Baden (Schweiz)

  http://www.raonline.ch/images/argovia/map/agmap_bezirke01.gif Die derzeit von ca. 19.500 Menschen bewohnte Kleinstadt Baden ist der Hauptort des Bezirks Baden im Aargau - ca. 20 Kilometer nordöstlich von Zürich gelegen (Kartenskizze aus: raonline.ch).

 

Zu Beginn des 14.Jahrhunderts sind jüdische Familien in Baden, das um 1290 zur Stadt erhoben wurde, nachweisbar; ob sich damals bereits eine Gemeinde bilden konnte, ist nicht bekannt. Im Zusammenhang der Pestverfolgungen sollen im März 1349 die hier lebenden Juden erschlagen bzw. öffentlich verbrannt worden sein. Erst mehrere Jahrzehnte später sollen sich in Baden vorübergehend wieder Juden aufgehalten haben. Vom 16. bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts war Baden eine „judenfreie“ Stadt.

               Merian-Stich, um 1650 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

In den 1840er Jahren ließen sich die ersten jüdischen Familien in Baden nieder. In den Jahrzehnten zuvor war Juden hier nur erlaubt gewesen, Geschäfte zu tätigen und sich kurzzeitig aufzuhalten. Erst mit dem 1856 erlassenen eidgenössischen „Gleichstellungsartikel“ und dem sechs Jahre später eingeführten Emanzipationsgesetz war dann die Niederlassungsfreiheit garantiert. Dies führte dazu, dass jüdische Familien aus Endingen und Lengnau nun auch nach Baden übersiedelten und hier Geschäfte eröffneten.

[vgl. Endingen (Schweiz)  und  Lengnau (Schweiz)]

Seit Ende der 1840er Jahre konnten sich Juden wieder in der Stadt niederlassen, nachdem das neue „Fremdengesetz“ im Kanton Aargau in Kraft getreten war. Die Gründung einer israelitischen Kultusgemeinde in Baden erfolgte im Jahre 1859 durch die Oberhäupter von zehn Familien. Unmittelbar danach richtete die kleine orthodox ausgerichtete Gemeinde in der Weiten Gasse einen Betraum ein, und im Jahre 1873 übersiedelte die größer gewordene jüdische Gemeinschaft in Räumlichkeiten des Gemeindemitglieds Bernhard Guggenheim. Es dauerte nicht lange, bis auch erste Pläne für einen Synagogenbau geschmiedet wurden, doch sollten noch mehr als drei Jahrzehnte vergehen, ehe diese umgesetzt werden konnten. Die Finanzierung wurde durch einen Synagogenfonds gesichert, der von Privatpersonen und Organisationen - auch weit außerhalb der Landesgrenzen - gezeichnet wurde. Die festliche Einweihung der Synagoge mit ihren 120 Männer- und 60 Frauensitzen – ein Entwurf des Badener Architekten Otto Dorer und Baumeisters Adolf Füchslin - fand unter großer Beteiligung am 2.September 1913 statt.

                Synagoge in Baden (Zeichnung Jacques Weisz, aus: alemannia-judaica.de)

Ihre Lage neben dem Badener Kurhaus machte die Vorstellung jüdischer Emanzipation deutlich, wie sie von einem führenden Gemeindemitglied bei der Einweihung betont wurde: „ ... Wir feiern zugleich Synagogenweihe und Emanzipation, darin liegt die ernste Mahnung auch zur Treue zum Vaterland. Wir leiden unter mancher Zurücksetzung. Daran ist nicht die Verschiedenheit der Religionen schuld, sondern vor allem der Mangel an Kontakt. Wir wollen aufrechte Juden sein. Wir wollen sprechen: Wir haben in Eurer Mitte unseren Tempel gebaut, das ist unser Recht, wir haben unsere Religion. Aber wir stehen treu zu Euch. Das ist Emanzipation, wie wir sie verstehen. ...

Eine detaillierte, 24 Paragraphen umfassende Synagogenordnung von 1889 regelte die gottesdienstlichen Zusammenkünfte der Gemeinde; so hieß es u.a.:

§ 1  Der Besucher der Synagoge ist gehalten, in derselben Ruhe, Anstand und Würde zu beobachten und bis nach beendigtem Gottesdienste auf seinem Platze zu verbleiben. Insbesondere ist untersagt:

a) Lautes Beten, Mitlesen und Mitsingen mit dem Vorsänger,

b) Jedes Sprechen unter den Anwesenden

c) Das Hinausgehen aus der Synagoge während des Thora-Vorlesens resp. der Parsches und Haphtora. Bei Überbringen von Lulaf und Esrog in die Frauenabtheilung am 1.Tag Sukkoth ist eine 10 Minuten lange Pause zu  machen.

§ 2   Nur bei Ueberbringen der Thorabinden, ferner zum Shofarblasen am Rosch-Haschono und zur Megillo am Purim dürfen nichtschulpflichtige Kinder in die Synagoge mitgenommen werden. Den schulpflichtigen Kindern werden besondere Plätze angewiesen. Ihre Beaufsichtigung besorgt neben dem Vorstande insbesondere der Lehrer und der Synagogendiener als Aufseher.

§ 3   Die in der Synagoge aufgestellte Sammelbüchse für Arme wird halbjährlich ... entleert und von dem Inhalt ein Drittel nach Palästina zur Vertheilung gesandt und zwei Drittel an hier und im Rabbinatskreise wohnende, dürftige Glaubensgenossen nach freiem Ermessen des Vorstandes vertheilt.

§ 4  Alle zwei Jahre ... werden sämmtliche Synagogenplätze einzeln versteigert und dem Meistbietenden zugesagt ... Das Angebot auf einen Logenplatz beträgt mindestens Fr. 40, auf andere Plätze mindestens Fr. 25, worin je ein Frauenplatz inbegriffen ist. ...

§ 7   Vor jeder Steigerung werden sämmtliche Plätze untersucht und Fehlendes oder Beschädigtes auf Kosten des früheren Besitzers wieder hergestellt. ...

§ 14

a) Sämmtliche Gebete sind nach den hier eingeführten Minhogim zu verrichten. Nöthigenfalls entscheidet der Rabbiner mit dem Vorstande und bei Streitfällen die Gemeinde.

Jes Kadisch für Verstorbene ist vor der heiligen Lade vorzutragen. Mehrere Leidtragende sagen dasselbe gemeinsam.

b) Ausser dem Cantor werden für Sabbathe und Festtage nur solche Vorbeter zugelassen, welche die erforderlichen Kenntnisse besitzen und in moralischer Beziehung vom Vorstande für würdig erachtet werden. ...

c) Jeder Vorbeter hat im Baret oder in schwarzem Seidenhute zu erscheinen. ...

* Lulaf = hebr. junger Zweig, Palmzweig    ** Megillo(t) = hebr. ‚Rolle’, Bezeichnung für die fünf biblischen Bücher Rut, Hoheslied, Klagelied, Prediger u. Ester    *** Minhogim = hebr. Bräuche

Erster Bezirksrabbiner von Baden war Dr. Herz Naftali Ehrmann aus Trier, der sich dort hohes Ansehen erworben hatte. Neben Baden war er für mehrere jüdische Gemeinden in der weiteren Umgebung zuständig, so für Endingen, Lengnau, Luzern (bis 1919), Bremgarten u.a. andere Ortschaften der Region.

Der 1849 in Michelstadt/Odenwald geborene Herz Naftali Ehrmann, der seine religiöse Ausbildung in Altona und Mainz erhielt, machte sein Rabbinerexamen am orthodoxen Theologischen Seminar in Berlin. Ab 1874 war er für kurze Zeit bei der orthodoxen Gemeinde in Karlsruhe tätig. Nach einer in Kassel ausgeübten Lehrertätigkeit wurde er als Rabbiner nach Trier berufen. Ab 1885 wirkte er dann als Bezirksrabbiner in Baden/Schweiz, bis er 1902 nach Frankfurt bzw. Lübeck verzog, wo er seinen Lebensabend verbrachte. Dort verstarb er 1918.

Neben der Synagoge zählten zu den gemeindlichen Einrichtungen auch eine Frauen- und eine Männermikwe. Der Religionslehrer betreute zudem das Kultuswesen und führte beim Schächten die Aufsicht.

 Gemeindevorstellung aus dem Jahre 1921 (aus: "Jüdisches Jahrbuch für die Schweiz" 1921, S. 189)

Eine hier gegründete kleine Talmud-Thora-Schule existierte bis in die 1930er Jahre. Anzeige von 1904

Direkt neben dem christlichen Friedhof wurde 1879 eine jüdische Begräbnisstätte angelegt, auf der bis heute mehr als 350 Verstorbene begraben worden sind.

1928 gründete sich in Baden eine „ostjüdische“ Gemeinde, deren Angehörige Immigranten waren; sie unterhielten am Ort ein eigenes Betlokal. Kontakte zur „Hauptgemeinde“ bestanden aber kaum.

Juden in Baden (Schweiz):

         --- 1848 ...........................   6 jüdische Familien,

    --- 1859 ...........................  12     “       “    ,

    --- um 1900 .................... ca. 300 Juden,*             * Kultusgemeinde

    --- 1910 ........................... 313   “  ,

    --- 1930 ........................... 285   “  , **

    --- 1941 ........................... 189   “  , **

    --- 1950/55 .................... ca.  40 jüdische Familien,

    --- 1990 ...........................  59 Juden,

--- 2005 ....................... ca. 130   “  .

** Bei weitem nicht alle jüdischen Einwohner waren Mitglieder der Gemeinde

Angaben aus: W. Frenkel, Baden eine jüdische Kleingemeinde - Fragmente aus der Geschichte 1859 - 1947, S. 36

undefinedStadt Baden, Postkarte um 1905 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Zu den in Baden ansässigen jüdischen Wirtschaftsunternehmen gehörten neben Einzelhandelsgeschäften, Viehhandlungen und Pensionen bzw. Gaststätten auch zwei Warenhäuser und drei Industriebetriebe.

  Anzeige von 1863

          Geschäftsanzeigen von 1890 und 1916   

Ab den 1920er Jahren häuften sich antisemitische Vorfälle wie etwa Schmierereien und Friedhofsschändungen.

Auf dem 1879 eröffneten, terrassenförmig angelegten israelitischen Friedhof in Baden befinden sich etwa 360 Grabstätten.

                        Teilansicht des Friedhofs (Aufn. J. Hahn, 2008)  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20174/Baden%20Friedhof%20194.jpg

Wegen zurückgehender Mitgliederzahlen kämpfte die Kultusgemeinde Baden seit Ende der 1920er Jahre um ihr Überleben. (Hinweis: Über die Entwicklung der Badener Gemeinde geben bis ins Jahr 1947 chronologisch geordnete Protokolle Auskunft).

Seit Anfang der 1990er Jahre steht das Badener Synagogengebäude unter Denkmalschutz.

Im Jahre 2009 wurde das 150-jährige Bestehen der Israelitischen Kultusgemeinde in Baden begangen. Derzeit gehören der Gemeinde (mit orthodox-aschkenasischem Ritus), die seit 2005 wieder einen eigenen Rabbiner hat, etwa 60 Familien mit insgesamt ca. 120 Personen an.

                                                          Synagogengebäude in der Parkstraße (Aufn. J. Hahn, 2008)

 

 

Im benachbarten Bremgarten wurde im Jahre 1865 eine Kultusgemeinde gegründet.  [vgl. Bremgarten (Schweiz)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Ernst Haller, Die rechtliche Stellung der Juden im Kanton Aargau, Dissertation an der Universität Lausanne, Aarau 1900

Nold Halder, Geschichte des Kantons Aargau 1803 - 1953, Aarau 1953

Augusta Weldler-Steinberg, Geschichte der Juden in der Schweiz. Vom 16.Jahrhundert bis nach der Emanzipation, zwei Bände, Zürich 1966/1970

Florence Guggenheim-Grünberg, Die jüdischen Gemeinden des Kantons Aargau, Zürich, o.J.

Josef Bollag, Die Israelitische Cultusgemeinde Baden heute, in: „Badener Neujahrsblätter“, No. 73/1998, S. 90 f.

Achim Nolte, Jüdische Gemeinden in Baden und Basel. Eine rechtsvergleichende Studie über ihr Recht und ihre rechtliche Stellung, in: "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen", Bd. 38, Berlin 2002

Gina Moser/Elisabeth Sprenger (Bearb.), Jüdisches Leben in und um Baden – Ausstellung im Historischen Museum Baden 2002/2003

Werner Frenkel, Baden eine jüdische Kleingemeinde - Fragmente aus der Geschichte 1859 - 1947, Menes-Verlag, Baden 2003

Edith Hunziker, Robert Mosers Badener Synagogenprojekt von 1872, in: "Badener Neujahrsblätter", Baden 2007

Ron Epstein-Mil, Die Synagogen der Schweiz – Bauten zwischen Emanzipation, Assimilation und Akkulturation, in: "Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz", Band 13, Chronos-Verlag, Zürich 2008, S. 182 – 189

Roman Huber, Ein Volk der Solidarität. Zum 150-Jahr-Jubiläum der Israelitischen Kultusgemeinde Baden, in: „Aargauer Zeitung“ vom 10.6. 2009 

Daniela Poschmann, "Die 100-jährige Synagoge zieht Politiker und Energiepapst an“, in: "Aargauer-Zeitung" vom 26.8. 2013

Baden (Synagoge und Friedhof), in: alemannia-judaica.de (mit Text- und diversen Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)