Zwesten (Hessen)

Kreis Fritzlar – Wikipedia Datei:Bad Zwesten in HR.svg Bad Zwesten ist eine Kommune mit derzeit ca. 3.800 Einwohnern im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis - ca. 40 Kilometer südwestlich von Kassel bzw. südöstlich von Bad Wildungen gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Zwesten, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Schwalm-Eder-Kreis', NNW 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Erste gesicherte Belege für die Existenz von Juden im hessischen Dorfe Zwesten - seit 1992 Bad Zwesten im Kreis Fritzlar - liegen aus der Mitte des 17.Jahrhunderts vor. Im 18.Jahrhundert beherbergte der kleine Ort einige jüdische Familien; 1769 wird erstmals eine Synagoge in Zwesten urkundlich erwähnt. Nach einem Brand in der Zeit des Ersten Weltkrieges soll die Synagoge von der kleiner gewordenen, konservativ eingestellten Gemeinde neu aufgebaut worden sein. Eine Religionsschule wurde ab 1876 als winzige jüdische Elementarschule geführt, die schließlich 1930 wegen Schülermangels geschlossen wurde.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20114/Zwesten%20Israelit%2028121870.jpg  

Stellenangebote aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 28. Dez. 1870 und 6.Nov. 1872

Im Schulhaus war auch eine Mikwe untergebracht.

Am Ortsausgang in Richtung Bad Wildungen befand sich der jüdische Friedhof.

Zur Kultusgemeinde Zwesten gehörten auch die Familien der Ortschaften Niederurff und Oberurff; der Versuch der Niederurffer Juden, in den 1870er Jahren eine autonome Kultusgemeinde zu bilden, scheiterte allerdings. Bereits zu Beginn des 19.Jahrhunderts hatten Streitigkeiten innerhalb der jüdischen Gemeinde Separierungstendenzen aufleben lassen.

Juden in Zwesten:

         --- 1646 ...........................   4 jüdische Familien,

--- 1744 ...........................  61 Juden (in 15 Familien),

    --- um 1775 ........................   8 jüdische Familien,

    --- 1835 ...........................  87 Juden,

             ........................... 180   “  ,*        * Kultusgemeinde

    --- 1861 ...........................  74   “  ,

    --- 1895 ...........................  89   “   (ca. 11% d. Bevölk.),

    --- 1905 ...........................  74   “  ,*

             ...........................  45   "  ,

    --- um 1930 .................... ca.  80   “  ,*

    --- 1933 ...........................  46   “   (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1934 (Sept.) ...................  34   “  ,

    --- 1939 (März) ....................  19   “  ,

             (Juni) ....................   6   “  ,

    --- 1941 (Dez.) ....................   keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 449

und                 Gemeindevorstand Bad Zwesten (Hrg.), Zwesten in Geschichte und Gegenwart (Ortschronik)

 

Ihren Lebensunterhalt verdienten die sehr bodenständigen Zwestener Juden im Handel mit Vieh und mit Gebrauchsgütern; ein jüdischer Bewohner besaß am Ort eine Gastwirtschaft.

Der reichsweit angeordnete Boykott jüdischer Geschäfte wurde am 1.April 1933 auch im etwa 900 Einwohner zählenden Dorf Zwesten durchgeführt. In Folge der nun immer schlechter werdenden Lebensbedingungen wanderte ein Großteil der jüdischen Dorfbewohner in größere Städte ab.

Während des Novemberpogroms von 1938 wurden Juden schwer misshandelt, ihre Wohnungen verwüstet und das Synagogengebäude beschädigt. Der hochbetagte Markus Stern und seine Frau wurden in den Wälzebach getrieben; beide starben später an der Folgen dieser Quälerei. 1939 wurden nur noch sechs jüdische Personen am Ort gezählt. Ende 1941 mussten die letzten beiden jüdischen Bewohner ihr Dorf verlassen - bereits in den Jahren zuvor waren Zwestener Juden nach Kassel „umgesiedelt“ worden; über Kassel wurden sie - zusammen mit anderen „Landjuden“ des Regierungsbezirks - ins besetzte Osteuropa (Ghetto Riga) deportiert; alle gelten als „verschollen“ bzw. sind für tot erklärt worden.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 28 gebürtige bzw. längere Zeit in (Bad) Zwesten ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennnung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bad_zwesten_synagoge.htm).

 

Im Rahmen der Dorfsanierung wurde das ehemalige Synagogengebäude 1968 abgerissen, die frei gewordene Fläche neu überbaut. Eine Tafel informiert heute mit den folgenden Worten:

Wir erinnern uns der Mitbürger, die in den Jahren 1933 bis 1945 Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden.

Leben und Tod dieser Menschen sind uns Mahnung und Verpflichtung.

Auf dem Grundstück Schulstraße 2 stand die Synagoge. Sie wurde in der Nacht vom 09. zum 10.November 1938 verwüstet.

Die enge Bebauung schützte sie vor dem Abbrennen.

Seit 2005 wurden in Bad Zwesten an verschiedenen Standorten etliche sog. „Stolpersteine“ verlegt.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20252/Bad_Zwesten_Stolpersteine.jpg

Stolpersteine für Familie Jungheim und Hirschberg (Aufn. A.H., 2008, aus: wikipedia.org, CCO bzw. G. 2021, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

verlegt in der Hinterstraße (Aufn. G. 2021, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Das ca. 2.000 m² große Begräbnisgelände blieb vermutlich während der NS-Zeit unangetastet. Eine seit einigen Jahren dort angebrachte Tafel informiert über die ehemalige israelitische Ortsgemeinde.

     http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20252/Bad%20Zwesten%20Friedhof%20470.jpg

Eingangspforte und Teilansicht des jüdischen Friedhofs (Aufn. J. Hahn, 2010)

 

           

                 Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 449 - 451

Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? Königstein i.T. 1988, S. 64

Reinhard Theis, Juden in Zwesten, in: Gemeindevorstand Bad Zwesten (Hrg.), Zwesten in Geschichte und Gegenwart. Ortschronik zur 1175-Jahrfeier, Wartberg Verlag Peter Wieden, Gudensberg 1992, S. 218 – 229

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen II: Regierungsbezirke Gießen und Kassel, 1995, S. 167/168

(Bad) Zwesten mit Niederurff, Oberurff und Kestenhausen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten und einer Reihe von Aufnahmen des jüdischen Friedhofs)

N.N. (Red.), Gegen das Vergessen: Verlegung von Stolpersteinen in Bad Zwesten, in: „Schwälmer Bote“ vom 21.5.2012

Stolpersteine in Bad Zwesten, abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Datei:Bad_Zwesten_Stolpersteine.jpg