Cochem/Mosel (Rheinland-Pfalz)

Rheinland-Pfalz: KarteDatei:Verbandsgemeinden in COC.svg Cochem ist eine Kleinstadt an der Mittelmosel mit derzeit ca. 5.000 Einwohnern und größter Ort des rheinland-pfälzischen Landkreises Cochem-Zell (Kartenskizzen 'Rheinland-Pfalz', aus: kussler.net  und  'Landkreis Cochem-Zell', Hagar 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Erstmals lassen sich jüdische Bewohner in Cochem 1241 urkundlich nachweisen; anfänglich waren sie königliche bzw. kaiserliche "Kammerknechte", später standen sie unter dem Schutz des Erzbischofs von Trier. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie vorwiegend im Geldhandel. Von den Verfolgungen der Jahre 1286/1289, 1337 und 1348/1349 waren auch Cochemer Juden stark betroffen; nach der Katastrophe von 1349 zog der Erzbischof den jüdischen Besitz in Cochem ein und veräußerte diesen. In der Folgezeit wechselten Niederlassung - allerdings nur einzelner Familien - und Vertreibung immer wieder ab; als um 1415 die Juden im gesamten Kurstift vertrieben wurden, mussten auch die wenigen Juden Cochem verlassen.

Erst ca. 150 Jahre später konnte sich wieder eine jüdische Familie im Moselstädtchen niederlassen. Eine erste namentliche Aufstellung aller in Cochem lebenden jüdischen Bewohner stammt aus dem Jahre 1808; zu diesem Zeitpunkt lebten am Ort 42 Personen. In der Oberbachstraße stand seit 1860 die Synagoge der jüdischen Gemeinschaft; seit 1897 befand sich unmittelbar daneben auch eine kleines Schulgebäude mit Lehrerwohnung im Obergeschoss.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20239/Cochem%20Synagoge%20120.jpg Synagogengebäude rechts am Bildrand (hist. Aufn., um 1920/1925)

  Synagoge u. Gemeindehaus (Skizze M. Day, aus: alemannia-judaica.de)

Religiöse Aufgaben innerhalb der Gemeinde besorgte ein Lehrer, der neben seiner Unterrichtstätigkeit auch als Vorbeter und Schächter wirkte. Zunächst als „Isrealitische Elementarschule“ geführt war diese dann nach dem Ersten Weltkrieg nur noch „Religionsschule“.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20336/Cochem%20AZJ%2018041859.jpg   

Stellenangebote aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 18.4.1859 und der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 31.7.1924

Der ältere der beiden jüdischen Friedhöfe Cochems - spätestens im 18.Jahrhundert angelegt - liegt weit außerhalb der Ortschaft, in der Gemarkung Knippwiese gegenüber der Reichsburg.

      alter jüdischer Friedhof (Aufn. Qu., aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Nach dessen Aufgabe (1877) legte die Judenschaft dann eine neue Begräbnisstätte nahe der Kelberger Straße an. 

Zur jüdischen Gemeinde Cochem gehörten auch die in Cond, Sehl und - nach Auflösung der dortigen Gemeinde - die in Bruttig lebenden jüdischen Einwohner.

Juden in Cochem:

    --- 1808 ..........................  42 Juden,

    --- 1822 ..........................  45   “  ,

    --- 1858 ..........................  69   “   (ca. 3%& d. Bevölk.),

    --- 1895 .......................... 114   “  ,

    --- 1925 ..........................  56   “  ,

    --- 1933 ..........................  32   “  ,*      * mit Cond und Sehl

    --- 1939 ..........................  16   “  ,*

    --- 1942 (Okt.) ...................  keine.

Angaben aus: Angelika Schleindl, Spuren der Vergangenheit - Jüdisches Leben im Landkreis Cochem-Zell, S. 187

Blick auf Cochem, um 1880 (Aufn. unbekannt, aus: wikipedia.org, PD-alt 100)

 

In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts arbeiteten die meisten Juden als Kleinhändler, Metzger und Viehhändler; nur sehr wenige gelangten zu Wohlstand. Als eine der einflussreichsten jüdischen Familien in Cochem galt zu Beginn des 19.Jahrhunderts die Familie von Wolfgang Hirsch, deren Nachfahren bis in die NS-Zeit hier ansässig waren. Wein- und Viehhandel bildeten zu Ende des 19./ Beginn des 20.Jahrhunderts die Haupterwerbszweige der hiesigen Juden.

Während des Novemberpogroms 1938 wurden die jüdischen Gemeindeeinrichtungen verwüstet. Einige jüdische Männer wurden ins Konzentrationslager verschleppt; unter ihnen war auch der letzte Kantor/Lehrer Paul Goetzoff.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20389/Cochem%20Goetzoff%20Paul%20010a.jpg Der aus Minsk stammende Paul (Pinkas) Goetzoff (geb. 1897) war der letzte Lehrer/Kantor der jüdischen Gemeinde Cochem (von 1924 bis 1939). Nachdem seine Eltern bei einem Pogrom in Russland ums Leben gekommen waren, kam er als Waise 1901 in das Israelitische Kinderheim nach Köln. Nach seiner Ausbildung an der Präparandenschule in Höchberg und am Israelitischen Lehrerseminar in Köln wirkte er zunächst in Sohrau/OS; über Köln führte ihn dann sein Weg nach Cochem. Während des Novemberpogroms wurde Paul Goetzoff verhaftet, ins KZ Dachau eingeliefert, wo er wochenlang festgehalten wurde. Unter der Bedingung, Deutschland sofort zu verlassen, kam er Ende Januar 1939 aus Dachau frei. Mit einem britischen Touristenvisum konnte er nach Palästina ausreisen. Seine Frau und Tochter lebten danach in Köln, wurden 1941 nach Theresienstadt „umgesiedelt“ und später von hier nach Chelmno deportiert, wo beide ermordet wurden. Paul Goetzoff verstarb 1960 in Ramat Gan (bei Tel Aviv). 

Ende April 1942 wurden die letzten jüdischen Bewohner Cochems - zusammen mit Juden aus der nahen Umgebung - nach Koblenz-Lützel abtransportiert; von hier aus wurden sie „in den Osten“ deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 38 gebürtige bzw. länger am Ort lebende Bewohner mosaischen Glaubens Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/cochem_synagoge.htm).

 

Nur eine einzige jüdische Familie kehrte nach Kriegsende nach Cochem zurück. Das Synagogengebäude wurde gegen Kriegsende bei einem Luftangriff stark beschädigt; Jahre später wurde die Ruine abgebrochen.

Auf dem Gelände des (neuen) jüdischen Friedhofs an der Kelberger Straße findet man heute noch ca. 65 Grabsteine, die im Zeitraum von 1877 bis 1942 datieren. Während der NS-Zeit wurden etliche Steine zerstört, weitere dann bei Schändungen in den 1960er und 1990er Jahren; einige davon wurden ersetzt.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20230/Cochem%20Friedhof%20170.jpg

Eingangspforte und Blick vom Friedhof Richtung Reichsburg (Aufn. J. Hahn, 2009 u. E., 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf dem Begräbnisgelände ist das Portal der Cochemer Synagoge mit der Inschrift „Wisse vor wem Du stehst” (Psalm 95,6) restauriert worden.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20230/Cochem%20Gedenken%20170.jpg An der Außenwand der Pfarrkirche St. Martin erinnern zwei Gedenktafeln (Aufn. J. Hahn, 2009) mit den folgenden Worten:

Die Jüdische Gemeinde in Cochem verlor am 9.November 1938 “Reichskristallnacht” durch Verwüstung

Synagoge und Schulhaus in der Oberbachstraße Nr. 361.

Zur Erinnerung und Mahnung gegeben am 9.November 1988.

Jahrhunderte lebten Juden in Cochem. Die Familie Mayer, Goethoff, Hirsch, Dahl, Haimann, Hein, Simon wurden Opfer der Schoah 1933 - 1945. 

Zur Erinnerung und Mahnung November 1998

 

2016 wurden in Cochem mehrere sog. „Stolpersteine“ verlegt. Vier sind Angehörigen der Familie des letzten Kantors Paul Götzoff gewidmet; während ihm und seinem Sohn die Flucht nach Palästina gelang, wurden seine Frau und Tochter nach Lodz deportiert und in Chelmno ermordet.

                  File:Cochem, Bernstraße, Stolperstein -- 2018 -- 0068.jpgeiner von drei Steinen in der Endertstr. für Fam. Hein (Aufn. D. Rabich, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Anm.: Neben den in Cochem verlegten „Stolpersteinen“ wurden zeitgleich auch derartige Gedenktäfelchen in Bad Bertrich, Bullay, Pünderich und Zell in die Gehwegpflasterung eingelassen.

 

 

 

In der moselaufwärts gelegenen Ortschaft Bruttig-Fankel kann eine kleine jüdische Gemeinde im Ortsteil Bruttig seit ca. 1800 nachgewiesen werden. Die Zahl ihrer Angehörigen erreichte um 1860 mit ca. 50 Personen ihren Höchststand; deren Anteil an der Dorfbevölkerung betrug derzeit ca. 8%. 1835 errichtete die hiesige Judenschaft in unmittelbarer Nähe der katholischen Pfarrkirche einen kleinen Synagogenbau aus Schieferbruchsteinen. Verstorbene wurden auf dem alten jüdischen Friedhof in Beilstein beerdigt. Mitte der 1920er Jahre löste sich die Kultusgemeinde auf; das Synagogengebäude ging in Privathand über und wurde fortan als Lagerraum genutzt. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten 16 Juden im Dorf, 1939 waren es nur noch vier. Nachweislich sind elf gebürtige bzw. länger am Ort wohnhaft gewesene jüdische Bewohner Bruttigs Opfer der Shoa geworden.

                  Ehem. Synagoge in Bruttig (Aufn. Reinhardhauke, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Seit 1996 erinnert auf dem Friedhof von Bruttig ein Gedenkstein an die in der NS-Zeit ermordeten jüdischen Einwohner. Im Jahre 2005 wurde das historische Synagogengebäude von der Kommune Bruttig-Fankel erworben und anschließend mit Hilfe von Landesmitteln aufwändig restauriert. In diesem Kontext wurden auch Überreste eines verschütteten rituellen Bades und auf dem Dachboden Reste einer Genisa aufgefunden. Inzwischen ist das sanierte Gebäude von der Kommune einer kulturellen Nutzung zugeführt worden.

2019 wurden in den Gehwegen von Bruttig ca. 20 sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an ehemalige jüdische Bewohner erinnern, die verschleppt, ermordet oder vertrieben wurden; allein acht Steine erinnern an Angehörige der Familie Simon.

           http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20435/Bruttig-Frankel%20Stolpersteine%2020190403.jpg Aufn. Gemeinde Bruttig-Fankel

 

 

 

Im westlich Cochems gelegenen Lutzerath gab es im 19.Jahrhundert eine winzige jüdische Gemeinde, zu der zeitweise die in Alfen, Bertrich, Büchel, Gillenfeld, Grevenich, Kennfus, Mehren, Strohn, Ulmen und Urschmitt lebenden jüdischen Personen gehörten. Neben einem aus dem Jahre 1859 stammenden Betraum war auch ein eigenes Friedhofsareal vorhanden; ebenfalls unterhielt die Gemeinde eine kleine Schule. Spätestens um 1920 wurde die Betstube aufgegeben. Während der NS-Zeit lebten in Lutzerath keine jüdischen Bewohner mehr.

Überreste des jüdischen Friedhofs - elf Steine und einige -relikte - und das einstige Synagogengebäude erinnern noch heute an die einstige Gemeinde.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20157/Lutzerath%20Friedhof%20161.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20157/Lutzerath%20Friedhof%20169.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20157/Lutzerath%20Friedhof%20162.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20157/Lutzerath%20Friedhof%20172.jpg

Grabsteine mit deutlichen Verwitterungsspuren (Aufn. Dieter Peters, 2008, aus: alemannia-judaica.de)

 

 

 

In Klotten – wenige Kilometer moselabwärts von Cochem – lebten nachweislich seit dem 18.Jahrhundert jüdische Familien. Im Laufe des 19.Jahrhunderts verließ ein Teil der Familien den Ort; um 1930 waren nur noch vier jüdische Familien hier ansässig. Zeitweise verfügten die Juden in Klotten über eine Betstube (ansonsten suchten sie die Synagoge in Cochem auf).

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind 13 aus Klotten stammende bzw. länger am Ort ansässig gewesene Personen jüdischen Glaubens Opfer der NS-Verfolgung geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/klotten_friedhof.htm)

Ein seit ca. 1870 bestehender eigener Friedhof (an der Straße nach Landkern am Hang des Klottener Berges) ist nur noch ein von Vegetation eingenommenes Gräberfeld mit ca. 15 Steinen bzw. -relikten.

Begräbnisstätte in Klotten (Aufn. E., 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

In Bad Bertrich, einem kleinen Kurort in der Eifel, wurden im Jahre 2016 in der Kurfüstenstraße vier sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der jüdischen Familie Kaufmann erinnern.

 

 

 

Weitere Informationen:

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 151 – 153 und Band III/1, Tübingen 1987, S. 215

Angelika Schleindl, Spuren der Vergangenheit - Jüdisches Leben im Landkreis Cochem-Zell, Hrg. Landkreis Cochem-Zell, Rhein-Mosel-Verlag 1996, S. 77/78 und S. 187 ff.

Kurt Franzen, Jüdische Gemeinde Lutzerath, in: 900 Jahre Chronik Lutzerath, 1997, S. 62 ff.

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 128/129, S.131/132 und S. 241

Cochem, in: alemannia-judaica.de (mit Text- und Bilddokumente zur jüdischen Ortshistorie)

Bruttig, in: alemannia-judaica.de

Lutzerath, in: alemannia-judaica.de (zahlreiche Aufnahmen von alten Grabsteinen)

Klotten, in: alemannia-judaica.de

Andreas Lehnhardt (Bearb.), Geniza-Projekt Bruttig, Johannes Gutenberg-Universität Main (2012), online abrufbar unter: blogs.uni-mainz.de

kt (Red.), Cochem-Zell „stolpert“ über 27 Schicksale, aus: „Wochenspiegel“ vom 22.6.2016 (ähnlicher Artikel in der "Rheinzeitung" vom 15.6.2016)

Auflistung der in Cochem verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Cochem

Auflistung der in Bad Bertrich verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bad_Bertrich

Freundeskreis Synagoge Zell (Hrg.), Kaufmann in Bad Bertrich, online abrufbar unter: stolpersteine-guide.de/map/biografie/1687/kaufmann-in-bad-bertrich

stp (Red.), 21 Stolpersteine verlegt, in: „Wochenspiegel“ vom 12.4.2019 (betr. Bruttig)

Jüdisches Leben im Kreis Cochem-Zell, in: "Kreisheimatjahrbuch Cochem-Zell", 2019

TE (Red.), Jüdisches Leben – durch Erinnerung unvergessen, in: „Blick aktuell“ vom 19.11.2019

Dieter Junker (Red.), Einzigartiges Zeugnis jüdischer Kultur: Ehemalige Synagoge Bruttig ist heute ein „Haus der Kultur und Begegnung“, in: „Rhein-Zeitung“ vom 11.7.2021