Bad Bentheim (Niedersachsen)

Datei:LD Osnabrück.jpgGrafschaft Bentheim Karte Bad Bentheim ist eine südlich von Nordhorn bzw. Lingen gelegene Kleinstadt mit derzeit ca. 16.000 Einwohnern im Landkreis Grafschaft Bentheim – in unmittelbarer Grenznähe zu den Niederlanden (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Grafschaft Bentheim', aus: ortsdienst.de/niedersachsen/grafschaft-bentheim).

 

Erste Anzeichen für die Ansiedlung von Juden finden sich in Bentheim und im nahen Schüttorf bereits im frühen 14.Jahrhundert. Nach den Verfolgungen der Pestzeit in den Jahren 1348/1349 kann dann für die folgenden drei Jahrhunderte kein jüdisches Leben hier mehr nachgewiesen werden.

Grafschaft Bentheim, um 1650 (Abb. aus: genwiki.genealogy.net/Grafschaft_Bentheim)

Die Anfänge der neuzeitlichen jüdischen Ansiedlung in der Grafschaft Bentheim liegen um die Mitte des 17.Jahrhunderts. Die Anzahl der jüdischen Familien blieb, bedingt durch entsprechende Anweisung des Landesherrn und eine ablehnende Haltung der Landgemeinden, in den kleinen Ortschaften jeweils auf einige wenige beschränkt. Für die Grafschaft Bentheim sind die ältesten, zeitlich zunächst unbefristeten, Schutzbriefe aus dem Jahr 1694 bekannt. In ihnen war die Rechtsstellung der jüdischen Bewohner relativ großzügig geregelt: So etwa waren sie von allen städtischen Abgaben befreit und durften ungestört ihre Gottesdienste abhalten.

Doch die neue hannoversche Herrschaft brachte ab 1752 zahlreiche Restriktionen: Haus- und Grundbesitz waren Juden nun verboten, ‚Betteljuden’ durften das Gebiet nicht mehr betreten, nur die ältesten Söhne durften nach ihrer Verheiratung im Lande bleiben usw. Erst im Laufe des 18.Jahrhunderts vergrößerte sich die Zahl der Juden, wenn auch nur ein wenig. Immer noch hatten sie die Zünfte und Gilden gegen sich, die sich aus Konkurrenzgründen gegen weitere Ansiedlungen von Juden wehrten. Die Mehrzahl der Juden lebte damals in ärmlichen Verhältnissen; erst das 19.Jahrhundert brachte ihnen im Zuge der Emanzipation eine größere Freiheit der Berufswahl, was sich dann auch in bescheidenem Wohlstand manifestierte.

1844 kam es zur Bildung des Synagogenverbandes Bentheim, dem die jüdischen Einwohner von Bentheim, Schüttorf und Gildehaus angehörten. Die Wurzeln einer Gemeinde wurden aber bereits zwei Jahrzehnte zuvor gelegt, denn Mitte der 1820er Jahre war den Juden ein Betraum zugestanden worden war. 1845 kaufte man dann für 700 Gulden das Haus des Schusters Hartmann in der Wilhelmstraße, um darin eine Synagoge einzurichten. Sie wurde nach einem Umbau des Hauses im Jahr 1853 durch den Emdener Landrabbiner H.Hamburger eingeweiht und der Gemeinde übergeben. In der Folgezeit erfuhr das Synagogengebäude dann noch mehrere Erweiterungen (u.a. Einbau einer Frauenempore) und blieb in dieser Form bis zu seiner Zerstörung am 10.November 1938 erhalten. Seit Mitte der 1860er Jahre existierte auch eine einklassige jüdische Elementarschule für die Obergrafschaft, die aus einer Religionsschule hervorgegangen war und bis 1921/1922 bestand. Als „Schullocal“ diente ein angekauftes Haus in der Wilhelmstraße.

Im Laufe der Zeit nutzte die jüdische Gemeinde insgesamt vier Friedhöfe, davon zwei in Bentheim und je einen in Schüttorf und Gildehaus.

    "Judenkerckhof te Bentheim" – Aquarell von Jacob Maris (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei) 

            Jüdischer Friedhof in Bad Bentheim (Aufn. aus: panoramio, 2013)

Juden in (Bad) Bentheim:

          --- 1732 .........................   5 jüdische Familien,

    --- 1781 .........................   6   “         “    ,

    --- 1825 .........................  16   “         “    ,* mit Schüttorf u. Gildehaus

    --- 1844 .........................  18   “         “    ,*

    --- 1864 .........................  57 Juden,

    --- 1880 .........................  85   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1905 .........................  72   “  ,

    --- 1925 .........................  49   “  ,

    --- 1930 .........................  38   “  ,

    --- 1933 .........................  24   “  ,

    --- 1939 (Juli) ..................   3   “  ,

    --- 1942 .........................   keine.

Angaben aus:  D. Koldijk/H. Voort (Hrg.), Grafschaft Bentheim - Die jüdischen Gemeinden in NO-Overijssel u. der Grafschaft Bentheim, S. 11 ff.

 

Bereits ab Ende des 19.Jahrhunderts setzte eine Abwanderung der Juden aus der Grafschaft Bentheim ein. Antisemitismus hatte bis zu Beginn der NS-Machtübernahme in der Region Bentheim kaum Widerhall gefunden, und die Juden lebten - toleriert von den großen kirchlichen Gemeinschaften - mit der übrigen Bevölkerung im Einklang. Sie hatten ihren festen Platz im Wirtschaftsleben der Stadt und waren vorwiegend als Kaufleute und Händler tätig.

hist. Postkarte, um 1920 (aus: wikipedia.org, CCO)

Anfang der 1920er Jahre wurde Bentheim zu einer Durchgangsstation für Juden aus Osteuropa auf dem Weg nach Holland und weiter nach Übersee. Dies führte gelegentlich dazu, dass die einheimische Bevölkerung negativ auf Juden reagierte. In den ersten fünf Jahren der NS-Herrschaft verließ mehr als die Hälfte der jüdischen Bewohner ihre Heimatorte Bentheim, Schüttorf und Gildehaus. Während ein Teil zumeist nach Übersee emigrierte, wanderte der andere Teil nach Holland und in deutsche Großstädte ab.

In der „Reichskristallnacht“ wurde die Inneneinrichtung der Synagoge in der Wilhelmstraße von SA-Angehörigen völlig verwüstet und das Gebäude selbst nur deshalb nicht in Brand gesetzt, weil angesichts der dichten Bebauung die Gefahr eines Großbrandes bestand. Einen Tag später setzten dann Schüler das Zerstörungswerk fort und schleppten das zerschlagene Inventar ins Freie. Einem Anwohner gelang es dabei, die herumliegenden Ritualgegenstände in Sicherheit zu bringen. 1949 wurden diese der Jüdischen Gemeinde Hannover übergeben.

Das jüdische Schulgebäude blieb verschont, da es zuvor bereits „arisiert“ worden war. Dagegen wurde das Kaufhaus von Albert Wertheim geplündert. Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Egon Neter, wurde tags darauf gezwungen, das Synagogengrundstück der Stadt zu ‚vermachen’, die es ihrerseits Mitte 1939 an eine Privatperson veräußerte. Bis Mitte 1939 hatten - bis auf drei Ausnahmen - alle jüdischen Bewohner Bentheim verlassen bzw. waren in die Emigration gegangen. Diejenigen, die im benachbarten Holland Zuflucht gesucht hatten, wurden von den nationalsozialistischen Verfolgungspolitik nach 1940 wieder eingeholt: Über das Sammellager Westerbork wurden die meisten in die Todeslager im besetzten Polen deportiert. Mindestens 17 Bentheimer Juden wurden Opfer der Shoa.

 

Neben dem alten jüdischen Friedhof am Osterberg ist auch der neue, in den 1870er Jahren an der Hilgenstiege angelegte erhalten geblieben; letzterer weist noch 45 Grabsteine auf.

Seit 1985 erinnert ein Gedenkstein in der Synagogenstiege (der früheren Poststiege) an die Zerstörung der Bentheimer Synagoge am 10.November 1938. Unter einem stilisierten Baum, aus dem ein junger Zweig treibt, ist die kurze Inschrift zu lesen: "Nicht sterb ich, nein, ich lebe !"

Unter dem Titel „Verfolgte Menschen” wurde im Otto-Pankok-Museum in Bad Bentheim-Gildehaus 1997 eine Ausstellung des Malers und Graphikers Otto Pankok (1893-1966) gezeigt; die Geschichtswerkstatt Bad Bentheim ergänzte die Gemälde durch eine Dokumentation über das jüdische Leben in der Region. 

Auch in Bad Bentheim und seinen Ortsteilen wurden - beginnend im Jahre 2006 - zahlreiche sog. „Stolpersteine“ verlegt; inzwischen sind es ca. 60 (Stand 2023).

Stolperstein Anna ReindorpStolperstein Sofie KöstersStolperstein Josephine KöstersStolperstein Helena Kösters

Vier "Stolpersteine" für Angehörige der Familie Kösters, Gildehaus, Bernhard-Hagels-Platz (Aufn. Gmbo, 2015, aus: wikipedia.org, CCO)

Acht „Stolpersteine“ findet man in der Dorfstraße in Gildehaus, die an Angehörige der von den Nationalsozialisten ermordeten Familie Neter erinnern; weitere sechs Gedenkquader sind Angehörigen der Familie Wertheim-Blumenthal gewidmet.

                        Datei:Bad Bentheim Gildehaus - Dorfstraße 01 ies.jpgAbb. F. Vincentz, 2011, aus: wikipedia.org. CC BY-SA 3.0

 

Auf dem jüdischen Friedhof Gildehaus - angelegt 1746 südwestlich der Ortschaft - sind zwölf Grabsteine und einige Steinrelikte erhalten geblieben; ein 1945 aufgestellter Gedenkstein weist heute auf den während der NS-Zeit schwer geschändeten Begräbnisplatz hin.

 

 

 

In Schüttorf - einer Kleinstadt mit derzeit ca. 13.000 Einwohnern östlich von Bad Bentheim – sind bereits im 14.Jahrhundert erstmals Juden urkundlich nachweisbar; ein zweiter Hinweis datiert erst wieder in der Mitte des 17.Jahrhunderts. Drei im Ort ansässige Familien sind für das 18.Jahrhundert bezeugt. Auch im Folgejahrhundert haben in Schüttorf stets nur wenige jüdische Familien gelebt; sie gehörten der Synagogengemeinde Bentheim an.

    Postkarte um 1905 (aus: wikipedia.org, PD-alt-100)

Mit ca. 35 Personen erreichte die hiesige jüdische Bevölkerung in den 1920er Jahren ihren Höchststand.

Am Verwaltungsgebäude des Rathauses in der Föhnstraße (vormals Viehstraße) befindet sich ein Mahnmal: auf einer aufragenden alten Grabplatte – eingerahmt von zwei Granitstelen - sind die Namen von 41 jüdischen Schüttorfer Bürgern verzeichnet sind, die in der NS-Zeit vertrieben oder deportiert/ermordet wurden.

Rundgang Samtgemeinde – Stadt & Samtgemeinde Schüttorf Mahnmal in Schüttorf (Aufn. Samtgemeinde Schüttorf)

Beginnend 2017 wurden zahlreiche sog. „Stolpersteine“ am Markt, in der Jürgen-, Föhn- und Rosenstraße verlegt, die an Angehörige jüdischer Familien erinnern; einigen Familien gelang die Emigration, andere wurden verschleppt und ermordet.

Stolpersteine Löhnberg, Schüttorf.jpgStolpersteine Löhnberg und Löwenstein.jpg

verlegt in der Föhnstraße und am Markt (Aufn. Ebst, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf dem vermutlich bereits im 17.Jahrhundert angelegten jüdischen Friedhof an der Samernschen Straße befinden sich heute noch ca. 20 Grabsteine; der älteste vorhandene Stein datiert aus dem Jahr 1813.

Jüdischer Friedhof – Stadt & Samtgemeinde SchüttorfJüdischer Friedhof Schüttorf (Aufn. aus: schuettorf.de)

 

 

 

Weitere Informationen:

Heinrich Specht, Die Juden in der Grafschaft, in: "Bentheimer Heimatkalender 1937", S. 39/40

Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen, Leer 1979

Heinrich Voort, Die jüdische Gemeinde in Bentheim Daten ihres Werdens - Dokumente ihres Untergangs, in: Beiträge zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, Verlag Heimatverein der Grafschaft Bentheim e.V., Bad Bentheim 1982

Arno Piechorowski, Zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, in: Beiträge zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, Verlag Heimatverein der Grafschaft Bentheim e.V., Bad Bentheim 1982

Heinrich Voort, Die jüdische Gemeinde in Bentheim - Daten ihres Werdens - Dokumente ihres Untergangs, in: Beiträge zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, Verlag Heimatverein der Grafschaft Bentheim e.V., Bad Bentheim 1982

Wilhelm Hagerott, Die jüdische Schule in Bentheim, in: Beiträge zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, Verlag Heimatverein der Grafschaft Bentheim e.V., Bad Bentheim 1982

F. W. Busch, Dokumentation der jüdischen Friedhöfe in der Grafschaft Bentheim, in: Beiträge zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, Verlag Heimatverein der Grafschaft Bentheim e.V., Bad Bentheim 1982

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Niedersachsen II (Reg.Bez. Hannover und Weser-Ems), Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, S. 147

Dirk Koldijk/Heinrich Voort (Hrg.), De Joodse Gemeenschap in NO-Overijssel en de Grafschaft Bentheim - Die jüdischen Gemeinden in NO-Overijssel und der Grafschaft Bentheim, Bad Bentheim 1990, S. 11 ff.

Albert Marx, Geschichte der Juden in Niedersachsen, Fackelträger-Verlag, Hannover 1995, S. 70 f.

Liesel Schmidt, Zur Geschichte der Bentheimer Juden. Das Ende der jüdischen Gemeinde in Bentheim, in: H. Titz (Bearb.), Bad Bentheim. Aspekte einer Stadtgeschichte, Schriftenreihe der Volkshochschule des Landkreises Grafschaft Bentheim 21, Bad Bentheim 1996, S. 393 - 404

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 111/112

Landkreis Grafschaft Bentheim (Hrg.), Auf Spuren jüdischen Lebens in der Grafschaft Bentheim zur Ausstellung im Otto-Pankok-Museum, Bad Bentheim 2003/2004

Daniel Fraenkel (Bearb.), Bentheim, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Bd. 1, S. 187 - 195

Grafschafter Schulgeschichte – Jüdische Schule in Bentheim, online abrufbar unter: grafschafter-schulgeschichte.de

Susanne Austrup (Red.), Bentheimer Synagoge vor 75 Jahren zerstört, in: „Grafschafter Nachrichten“ vom 5.11.2013

VILE e.V. (Hrg.), Der alte und der neue jüdische Friedhof von Bad Bentheim, in: Jüdische Friedhöfe in Deutschland …, online abrufbar unter: juedische-friedhoefe.info (mit aktuellen Aufnahmen)

Jüdischer Friedhof Gildehaus, in: denkmalatlas.niedersachsen.de

Dagmar Thiel (Red.), „Die Männer schlugen alles kurz und klein“. Vor 77 Jahren in der Reichspogromnacht überfielen Nazis die jüdische Familie Neter in Gildehaus, in: „Grafschafter Nachrichten“ vom 7.11.2015

Auflistung der Stolpersteine in Bad Bentheim, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bad_Bentheim

N.N. (Red.), Stolperstein-Aktion kommt ins Rollen, in: „Grafschafter Nachrichten“ vom 19.10.2017 (betr. Verlegung von Stolpersteinen in Schüttorf)

N.N. (Red.), Stolpersteine erinnern an jüdische Familien in Schüttorf, in: „Grafschafter Nachrichten“ vom 20.12.2017

N.N. (Red.), Letzte Stolpersteine werden in Schüttorf verlegt, in: „Grafschafter Nachrichten“ vom 16.9.2018

Johann Bardenhorst (Bearb.), Verlegeorte der Stolpersteine Stadt Bad Bentheim, in: stadt-badbentheim.de (Stand 2018)

Steffen Burkert, „ ...und nie war der Galgen leer“: Wie der Gildehauser Jude Heinz Wertheim deportiert wurde – und als einziger Grafschafter den „1.Bielefelder Transport“ überlebte, in: „Bentheimer Jahrbuch 2023", S. 83 - 90