sein (Feuer machen, etc.); Metzgereien und Geschäfte jüdischer Betreiber waren an jüdischen Festtagen geschlossen. Bei der Einweihung der Synagoge in Gronau war auch der Rabbiner Dr. Benedikt Wolf (Köln) vom orthodoxen „Verein zur Wahrung der religiösen Interessen der Juden in der Provinz Westfalen“ anwesend.

Die Boykottaktionen im April 1933 liefen in Gronau und Epe fast ins Leere; doch der Einfluss der bis dahin kaum präsenten Nationalsozialisten wurde dann nach 1933 deutlich größer; trotzdem änderte sich zunächst wenig an dem hier relativ unverkrampften Verhältnis zur jüdischen Bevölkerungsminderheit. Durch eine Reihe von Auflagen versuchte der NS-dominierte Magistrat, den jüdischen Metzgern ihre Existenzgrundlage zu entziehen, was dann 1935/1936 auch gelang.

Höhepunkt der antijüdischen "Aktionen" waren auch hier die Tage im November 1938, als es in Gronau und Epe zu schweren Ausschreitungen gegen Juden und deren Eigentum kam. Die kleine Gronauer Synagoge an der Wallstraße wurde am 10.November 1938 demoliert; Einrichtungsgegenstände und Ritualien warf man auf die Straße. Wegen der umgebenden dichten Bebauung sah man jedoch von einer Inbrandsetzung des Gebäudes ab. Die Ladeneinrichtungen der jüdischen Metzger und Händler fielen dem Vandalismus zum Opfer.

Die Synagoge in Epe in der Wilhelmstraße wurde durch Brandstiftung stark in Mitleidenschaft gezogen (die Inneneinrichtung wurde vernichtet, der Dachstuhl brannte aus). Das Gebäude wurde später wieder instand gesetzt und diente der Feuerwehr als Betriebsgebäude. In den „Gronauer Nachrichten” wurde über die Vorgänge am 10. November 1938 in Gronau/Epe wie folgt berichtet:

Kundgebung gegen Juden

In der vergangenen Nacht ist es in Gronau und Epe zu spontanen Demonstrationen gegen die hier noch anwesenden Juden gekommen. Die Bevölkerung machte ihrem Abscheu der feigen Tat der jüdischen Mordbanditen in Paris gegenüber Luft. Die Polizei wurde zum Schutze der Juden eingesetzt; die Juden wurden in Haft genommen. Vierzehn Juden aus Gronau und zwei Juden aus Epe befinden sich in Schutzhaft.

Nach diesen Gewalttaten floh ein Teil der jüdischen Bewohner nach Holland und Übersee. Vor ihrer Deportation „in den Osten“ wurden die noch in Gronau und Epe wohnenden Juden zwangsweise in einer Baracke zusammengezogen. Im Laufe des Jahres 1942 erfolgte die Deportation der letzten jüdischen Bewohner Gronaus; ihre Schicksale sind teilweise ungeklärt. Die in die Niederlande geflüchteten Juden Gronaus (16 Personen) wurden nach der deutschen Besetzung via Westerbork in die Vernichtungslager bzw. via Enschede ins KZ Mauthausen deportiert.

Drei Jahre nach Kriegsende wurden acht ehemalige SA-Angehörige, die an den ‘Aktionen’ des Novemberpogroms beteiligt gewesen waren, zu Haftstrafen verurteilt.

 

Seit dem Jahre 1980 erinnern in Gronau und in Epe Gedenktafeln an die hier einst lebenden jüdischen Bewohner. Der Inschriftentext der auf dem Kurt-Schumacher-Platz in Gronau angebrachten Tafel lautet:

An dieser Stelle stand bis zum 9.November 1938 die Synagoge der jüdischen Gemeinde in Gronau.

Am Abend dieses Tages wurden sie durch Nationalsozialisten zerstört.

Wir gedenken der bis zu ihrer Vernichtung vorhandenen jüdischen Gemeinde in Gronau

und ihrer zahlreichen Bürger, die wegen ihres jüdischen Glaubens in Konzentrations- und Vernichtungslagern getötet wurden.

Gedenktafel in Epe (Abb. aus: alte-synagoge-epe.de)

2008 wurden in Gronau die ersten sog. „Stolpersteine“ verlegt; seitdem erinnern in Gronau und Epe insgesamt nahezu 50 dieser quadratischen Steinquader an Menschen, die dem Terror der NS-Zeit ausgesetzt waren und diesem z.T. zum Opfer gefallen sind (Stand 2024).

verlegt in der Pumpenstraße (Abb. Stadt Gronau)

zwei sog. "Stolpersteine", Bülowstraße (Aufn. aus: feuerwehr-gronau.de)

und in der NeustraßeStolperstein für Richard KauffmannStolperstein für Adele KauffmannStolperstein für Margard Kauffmann Aufn. A.Piccin 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

Für Angehörige der Familie Pagener sind in Epe vor ihrem ehem. Wohnhaus in der Merschstraße fünf Steine verlegt worden. 2021 wurde mit Stolpersteinen in der Gronauer Straße auch an Angehörige der Familie Lebenstein erinnert.

5 Stolpersteine für die Lebensteins | Stadt Gronau Aufn. Stadt Gronau, 2021

Auf dem israelitischen Friedhof an der Vereinsstraße in Gronau findet man heute ca. 55 Grabsteine.

Gronau (Westfalen), jüdischer Friedhof-01.jpg

jüdischer Friedhof in Gronau (Aufn. Dominik Schäfer, 2011, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Der sich jüngst gebildete „Förderkreis Alte Synagoge Epe e.V.hat sich zum Ziel gesetzt, das 110 Jahre alte ehemalige Synagogengebäude an der Wilhelmstraße zu sanieren, um es danach als „Haus der Begegnung, der Versammlung und der Erinnerung“ zu nutzen. Ausschlaggebend für dieses Vorhaben war eine auf die Kosten des Landschaftsverbandes durchgeführte bauhistorische und archäologische Untersuchung des Gebäudes, die zu der Empfehlung führte, die Alte Synagoge als Denkmal unter Schutz zu stellen.

Einige Ritualien aus der ehem. jüdischen Gemeinde Epe werden heute im auf Judaika spezialisierten Spertus-Institut in Chicago aufbewahrt. Sie erreichten die USA in den 1930er Jahren, als die Familie Max Pagener in die Emigration gegangen war. Nach dessen Tode stellte seine Witwe diese sakralen Gegenstände der jüdischen Einrichtung in Chicago zur Verfügung.

2023 wurde der kleine Platz Ecke Wilhelmstraße/Kardinal-von-Galen-Ring in „An der Synagoge“ benannt.

 

 

 

Weitere Informationen:

Friedrich Wiltfang, Der Untergang der jüdischen Gemeinde in Gronau und Epe, in: "Unsere Heimat - Jahrbuch des Kreises Borken 1980", S. 157 - 161

Norbert Diekmann, Die jüdische Gemeinde - Wachsen und Untergang, in: Hanspeter Dickel (Hrg.), Natur und Kultur des Raumes Gronau und Epe, Gronau 1982, S. 208 - 211

Herbert Diekmann/Heinz-Peter Tilly, Der jüdische Friedhof in Gronau, in: "Bürgerbuch Gronau und Epe 1994/1995", S. 158 - 165

Norbert Diekmann, Vertreibung und Mord: Verbrechen an den jüdischen Gemeinden in Gronau und Epe, in: Hanspeter Dickel (Hrg.), Gronau vor 50 Jahren - Aufsätze, Berichte und Dokumente zum Zeitraum von 1940 - 1950, Schriften des Stadtarchivs Gronau 1/1995, S. 175 - 183

Norbert Diekmann, “ ... hat des Sabbats wegen die Unterschrift verweigert.” Zur Geschichte der jüdischen Gemeinden in Gronau und Epe, in: Schriften aus dem Stadtarchiv Gronau 4/1999

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 153/154 und S. 210/211

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 91 – 95

Norbert Diekmann (Bearb.), Gronau und Gronau-Epe, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 374 - 382

Förderkreis Alte Synagoge Epe e.V. (Hrg.), Aus der Geschichte der Synagoge in Epe, online abrufbar unter: alte-synagoge-epe.de

Klaus Wiedau (Red.), Erinnerung wach halten, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 7.12.2016

Martin Borck (Red.), Auf den Spuren jüdischen Lebens in Epe. Erst integriert, dann ausgegrenzt, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 5.11.2016

Katholische Pfarrgemeinde St. Agatha, Initiativkreis „Alte Synagoge“ stellt sich vor, online abrufbar unter: st-agatha-epe.de/aktuelles/initiativkreis-alte-synagoge-stellt-sich-vor.html

Martin Borck (Red.), Epe. Neues Leben in der alten Synagoge, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 18.2.2017

Klaus Wiedau (Red.), Fachleute prüfen, ob Eper Synagoge ein Denkmal ist, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 15.9.2017

Gabriela Neu (Red.), Synagoge und Ausstellung thematisieren die Schoa, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 18.9.2017 (betr. ehem. Synagoge in Epe)

Martin Borck (Red.), Ehemalige Synagoge in Epe bauhistorisch untersucht. Geschichte Schicht für Schicht, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 30.5.2018

N.N. (Red.), Förderkreis Alte Synagoge Epe tagte. Die Arbeit auf eine breite Basis stellen, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 26.11.2018

Michael Huyer, Die ehemalige Synagoge in Gronau-Epe, in: „Denkmalpflege in Westfalen-Lippe“, Band 25/2019, S. 19 - 25

Martin Borck (Red.), Erfolgreiche Spurensuche. Sakrale Gegenstände der jüdischen Familie Pagener aus Epe in Chicago, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 12.1.2019

N.N. (Red.), Alte Synagoge Epe – Ein Denkmal als Begegnungsstätte, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 8.4.2019

N.Diekmann/G.Lippert/R.Nacke (Red.), Stolpersteine in Gronau und Epe – ein Wegweiser, in: "Zeitwort - Schriftenreihe des Förderkreises Alte Synagoge Epe e.V.", Heft 1/2019

Förderkreis Alte Synagoge Epe e.V. - Stadtarchiv Gronau (Hrg.), Wegweiser zu den Stolpersteinen, in: "Zeitwort - Schriftenreihe des Förderkreises Alte Synagoge Epe e.V“, Heft 1/2019

Heinz Krabbe (Red.), Denkmalgerechter Rückbau – Neues von der Alten Synagoge, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 14.4.2020

Auflistung der in Gronau und Epe verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Gronau_(Westf.)

Martin Borck (Red.), Stolpersteine für die Lebensteins, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 17.12.2021

Norbert Diekmann, Die Familie Gottschalk in Nienborg und Epe, Hrg. Förderkreis Alte Synagoge Epe e.V., 2022 (Aufsatzsammlung)

Norbert Diekmann (Red.), Würdige Erinnerung an die Opfer.  ‚Zeitwort 7‘ - Dokumentation der Riga-Deportation, in:“Westfälische Nachrichten“ vom 29.9.2022

Rudolf Klostermann (Red.), Ein altes Feuerwehrgerätehaus gibt sein Geheimnis preis: die Synagoge von Gronau-Epe, in: „Archäologie in Westfalen-Lippe“, 2022, S. 231 - 235

Martin Borck (Red.), Erinnerung an das jüdische Leben – Schild enthüllt: Platz heißt nun „An der Synagoge“, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 27.1.2023

Joel Hunold (Red.), Neue Broschüre – Übersicht der Gronauer Stolpersteine aktualisiert, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 27.4.2023

Förderkreis Alte Synagoge Epe (Hrg.), Stolpersteine in Gronau und Epe, Gronau 2023 (aktualisierte Ausgabe von 2019)