Gifhorn (Niedersachsen)
Gifhorn mit derzeit ca. 42.000 Einwohnern ist die Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises im östlichen Niedersachsen – knapp 30 Kilometer nördlich von Braunschweig bzw. wenige Kilometer westlich von Wolfsburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu/ und Kartenskizze 'Landkreis Gifhorn', Hagar 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Stadt und Schloss Gifhorn – Stich M. Merian, um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Als erster am Ort ansässiger Schutzjude ist Arendt Isaac 1717 urkundlich belegt; in den Folgejahrzehnten sollen sich hier weitere, allerdings sehr wenige jüdische Familien aufgehalten haben.
Seit ca. 1775 verfügten die Juden Gifhorns über einen Betraum. Um Gottesdienste abhalten zu können, wurden an hohen Feiertagen auswärtige Juden nach Gifhorn geholt; doch musste man sich verpflichten, dass diese nach Ablauf der Feiertage „das Land räumten“; für etwaige „Vergehen“ der fremden Juden wurden die Gifhorner Glaubensgenossen in Haftung genommen.
Außer einem kleinen Friedhofsgelände - die ersten Bestattungen erfolgten hier in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts - gab es in Gifhorn keine weiteren gemeindlichen Einrichtungen. So besuchten die jüdischen Kinder die hiesige Volksschule; Religionsunterricht wurde nur sporadisch erteilt, was das Missfallen des Landrabbiners hervorrief, der verlangte, „für das religiöse Leben etwas zu thun, da es hier dem Verfall entgegengehe“.
In den Gifhorn angeschlossenen Orten Fallersleben und Ehmen haben nur vereinzelt jüdische Familien gelebt.
Juden in Gifhorn:
--- 1765 ........................... 3 jüdische Familien,
--- 1829 ........................... 6 “ “ ,
--- 1858 ........................... 31 Juden,
--- 1864 ........................... 32 “ ,
--- 1888 ........................... 4 “ ,
--- 1895 ........................... 8 “ ,
--- 1925 ........................... 3 “ .
Angaben aus: Sibylle Obenaus (Bearb.), Gifhorn, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen .., Bd. 1, S. 603
Im 19. Jahrhundert waren es besonders Angehörige der jüdischen Familie Menke, die es mit Holzhandel zu Wohlstand brachten, in der Stadt öffentliche Ämter bekleideten und bei der Gründung des Historischen Museums sowie des Museums- u. Heimatvereins aktiv waren; mit Spenden und Stiftungen unterstützten sie damals Bedürftige in Gifhorn.
Die stets sehr kleine jüdische Gemeinschaft in Gifhorn wurde noch vor der Jahrhundertwende offiziell aufgelöst; das Inventar des Betraums verkauft.
Nach der 1895 erfolgten Gemeindeauflösung haben in den Folgejahrzehnten im Kreis Gifhorn nur vereinzelt Juden gelebt. In der "Judenkartei" von 1939 waren acht Personen aufgelistet; über ihre Schicksale ist nur wenig bekannt.
Nur der während der NS-Zeit unversehrt gebliebene Friedhof an der Lutherstraße mit seinen auf einer Fläche von ca. 1.100 m² befindlichen ca. 30 Grabsteinen erinnert heute noch daran, dass es in Gifhorn einst jüdische Bewohner gegeben hat. Der älteste noch vorhandene Grabstein datiert von 1784; die letzte Beisetzung fand auf dem Gelände 1915 statt. Seit 2018 ist das wiederhergerichtete und mit Info-Tafeln versehene Friedhofsareal für die Öffentlichkeit zugänglich.
Auf Beschluss der städtischen Gremien Gifhorns (von 2020) wurden dann ein Jahr später in der Kleinstadt neun sog. "Stolpersteine" verlegt, die Opfern der NS-Gewaltherrschaft gewidmet sind.
Aufn. B. 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
2023 erfolgte die Verlegung weiterer messingfarbener Steinquader.
Weitere Informationen:
Sibylle Obenaus, Die jüdische Gemeinde in Gifhorn, in: "Kreiskalender 2000 - Gifhorner Jahrbuch 2000", S. 27 - 33
G. Lindner/T. Niehus, Jüdische Geschichte in Gifhorn, Gifhorn 2002
Sibylle Obenaus (Bearb.), Gifhorn, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Bd. 1, S. 603 - 611
Christian Franz (Red.), Spuren jüdischen Lebens in Gifhorn. Eine Ausstellung aus den Archiven des Leo Baeck Instituts, in: „Gifhorner Rundschau“ vom 26.9.2017
Burkhard Ohse (Red.), Gräber erzählen Geschichte, in: az-online.de vom 1.11.2017
Anja Alischn (Red.), Ein Gedenk-Ort entsteht neu, in: „Gifhorner Rundschau“ vom 1.11.2018
Manfred Grieger, Gifhorner Juden im Nationalsozialismus. Diskriminierung, Ausgrenzun, Deportation und Überleben, in: "Schriftenreihe des Gifhorner Stadtarchivs", Band 1, Gifhorn 2018 (ergänzte 2. Auflage 2020)
Der jüdische Friedhof Gifhorn, in: "epidat - epigrafische Datenbank", Steinheim-Institut (2019)
Annette Redeker/Anna Martin/Hartmut Rohde (Verf.), Der jüdische Friedhof in Gifhorn: Geschichte, Dokumentation, Spurensuche, in: "Schriftenreihe des Stadtarchivs Gifhorn", Band 2, Gifhorn 2019
Christian Franz (Red.), Stolpersteine erinnern an NS-Opfer, in: „Gifhorner Rundschau“ vom 22.2.2020
Daniela König (Red.), Kulturausschuss für Stolpersteine in Gedenken an NS-Opfer, in: „Gifhorner Rundschau“ vom 27.2.2020
N.N. (Red.), Gifhorner Juden im Nationalsozialismus: Zweite Buch-Auflage …, in: „Wolfsburger Allgemeine – Aller-Zeitung“ vom 13.11.2020
Dirk Kühn (Red.), Erste Stolpersteine sollen Oktober 2021 in Gifhorn gesetzt werden, in: „Gifhorner Rundschau“ vom 25.11.2020
Christian Franz (Red.), Die ersten Stolpersteine erinnern an Gifhorner Opfer, in: „Gifhorner Rundschau“ vom 17.5.2021
Stadt Gifhorn (Hrg.), Stolpersteine in Gifhorn …, erstellt von der Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Gifhorn“, Gifhorn 2021
Reiner Silberstein (Red.), Das sind Gifhorns Opfer des Nationalsozialismus, in: „Gifhorner Rundschau“ vom 2.7.2021
Reiner Silberstein (Red.), Die ersten Stolpersteine für Gifhorn liegen parat, in: „Wolfsburger Nachrichten“ vom 30.9.2021
Reiner Silberstein (Red.), Gifhorns erste Stolpersteine gesetzt, in: „Gifhorner Rundschau“ vom 6.10.2021
Auflistung der in Gifhorn verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Gifhorn
N.N. (Red.), Gifhorn: Künstler Gunter Demnig verlegt Stolpersteine, in: „Braunschweiger Zeitung“ vom 12.10.2023 (Kurz-Video)