Böhmisch-Leipa (Böhmen)

Böhmisch-Leipa ist die heutige tschechische Stadt Česká Lípa mit derzeit ca. 37.000 Einwohnern im Kreis Liberec/Reichenberg südlich von Zittau gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte 'Böhmische Nordbahn', aus wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Tschechien' mit Lage von Česká Lípa rot markiert, K. 2005, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Um die Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Angehörigenzahl der jüdischen Gemeinde mit maximal 700 Personen ihren Höchststand.

Die jüdische Besiedlung des Raumes Böhmisch-Leipa reicht bis in die Mitte des 16.Jahrhunderts zurück; bereits 1570 sind in Leipa 15 jüdische Steuerzahler genannt.

Aus einem Bericht des Jahres 1699:

“ Als die Juden primitus in die Stadt Leippa eingeschlichen sein, haben sie bei denen Burgern ihre wohnungen genohmen undt gemieth, wie dann in etwelchen Häussern heunt zu Tag eingeschnittene jüdische Worte zu sehen seindt; denen Endtlichen auch eine stelle Zur begräbtnuss von Ein Rath vergünstiget, und eingeraumbet worden ist, nachgehents auch baldt dies baldt jenes Hauss von der Vorstadt Käuffl. an Sich gebracht, und weilen die Häusser Bürgerlich, mit den Stadtbüchern verschreiben lassen; sie gaben der Stadt nomine des Schutzgeldes nach Aussage der alten Burgern ... jährl. 24 Thl.   Die Juden hatten allhier sein lebtag Keine gewisse Schule, vielweniger eine von stein gebaute Synagog, sondern hielten ihre Zusamen Künften Baldt da baldt dorth alss nembl eine Zeitlang auff des Christoph Proches Schittboden ...  Weilen nun nachgehents in dem mit der gdig. Obrirgkeit und der gemeindt getroffenen Landtaf. transactionem wegen der Juden Häusser so viel verglichen worden, damit sie nicht mehr dann 11 Häusser innen haben, ... viel weniger ein neues bauen können sollen. ...”

Die jüdischen Familien Leipas lebten unter äußerst beengten Wohnverhältnissen; so sollen um 1730 insgesamt 360 Personen in nur 15 (!) Häusern untergebracht gewesen sein.

Als im Jahre 1744 die Stadt von marodierenden Soldaten aus Ungarn eingenommen und geplündert wurde, war die Judengasse am Kreuztor besonders betroffen. Mehr als 30 jüdische Bewohner - unter ihnen auch der Rabbi - wurden gefoltert und getötet, tagelang zogen Plünderer durch die Häuser und hielten sich am Eigentum der hier wohnenden Juden schadlos.

Um 1700 erhielten die Leipaer Juden vom Bischof und der Herrschaft von Leitmeritz die Genehmigung zum Bau einer Synagoge. Realisiert wurde das Vorhaben aber erst vier Jahrzehnte später. Im Keller des Gebäudes befand sich das rituelle Bad. Die Errichtung des neuen, im maurischen Stil errichteten Synagogenbaues erfolgte in den Jahren 1863/1864; wenig später besaß die Gemeinde auch ein Gemeindehaus.

  Synagogue in Česká Lípa.jpg        Synagoga česká lípa 1932.png       

Synagoge (hist. Aufn. um 1920 bzw. 1932, aus: Talmidavi., commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0 )

Ein eigener Begräbnisplatz in der Nähe des Ziegelteiches vor der Stadt war bereits seit Ende des 16.Jahrhunderts vorhanden.

 Náhrobky ČL.JPGGrabstätten auf dem alten Friedhof (Aufn. Zákupák, 2012, aus: wikipedia.org, CCO)

Dieses mehrere Jahrhunderte benutzte Areal wurde 1905 aufgelassen und ein neues Begräbnisgelände in der Nähe des kommunalen Friedhofs eingeweiht.

Juden in Böhm. Leipa:

         --- um 1655 .......................  40 jüdische Familien,

    --- um 1725 .......................  73     “       “   (ca. 360 Pers.),

    --- 1811 ...................... ca. 100     “       “   ,

    --- 1849 .......................... 130     “       “   (ca. 840 Pers.),

    --- 1872 .......................... 638 Juden (in 130 Familien),

    --- 1880 .......................... 686   "  ,

    --- 1890 .......................... 560   “  ,

    --- 1900 .......................... 491   “   (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1910 .......................... 441   “   (in ca. 115 Familien),

    --- 1921 .......................... 305   “  ,

    --- 1930 .......................... 301   “   (knapp 3% d. Bevölk.).

Angaben aus: Rudolf M. Wlaschek, Juden in Böhmen - Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums .., S. 25

Ak Česká Lípa Böhmisch Leipa Reg. Reichenberg, MarktplatzMarktplatz - Postkarte um 1900 (aus: akpool.de)

 

Um 1900 bestimmten die Juden Leipas weitgehend das Wirtschaftsleben in der Stadt.

Das Ende der jüdischen Gemeinde kam auch hier mit der NS-Herrschaft. Während der sog. „Sudetenkrise“ hatten bereits die meisten Juden die Stadt verlassen.

Das Synagogengebäude fiel in der „Reichskristallnacht“ einer Brandstiftung zum Opfer; die damalige Synagogenstraße wurde in „Stürmergasse“ umbenannt. Die baulichen Relikte des Synagogengebäudes wurden dann 1941 aus dem Stadtbild beseitigt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sollen mehr als 225 gebürtige bzw. längere Zeit in der Stadt ansässig gewesene Personen mosaischen Glaubens Opfer der Shoa geworden sein.

 

Ende der 1950er Jahre ließen sich in Ceska Lipa einige jüdische Familien aus Karpato-Russland nieder; sie schlossen sich formell der jüdischen Gemeinde Liberec an.

Gedenkstein für die zerstörte Synagoge (Aufn. Zákupák, 2009, aus: wikipedia.org, CCO) Památník obětí fašismu.jpg

Vom alten Friedhof, der während der NS-Zeit schwer geschändet wurde, sind noch einige alte Grabsteine aus dem 17.Jahrhundert erhalten (viele Grabsteine wurden entwendet und für Bauzwecke zweckentfremdet).

Ummauertes altes jüdisches Friedhofsgelände (Aufn. Zákupák, 2009, aus: wikipedia.org, CCO)

Der neue jüdische Friedhof wurde in den 1980er Jahren aufgelassen und auf dem freigewordenen Gelände ein Schulgebäude errichtet.

"Erinnerungsecke" auf dem Schulgelände (Aufn. Zákupák, aus: wikipedia.org, CCO)

 

File:Hugo Salus.png Hugo Salus, Lyriker und Novelist, wurde als Sohn einer jüdischen Familie im Jahre 1866 in Leipa geboren. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit veröffentlichte er zahlreiche Gedichtbände und Erzählungen und gehörte zu den bedeutenderen Vertretern der deutsch-sprachigen Prager Literatur seiner Zeit.

 

 

 

Weitere Informationen:

Josef Bergl, Der Judenmord in Böhmisch-Leipa am 9.Dezember 1744, in: "Rocenka Spolecnosti pro dejiny Židu v Ceskoslovenské republice", Heft 2/1930, S. 229 - 272

B.Wolff (Bearb.), Geschichte der Juden in Böhm. Leipa, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn/Prag 1934, S. 51 - 55

Rudolf M.Wlaschek, Zur Geschichte der Juden in Nordostböhmen unter besonderer Berücksichtigung des südlichen Riesengebirgsvorlandes, in: "Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien", Bd. 2, Marburg/Lahn 1987

Ingeborg Witzel-Motz, Geschichte der jüdischen Bürger von Böhmisch-Leipa, in: "Sudetenland", No.30/1988, S. 285 - 290

Rudolf M. Wlaschek, Juden in Böhmen - Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums im 19. und 20.Jahrhundert, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 66, R.Oldenbourg-Verlag, München 1997

Marie Vojtíšková, Židé v Ceské Lipe [Die Juden in Böhmisch Leipa], Ceská Lipa 1999

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 239

Jewish families from Česká Lípa (Böhmisch-Leipa), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from

Martina Schneibergová (Red.), Gedenkstein wird an die Niederbrennung der Synagoge in Česká Lípa erinnern, in: deutsch.radio.cz/ vom 25.11.2008

Kateřina Čapková /Hillel J. Kieval (Hrg.), Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 140, München 2020