Bad Mergentheim (Baden-Württemberg)

Königreich Württemberg (1806 – 1918) Datei:Bad Mergentheim im Main-Tauber-Kreis.png Bad Mergentheim (an der Tauber) ist eine Stadt mit derzeit ca. 23.000 Einwohnern im fränkisch geprägten Nordosten Baden-Württembergs - etwa 35 Kilometer südwestlich von Würzburg bzw. 55 Kilometer nordöstlich von Heilbronn gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: deutsche-schutzgebiete.de  und  Kartenskizze 'Main-Tauber-Kreis', F. Paul 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

Mergentheim war seit dem beginnenden 13.Jahrhundert eine ‚Kommende’ des Deutschen Ordens; seit 1526 residierte hier der Hochmeister; im Jahre 1809 fiel die Stadt an das Königreich Württemberg.

 

Die erste Ansiedlung von Juden in Mergentheim geht bis ins 13.Jahrhundert zurück; angeblich haben schon einige Familien zwischen 1220 und 1250 hier gelebt; ein erster sicherer Hinweis stammt aus dem Jahre 1298, als bei der sog. „Rindfleisch-Verfolgung“ mindestens 16 Juden in Mergentheim gewaltsam ums Leben kamen. Mehrere Pogrome im Laufe des 14.Jahrhunderts ließ ihre Zahl jedoch wieder schwinden, sodass nach 1350 nur wenige sesshafte Juden in der Stadt verblieben. Unter dem Schutz des Deutschmeisters und des Kaisers gelangten die fünf jüdischen Familien - durch ihre Tätigkeit in Geldgeschäften - zu großem Reichtum.

LBW Bad Mergentheim Kupferstich 17 Jh.jpg Mergentheim, Kupferstich um 1630 (Abb. Landesarchiv B.-Württ.)

Auch in den beiden folgenden Jahrhunderten blieb die Zahl der Juden in Mergentheim sehr gering; sie standen nun vollständig unter dem Schutz des Ordens, der 1495 auf dem Reichstag zu Worms das Judenregal vom Kaiser Maximilian verliehen bekam. Danach mussten die Juden in regelmäßigen zeitlichen Abständen Schutzgeldzahlungen an den Orden leisten. Jüdischen Eltern war es untersagt, ihre verheirateten Kinder länger als ein Jahr nach der Hochzeit bei sich zu beherbergen. Ortsfremde Juden durften sich nur wenige Tage in Mergentheim aufhalten.

Mitte des 17.Jahrhunderts erhielten die Juden der Stadt die Erlaubnis zum Bau einer Synagoge: Die Genehmigung war mit einer Geldzahlung verbunden, wie überhaupt die wenigen Juden der Stadt Zahlungen aller möglicher Art erbringen mussten, z.B. Weg- und Pflastergeld, Zahlung für die Haltung von herrschaftlichen Jagdhunden, u.a. Zudem versuchten die Mergentheimer Zünfte, den Handel der Juden einzuschränken oder ganz zu unterbinden, was aber auf den Widerstand der Führung des Deutschordens stieß. Die jüdische Gemeinde Mergentheim durfte mit Zustimmung der Obrigkeit Rabbiner, Vorsänger, Lehrer und Beschneider anstellen, die als „Brötlinge“ der Judenschaft von Schutzgeldzahlungen befreit waren. Seit Beginn des 18.Jahrhunderts war in Mergentheim ein Landesrabbiner angestellt, der über eine beschränkte Gerichtsbarkeit verfügte; er war Richter in erster Instanz für Juden.

(vgl. dazu: Namensliste der in Mergentheim amtierenden Rabbiner in: Mergentheim, alemannia-judaica.de)

Mittelpunkt des Gemeindelebens war die 1762 erbaute Synagoge auf dem Hinterhof eines herrschaftlichen Hauses der Gebrüder Moses und Simon Baruch in der „Judengasse“ (Holzapfelgasse).

                                                                                                  Judengasse in Mergentheim (1842)                              Im Hinterhof dieses Gebäudes befand sich die Synagoge  

(Beide Zeichnungen aus: Hermann Fechenbach, Die letzten Mergentheimer Juden)

Nachdem 1832 die Neunkirchener Gemeinde mit der Mergentheimer vereinigt worden war, beschlossen die Gemeindemitglieder beider Orte, die Synagoge in Mergentheim baulich wesentlich zu erweitern und zu verschönern. Finanziert wurde der Ausbau gemeinsam von der Mergentheimer und Neunkirchener Judenschaft; eingeweiht wurde das Synagogengebäude im Januar 1840. Die „Allgemeine Zeitung des Judentums” berichtete in ihrer Ausgabe vom 8.Febr. 1840 darüber:

Mergentheim (Württemberg), 16. Jan. (Privatmitth.) In einer Zeit, wo die Gegensätze der Confession sich so schroff gegenüberstehen, in einer Zeit, wo das gebildete Deutschland der Schauplatz täglicher Reibungen zwischen den Religionsparteien ist, in einer Zeit, wo der Kampf zwischen Staat und Kirche wieder neu auftauchen will, ist es Pflicht eines Jeden, Thatsachen zu veröffentlichen, welche zeigen, wie in Württemberg durch das erlauchte Beispiel seines gerechten und trefflichen Königs, der erquickende Hauch der Liebe alle Confessionen anwehet, wie das Band der zartesten Einheit den Israeliten wie den Christen umfaßt, wie sie ruhig nebeneinander lagern, die verschiedenen Konfessionen, und aller Hader, Kampf und Zwietracht vor der Sonne der Toleranz verschwindet, wie der Neben am heitern Mittag.  Die kleine israelitische Gemeinde dahier, erbaute mit vieler Aufopferung, wozu namentlich unser König einen wesentlichen Beiträgt gnädigst spendete, eine Synagoge im neuesten Style. - Am Sabbat (Waera) den 4. Januar 1840 wurde diese eingeweiht. Die Oberbeamten der Stadt, der Magistrat in Festkleidern, die Geistlichen der verschiedenen Confessionen, zahlreiche Honoratioren und eine große Anzahl christlicher Bürger waren Zeugen der würdigen Feier. Nachdem der Oberbeamte, unter dessen Leitung der schöne Bau emporstieg, die Synagoge öffnen ließ, der Stadtmagistrat in geordnetem Zuge die für ihn bestimmten Plätze einnahm, und die Menge in der Räumen der Synagoge sich placierte, erschien der Rabbiner begleitet von den Kirchenvorstehern mit der geschmückten Tora am Portale, durchschritt die Synagoge und stellte die Tora in die heilige Lade. Die Melodien, von der Königlichen Hochpreislichen Oberkirchenbehörde für die Synagogen des Königreiches bestimmt, wurden von Vorsänger und Schuljugend feierlich und trefflich gesungen. Hierauf hielt der Rabbiner eine für den Zweck des Tages wohlgeordnete Rede. Als diese Predigt geendet, bestieg der hochwürdige, humane Stadtpfarrer und Dekan der katholischen Konfession hierauf die Kanzel ... und hielt einen eindringlichen Vortrag ‘Über den Zweck der Ceremonie beim Gottesdienste’. Chorgesang und Mussafgebet beschlossen die Feier. ...”

Im Jahre 1912 erfolgte ein erneuter Synagogenumbau, der auch rein äußerlich dem Gebäude ein anderes, am Jugendstil orientiertes Gepräge gab. Bei dieser Gelegenheit wurde auch ein neuer Anbau erstellt.

                                                       Bauzeichnung (1912)

Von einer angeblichen „Sabbathentweihung“ durch den Mergentheimer Bezirksrabbiner Samson Gunzenhauser berichtete die Zeitschrift „Der Israelit“ in ihrer Ausgabe vom 3.Juli 1890:

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20155/Berlichingen%20Israelit%2003071890.jpg

gemeindliche Stellenausschreibungen aus den 1920er Jahren:

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20193/Mergentheim%20Israelit%2002081923.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20193/Mergentheim%20Israelit%2031011924.jpg 1923/1924

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20193/Mergentheim%20Israelit%2029081929.jpg von 1929

Auf einem Gelände in Unterbalbach, das bereits seit Mitte des 16.Jahrhunderts dem Mergentheimer Patriziergeschlecht der Süzel gegen Pachtzins zur Verfügung gestellt worden war, fanden verstorbene Juden Mergentheims und umliegender Ortschaften ihre letzte Ruhe. Dieses im Laufe der Geschichte stets vergrößerte Areal wurde bis in die 1930er Jahre genutzt. Bei der Überführung der Verstorbenen mussten jeweils an den Zollstellen Abgaben geleistet werden: für einen erwachsenen Juden einen Gulden, für ein Kind die Hälfte. Um den Zoll zu umgehen, wurde manchmal versucht, Verstorbene auf Nebenwegen zum Friedhof zu bringen. Um 1815 wurden in Unterbalbach noch Juden aus den folgenden Ortschaften beerdigt: Ailringen, Dörzbach, Edelfingen, Igersheim, Königshofen, Markelsheim, Mulfingen, Neunkirchen, Neunstetten und Wachbach.

Juden in (Bad) Mergentheim:

         --- um 1700 ........................  40 Juden,

    --- um 1750 ........................  16 jüdische Familien,

    --- 1799 ...........................  90 Juden,

    --- 1810 ...........................  79   “  ,

    --- 1831 ........................... 110   “  ,

    --- 1843 ...........................  98   “  ,

    --- 1854 ........................... 115   “  ,   

    --- 1869 ........................... 176   “  ,

    --- 1886 ........................... 250   “  (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1895 ........................... 280   “  (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1900 ........................... 276   “  ,

    --- 1910 ........................... 271   “  ,

    --- 1925 ........................... 212   “  ,

    --- 1933 ........................... 196   “  ,

    --- 1938/39 .................... ca.  90   “  ,

    --- 1942 (Sept.) ................... keine.

Angaben aus: Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, S. 42

Mergentheim Stich.jpgMergentheim um 1850 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Nach der Annexion Mergentheims durch Württemberg im Jahr 1809 änderte sich an der rechtlichen Situation der dortigen Juden zunächst wenig. Erst durch ein 1864 erlassenes Gesetz erhielten die Mergentheimer Juden - wie alle Juden Württembergs - die volle bürgerliche Gleichberechtigung. Im Laufe des 19.Jahrhunderts konnte sich die relativ reiche Judenschaft fast vollständig in die kleinstädtische Gesellschaft Mergentheims integrieren, blieb aber trotzdem ihren alten religiösen Traditionen treu. So hieß es in einem im Jahre 1915 erschienenen Bericht der „Allgemeinen Zeitung des Judentums”:

„ ... Die Mitglieder der Gemeinde leben ... in bestem Einvernehmen miteinander. Hier sind weder Neid noch Mißgunst zu finden, was viel sagen will. Die bei weitem größte Zahl der hiesigen Juden lebt noch alter Tradition gemäß; die Geschäfte der jüdischen Kaufleute sind an den Schabbaten, bis auf geringe Ausnahmen, geschlossen. Was mich aber ganz besonders erfreute, ist der Umstand, daß hier tiefster konfessioneller Frieden herrscht. ...”

(Bericht von Nathan Cohn, Berlin)

Zahlreiche Handels- und Gewerbebetriebe gehörten noch bis Anfang der 1930er Jahre jüdischen Unternehmern.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20193/Mergentheim%20Israelit%2001061911.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20193/Mergentheim%20Israelit%2018061925a.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20193/Mergentheim%20Israelit%2014061934.jpg

         drei Lehrstellenangebote http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20234/Mergentheim%20Israelit%2008081901.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20193/Mergentheim%20Israelit%2022021904.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20220/Mergentheim%20FrfIsrFambl%2002031906.jpg

alle Anzeigen stammen aus der Zeit von 1890 bis ca. 1920

Nach der NS-Machtübernahme ging die jüdische Bevölkerung in Mergentheim rasch zurück: Lebten 1933 noch fast 200 Juden in der Stadt, so waren es kurz vor Kriegsbeginn weniger als die Hälfte. Am reichsweiten Boykotttag, dem 1.4.1933, wurden alle jüdischen Geschäftsinhaber ins Rathaus gebracht, wo sie von SA-Männern empfangen wurden. „ ... Auch mein 63jähriger Vater wurde von der Polizei wie ein Verbrecher abgeführt und ins Rathaus gebracht, so daß selbst die erstaunten Mergentheimer kaum begreifen konnten, in welch unglaublichen Zustand sie geraten waren. Mit Freudengeheul, Fußtritten und Faustschlägen wurde Vater von den jungen Nazis in Empfang genommen. Mit hochgereckten Händen und dem Gesicht zur Wand gewendet, mußten die sonst geachteten Juden stundenlang stillstehen. Als die Nazibanden wieder abgezogen waren, traf die Mergentheimer SA Anstalt, alte ‘Mißverständnisse’ auszugleichen, und so wurde ein Teil der Anwesenden ins Gefängnis abgeführt. ... Mit den Jahren 1936 und 1937 hatte die ständige Hetzpropaganda auch hier erreicht, daß alle Freundschaften zwischen Christen und Juden abgebrochen wurden. Die jüdischen Häuser und Geschäfte mußten verkauft werden, und da dies alles zwangsmäßig geschah, waren die Juden mit jedem Angebot zufrieden, auch weit unter dem tatsächlichen Wert. ..”  (aus: Hermann Fechenbach, Die letzten Mergentheimer Juden, S. 154 und S. 158)

Während des Novemberpogroms wurden jüdische Geschäfte und Wohnungen demoliert und mehrere Menschen schwer misshandelt. Mergentheimer SA-Angehörige drangen in die Synagoge ein, nachdem man den Rabbiner Dr. Kahn gedemütigt - sein Bart wurde ihm abgeschnitten - und zusammengeschlagen hatte, und zertrümmerten die Synagogeninneneinrichtung, besudelten den Thoraschrein mit Schweinefleisch und benutzten die Mikwe als Kloake. Eine Brandlegung erfolgte nicht, da umstehende Gebäude sonst gefährdet gewesen wären. Danach wurde die Synagoge zunächst nicht weiter genutzt, und die verbliebenen Gemeindeangehörigen versammelten sich nun im Gemeindehaus.

                               Zerschlagene Fenster der Synagoge (Nov. 1938)

1941/1942 setzte auch in Mergentheim die Deportation der noch in der Stadt verbliebenen jüdischen Bürger ein.

Staatspolizeileitstelle Stuttgart                                                                                                                                                                                          18.November 1941

An den Herrn Bürgermeister Albert Kuenzlen der Stadtgemeinde Bad Mergentheim

Betr.: Abschiebung der Juden in das Reichskommissariat Ostland

Die aus der dortigen Gemeinde für die Evakuierung in Betracht kommenden Juden sind aus der Anlage ersichtlich. Ich mache besonders darauf aufmerksam, daß auf keinen Fall von der für den dortigen Bereich vorgesehenen Kopfzahl sowohl nach oben als auch nach unten abgewichen werden darf. Überzählige Juden werden wieder in ihre früheren Wohnorte zurückgeschickt. Etwaige Ausfälle (Selbstmord usw.) sind unverzüglich (fernmündlich) hierher mitzuteilen. Es darf pro Person mitgenommen werden:

.... (es folgt eine sechsteilige Aufzählung)

Nicht mitgenommen werden dürfen: Wertpapiere, Devisen, Sparkassenbücher usw. Wertsachen jeder Art (...), lebendes Inventar. Die ab 1.Dezember 1941 gültigen Lebensmittelkarten sind vorher gegen Aushändigung einer Bescheinigung beim zuständigen Bürgermeister (Ernährungsstelle) abzugeben. Diese Bescheinigung ist im Sammellager in Stuttgart vorzuleben.

(aus: Hermann Fechenbach, Die letzten Mergentheimer Juden, S. 155 - 176)

Ende November/Anfang Dezember 1941 wurden die meisten von ihnen über das Durchgangslager Killesberg nach Riga-Jungfernhof deportiert. Mit dem letzten Transport Mitte August 1942 mussten die letzten jüdischen Bewohner ihre Stadt in Richtung Theresienstadt verlassen.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden fast 100 Angehörige der ehemaligen jüdischen Gemeinde Bad Mergentheims Opfer der „Endlösung(namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/synagoge_mergentheim.htm).

 

Als eine seiner ersten Amtshandlungen unmittelbar nach Kriegsende teilte der Mergentheimer Bürgermeister dem in der Emigration lebenden Rabbiner mit, dass die Synagoge der früheren Kultusgemeinde die Zeit des NS-Staates unversehrt überstanden habe. Er schrieb dazu:

„ ... Als derzeitiger Bürgermeister der Stadt Mergentheim habe ich die Ehre, Ihnen die Schlüssel der Synagoge der früheren jüdischen Kultusgemeinde zu überreichen. Durch einen besonderen Glücksumstand ist die Synagoge vor der sonst in Deutschland üblichen Zerstörung bewahrt worden, weil durch eine Inbrandsetzung die Stadt in Gefahr geraten wäre, abzubrennen. Noch viel größer aber ist meine Freude darüber, daß ich Ihnen das Allerheiligste der jüdischen Gemeinde, das der letzte Vorsteher einem treuen Katholiken überlassen hat, mit der Weisung es aufzubewahren, bis wieder Juden in Mergentheim sind, übergeben kann. Leider sind die früheren Juden aus Mergentheim in alle Welt zerstreut oder tot. Ich kann Ihnen versichern, daß der größte Teil der Bevölkerung von Bad Mergentheim keinen Anteil an diesen scheußlichen Verbrechen hatte und daß sie mit Ingrimm zusehen mußte, wie dieses Verbrechen ... geschehen ist. Ich hoffe, daß viele unserer jüdischen Mitbürger wieder in unserer Stadt erscheinen werden, soweit sie noch am Leben sind, um mit uns am Wiederaufbau eines freien und besseren Deutschlands, befreit von der Nazipest und Rassen- und Nationalhaß, mitzuarbeiten. ...“

(aus: Helmut Eschwege, Die Synagoge in der deutschen Geschichte - Eine Dokumentation, S. 196)

Danach wurde die Synagoge renoviert, im September 1946 neu eingeweiht und von zahlreichen jüdischen DPs genutzt. Auf Dauer konnte die Synagoge aber nicht erhalten werden; sie wurde 1949 wieder geschlossen, als Lagerraum verwendet und schließlich an das Katholische Bistum Rottenburg a. Neckar veräußert. Ende der 1950er Jahre erfolgte der Abriss des Gebäudes.

Eine Gedenktafel im Innenhof der Realschule St. Bernhard in der Holzapfelgasse erinnert heute an die ehemalige jüdische Gemeinde:

Hier stand die Synagoge der ehemaligen jüdischen Gemeinde von Bad Mergentheim 1658 - 1957

Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung

(Anm.: Die Synagoge wurde nicht 1658 erbaut, sondern erst 1762.)

Eine Gedenktafel im Deutschordens-Museum erinnert an die Mergentheimer Juden.

                         File:Stadtgeschichte im Deutschordensmuseum. Gedenktafel für die dem Holocaust zum Opfer gefallenen Bad Mergentheimer Juden.jpg Abb. H.U.Schmitt, 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0

Auf dem Gelände der Evangelischen Kirchengemeinde (Härterichstraße) steht ein Stein zum Angedenken an die jüdischen Bürger Bad Mergentheims.

Nach langjährigen Diskussionen wurde 2010 für die ermordeten Juden Bad Mergentheims und seinen Stadtteilen im äußeren Schlosshof ein Mahnmal – geschaffen vom einheimischen Architekten Rolf Klärle - aufgerichtet; dieses trägt die Namen der 96 während der NS-Zeit ermordeten jüdischen Bewohner aus Bad Mergentheim, Edelfingen, Markelsheim und Wachbach. In Anwesenheit des Landesrabbiner Netanel Wurmser wurde das Mahnmal enthüllt.

Jüdisches Mahnmal MGH.jpg

Mahnmal für die Deportationsopfer (Aufn. Schorle, 2011, aus: wikipedia,org, CC BY-SA 3.0)

Initiiert durch den 2018 gegründeten Verein „Stolpersteine Bad Mergentheim e.V.“ erfolgte nur wenige Monate später die Erstverlegung von fünf "Stolpersteinen" in der Burgstraße und Kapuzinergasse, die Angehörigen der jüdischen Familien Furchheimer und Igersheimer gewidmet sind. Bereits 2009 hatten fünf Steine ihren Platz auf Privatgrund der Realschule St. Bernhard (Holzapfelgasse) gefunden.

Stolperstein Fanny Furchheimer Burgstraße 22  Stolperstein Emanuel Furchheimer Burgstraße 22 Stolperstein Sigmund Furchheimer Burgstraße 22 Stolperstein Fanny Igersheimer Kapuzinergasse 14 Stolperstein Sigmund Igersheimer Kapuzinergasse 14

fünf "Stolpersteine" verlegt in der Burgstraße und Kapuzinergasse (Aufn. Chr. Michelides, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

2021 wurden 23 Steine zur Erinnerung an Vertreibung und Ermordung jüdischer Bürger verlegt, zwei Jahre später weitere neun, die zumeist Angehörigen der Familien Prager und Fröhlich gewidmet sind.

Stolperstein Louis Rothschild Holzapfelgasse 15.jpgStolperstein Hannchen Rothschild Holzapfelgasse 15.jpgStolperstein Käthe Rothschild Holzapfelgasse 15.jpgStolperstein Heinrich Strauss Holzapfelgasse 15.jpgStolperstein Julius Strauss Holzapfelgasse 15.jpg

in der Holzapfelgasse (Aufn. RSH2019, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

  Felix Fechenbach wurde am 29. Januar 1894 in Mergentheim geboren; sein Vater betrieb die einzige koschere Bäckerei am Ort. Nach seinem Schulbesuch in Würzburg machte Felix Fechenbach eine kaufmännische Lehre in einer Schuhwarengroßhandlung. 1912 zog er nach München und arbeite dort im Arbeitersekretariat, einer Gewerkschaftseinrichtung, mit. Hier begann auch seine Tätigkeit in der Jugendorganisation der SPD. Nach seiner Verwundung an der Westfront im Jahr 1915 kehrte er nach München zurück und lernte hier den linken Sozialdemokraten Kurt Eisner kennen. Es war eine der wichtigsten Begegnungen in seinem Leben. Eisner wurde zu Fechenbachs politischem Vorbild und beeinflusste ihn mit seinen Idealen sehr stark. Als Kurt Eisner am 9. November 1918 zum ersten bayerischen Ministerpräsident ernannt wurde, war Fechenbach sein Sekretär. Daneben begann er seine publizistische Tätigkeit für Zeitungen im In- und Ausland. Nach Eisners Ermordung geriet Fechenbach ins Visier rechter Demagogen. Ein Prozess wegen angeblichen Landesverrats vor dem Volksgericht in München endete mit einem Schuldspruch und der Verhängung einer elfjährigen Zuchthausstrafe. Nach mehr als zwei Jahren Haft, die er von 1922 bis 1924 im Zuchthaus Ebrach absaß, wurde das Urteil vom Reichsgericht aufgehoben und Fechenbach freigelassen. Danach ging Felix Fechenbach nach Berlin und war in der reformpädagogischen Bewegung aktiv. 1929 trat er eine Stelle als Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung in Detmold an. Er schrieb mit 'spitzer Feder' gegen die Nazis und beteiligte sich als Redner an den Wahlkämpfen im Land Lippe. Dies und seine Beteiligung an der Revolution 1918 sowie seine jüdische Abstammung machten ihn bei den Nationalsozialisten im östlichen Westfalen und Lippe' zur meistgehassten Person. Als eines der ersten Opfer des Nazi-Regimes wurde er am 7.8.1933 von SS-Mitgliedern m Kleinenberger Wald (zwischen Detmold und Warburg) auf dem Weg ins KZ ermordet. An der Stelle seiner Errmordung erinnert seit 1973 ein Denkmal an den Journalisten; zudem tragen heute zwei Bildungseinrichtungen und eine Straße seinen Namen. Die Felix-Fechenbach-Stiftung - eine Einrichtung des SPD-Unterbezirks Lippe - vergibt seit dem Jahre 1996 den mit € 5.000.- dotierten „Felix-Fechenbach-Preis“ für soziales, demokratisches und schriftstellerisches Engagement.

 Einer von zahlreichen in Würzburg verlegten Stolpersteine (Ursulinergasse) erinnert an Felix Fechenbach.

 

Hermann Fechenbach (geb. 1897 in Mergentheim 1897, gest. 1986 in London), Sohn eines jüdischen Gastwirts und ein Vetter von Felix Fechenbach, erlitt im Ersten Weltkrieg eine schwere Verwundung, in deren Folge er ein Bein verlor. In den Jahren 1919 bis 1926 absolvierte er ein Studium an den Kunstakademien von Stuttgart, München, Florenz und Wien. Mit seinen Holzschnitten erlangte er bald inter­nationale Anerkennung. 1939 ging er in die Emigration nach England. - Das Deutschordensmuseum in Bad Mergentheim bewahrt und präsentiert heute den Nachlass von Hermann Fechenbach.

 

 

Im Stadtteil Edelfingen gab es ebenfalls eine jüdische Gemeinde, die um die Mitte des 19.Jahrhunderts ca. 200 Mitglieder umfasste.

[vgl. Edelfingen (Baden-Württemberg)]

 

 

Bis ins beginnende 20.Jahrhundert existierte auch im Stadtteil Wachbach eine fast 400 Jahre alte jüdische Gemeinde, die um 1840 mehr als 200 Angehörige zählte. 50 Jahre später waren es kaum mehr 40 Personen.

[vgl. Wachbach (Baden-Württemberg)]

 

 

Eine weitere israelitische Gemeinde gab es im heutigen Stadtteil Markelsheim.

[vgl. Markelsheim (Baden-Württemberg)]

 

 

In Neunkirchen gab es bis ins Jahr 1879 eine kleine jüdische Gemeinde; ihre Entstehung geht ins 16. Jahrhundert zurück. Im 17./18. Jahrhundert wohnten die jüdischen Familien vor allem im Gebiet des heutigen Häldenweges, im Volksmund „Judenberg“ genannt.

Eine erste Synagoge befand sich im Vorderen Gässlein, Haus Nr. 2, hinter dem ehemaligen „Gasthaus zur Krone“. Bis gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges hatten auch die Juden aus Mergentheim diese Synagoge aufgesucht. Eine zweite wurde 1776 „Im Judenberg“ errichtet. Nahe der Synagoge wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein rituelles Bad angelegt. Auch ein jüdisches Schulhaus zählte zu den gemeindlichen Einrichtungen. Bis ca. 1860 war ein Lehrer angestellt, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war. Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Unterbalbach beerdigt.

Juden in Neunkirchen:

--- 1719 ..........................  4 jüdische Familien,

--- 1729 ..........................  7     “       “    ,

--- 1754 .......................... 11     “       “    ,

--- 1822 .......................... 45 Juden,

--- 1833 .......................... 62   “  ,

--- 1841 .......................... 56   “  ,

--- 1864 .......................... 26   “  ,

--- 1871 .......................... 28   “  ,

--- 1875 .......................... 21   “  ,

--- 1880 .......................... keine.

Angaben aus: Neunkirchen, aus: alemannia-judaica.de

In den 1830er Jahren erreichte die Zahl der Juden Neunkirchens mit ca. 65 Personen ihren Höchststand; in den 1870er Jahren löste sich die Gemeinde auf. Der letzte Gottesdienst wurde hier im 1879 gefeiert; danach wurde das Gebäude an einen Landwirt verkauft und um 1970 abgerissen.

 

 

 

Weitere Informationen:

Gustav Adolf Renz, Die Juden in Mergentheim - Eine geschichtliche Darstellung, Bad Mergentheim 1943* (* im Auftrag der NSDAP erstellt und dementsprechend gefärbte Darstellung, enthält aber viele Informationen über jüdische Bewohner der Region)

Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S. 37 – 43

Germania Judaica, Band II/2, Tübingen 1968, S. 538/539 und Band III/2, Tübingen 1995, S. 861 - 866

Utz Jeggle, Judendörfer in Württemberg, Dissertation Philosophische Fakultät Universität Tübingen, 1969

Hermann Fechenbach, Die letzten Mergentheimer Juden und die Geschichte der Familien Fechenbach, Stuttgart 1972 (Reprint 1997)

Helmut Eschwege, Die Synagoge in der deutschen Geschichte - Eine Dokumentation, VEB Verlag der Kunst, Dresden 1980, S. 196

Bernhard Müller, Juden und Judenpolitik in Tauberbischofsheim von 1933 bis 1945, Wissenschaftliche Arbeit zur Prüfung für das Lehramt an Gymnasien, Universität Heidelberg 1980

Emil Deeg, Geschichte der jüdischen Gemeinde in Bad Mergentheim-Neunkirchen, in: "Fränkische Nachrichten" vom 1., 3. und 5. Sept. 1980

Dieter Oberhollenzer, ‘Unsere Tränen sollen deine Blumen sein’ - Auf den Spuren des jüdischen Friedhofs in Unterbalbach, aus: "Fränkische Nachrichten" vom 17.07.1982

Die Juden in Tauberfranken 1933 - 1945. Quellen und didaktische Hinweise für die Hand des Lehrers, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 1984

Elmar Weiß, Die Juden in Igersheim, Hrg. Gemeindeverwaltung Igersheim 1984

Joachim Hahn, Synagogen in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987

Christoph Daxelmüller, Jüdische Kultur in Franken, Echter Verlag Würzburg, 1988, S. 98 f.

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 331 f.

Christoph Bittel, Zwischen Heimat und Exil. Der Künstler Hermann Fechenbach 1897-1986 – Begleitheft zur Sonderausstellung im Deutschordensmuseum Bad Mergentheim, Bad Mergentheim 1997

Johannes Georg Ghiraldin, Die Juden im Tauberbischofsheimer Raum - Vortrag März 2002, Hrg. Tauberfränkische Heimatfreunde e.V., Tauberbischofsheim 2002

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 20 - 28

Bad Mergentheim, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Text- und Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Neunkirchen (Stadt Bad Mergentheim), in: alemannia-judaica.de

Peter D. Wagner (Red.), 97 Namen erinnern an die Gräueltat, in: „Main-Post“ vom 1.2.2010 (betr. Dernkmal für deportierte/ermorderte Juden aus Mergentheim, Markelsheim, Wachbach u. Edelfingen)

Hartwig Behr (Red.), Juden und das Mergentheimer Bad, in: Der Verluste der Residenz und der Weg zum Weltbad, Bad Mergentheim 2010, S. 51 f.

Deutschordensmuseum Bad Mergentheim (Hrg.), Jüdisches Leben in Mergentheim, online abrufbar unter: juedischer-kulturweg.de/de/badmergentheim

Jüdisches Leben in Mergentheim – Hermann Fechenbach, online abrufbar unter: deutschordensmuseum.de/de/museum/juedisches-leben/juedisches-leben-in-mergentheim-hermann-fechenbach

Arbeitskreis Jüdischer Kulturweg. Hohenlohe – Tauber (Bearb.), Bad Mergentheim (und weitere Orte) – Broschüre oder online abrufbar unter: juedischer-kulturweg.de (letzte Aktualisierung Mai 2018)

rh (Red.), Bad Mergentheim. Erste Stolpersteinverlegung am 4.April, in: “Mannheimer Morgen” vom 28.3.2019

Auflistung der in Bad Mergentheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bad_Mergentheim

Renate Henneberger (Red.), Damit die Erinnerung weiter lebendig bleibt, in: „Fränkische Nachrichten“ vom 9.10.2021

KSM (Red.), Stolpersteine verlegt – Erinnern ist wichtiger denn je, in: „Fränkische Nachrichten“ vom 24.6.2023