Biel (Schweiz)

 

Datei:Übersichtskarte der Schweiz.svg Biel am Nordostufer des Bieler Sees ist eine Stadt mit derzeit ca. 55.000 Einwohnern im Kanton Bern – ca. 25 Kilometer nordwestlich von Bern gelegen (Übersichtskarte der Schweiz: Maximilian Dörrbecker, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 2.5).

Der Ort war zu Beginn des 13.Jahrhunderts durch den Bischof von Basel gegründet und mit Stadtrechten von Rudolf von Habsburg ausgestattet worden. Bis gegen Ende des 18.Jahrhunderts war Biel ein Teil des Fürstbistums Basel, seit 1815 gehört die Stadt zum Kanton Bern.

 

Im 14./15. Jahrhundert lebten vereinzelt jüdische Familien in Biel. Die erste Zuwanderung ist für das Jahr 1305 belegt, als eine Witwe mit ihren Kindern die Erlaubnis erhielt, sich in Biel niederzulassen, Handel zu treiben, Geldgeschäfte zu tätigen und Vieh zu schächten. Über die nachfolgenden Jahrzehnte schweigen die Quellen – was jüdische Ansässigkeit in Biel angeht. Doch kann davon ausgegangen werden, dass es hier während der „Pestzeit“ keine Verfolgungen gegeben hat.

Als die Aufenthaltsgenehmigung der wenigen hier lebenden jüdischen Familien auf bischöflichen Druck durch den Bieler Magistrat nicht verlängert wurde, verließen diese um 1450 die Stadt. Bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts galt dann in Biel ein Niederlassungsverbot für Juden; zudem war zeitweilig jüdischen Handelsleuten auch „jeglicher Handel zu Stadt und Land“ unter Verbot gestellt.

 Stadt Biel - Stich Merian, um 1640 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Mit der rechtlichen Gleichstellung aller Schweizer Bürger (1846) erfolgte eine Zuwanderung jüdischer Familien in die Stadt (zumeist aus dem Elsass u. dem Surbtal kommend); der erste namentlich bekannte Zuwanderer war die Familie des aus dem Elsass stammenden Handelsmanns Nathan Grumbach, der bereits 1834 hier Aufnahme fand.

Etwa zwei Jahrzehnte später gründete sich in der Stadt offiziell die „Israelitische Corporation Biel“.

Seit 1858 war in der Stadt ein Betsaal in einem Privatgebäude vorhanden, der für die schnell wachsende Gemeinde zum gottesdienstlichen Mittelpunkt wurde. Etwa zwei Jahrzehnte später erwarb die Gemeinde ein Grundstück an der Rüschlistraße, auf dem dann eine neue Synagoge im maurischen Baustil (Entwurf des Architektenteams Frey/Haag) errichtet und 1883 feierlich eingeweiht wurde; die Weihepredigt hielt der Genfer Rabbiner Joseph Wertheimer

Die Synagoge in Biel - Bienne (Kanton Bern) https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20174/Biel%20Synagoge%20173a.jpg

Bieler Synagoge mit Gebotstafeln auf dem First des Gebäudes (Aufn. Haim Madjar, 2011, aus: alemannia-judaica.de)

Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählten neben der Synagoge, eine Religionsschule, ein rituelles Bad und der 1903 angelegte Friedhof. Zur Verrichtung religiös-ritueller Aufgaben war ein Lehrer/Kantor, zeitweilig auch ein Rabbiner angestellt. Der erste ‚ordentliche‘ Rabbiner wurde 1917 gewählt und versah dieses Amt – mit Unterbrechungen – bis zu seinem Tode (1945); seine Nachfolger waren Aron Silberstein, Benjamin Barsilai und Ahron Daum. Der Gemeinde stand ein Präsident vor; so amtierte Marc Goschler als ihr erster in den Jahren 1858 bis 1885.

Wurden zunächst Verstorbene auf dem jüdischen Friedhof im elsässischen Hegenheim, später dann in Bern beerdigt, stand seit 1903 in Biel (im Stadtteil Madretsch, Brüggstr./Mösliweg) ein eigenes Begräbnisgelände – innerhalb des kommunalen Hauptfriedhofs - zur Verfügung.

                             https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20174/Biel%20Friedhof%20188.jpg Als Trauerweide gestaltete Grabmale (Aufn. J. Hahn, 2008)

Juden in Biel:
---
bis ca. 1450 .............. wenige jüdische Familien,

--- 1450 bis ca. 1830 .........  keine,

--- 1858 ................... ca. 50 Juden,

--- um 1890................. ca. 200  “  ,

--- 1900 ....................... 337  "  ,

--- um 1915 ................ ca. 300  “  ,

--- 1920 ....................... 443  "  ,

--- um 1930 ....................   ?  "  ,

--- 1960 ....................... 231  “  ,*

--- 1969 ................... ca. 230  "  ,*

--- 2000 ................... ca.  65  "  .*     *Gemeindemitglieder

Angaben aus: Biel (Kanton Bern), in: alemannia-judaica.de

und                 Annette Brunschwig, Heimat Biel. Beiträge zur Geschichte der Juden in der Schweiz vom Spätmittelalter bis 1945

undefinedZentralplatz in Biel, um 1900 (Abb. H. Christoph, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

Die jüdische Gemeinde in Biel zeichnete sich durch ein vielfältiges aktives Vereinsleben aus; so existierte ein Männerkrankenverein („Chevra Bikkur Cholim“), zwei Frauenvereine (u.a. „Malbisch Arunim“) und ein Jugendverein („Macabäa“). Die zionistische Gruppierung in Biel (im Verein „Ohave Zion“ organisiert) setzte sich aus relativ vielen Anhängern zusammen.

Für eine kurze Zeit gab es auch eine kleine ostjüdische Gemeinschaft („Achdus“), die ein eigenes Bethaus besaß. In den 1930er Jahren schlossen sich die inzwischen integrierten osteuropäischen Familien der Synagogengemeinde an.

Innerhalb nur weniger Jahrzehnte nach ihrer Ansässigmachung hatten sich die jüdischen Familien mit dem Aufbau von Handelsgeschäften und industrieller Unternehmen (Uhrenfabrikation) in der Stadt gewisses Ansehen verschafft; dies fand z.B. auch seinen Ausdruck darin, dass bereits 1866 Ludwig Gerson in ein politisches Amt gewählt wurde und 1879 mit Max Guggenheim ein jüdischer Bürger in den Stadtrat einzog.

Die Einbürgerungen von Juden in Biel waren seitens des Magistrats bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges eher sehr zurückhaltend; in der Zwischenkriegszeit nahm deren Zahl dann aber deutlich zu; so war damals eine Einbürgerung eines Erwachsenen mit Kosten von 300 Franken verbunden.

Antisemitismus war in den 1920/30er Jahren in Biel nur eine Randerscheinung. In den Jahren des Nationalsozialismus nahm die „rote“ Stadtregierung eine klare Position gegen antisemitische Strömungen ein und opponierte auch gegen die eher judenfeindliche Flüchtlingspolitik des Bundesrates. Als Ende 1942 Hunderte von jüdischen Flüchtlingen im unweit von Bühl liegenden Internierunglager Büren a. d. Aare* gestrandet waren – sie wurden dort von der Schweizer Armee betreut, litten aber unter den schlechten Lebensbedingungen -, beteiligte sich auch die Stadt Biel aktiv an Hilfsmaßnahmen; so wurden neben notwendigen Dingen des alltäglichen Bedarfs auch finanzielle Hilfen zur Verfügung gestellt.

* Während des Zweiten Weltkrieges befand sich von 1940 bis 1946 in Büren das größte Internierungslager der Schweiz; errichtet war es als Folge der deutschen Besetzung Südfrankreichs (1942) für mehrere tausend Angehörige einer polnischen Division (innerhalb der franz. Armee).

 

Zu Beginn des 21.Jahrhunderts ist die Zahl der jüdischen Familien in Biel deutlich zurückgegangen, so dass auch gemeindliche Einrichtungen, wie die Religionsschule, aufgegeben wurden; jüdische Kinder besuchen den Religionsunterricht in Bern. Allgemeine Gottesdienste in der Bieler Synagoge finden nur noch zu bestimmten Terminen statt.

2008 konnte man das 125-jährige Bestehen der Synagoge begehen.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20265/Biel%20Synagoge%203006.jpg Synagogeninnenraum (Aufn. Haim Madjar, 2010)

1995 wurden durch den israelitischen Künstler Robert Nechin zwölf farbige Glasfenster in der Synagoge installiert, die einzelne Szenen aus der Thora darstellen.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20306/Biel%20Fenster%2007%20Zwei%20Lichter.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20306/Biel%20Fenster%2002%20Geschl%20Tor.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20306/Biel%20Fenster%2011%20Hand%20Gottes.jpg

Die Erschaffung von Sonne, Mond und  Sternen   -   Erinnerung an den Garten Eden   -   Auszug aus Ägypten  (Abb. aus: The Glass Art of Robert Nechin)

 https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20174/Biel%20Friedhof%20174.jpgTeilansicht des jüdischen Friedhofs (Aufn. J. Hahn, 2008)

 

 

 

Weitere Informationen:

Vita Epelbaum, 125 Jahre Israelitische Gemeinde Biel, Biel 1973

Ron Epstein-Mil, Die Synagogen der Schweiz. Bauten zwischen Emanzipation, Assimilation und Akkulturation, in: „Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz – Schriftenreihe des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes“, Band 13/2008, S. 142 ff.

Annette Brunschwig (Bearb.), Die Anfänge der jüdischen Gemeinde Biel, in: „Bieler Jahrbuch 2008“, Biel 2009

SIG – Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund (Hrg.), Biel, online abrufbar unter: swissjews.ch/de/wissen/factsheets/biel/

Haim Madjar (Bearb.), Die Geschichte der Bieler Synagoge, Hrg. Jüdische Gemeinde Biel, 2011

Markus Dütschler (Red.), In Biel war Antisemitismus ein Randphänomen, in: „Der Bund“ vom 4.7.2011

Tobias Marti (Red.), Zu Hause in Biel - Ein Buch erklärt, warum die Stadt für Juden zur Heimat wurde, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 20.9.2011

Annette Brunschwig, Nulltoleranz für Judenfeinde. Weshalb Antisemitismus im antifaschistischen Bielo kein Gehör fand, in: „TANGRAM“, Hrg. Eidgenössische Kommission gegen Rassismus, No. 39/2017 (auch online abrufbar unter: ekr.admin.ch/d714.html#)

Annette Brunschwig, Heimat Biel. Geschichte der Juden in der Schweizer Stadt vom Spätmittelalter bis 1945, Chronos Verlag Zürich 2011

Biel (Kanton Bern), in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Text- u. Bilddokumenten)

sul (Red.), Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. Bieler Synagoge rüstet auf – auch wegen Halle, in: „20min.ch“ vom 6.3.2020

ela (Red.), Synagoge in Biel mit antisemitischen Symbolen verunstaltet, in: „Neue Zürcher Zeitung“ vom 18.2.2021

Christoph Bernet (Red.), Nach Schändung der Bieler Synagoge: Jüdische Gemeinden fordern stärkeres Engagement von Bund und Kantonen, in: „Luzerner Zeitung“ vom 11.3.2021

Jaschar Dugalic (Red.), Harzige Unterstützung, in: „tachles – das jüdische Wochenmagazin“ vom 19.3.2021

Stefanie Mahrer (Bearb.), Wirtschaftlicher Strukturwandel und religiöse Minderheit: Die Rolle der jüdischen Uhrenfabrikanten in der Industrialisierung der schweizerischen Uhrmacherei, in: „Judaica: Neue Digitale Folge 3/2022

Caspar Battegay (Red.), „Jüdisches Biel“ - Eine Erinnerung an die jüdische Gemeinde in Biel, in: „Zeit Online“ vom 7.7.2022

Melissa Flück, Jüdisches Biel – ein Portraitbuch, Baden /Schweiz 2022