Böhl (Rheinland-Pfalz)
Böhl ist seit Ende der 1960er Jahre ein Ortsteil der Gesamtgemeinde Böhl-Iggelheim im Rhein-Pfalz-Kreis - ca. 15 Kilometer nordwestlich von Speyer bzw. südwestlich von Ludwigshafen gelegen (Kartenskizze 'Rhein-Pfalz-Kreis', Lencer 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts soll eine jüdische Familie im kurpfälzischen Dorf gelebt haben, im Nachbardorf Iggelheim waren es drei Familien. In einem Schreiben von 1764 hieß es, dass „den Juden Gerson Abraham in Unseren Schutz zu Böhl dergestalten auf und anzunehmen, daß derselbe, nebst ein für allemahl 3 fl. herrschaftl. Tax, das gewohnliche Schutzgeld ... richtig abführe.” Mit dem beginnenden 19.Jahrhundert setzte dann eine deutliche Zuwanderung ein, und die sich nun hier bildende Gemeinde, zu der auch Iggelheim und bis 1826 auch Schifferstadt gehörten, erreichte um 1850 ihren personellen Höchststand.
Da bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts die Zahl der Juden in Böhl größer war als in Iggelheim, lag es nahe, hier die Synagoge bzw. das Bethaus einzurichten. Ende des Jahres 1840 konnte die Kultusgemeinde ihren zweigeschossigen Synagogenneubau in der Schulstraße einweihen. Den Baugrund hatte ein Gemeindemitglied kostenlos zur Verfügung gestellt. Die „Neue Speyerer Zeitung” berichtete im Januar 1841 über die Feierlichkeiten.
Speyer, 17. Januar. (Privatmitth.) Am 27. des v. M. fand in dem benachbarten Orte Fehl* die Einweihung einer neuen Synagoge statt, welche die dortige kleine Gemeinde mit großem Opfer erbaute. Ich bemerke mit Vergnügen, daß viele christliche Einwohner durch Geld und Arbeit ihr Scherflein zu derselben beigetragen. Die Gemeinde besoldet auch einen sehr guten Religionslehrer sehr reichlich. Die Einweihung ging feierlich von Statten. Der Zug von der alten zu neuen Synagoge, bei welchem der Sängerchor und die Schuljugend Lieder sangen, wurde auch von der protestantischen Geistlichkeit und Schullehrern begleitet, die letzteren wirkten in der Synagoge beim Gesange mit. Allerdings war aber der katholische Geistliche und sein Schullehrer entfernt geblieben. Herr Rabbiner Merz hielt eine sehr erbauliche Predigt über wahre Gottesverehrung. Der Psalm 150 schloß die Feierlichkeit, an die sich aber das Minchagebet im Chore auf höchst angemessene Weise reih’te. Christ und Israelit verließen tief bewegt und zum Herrn erhoben das Gotteshaus.
* Anm.: Mit dem Ort „Fehl“ ist Böhl gemeint !
Synagoge in Böhl (hist. Bildpostkarte/Ausschnitt, Sammlung Frantisek Bányai) und Skizze der Westfassade
Im neuen Synagogengebäude waren auch Schule und Lehrerwohnung sowie eine Mikwe untergebracht. Der Betraum wies ca. 100 Plätze auf, davon 60 Männer- und knapp 40 Emporensitze für die Frauen. Äußerlich war das Synagogengebäude eine Kopie der 1832 eingeweihten Synagoge im südpfälzischen Ingenheim. Nachdem sich die Böhler Gemeinde um 1900 wegen Abwanderung bereits aufgelöst hatte, wurde der Betraum von den jüdischen Familien aus Iggelheim und anderen Nachbarorten weiter genutzt. Nach einem Brand (1906) wurde das Gebäude wieder instandgesetzt und später sogar baulich noch verändert, obwohl zum damaligen Zeitpunkt dort nur noch gelegentlich Gottesdienste stattfanden. In der Regel suchte man ab 1910/1915 die Synagoge in Hassloch auf. Für etwa drei Jahrzehnte gab es in Böhl eine eigene Volksschule, die auch von den jüdischen Kindern aus Iggelheim besucht wurde. Finanziert wurde der Schulbetrieb durch eine Umlage, die von den Haushaltsvorständen aufgebracht wurde. Anfang der 1870er Jahre wurde die Schule wegen Schülermangels geschlossen
Stellenanzeigen in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 28.8.1890 und vom 18.10.1900
Ihre verstorbenen Glaubensgenossen begrub die Gemeinde auf den jüdischen Friedhöfen in Wachenheim und Hassloch.
Die Gemeinde Böhl gehörte zum Rabbinatsbezirk Frankenthal.
Juden in Böhl (Pfalz):
--- um 1745 ..................... eine jüdische Familie,
..................... 3 “ “ n, * * in Iggelheim
--- um 1800 ..................... keine,
--- 1808 ........................ 19 Juden,
--- 1821 ........................ 25 “ ,
--- 1848 ........................ 79 “ (in 15 Familien),
--- 1865/66 ..................... 40 “ ,
..................... 44 “ ,*
--- 1893 ........................ 21 “ ,
--- 1900 ........................ 14 “ ,
--- um 1915 ..................... keine,
--- 1933 ........................ 16 “ ,** ** in Böhl-Iggelheim
--- 1938 ........................ 14 “ .**
Angaben aus: Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff, Synagogen. Rheinland-Pfalz und Saarland, S. 122
Postkarte um 1900 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Die Judenschaft des Nachbardorfes Iggelheim bestand während des 19.Jahrhunderts aus bis zu elf Familien und war damit etwas kleiner als die Böhls. Ein im Jahr 1854 unternommener Versuch, eine autonome israelitische Kultusgemeinde Iggelheim zu bilden, war „wegen nicht genügender Anzahl von Gemeindemitgliedern“ zum Scheitern verurteilt. Anders als in Böhl lebten hier auch noch während der 1930er Jahre jüdische Bürger; die letzten sieben wurden im Oktober 1940 nach Gurs deportiert.
Während des Novemberpogroms wurde das Synagogengebäude schwer verwüstet: Die gesamte Inneneinrichtung, die Fenster und Teile des Daches fielen der Zerstörung zum Opfer. Eine Brandlegung an dem Gebäude unterblieb nur wegen der dichten Bebauung. 1940 ging das Gebäude in kommunale Hände über, und noch im gleichen Jahr erfolgte der Abriss, wobei die Abbruchkosten dem Verkaufspreis entsprachen.
Synagogengebäude kurz vor dem Abriss, 1940 (aus: O. Weber)
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden drei aus Böhl und sieben aus Iggelheim stammende Personen mosaischen Glaubens Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/boehl_synagoge.htm).
Seit 1971 erinnert nahe der evangelischen Kirche im heutigen Ortsteil Böhl ein Gedenkstein an die ehemalige Synagoge.
Gedenkstein mit -tafel (Aufn. Bernhard Kukatzki)
Der Stein trägt eine Gedenktafel mit der Beschriftung:
Hier stand bis zu ihrer Zerstörung durch die Nationalsozialisten am 9.November 1938
die Synagoge der jüdischen Kultusgemeinde Böhl-Iggelheim.
Im Rahmen der 1225-Jahr-Feier des Ortes haben Schüler aus Böhl-Iggelheim ein Modell der ehemaligen Synagoge gebaut.
Seit 2013 erinnert eine Stele auf dem Friedhof an die sieben jüdischen Bewohner, die 1940 nach Gurs/Südfrankreich deportiert wurden. Ein achter Name erinnert an eine Zeugin Jehovas.
Gedenk-Stele (Aufn. aus: bildhauerei-keller.de)
An vier Standorten erinnern seit 2015/2018 insgesamt 14 sog. „Stolpersteine“ an Angehörige jüdischer Familien, die während der NS-Zeit der Verfolgung ausgesetzt waren - so jeweils fünf Steine für Mitglieder der Familie Blum in der Buschgasse und der Familie Mayer/Süssel in der Langgasse.
Weitere Informationen:
Max Kettenbach, Die Synagoge, in: Verwaltung Böhl-Iggelheim (Hrg.), 1200 Jahre Böhl. 780 - 1980. Ein Dorf in der Mitte der Vorderpfalz, Böhl-Iggelheim 1980, S. 67 f.
Klaus D. Moritz, Zur Geschichte der Juden in der Gemeinde Iggelheim, aus: Ortschronik, o.J., S. 398 - 406
Bernhard Kukatzki, Juden in Böhl und ihre Kultuseinrichtungen 1729 - 1940, Maschinenmanuskript, o.J.
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 122
Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 53 - 55
Böhl (Gemeinde Böhl-Iggelheim), in: alemannia-judaica.de (mit diversen Textdokumenten zur jüdischen Ortsgeschichte)
Arbeitskreis „Bündnis für Vielfalt und Extremismus“ (Hrg.), Stolpersteine für Böhl-Iggelheim – Gegen das Vergessen, Flyer von 2018
Auflistung der in Böhl-Iggelheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Böhl-Iggelheim
Annegret Ries (Red.), Synagogenfundament bleibt erhalten: Geschützt im Verborgenen, in: „Die Rhein-Pfalz“ vom 19.1.2021