Bottrop (Nordrhein-Westfalen)

Bildergebnis für bottrop ruhrgebiet karteKarte vom Regierungsbezirk MünsterDie kreisfreie Stadt Bottrop mit derzeit knapp 120.000 Einwohnern liegt zentral im Ruhrgebiet im äußersten Südwesten des Reg.bez. Münster – nur wenige Kilometer nördlich von Essen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1892  und  Kartenskizze Reg.bez. Münster, Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben (KSL), aus: ksl-muenster.de).

 

Kontinuierlich lassen sich im westfälischen Bottrop und in Osterfeld seit etwa 1840 Juden nachweisen, allerdings nur sehr wenige; vereinzelte, kurzzeitig hier ansässige jüdische Familien gab es aber schon vor dieser Zeit. Angezogen von den wirtschaftlichen Möglichkeiten des aufstrebenden Bergbauortes setzte dann ab den 1890er Jahren ein kontinuierlicher Zuzug von Juden ein. Die Juden Bottrops gehörten seit 1848 zur Synagogengemeinde Dorsten; dieser Gemeindeverbund erlosch im Jahre 1932, und Bottrop-Osterfeld wurde selbstständige Synagogengemeinde. Zwischen den aus Osteuropa stammenden Juden und denen aus Deutschland gab es innerhalb der Synagogengemeinde erhebliche Spannungen, die in der religiösen Orientierung evident wurden: Die „religiös Liberalen“ stemmten sich dabei gegen die mehrheitlich vertretenen „Ostjuden“, die sich vehement für ihren orthodoxen Ritus einsetzten. Seit Beginn der 1920er Jahre hatten die Bottroper Juden einen kleinen Raum in der Tourneaustraße, der früheren Helenenstraße, als Betsaal angemietet, der bis zum Erlöschen der jüdischen Gemeinde (1939) genutzt wurde. Einen Synagogenbau hat es in Bottrop nicht gegeben. Juden aus Bottrop besuchten auch Gottesdienste in den Synagogen Buer und Essen.

Um die Jahrhundertwende (1899) wurde ein kleiner jüdischer Friedhof angelegt, der sich in der Nordwestecke des Bottroper Westfriedhofs befand. In den Jahrzehnten zuvor waren Verstorbene auf den jüdischen Friedhöfen in Holten bzw. Essen beerdigt worden. 

                Juden in Bottrop:

         --- 1843 ..........................   ein Jude,

    --- um 1870 ........................    keine,

    --- 1890 ...........................    9 Juden,

    --- 1895 ...........................   25   “  ,

    --- 1900 ...........................   58   “  ,

    --- 1910 ...........................   70   “  ,

    --- 1915 ...........................   89   “  ,

    --- 1920 ...........................  159   "  ,

    --- 1925 ...........................  209   “  ,*  *andere Angabe: 237 Pers.

    --- 1932 ...........................  225   “  ,

    --- 1933 (Jan.) ....................  203   "  ,

             (Dez.) ................ ca.  160   “  ,

    --- 1938 (Sept.) ...................  102   “  ,

    --- 1939 (Nov.) ....................   47   “  ,*      *andere Angabe: 29 Pers.

    --- 1941 (Dez.) ....................    9   “  ,

    --- 1942 ...........................    keine.            

Angaben aus: Spurensuche - Eine jüdische Gemeinde, die nicht mehr existiert (Ausstellungskatalog)

und                 Manfred Lück (Bearb.), Bottrop, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen …, S. 247

 

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, aber auch schon in den Jahrzehnten von 1870 bis 1900, wanderten zahlreiche „Ostjuden“ (aus Ostpolen/Galizien) in die Städte des Ruhrgebietes zu. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie zumeist als kleine Händler, Handwerker und ungelernte Arbeiter im Bergbau und in der Industrie. Sie besaßen in ihrem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld meist kaum Beziehungen zu den alteingesessenen jüdischen Familien. In den Folgejahrzehnten dominierten Berufe im Handelssektor, besonders in der Textilbranche, aber auch im Möbelhandel, und bestimmten so bald das Bild der Bottroper Geschäftswelt.

Der erste Jude, der in Bottrop ein Ladengeschäft betrieb, war Leopold Rothschild, der 1891 ein Manufakturwarengeschäft aufmachte. Mitte der 1890er Jahre eröffnete das später große Bekleidungsgeschäft von Hermann Breuer.

Bottrop. Hochstraße mit Straßenbahn Hochstraße in Bottrop, um 1920 (?)

Noch vor dem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte kam es in Bottrop am 8.März 1933 zu einer "spontanen Aktion": erstmals wurden jüdische Gewerbetreibende zu einer Schließung ihrer Geschäfte gezwungen. SA-Angehörige versperrten die Eingänge und erklärten dieses Vorgehen als wegen „möglicher Ausschreitungen” notwendig. Am 29.März setzten erneut NS-Boykottmaßnahmen von SS- und SA-Angehörigen ein. Käufer wurden mit Drohungen eingeschüchtert und am Betreten der Läden gehindert. Am gleichen Tag veranstaltete die NSDAP eine antijüdische Demonstration in der Innenstadt, bei der auch jüdische Geschäftsleute gezwungen waren, mit Plakaten mit der Aufschrift „Kauft nicht bei Juden!” im Demonstrationszug mitzugehen. Gleichzeitig wurden einige jüdische Männer inhaftiert.

Unter dem Druck der NS-Machthaber verließen bereits im Jahre 1933 knapp 70 in Bottrop lebende Juden die Stadt; diese Tendenz setzte sich in den folgenden Jahren fort. Emigrationsziele waren vor allem Palästina, Belgien und die Niederlande. Ende Oktober 1938 verhafteten die NS-Behörden alle Juden polnischer Staatsangehörigkeit (sog. "Polen-Aktion") - in Bottrop waren davon 56 Personen betroffen - und verfrachteten diese ins Lager Bentschen an der deutsch-polnischen Grenze. Von hier wurden die meisten im Oktober 1939 ins „Generalgouvernement“ abtransportiert.

In der knapp zwei Wochen später folgenden „Reichskristallnacht“ kam es zu Gewalttätigkeiten gegen die ca. 50 noch in Bottrop verbliebenen jüdischen Einwohner. Geschäfte jüdischer Besitzer wurden kurz und klein geschlagen, ihre Wohnungen und der Betraum demoliert, Bewohner misshandelt und anschließend inhaftiert.
 Zerstörtes Möbelhaus Meir Reichenstein & Reinharz (Gladbecker Straße)

In Folge des gewalttätigen Geschehens der Novembertage verließen ca. 60 Bottoper Juden die Stadt und emigrierten; weitere folgten bis Ende 1941. Die noch neun in Bottrop lebenden jüdischen Personen wurden Ende Januar 1942 deportiert, die meisten von ihnen nach Riga. Damit endete die Geschichte jüdischen Lebens in Bottrop.

 

Nach Kriegsende wurde der kleine jüdische Friedhof am Westring von der Stadtverwaltung wieder in einen ansehbaren Zustand versetzt; allerdings sind heute nur noch ca. 15 Grabsteine vorhanden; die meisten waren während der NS-Zeit zerschlagen und beseitigt worden. Eine Gedenktafel auf dem Gelände trägt hier die Namen von neun ermordeten Juden.

jüdischer Friedhof Bottrop (Aufn. W.Strickling, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Am ehemaligen Betsaal der jüdischen Gemeinde fand man - bis zum Abriss des Gebäudes (2000) - eine Tafel mit folgender Inschrift:

Den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Bottrop zum Gedächtnis, die im Hause Tourneaustraße 3/5 (früher Helenenstraße) ihren Betsaal hatten. Er wurde in der Pogromnacht des 9.November 1938 von den Nationalsozialisten verwüstet.

Zum Gedenken an unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die in den Jahren 1933 – 1945 entrechtet, gedemütigt, vertrieben und ermordet wurden.

Ihr alle, die ihr vorübergeht, kommt uns seht, ob ein Schmerz sei wie mein Schmerz, den man mir angetan. (Klagelieder 1,12)

Eine aktualisierte Tafel sollte (!) am neu hier entstandenen Gebäudekomplex angebracht werden.

Im Eingangsbereich des Bottroper Amtsgerichts erinnert eine Gedenktafel an Dr. Paul Blumenthal, der von 1910 bis 1925 Richter am hiesigen Gericht war, wegen seiner „jüdischen Abstammung“ 1936 aus dem Staatsdienst entlassen wurde und 1941 in Minsk starb.

Derzeit erinnern an ihren ehemaligen Wohnstätten ca. 70 sog. „Stolpersteine“ an zumeist jüdische Bottroper, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sind (Stand 2021); begonnen wurde mit der Verlegung der ersten neun Steine bereits im Jahre 2005.

      Stolperstein für Familie Brandt, Bottrop verlegt in der Hochstraße (alle Aufn. M., 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

             ... und am Pferdemarkt Stolpersteine für Familie Reder, Bottrop 

    Stolpersteine für Familie Krauthammer, Bottropin der Essener Straße

 Jüngst erfolgte die Verlegung von zwölf weiteren messingfarbenen Gedenkquadern (2023), die an Bottroper NS-Opfer erinnern.

 

Gegen Ende der 1980er Jahre wurde in Bottrop ein Nachlass versteigert, der u.a. einen Reisekorb mit jüdischer Literatur (ca. 150 Bücher) beinhaltete, der vermutlich einst im Besitz der jüdischen Gemeinde gewesen war. Diese Schriften gehören seitdem zum Bestand der „Alten Synagoge“ in Essen und des „Jüdischen Museum Westfalen“ in Dorsten; eine Ausstellung „Spurensuche” arbeitete den Inhalt des Fundes auf.

An das frühere jüdische Bethaus an der Tourneaustraße (zuletzt war im Gebäude ein Möbellager untergebracht) erinnert seit 2015 eine aus Ziegeln gefertigte niedrige Stele, die der Bildhauer Guido Hofman geschaffen hat; die (lange umstrittene) bronzene Gedenktafel ist nun an der gemauerten Stele angebracht und trägt die Inschrift:

"Den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Bottrop zum Gedächtnis, die im Hause Tourneaustraße 11 (früher Helenenstraße) ihren Betsaal hatten. Er wurde in der Pogromnacht des 9./10.November 1938 von den Nationalsozialisten verwüstet. Der Gebäudekomplex wurde 2007 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Zum Gedenken an unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die in den Jahren 1933 – 1945 entrechtet, gedemütigt, vertrieben und ermordet wurden.“

 

 

 

Weitere Informationen:

Hans Ch. Meyer, Aus Geschichte und Leben der Juden in Westfalen, ner-tamid-verlag, Frankfurt/M., 1962

Werner Schneider, Jüdische Heimat im Vest - Gedenkbuch der Jüdischen Gemeinden im Kreis Recklinghausen, Verlag Rudolf Winkelmann, Recklinghausen 1983, S. 29 ff.

Manfred Lück, Juden in Bottrop 1840 - 1942, in: Spurensuche - Eine jüdische Gemeinde, die nicht mehr existiert (Ausstellungskatalog), Hrg. Alte Synagoge Essen, Essen 1990, S. 43 f.

W.Stegemann/J.Eichmann, Jüdisches Museum Westfalen, Dorsten 1992

Manfred Lück, Juden in Bottrop. Biographische Notizen und Erinnerungen, in: "Beiträge zur Bottroper Geschichte", No. 20, Hrg. Historische Gesellschaft e.V., Bottrop 1993

Günter Birkmann/Hartmut Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 210

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 75/76

Manfred Lück, Juden in Bottrop - Von der Zuwanderung 1808 bis zur letzten Deportation 1944, in: "Beiträge zur Bottroper Geschichte", No. 27, Hrg. Historische Gesellschaft e.V., Bottrop 2001

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 233 - 240

Manfred Lück (Bearb.), Bottrop, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, in: "Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV", Ardey-Verlag, München 2008, S. 240 - 250

Heike Biskup (Red.), Akten des Schreckens: Bottroper Judenkartei, in: "WAZ - Westdeutsche Allgemeine Zeitung" vom 28.1.2014 (online-Ausgabe)

Dirk Aschendorf (Red.), Für eine Synagoge war die Gemeinde zu arm, in: "WAZ - Westdeutsche Allgemeine Zeitung" vom 7.6.2014 (online-Ausgabe)

Dirk Aschendorf (Red.), Eine Stele zur Erinnerung an jüdisches Bethaus in Bottrop, in: „Der Westen“ vom 25.11.2014

Dirk Aschendorf (Red.), Gedenktafel kehrt nach sieben Jahren zurück, aus: "Westfalenpost" vom 23.1.2015

Der jüdische Friedhof von Bottrop, online abrufbar unter: juedische-friedhoefe.info/friedhoefe-nach-regionen/nordrhein-westfalen/

Jüdischer Friedhof Bottrop, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Jüdischer_Friedhof_(Bottrop)

Auflistung der Stolpersteine in Bottrop, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bottrop

Stadt Bottrop (Red.), Erinnerung: Juden nach Riga verschleppt und ermordet, online abrufbar unter: bottrop.de/kultur-und-bildung/aktuelles/ausstellungjuden.php vom 23.9.2020

Kai Süselbeck (Red.), Freude im Archiv: Interesse an den „Stolpersteinen“ wächst, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 2.11.2020

André Brune (Red.), Der Ruhrpottologe möchte auch Erinnern und Mahnen im Ruhrpott-Blogg, in: „Stadtspiegel“ vom 9.11.2021

André Brune (Red.), Bottroper Straßennamen – Tourneaustraße. Herkunft. Bedeutung, Gegenwart, in: „Stadtspiegel“ vom 10.11.2021 (Artikel enthält auch Informationen zum ehemaligen jüdischen Bethaus)

Stadt Bottrop/Stadtarchiv (Hrg.), Stolpersteine in Bottrop - Tot ist nur, wer vergessen wird - Broschüre, Bottrop 2021

Dirk Aschendorf (Red.), Neue Schrift über Bottrops Stolpersteine gibt‘s auch digital, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 21.12.2021

Harald Uschmann (Red.), Zwölf neue „Stolpersteine“ erinnern an Bottroper Nazi-Opfer, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 17.12.2023

Dirk Aschendorf (Red.), Vor 125 Jahren bekommt Bottrop einen jüdischen Friedhof, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 14.4.2024