Simmern/Hunsrück (Rheinland-Pfalz)
Simmern/Hunsrück – derzeit etwa 8.000 Einwohner zählend - ist Kreisstadt des Rhein-Hunsrück-Kreises und Verwaltungssitz der Verbandsgemeinde Simmern/Hunsrück – ca. 50 Kilometer westlich von Mainz gelegen (hist. Karte der Rheinpfalz um 1790 mit Eintrag von Simmern im nördlichen Teil, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Rhein-Hunsrück-Kreis, aus: kreis-sim.de).
Schloss und Stadt Simmern – Stich M. Merian, um 1645 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Ein erster urkundlicher Beleg von der Existenz eines Juden in Simmern liegt aus dem Jahre 1660 vor. In den folgenden Jahrzehnten waren einzelne Schutzjuden hier ansässig, ihre Zahl lag aber höchstens bei sechs Familien. Bis Beginn des 19.Jahrhunderts wuchs ihre Zahl auf 15 bis 20 Familien, die ab 1808 rechtlich verbindliche Familiennamen trugen.
Die Judenschaft Simmerns hielt noch gegen Ende des 18.Jahrhunderts ihre gottesdienstlichen Zusammenkünfte in einer kleinen Betstube ab. Erst um 1800 errichtete die Gemeinde ein massives Synagogengebäude; eine kleine Empore stand den Frauen zur Verfügung. Als etwa hundert Jahre später die Synagoge baufällig geworden war, begannen die Planungen für einen Neubau, der im Herbst 1911 fertiggestellt und feierlich eingeweiht wurde. Dieser befand sich am Standort des abgerissenen alten Synagogengebäudes und des Schächthauses.
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 1.Dez. 1911
Synagoge in der Hunsgasse (Ansichtskarte bzw. hist. Aufn. 1911, Stadtarchiv)
Schriftliche Hinweise auf eine jüdische Schule in Simmern finden sich ab 1825; kennzeichnend für die Situation des privat organisierten Schulwesens war der häufige Lehrerwechsel. Es kam zu Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde und zu Finanzierungsengpässen beim Lehrergehalt. In den 1840er Jahren gelang es, kommunale Unterstützung für die jüdische Elementarschule zu erhalten. Doch nach einer Vakanz der Lehrerstelle besuchten die jüdischen Kinder zeitweilig die hiesige katholische Schule, bis erneut für etwa zwei Jahrzehnte Unterricht in angemieteten Räumen erteilt wurde. Im Laufe der Jahre wechselten schließlich die meisten jüdischen Kinder zur evangelischen Schule.
Anzeigen aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums“ vom 5.Juli 1882 und „Der Israelit“ vom 6.Jan. 1890 u. 12.Nov. 1908
Der jüdische Begräbnisplatz lag bei der Teschenmühle in der Flur „Seeberg“, am westlichen Ortsrand von Simmern; 1760 erfolgte dessen erste Erwähnung. 1840 wurde das Areal erweitert. Da hier auch Juden aus Rheinböllen beerdigt wurden, beteiligte sich die Judenschaft des Nachbarortes auch an den Unterhaltungskosten; ab 1845 verfügte dann die Judenschaft Rheinböllens über einen eigenen Friedhof.
Juden in Simmern:
--- 1699 .......................... 4 jüdische Familien,* *Oberamt Simmern
--- um 1750 ....................... 6 “ “ ,*
--- 1808 ...................... ca. 75 Juden,
--- 1823/24 ....................... 121 “ ,
--- 1838 .......................... 167 “ (ca. 6% d. Bevölk.),
--- 1855 .......................... 129 “ ,
--- 1864 .......................... 137 “ ,
--- 1880 .......................... 82 “ ,
--- 1885 .......................... 102 “ ,
--- 1895 .......................... 76 “ ,
--- 1906 .......................... 97 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1925 .......................... 92 “ ,
--- 1935 .......................... 59 “ ,
--- 1942 (Mai) .................... keine.
Angaben aus: Doris Wesner, Die jüdische Gemeinde in Simmern/Hunsrück, S. 20
Zentrum von Simmern, Postkarte um 1910 (Abb. aus: akpool.de)
Da in der Kleinstadt Simmern nur begrenzt Handelsgeschäfte getätigt werden konnten, emigrierten ab Mitte des 19.Jahrhunderts einige jüdische Familien in die USA bzw. wanderten in größere deutsche Städte ab.
Geschäfts- und Werbeanzeigen jüdischer Gewerbetreibender in Simmern:
1857/1911/1913
1919/1932
Nach der NS-Machtübernahme, verstärkt ab 1935, wurden die Juden Simmerns immer mehr ausgegrenzt und diffamiert. Über die „Aktion“ am 1.April 1933 berichtete die „Hunsrück Zeitung“ am 3.4.1933:
Die Boykottbewegung gegen die jüdischen Geschäfte ... verlief in Simmern gänzlich ruhig. Sämtliche jüdischen Geschäftsinhaber hielten ihre Läden geschlossen. Zu ernsteren Zwischenfällen ist es nirgends gekommen. Die NSDAP. hatte überall vor den Eingängen der jüdischen Geschäfte Wachen aufgestellt, die jedoch kaum in Aktion zu treten brauchten.
Während der „Kristallnacht“ vom November 1938 wurde die Synagoge in Brand gesetzt; die Feuerwehr versuchte nur, die Nachbarhäuser vor dem Feuer zu schützen; das Synagogengebäude brannte "kontrolliert" bis auf die Grundmauern nieder. Nach dem Novemberpogrom wurde jüdischer Besitz verstärkt „arisiert“, was auch in Simmern zur vollständigen „Entjudung“ führte. In einem Artikel der „Hunsrück-Zeitung” vom 4.1.1939 hieß es dazu:
Kompromisse in der Entjudung gibt es nicht
Restlose Austilgung jüdischer Namen - Eine einheitliche Regelung
Simmern. Wir durchlaufen zurzeit die Periode der Entjudung. Der Zweck dieses revolutionären Aktes ist ... das bisher übliche Geschäft einfach zu übernehmen, sondern mit der Uebernahme des Geschäftes alles auszuschalten, was an jüdischen Methoden bisher gepflogen wurde. ... Es gehört auch zur Entjudung, die jüdischen Namen auszutilgen. Es darf kein deutsches Geschäft geben, das sowohl den Namen des neuen Besitzers führt als auch noch einen Zusatz, wie z.B. “vormals S. Salomon” ...
Die meisten Juden hatten bis Ende der 1930er Jahre Simmern verlassen; die letzte polizeiliche Abmeldung erfolgte am 30. April 1942, als die letzten sechs jüdischen Bewohner deportiert wurden.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nachweislich 33 gebürtige bzw. längere Zeit in Simmern ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/simmern_synagoge.htm).
Am Schlossplatz wurde im November 1988 ein Mahnmal in Form einer Stele eingeweiht, das die Namen der jüdischen Bürger trägt, die während der NS-Zeit in Simmern lebten; auch der Giebelspruch der ehemaligen Simmerner Synagoge: „Mein Haus soll ein Bethaus genannt werden für alle Völker der Erde” ist am Denkmal angebracht. Die Synagogenruine war 1950 abgebrochen worden.
Der am westlichen Stadtrand Simmern gelegene jüdische Friedhof weist auf einer Fläche von ca. 1.800 m² heute noch etwa 110 Grabsteine/-stelen auf.
Jüdischer Friedhof in Simmern - Eingangstor und Begräbnisgelände (Aufn. Otmar Frühauf, 2009)
Seitens der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Simmern wurde 2019 an den Stadtrat der Antrag gestellt, künftig auch in Simmern sog. „Stolpersteine“ zu verlegen; bis auf den heutigen Tag scheint aber das Vorhaben noch nicht realisiert worden zu sein.
Weitere Informationen:
W.Wagner/G.Schellack, 650 Jahre Stadt Simmern im Hunsrück, Verlag Böhmer, Simmern 1980, S. 220 f.
Karl Faller, Jüdische Kultusgemeinde Simmern 1800 - 1945, in: "Hunsrücker Heimatblätter", No. 23/1971
Willi Wagner/Gustav Schellack, 650 Jahre Stadt Simmern im Hunsrück, Simmern 1980
Karl Faller, Die Zeit der Juden in Simmern/Hunsrück. Versuch der geschichtlichen Darstellung. 600 Jahre Verbundenheit der Juden mit der Stadt Simmern/Hunsrück u. der Jüdischen Kultusgemeinde Simmern, Simmern 1988
Verbandsgemeinde Simmern (Hrg.), Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung. 9.November 1938 - 9.November 1988, Simmern 1988
Gustav Schellack, Judenpogrom: Die sog. ‘Reichskristallnacht’ im mittleren Hunsrück, in: "Hunsrücker Heimatblätter", 28/1988, S. 162 - 166
Willi Wagner, Aus der Geschichte der Juden in Simmern, in: "Rhein-Hunsrück-Kalender", hrg. vom Rhein-Hunsrück-Kreis, Simmern 1989, S. 63 - 68
Gustav Schellack, Das jüdische Schulwesen in den ehemaligen Kreisen Simmern und St.Goar im 19.Jahrhundert, in: "SACHOR - Beiträge zur jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Heft 10, 2/1995, S. 23 - 27
Christof Pies, Jüdisches Leben am Rhein - Hunsrück-Kreis, in: "100 Jahre Hunsrücker Geschichtsverein e.V. 1901 - 2001", No. 116 (Sondernummer), Jg. 41/2001, S. 380 - 395
Doris Wesner, Die jüdische Gemeinde in Simmern/Hunsrück - Familiengeschichte(n) und Schicksale aus den vergangenen drei Jahrhunderten, Argenthal/Simmern 2001 (Anm. mit detaillierten Biographien jüdischer Familien, S. 37 - 260)
Simmern, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Christof Pies, Jüdisches Leben im Rhein-Hunsrück-Kreis, in: "Schriftenreihe des Hunsrücker Geschichtsvereins e.V.", No. 40/2003, S. 211 - 224
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 343 – 345
N.N. (Red.), Simmern erinnert an die jüdischen Opfer, in: „Rhein-Zeitung“ vom 5.11.2011
Werner Dupuis (Red.), Simmern. Vernissage im Hunsrück-Museum: Ausstellung zeigt jüdisches Leben auf dem Land, in: „Rhein-Hunsrück-Zeitung“ vom 4.11.2019
Hunsrück-Museum Simmern, Ausstellung: „Erwachet aus dem langen Schlafe ...“ - Jüdisches Leben auf dem Lande – Juden im Hunsrück, 2019/2020
Charlotte Krämer-Schick (Red.), Gedenken an jüdische Mitbürger: Simmern will Stolpersteine verlegen, in: „Rhein-Hunsrück-Zeitung“ vom 18.12.2019