Bodenbach-Tetschen/Elbe (Böhmen)

Austria-Hungary - with excursions to Cetinje, Belgrade, and Bucharest - handbook for travellers (1911) (14776117871).jpgSoubor:Map cz Děčín kroton.svg – Wikipedie Die Ortschaft Bodenbach (Podmokly) im nordböhmischen Raum - nahe zur Grenze zu Sachsen - ist seit 1943 ein Stadtteil von Tetschen, dem heutigen tschech. Děčín mit derzeit ca. 48.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte ‚Böhmische Nordbahn‘, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  -  Kartenteil rechts: Bodenbach u. Tetschen, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Tschechien' mit Děčín rot markiert, K. 2005, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Das Kreisgebiet Tetschen hatte über Jahrhunderte hinweg eine rein deutsche Bevölkerung; erst mit dem Aufkommen der Industrialisierung kamen vermehrt tschechische Bewohner hierher; diese Tendenz setzte sich nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt fort.

 

Schon seit der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts hatten sich vereinzelte jüdische Handelsleute auf dem Gebiet des heutigen Kreises Decin aufgehalten; sie wurden später ausgewiesen. In der Folgezeit waren dann zuweilen nur jüdische Händler (zumeist aus Polen) kurzzeitig in der Stadt, um hier ihren Geschäften nachzugehen.

Nach dem Bahnanschluss an die Strecke Prag - Dresden und dem wirtschaftlichen Wachstum Bodenbachs - es war bis ca. 1850 nur ein Dorf gewesen - setzte ab Mitte der 1870er Jahre auch ein Zuzug jüdischer Familien in die Kleinstadt ein.

Dienten zunächst Räumlichkeiten in Privathäusern zu gottesdienstlichen Zwecken, so genügten diese bald nicht mehr den Ansprüchen der wachsenden Zahl der Gemeindemitglieder. Nach der Gründung eines Betvereins im Jahre 1885 nutzte man nun einen Gartenpavillon auf dem Anwesen eines Fabrikanten an der Teplitzer Straße, und an Festtagen versammelten sich die Gemeindeangehörigen in Gebäuden mit größeren Räumen, etwa im Zeughaus. Ab 1887 existierte dann offiziell der „Israelitische Kultusverein” (aus diesem ging 1895 eine autonome jüdische Gemeinde hervor), der es sich zur Hauptaufgabe gemacht hatte, einen Synagogenbau für alle Juden des Tetschener Bezirks errichten zu lassen. Der 1901 gegründete israelitische Tempelverein konnte dann 1907 die neue Synagoge, die pseudo-orientalische Stilelemente mit denen des Jugendstils verknüpfte, einweihen lassen. Rabbiner Freud eröffnete am 1.Sept. 1907 das neue Gotteshaus mit den Worten: „Dieser Tag ist der höchste, den die Gemeinde feierlich begehen kann. Nicht aber unseres Hochmuts und unseres Ruhmes wegen, sondern als Dankeszeugung zu Gott, denn nur ER hat diesen Tempel geschaffen. Unsere Berufung ist, unseren Glauben auch für künftige Generationen zu erhalten.“

19785-Bodenbach-1915-Synagoge-Brück & Sohn Kunstverlag.jpg

 Synagoge in Bodenbach – hist. Postkarte von 1915 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

  Synagogenraum (hist. Aufn., aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Ab dem Ende der 1880er Jahre gab es in Tetschen auch eine Beerdigungsbruderschaft. Verstorbene Juden fanden nach 1890 auf einem Areal des allgemeinen Stadtfriedhofs von Bodenbach (Podmokly) ihre letzte Ruhe.

Juden in Bodenbach-Tetschen:

         --- 1872 ........................ keine Juden,

    --- 1890 ........................   54   “   ,

             ........................  160   “   ,*     * Bodenbach und Tetschen

    --- 1900 ........................  170   “   ,

    --- 1910 ........................  389   “   ,*

    --- 1921 ........................  265   “   ,

    --- 1927 .................... ca.  400   “   ,**

    --- 1930 ........................  354   “   ,

             ........................  423   “   ,**    ** gesamte Gemeinde

    --- 1939 .................... ca.   60   “   ,

    --- 1945/46 ................. ca.  130 Familien.

Angaben aus: Rudolf M. Wlaschek, Juden in Böhmen - Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums .., S. 25

und                 Alfred Herr (Bearb.), Heimatkreis Tetschen-Bodenbach - Städte und Gemeinden

und                 www.zidovskaobecdecin.wz.cz


  Ansichten von Bodenbach und Tetschen - Postkarten um 1900 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

 

Nach dem sog. „Münchner Abkommen“ gehörte auch Bodenbach-Tetschen zu den sudetendeutschen Gebieten, die Anfang Oktober 1938 von deutschen Truppen besetzt und annektiert wurden. Die noch in der Stadt lebenden jüdischen Bewohner mussten miterleben, wie während des Novemberpogroms an der Synagoge Feuer gelegt wurde, wobei ein Teil der Inneneinrichtung verbrannte. Auf Grund einer persönlichen Intervention des Oberbürgermeisters Anton Kreisel unterblieb aber eine völlige Zerstörung der Synagoge. Während der deutschen Okkupation wurde die Synagoge aller ihrer religiösen Symbole beraubt, als Lagerhaus der Wehrmacht bzw. der HJ missbraucht. Gegen Ende des Jahres 1938 gab es bereits keine jüdische Gemeinde mehr in Bodenbach-Tetschen.

 

Nach Kriegsende muss sich dann wieder eine jüdische Gemeinschaft zusammengefunden haben, die aus mehr als 100 zugewanderten Familien bestand. Der letzte Gottesdienst in der Synagoge soll hier 1964 stattgefunden haben. Anfang der 1990er Jahre gründete sich in Děčín eine neue jüdische Gemeinde. 

Das Synagogengebäude hat - als eines der wenigen Nordböhmens - die NS-Zeit äußerlich unzerstört überstanden; seit 1996 befindet es sich wieder im Besitz der jüdischen Gemeinde, der Öffentlichkeit ist es als Ausstellungs- und Konzertraum zugänglich. Die umfangreichen Restaurierungsarbeiten wurden 2005 abgeschlossen.

                 

       Synagogengebäude nach der Sanierung (Aufn. Ondřej Koníček, 2004, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Otto Chmelik, 2012)

Als das Areal des jüdischen Friedhofs wegen einer Industrieansiedlung aufgegeben werden musste, wurden die sterblichen Überreste der hier Begrabenen auf ein Gelände in Folknáre (Falkendorf) überführt.

 

 

 

In Warnsdorf (tsch. Varnsdorf, derzeit ca. 15.000 Einw.) - nordöstlich von Tetschen und unmittelbar an der deutsch-tschechischen Grenze gelegen und wegen seiner hier beheimateten Textilindustrie auch „Klein-Manchester“ genannt - ließen sich erst im ausgehenden 19.Jahrhundert jüdische Familien in nennenswerter Anzahl nieder. Anfang der 1930er Jahre zählte die hiesige Judenschaft ca. 230 Mitglieder.

06463-Warnsdorf-1905-Blick über Warnsdorf-Brück & Sohn Kunstverlag.jpgVarnsdorf um 1905 (Aufn. aus: wikipedia.org, CCO)

Mit der Annexion des Sudetenlandes verließen die meisten jüdischen Bewohner die Kleinstadt. Die hier verbliebenen wurden ab 1942 zumeist in die Vernichtungslager deportiert und dort ermordet. In der Nähe Warnsdorfs existierten in den letzten Kriegsjahren drei Arbeitslager, in denen jüdische Frauen Zwangsarbeit leisten mussten.

Nach Kriegsende ließen sich Juden aus Osteuropa in Varnsdorf nieder und bildeten hier zeitweilig eine religiöse Gemeinschaft.

Seit 2005 erinnert in Varnsdorf eine Gedenktafel an den aus der Stadt stammenden jüdischen Maler und Dichter Petr Kien.

  Petr Kien wurde 1919 als Sohn eines jüdischen Textilunternehmers in Warmsdorf geboren. Er besuchte die Schule in Brünn und begann 1937 ein Studium an der Akademie der Künste in Prag. 1941 erfolgte seine Deportation nach Theresienstadt, drei Jahre später nach Auschwitz, wo er 1944 an einer Infektionskrankheit starb. Neben seiner Malerei ist Kien auch durch seine schriftstellerische Tätigkeit hervorgetreten.

 

 

 

In Rumburg (tsch. Rumburk, derzeit ca. 11.000 Einw. incl. der Ortsteile) – einer Kleinstadt unmittelbar an der deutschen Grenze – haben jüdische Familien seit dem späten 18.Jahrhundert gelebt. Die als Kaufleute sich niederlassenden Juden gehörten zur Kultusgemeinde Leipa. Erst Anfang der 1890er Jahre gründete sich hier offiziell eine Gemeinde, die über ein Bethaus verfügte, das auch Juden aus der Region religiöser Mittelpunkt bedeutete; so soll die gesamte Gemeinde zu Beginn des 20.Jahrhundert nahezu 500 Angehörige besessen haben.

Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Warnsdorf begraben.

Im 19.Jahrhundert bestimmten jüdische Familien hier maßgeblich die heimische Textilindustrie.

Anfang der 1930er Jahre zählte die Kultusgemeinde noch ca. 360 Angehörige; in Rumburk selbst nur etwa 100 Personen. Nach der Annexion des Sudetenlandes verließen die meisten jüdischen Bewohner die Kleinstadt und verzogen ins Landesinnere.

 

 

 

Weitere Informationen:

Emil Mauder (Bearb.), Geschichte der Juden in Tetschen und Bodenbach, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I., Brünn/Prag 1934, S. 675 - 677

Hugo Gold (Hrg.), Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Böhmens, Tel Aviv 1975

Alfred Herr (Bearb), Heimatkreis Tetschen-Bodenbach - Städte und Gemeinden, Hrg. Heimatverband Kreis Tetschen-Bodenbach e.V., Nördlingen 1977, S. 110/111

Rudolf M.Wlaschek, Zur Geschichte der Juden in Nordostböhmen unter besonderer Berücksichtigung des südlichen Riesengebirgsvorlandes, in: "Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien", Bd. 2, Marburg/Lahn 1987

Rudolf M. Wlaschek, Juden in Böhmen - Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums im 19. und 20.Jahrhundert, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 66, R.Oldenbourg-Verlag, München 1997

Zlatuse Kukánová/Lenka Matusíková, Die demographische Struktur der israelitischen Kultusgemeinden in Nordböhmen in den Jahren 1945 - 1949, in: "Theresienstädter Studien und Dokumente 1997", S. 105 – 117

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 3), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 1376/1377

The Jewish Community of Děčín (Tetschen Bodenbach), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/decin-podmokly

Jewish Families from Děčín (Tetschen), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-D%25C4%259B%25C4%258D%25C3%25ADn-Tetschen-Bohemia-Czech-Republic/32801

The Jewish Community of Rumburk (Rumburg), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/rumburk

Jewish Families from Rumburk (Rumburg), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Rumburk-Rumburg-Bohemia-Czech-Republic/15207

Jörg Osterloh, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938 - 1945, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 105, Verlag R. Oldenbourg, München 2006

Jürgen Serke, Peter oder Petr Kien ? - Wem gehört der Maler und Dichter aus Warnsdorf ?, in: M.Nekula/W.Koschmal, Juden zwischen Deutschen und Tschechen. Sprachliche und kulturelle Identitäten in Böhmen 1800 - 1945, R.Oldenbourg Verlag, München 2006, S. 273 - 288

Kilian Kirchgessner (Red.), Das Wunder von Děčín. Eine jüdische Gemeinde in Böhmen erwacht zu neuem Leben, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 11.1.2007

Kateřina Čapková /Hillel J. Kieval (Hrg.), Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 140, München 2020, u.a. S. 382