Ermreuth (Oberfranken/Bayern)

Datei:Neunkirchen am Brand in FO.svg Das Dorf Ermreuth mit derzeit ca. 900 Einwohnern ist seit seiner Eingemeindung (1972) ein Ortsteil der Marktgemeinde Neunkirchen am Brand (im südlichen Teil des Landkreises Forchheim) – ca. 20 Kilometer nordöstlich von Erlangen gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Forchheim', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts betrug der Anteil der Juden in Ermreuth mehr als 40% (!) der dortigen Dorfbevölkerung.

In der Chronik des Uso von Küßberg wurden 1554 erstmals Juden in Ermreuth schriftlich erwähnt; möglicherweise hatten sich die ersten Familien nach ihrer Vertreibung aus der Reichsstadt Nürnberg 1498/1499 bereits in der Region niedergelassen - unter dem Schutz reichsritterschaftlicher Herren. In der Dorfordnung von 1698 - erlassen vom Grundherrn Georg Friedrich von Künßberg - wurden ausdrücklich die jüdischen Dorfbewohner genannt; so hieß es u.a.: „Weilen sie mit Pferdten die Gemeind stets Behüten, undt der Viehhandel Ihre einzige Nahrung ist, deswegen sie freilich denen kleinen Häußlein hierinnen nicht gleich zu achten sindt, dahero bis uff einen Gulden erhöhet, undt von jeden, umb so ehender erleget werden, weilen sie sonsten in der Gemeind nichts arbeithen noch Boten gehen.“ Bis zum Beginn des 18.Jahrhunderts hatten sich aber nur einige wenige jüdische Familien in Ermreuth dauerhaft angesiedelt; erst danach bildete sich eine jüdische Gemeinde.

Um 1780/1790 gab es in Ermreuth auch eine Schlafstätte für umherziehende heimatlose „Bettel“- oder „Schnorrjuden“; bei ihrer Ankunft mussten sie sich beim Ortsamt melden, wo ihnen Verhaltensmaßregeln für ihren maximal 24stündigen Aufenthalt mitgeteilt wurden. Nach dem Judenmatrikel von 1822/1823 durften sich 37 jüdische Familien in Ermreuth niederlassen; wenige Jahre später wurde die Zahl auf 44 Familien erhöht. Ihr Anteil an der Dorfbevölkerung erreichte in diesen Jahrzehnten etwa 40% (!); die jüdische Gemeinde in Ermreuth gehörte damals zu den größten in der Fränkischen Schweiz; nach 1860 war aber ein deutlicher Rückgang der jüdischen Bevölkerung in Ermreuth zu verzeichnen. Ihren Lebensunterhalt bestritt der Großteil vom Vieh- und Kleinhandel, vom Handel mit Hopfen und anderen Agrarprodukten.

Eine erste bescheidene Synagoge richtete die Ermreuther Judenschaft am Saarbach um 1740 ein; 1822 wurde diese durch einen massiven Neubau an gleicher Stelle ersetzt; dieser war mit einer Empore ausgestattet und eine der größten und bedeutendsten Dorfsynagogen in Oberfranken. Zunächst blieb aber die neue Synagoge behördlicherseits mehrere Jahre geschlossen; erst die Beschwerde von Vertretern der jüdischen Gemeinde („Wir haben bisher nichts vernommen, und unser Synagog ist noch immer zugesperrt. Diese wurde erst vor drei Jahren erbaut, kostet uns 12.000 Gulden und darinnen befinden sich die 10 Gebothe, die eine bedeutende Summe kosteten und durch das lange Versperren in dem neuen Gebäude zugrund gehen müssen“) konnte dann deren Benutzung ermöglichen.

      Synagoge in Ermreuth (Ausschnitt aus Bildpostkarte, aus: alemannia-judaica.de)

Die seit 1834 bestehende jüdische Elementarschule Ermreuths wurde 1916 wegen Schülermangels aufgelöst; zuletzt diente sie nur noch als Religionsschule. Ansonsten besuchten die jüdischen Kinder die christliche Ortsschule

                        

                                                                  aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 10.10.1907 und vom 9.12.1909                    

Die Anlage des jüdischen Friedhofs in Ermreuth („Auf dem Heimbühl“) datierte aus dem Jahre 1711; das an einem Hang gelegene Areal (im „Judenhölzlein“) - etwa zwei Kilometer nördlich des Ortes gelegen - wurde in der Folgezeit mehrfach erweitert und diente ausschließlich den verstorbenen Juden aus Ermreuth als „Guter Ort“. Als Nutzungsgebühr des Totenackers war ein jährlicher Erbzins fällig; zudem wurde jeweils ein Grabgeld erhoben. Juden, die nicht zur Gemeinde gehörten, mussten ein doppeltes Bestattungsgeld entrichten. Vor 1711 waren Ermreuther Juden in Baiersdorf begraben worden. 

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2082/Ermreuth%20Friedhof%20010.jpg Jüdischer Friedhof Ermreuth (Aufn. Th. Harburger, 1928)

Bis in die 1890er Jahre gehörte die Gemeinde zum Bezirksrabbinat Hagenbach, danach zu dem Bambergs.

Juden in Ermreuth:

--- 1696 ........................   8 jüdische Familien,

--- 1713 ........................  12     "       "    ,

    --- 1770 ........................  25     „       „    ,

--- 1811 ........................  44     „       „    ,

    --- 1824/25 ..................... 230 Juden (ca. 41% d. Dorfbev.),

    --- 1832 ........................ 187   “   (in 38 Familien),

    --- 1840 ........................ 183   “   (ca. 30% d. Dorfbev.),

    --- 1852 ........................ 184   “  ,

    --- 1864 ........................ 199   “   (ca. 20% d. Dorfbev.),

    --- 1875 ........................  99   “   (ca. 15% d. Dorfbev.),

    --- 1900 ........................  66   “  ,

    --- 1910 ........................  44   “   (in 11 Familien),

    --- 1916 ........................  52   “  ,

    --- 1925 ........................  25   “  ,

    --- 1933 ........................  21   “   (in 5 Familien),

    --- 1938 ........................  17   “  ,

    --- 1939 ........................  15   “  ,

    --- 1940/41 .....................  keine.

Angaben aus: Klaus Guth (Hrg.), Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800 - 1942), S. 153

und                 Gerhard Philipp Wolf, Ermreuth, in: Jüdisches Leben in der Fränkischen Schweiz

 

Im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts war eine starke Abwanderung jüdischer Familien aus Ermreuth zu verzeichnen; die jüdische Gemeinde wurde immer kleiner und verarmte zusehends. Zu Beginn der NS-Zeit waren nur noch wenige jüdische Familien in Ermreuth ansässig; ein Minjan kam seit Jahren schon nicht mehr zustande.

Nun verschlechterten sich auch die zuvor weitgehend bestandenen einvernehmlichen Beziehungen zwischen Christen und Juden im Dorf; so sollen Jugendliche Fenster jüdische Häuser eingeworfen haben; auch der jüdische Friedhof wurde geschändet: Grabsteine umgeworfen und ein Teil der Friedhofsmauer abgetragen. Während des Novemberpogroms wurde das Ermreuther Synagogengebäude verwüstet; die Inneneinrichtung herausgerissen und am Ortsrande verbrannt; dank der engen Bebauung unterblieb eine Brandlegung des Gebäudes; auch Privathäuser jüdischer Bewohner wurden beschädigt. Die etwa 15 verbliebenen jüdischen Dorfbewohner wurden nach Nürnberg umgesiedelt und dann von dort ins besetzte Osteuropa deportiert. Nur wenigen war zuvor die Emigration in die USA gelungen.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden mindestens 38 gebürtige bzw. länger in Ermreuth wohnhaft gewesene jüdische Bürger Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/ermreuth_synagoge.htm).

 

Heute dokumentieren der jüdische Friedhof, das einstige Schulhaus und das restaurierte, 1994 wiedereröffnete Synagogengebäude (es war bis 1974 von der Raiffeisenbank als Lagerhaus benutzt worden), dass Ermreuth im 19.Jahrhundert eine große jüdische Gemeinde besessen hat. Seit seiner Einweihung ist das Ermreuther Synagogengebäude als Ort der Begegnung und Versöhnung für die Öffentlichkeit zugänglich. Auf der Empore und im Treppenhaus wird eine Dauerausstellung über das jüdische Leben auf dem Lande gezeigt. Alle ausgestellten Papier- und Textilobjekte stammen aus der im Jahre 1988 entdeckten Genisa vom Dachboden der Synagoge und geben - neben anderen Gegenständen, Texttafeln und Photos - Aufschluss über das kulturelle und religiöse Leben der einstigen Ermreuther Judengemeinde. In einem Nachbargebäude soll ein kleines Museum eingerichtet werden, das über jüdische Alltagskultur informiert.

Jüdischer Friedhof Ansbach12.jpg 

Ehem. Synagogengebäude (Aufn. M. Planegg, 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0 und  Daniel Arnold, 2005, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

                    Von der Ruine zur Synagoge: Schätze in Ermreuth, die es zu schützen gilthttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20355/Ermreuth%20Synagoge%2027102013a.jpg

                     Innenraum vor und nach der Restaurierung (Aufn. Udo Güldner, aus: nordbayern.de und  J.Hanke 2013, aus: alemannia-judaica.de)

Ende Dez. 2022 versuchte ein 21jähriger Mann, das Synagogengebäude mittels eines Feurwerkskörpers  in Brand zu setzen; die Generalstaatsanwaltschaft München ging von einer rechtsextremen antisemitischen Tat aus. Wegen versuchter schwerer Brandstiftung wurde der Täter vom Amtsgericht Bamberg zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren ohne Bewährung verurteilt. Gegen das Urteil wird seitens der Verteidigung nun ein Berufungsverfahren angestrengt (2023).

 

Auf dem weit außerhalb des Ortes liegenden jüdischen Friedhof - teilweise mit einer Steinmauer bzw. einem Zaun umfriedet - sind heute von ehemals ca. 500 Grabsteinen noch etwa 220 erhalten geblieben; der älteste stammt aus der Zeit um 1720.

               Ermreuth Jüdischer Friedhof 002.JPG

Altes Eingangstor und Blick auf das Friedhofsgelände (Aufn. Jan Eric Loebe, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)

 

 

Weitere Informationen:

Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, München/Wien 1979, S. 131

Klaus Kirschner, “Da brennt’s in Ermreuth. Juden und Nazis in einem fränkischen Dorf, in: "Frankfurter Hefte", Jg. 34/1979, Heft 10, S. 37 - 44

Gerhard Philipp Wolf, Zur Geschichte der Juden in der oberfränkischen Gemeinde Ermreuth (19.Jh.) Aspekte und Erkenntnisse, in: "Archiv für Geschichte in Oberfranken", No. 66/1986, S. 419 - 460

Klaus Guth (Hrg.), Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800 - 1942). Ein historisch-topographisches Handbuch, Bayrische Verlagsanstalt Bamberg, Bamberg 1988, S. 152 - 160

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 217/219

Alfred Derfuß (Red.), Synagoge Ermreuth - Festschrift zur Einweihung und Eröffnung der wiederhergestellten Synagoge Ermreuth am 19.7.1994

Eva Groiss-Lau, Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Ermreuth und ihrer Synagoge, in: Festschrift zur Einweihung und Eröffnung der wiederhergestellten Synagoge Ermreuth am 19.7.1994, Neunkirchen a.Br. 1994

Synagoge von Ermreuth jetzt in neuem Glanz wiedergeweiht – Die Narben bleiben – auch Mitglieder der einstigen jüdischen Gemeinde bei der Feier, in: „Nürnberger Zeitung“ vom 20.6.1994

Eva Groiss-Lau, Jüdisches Kulturgut auf dem Land. Synagogen, Realien und Tauchbäder in Oberfranken, Hrg. Klaus Guth, Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 1995

Georg Knörlein, Jüdisches Leben im Forchheimer Land - ein Überblick, Haigerloch, o.J., S. 8 - 9

Gerhard Philipp Wolf, Ermreuth, in: "Jüdisches Leben in der Fränkischen Schweiz - Schriftenreihe des Fränkische-Schweiz Vereins", Band 11, Palm & Enke, Erlangen 1997, S. 221 - 278

Rajaa Nadler, Der jüdische Friedhof Ermreuth, in: "Jüdisches Leben in der Fränkischen Schweiz - Schriftenreihe des Fränkische-Schweiz Vereins", Band 11, Palm & Enke, Erlangen 1997, S. 279 - 296

Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 2: Adelsdorf - Leutershausen, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaiitach, Fürth 1998, S. 177 - 179

Ermreuth, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

M.Brocke/Chr. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 128

Rajaa Nadler, Die Synagoge Ermreuth - Sakralraum und Museum, Ermreuth 2002 (2. überarb. Auflage, 2010)

Thomas Delekat, Schwarzhaupts Haus, in: "Die WELT" vom 2.7.2003

Herbert Liedel/Helmut Dollhopf, Jerusalem lag in Franken. Synagogen und jüdische Friedhöfe, Echter-Verlag GmbH, Würzburg 2006, S. 38 – 47

Rajaa Nadler, Die jüdische Schule Ermreuth, hrg. vom Zweckverband Synagoge Ermreuth, Forchheim 2006

Michael Schneeberger, „Es ist die Heimat seit 500 Jahr“ - Die Geschichte der Juden von Ermreuth - Jüdische Landgemeinden in Bayern (18), in: Jüdisches Leben in Bayern, Mitteilungsblatt der IKG Bayern, No. 104/2007, S. 43 – 50

A. Hager/H.-Chr. Haas, Ermreuth, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 1, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2007, S. 136 - 143

Thomas Greif, Nichts mehr zu sagen und nichts zu beweinen. Auf den Spuren des fränkischen Landjudentums, in „Jüdische Zeitung“ vom Sept. 2008

Rajaa Nadler, Ermreuth – eine jüdische Landgemeinde in Oberfranken, in: "Zeitschrift der Geschichtswerkstätten in Bayern", Heft 14/2009

Hans-Peter Süss, Jüdische Archäologie im nördlichen Bayern. Franken und Oberfranken, in: "Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands", Band 25, Büchenbach 2010, S. 59 - 61  

Rolf K. Kiessling, Teures Gotteshaus. Bau der Synagoge kostete Gemeinde 12000 Gulden, in: „Erlanger Nachrichten“ vom 28. 8.2013

Rolf K. Kiessling, Die letzten Juden von Ermreuth. Entrechtet - deportiert – ermordet, hrg. vom Freundes- und Förderkreis Synagoge Ermreuth e.V., Forchheim 2014

Rolf K. Kiessling, "So wollen wir unser Glück in Nordamerika versuchen." Jüdische und christliche Auswanderer aus Ermreuth im 19. Jahrhundert, Hrg. Weilersbacher Kreis, Forchheim 2015

N.N. (Red.), Synagoge, Friedhof und jüdisches Museum in Ermreuth – Nur noch Steine zeugen vom jüdischen Landleben in Franken, in: haGalil.com vom 1.10.2017

Info-Tafel am Synagogengebäude: Das jüdische Ermreuth, verfasst von: Lokale Aktionsgruppe Kulturerlebnis Fränkische Schweiz e.V., o.J.

Udo Güldner (Red.), Von der Ruine zur Synagoge: Schätze in Ermreuth, die es zu schützen gilt, in: nordbayern.de vom 23.7.2019

Timo Lechner (Red.), Dauerausstellung: Synagoge Ermreuth macht jüdisches Dorfleben wieder lebendig, in: „Sonntagsblatt 360° evangelisch“ vom 27.7.2019

Pauline Lindner (Red.), Synagoge in Ermreuth ist bis heute ein Ort des Lernens, online abrufbar unter: nordbayern.de vom 10.11.2021

N.N. (Red.), Synagoge Ermreuth im Landkreis Forchheim: jüdische Gebetsstätte wird 200 Jahre alt, in: „Fränkischer Tag“ vom 24.1.2022

dpa (Red.), Claudia Roth besucht oberfränklische Synagoge nach Anschlag, in: „Frankfurter Allgemeine“ vom 15.1.2023

N.N. (Red.), Versuchter Brandanschlag auf Synagoge: Angeklagter will Urteil nicht akzeptieren, in: „Süddeutsche Zeitung“ vom 7.6.2023

Matthias Litzelfelder (Red.), Auf den Spuren jüdischen Lebens im Forchheimer Land, in: „Fränkischer Tag“ vom 7.9.2023