Hoya/Weser (Niedersachsen)

Landkreis Nienburg (Weser) – GenWiki Hoya ist eine Kleinstadt und Sitz der Samtgemeinde Grafschaft Hoya mit derzeit ca. 4.000 Einwohnern im Landkreis Nienburg/Weser - zwischen Nienburg (im S) und Verden (im N) gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Nienburg', aus: wiki.de-genealogy.net  und  hist. Karte 'Hoya und Umgebung' um 1770, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

Hoia (Merian).jpg

Ansicht von Hoya - Stich M. Merian, um 1650 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Vermutlich war bereits Ende des 16.Jahrhunderts eine jüdische Familie in Hoya ansässig; Mitte des 18.Jahrhunderts wohnten - laut Steuerverzeichnis - fünf Familien in Hoya; sie besaßen jeweils einen Schutzbrief, der von dem Landesherrn, dem König von Hannover, ausgestellt worden war. Erst mit der Reichsverfassung von 1871/1872 wurden die Juden Hoyas den Bürgern vollständig gleichgestellt, nachdem sie lange Zeit als „Schutzjuden“ ihres Landesherrn galten. Bereits Jahrzehnte zuvor hatten sich die Hoyaer Juden an ihren Landesherren mit dem Wunsch gewandt, „völlige Gleichstellung mit unseren christlichen Mitbürgern in Hinsicht der politischen und bürgerlichen Rechte” zu erlangen; in diesem Zusammenhang wiesen sie auf ihre unbedingte Loyalität gegenüber dem Herrscherhause hin. Ab Mitte des 19.Jahrhunderts waren die Juden Hoyas in das ökonomisch-gesellschaftliche Leben der Kleinstadt integriert.

Mit dem Bau der Hoyaer Synagoge in der Deichstraße wurde 1833 begonnen; sie bot ca. 70 Personen Platz.

  

  Synagoge von Hoya (Skizze und Gemälde von Mayk Intemann, erstellt nach Zeugenaussagen)

Verstorbene Juden aus Hoya und der Region wurden seit Beginn des 18.Jahrhunderts auf dem zentralen jüdischen Friedhof in Hoyerhagen - hier befand sich die einstige Hinrichtungsstätte ("Galgenberg") - begraben; mit der Beerdigung von Issachar Bermann begann 1714 die Historie des jüdischen Friedhofs. Das relativ große Areal befand sich auf einer Anhöhe zwischen den Straßen „Auf dem Sande“ und „Vorberg“ (Am Kahlenberge).

Zur Synagogengemeinde Hoya zählten auch die Ortschaften Asendorf, Dörverden (bis 1866), Eystrup, Intschede (bis 1866), Martfeld und Schweringen; im Jahre 1866 wurde die Juden aus Bücken der Hoyaer Gemeinde angeschlossen.

Juden in Hoya:

    --- 1758 ...........................   5 jüdische Familien,

--- 1833 ...........................  87 Juden,

    --- 1848 ........................... 101   “  (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1861 ...........................  77   “  ,

    --- 1871 ...........................  56   “  ,

    --- 1885 ...........................  54   “  ,

    --- 1905 ...........................  45   “  ,

    --- 1925 ...........................  37   “  ,

    --- 1933 ...........................  31   “  ,

    --- 1939 ...........................  24   “  .

Angaben aus: Daniel Fraenkel (Bearb.), Hoya, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Bd. 1, S. 893 f.

Ak Hoya in Niedersachsen, Blick in die Deichstraße, Geschäfte, Gasthaus zum TurmDeichstraße in Hoya, um 1915 (Abb. aus: akpool.de)

 

Zu Beginn der NS-Zeit lebten in Hoya etwa 30 jüdische Einwohner. Am reichsweiten Boykotttag vom 1. April 1933 kam es hier zur ersten öffentlichen antisemitischen „Aktion“.

Das „Hoyaer Wochenblatt” vom 3.4.1933 berichtete:

... Die Boykottaktion des vergangenen Sonnabends verlief in Hoya im allgemeinen ruhig, die jüdischen Geschäfte hatten geschlossen, die aufgestellten Posten der NSDAP hatten rein propagandistischen Charakter. Nur bei der Firma B. (Anm.: Blumenthal, Lange Straße) kam es zu einem unangenehmen Zwischenfall, weil die Tochter des Inhabers versuchte, eine photographische Aufnahme der Schaufenster zu machen und die SS-Posten darin nicht mit Unrecht eine Provokation erblickten. Der eine der Posten verbat sich dies ohne Erfolg und sah sich deshalb gezwungen, den Apparat zu beseitigen, wobei es zum Handgemenge kam. ... Aus Rücksicht auf die Erregung in der SS und SA wurde der Bruder während des Boykotts in Schutzhaft genommen. ....

Der Boykott hinterließ in Hoya anscheinend wenig Spuren. Doch in den folgenden Jahren verstärkten die Nationalsozialisten ihre Propaganda gegen das Judentum.

Der Novemberpogrom war auch in Hoya vorläufiger Höhepunkt antisemitischer Gewalt. Bereits am 9.November wurden die Schaufenster eines jüdischen Geschäftes zertrümmert; am nächsten Tage setzten Angehörige von SA-Trupps auf Befehl der SA-Gruppe „Nordsee” die Hoyaer Synagoge in Brand. Sieben männliche Juden wurden „in Schutzhaft“ genommen.

                 Über die Vorgänge berichtete am 11.November 1938 das „Hoyaer Wochenblatt”:

Auch in Hoya wurde aufgeräumt

Judenfeindliche Kundgebungen

Wie überall im Reich so kam es im Laufe des gestrigen Vormittags auch in Hoya zu judenfeindlichen Kundgebungen. In einer spontan und schlagartig durchgeführten Aktion rückte die SA. und die über den Meuchelmord in Paris bis zur Wut empörte Bevölkerung gegen die jüdischen Geschäfte vor. Nach Sicherstellung aller Wertgegenstände wurden die Läden zerstört. Die Juden Hoyas wurden in Schutzhaft genommen. Bald nach Beginn der Vergeltungsaktion ging der Judentempel in der Deichstraße in Flammen auf. Für diese Mörder und Mörderspießgesellen dulden wir in Deutschland keine Synagogen mehr.

Auch in Hoya hat damit die begreifliche Empörung über den letzten ungeheuerlichen, von Juden angezettelten und durchgeführten Mord die vergeltende Tat ausgelöst. Das war die berechtigte Antwort auf den hinterlistigen Meuchelmord. ... Nun mögen sich die Levis, Salomons und Cobus und sonstigen Knoblauchjünger gesagt sein lassen, daß sie ein für alle Mal ausgespielt haben bei uns. Die ganze Vergeltungsaktion ging trotz der ungeheuren Wut, die dahinter stand, in Disziplin und Ordnung vor sich. Die Juden haben sich diese Aktion selbst zuzuschreiben. Es wurde einmal gründlich  aufgeräumt.  ... Die Wohnungsdurchsuche bei den einzelnen Juden förderte eine Unmenge Material zutage, ... Man kann jetzt schon sagen, daß viel Interessantes dabei zutage kommen wird, ... Auf die Mordtat ... haben wir eine Antwort gegeben, die über unser weiteres Verhalten auch nicht den geringsten Zweifel mehr läßt !

                 Die inhaftierten Männer aus Hoyas wurden zunächst nach Hannover, von da aus dann ins KZ Buchenwald abtransportiert.

In Hoya wurden nun alle jüdischen Einwohner in das städtische Armenhaus „Am Kuhkamp“ eingewiesen; Geschäfte und Grundstücke waren bereits „arisiert“ worden. Ab 1942 wurden dann - auf Anweisung der Gestapo Nienburg - die Juden Hoyas deportiert, neun ins „Altersghetto“ Theresienstadt. Insgesamt sind 22 der 31 Juden, die 1933 in Hoya lebten, Opfer der „Endlösung“ geworden.

Vor dem Schwurgericht des Landgerichtes Verden fanden 1947 bzw. 1949 zwei Prozesse gegen Verantwortliche und Beteiligte des Novemberpogroms von Hoya statt. Alle Angeklagten wurden freigesprochen, weil sie „auf Weisung von oben“ gehandelt hätten. Erst bei einem dritten Prozess 1951 wurden meist geringe Haftstrafen verhängt.

 

Seit 1994 erinnert auf dem Platz der ehemaligen Synagoge in der Deichstraße eine Gedenktafel an das einstige jüdische Gotteshaus.

Der Text auf der Gedenktafel lautet: „An dieser Stelle errichtete 1833 die jüdische Gemeinde Hoyas ihre Synagoge. Die jüdischen Familien waren eingebunden in das gesellschaftliche ind wirtschaftliche Leben der Stadt. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten nahm das Miteinander der Menschen in Hoya ein Ende. Am 10.November 1938 wurde die Synagoge in Brand gesteckt und zerstört. 41 jüdische Männer, Frauen und Kinder wurden aus der Stadt vertrieben – in Konzentrationslager deportiert. Nur 10 von ihnen überlebten.“

Zwei Jahre später wurde hier eine Gedenkstätte eingerichtet.

2021 fanden auf dem Synagogengrundstück Grabungen statt, die die Fundamente der Außenmauern des zerstörten Gotteshauses freilegten.

In den Straßen Hoyas sind in den letzten Jahren ca. 35 sog. „Stolpersteine“ verlegt worden (Stand 2023).

Stolperstein-Hoya-4a Stolperstein Hoya Lange Straße 51 Hedwig Deichmann Stolperstein Hoya Lange Straße 51 Henny Kahn Stolperstein Hoya Lange Straße 51 Siegfried Deichmann Stolperstein Hoya Lange Straße 87 Ludwig Behrens

fünf "Stolpersteine" - verlegt in der Langen Straße (Aufn. Gmbo, 2013, aus: wikipedia.org, CCO)

für Angehörige der Familie Elias in der Deichstraße (Aufn. Zoe-Jane Porter)

Etwa 180 Grabsteine (von ehemals ca. 400 bis 500 Grabstätten) haben sich auf dem ca. 5.000 m² großen Friedhofsgelände in Hoyerhagen erhalten, darunter auch der älteste Stein von 1714.

Jüdischer Friedhof Hoyerhagen 20090413 010.JPG

Jüdischer Friedhof Hoyerhagen (Aufn. O., 2007, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0 und S.F., 2009, aus: commons.wikimedia.org, GPL)

Jüdischer Friedhof Hoyerhagen 20090413 018.JPG Jüdischer Friedhof Hoyerhagen 20090413 024.JPG Jüdischer Friedhof Hoyerhagen 20090413 027.JPG Jüdischer Friedhof Hoyerhagen 20090413 017.JPG

ältere Grabsteine (Aufn. S.F., 2009, aus: commons.wikimedia.org, GPL)

Namensgeberin der hiesigen Hauptschule (heute Oberschule) ist eine Jüdin aus Hoya, Marion Blumenthal.

Marion Blumenthal stammte aus Hoya. Zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder erreichte sie - über das Lager Westerbork - 1944 Bergen-Belsen. Kurz vor der Befreiung gehörte die damals Zehnjährige zu den Insassen des Evakuierungstransportes, der bei Tröbitz befreit wurde. Ihr Vater war im Zug gestorben. Heute lebt Marion Blumenthal-Lazan in New York und berichtet in Schulen aus ihrer Lebensgeschichte.

Julius Elias wurde 1861 als Sohn eines jüdischen Bankiers in Hoya geboren und siedelte nach dem frühen Tod seiner Eltern nach Berlin über. Dort machte er sich einen Namen als bedeutender Kunsthändler und Herausgeber literarischer Werke; so übersetzte er die Werke Ibsens und editierte sie; später war er Ibsens Testamentsvollstrecker. Julius Elias verstarb 1927 in Berlin.

 

 

 

In Bücken, einem Flecken im Mittelweserraum, ist erstmals eine jüdische Familie zu Beginn des 18.Jahrhunderts dokumentiert. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts lebten hier maximal sechs jüdische Familien. Die winzige Synagogengemeinde - nie mehr als ca. 40 Personen - besaß einen angemieteten Betraum in einem Privathaus. Ein eigenes Begräbnisgelände gab es nicht, Verstorbene wurden auf dem Friedhof in Hoyerhagen beerdigt. Der Wegzug mehrerer Familien aus Bücken führte dazu, dass sich die Gemeinde auflöste und 1866 der Hoyaer Gemeinde anschloss. Anfang der 1930er Jahre lebten im Flecken Bücken noch zwei Familien mosaischen Glaubens, die als Kurzwaren- und Viehhändler tätig waren.

 

 

 

Weitere Informationen:

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Niedersachsen II (Regierungsbezirke Hannover und Weser-Ems), Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, S. 91

H.Focke/H.Greve/H.Kurth, Als die Synagogen brannten - der Judenpogrom vom 9./10.November 1938 in Deutschland und im Kreis Diepholz. Seine Vorgeschichte und seine Folgen, Arbeitskreis Regionalgeschichte Syke, 1989, S. 97 f.

Günter Schmidt-Bollmann, Aneignen und Bewahren – Der jüdische Friedhof in Hoyerhagen, in: "Der Holznagel - Mitteilungsblatt für Mitglieder der Interessengemeinschaft Bauernhaus e.V.", 3/1989, S. 15 - 21

Dietrich Studer (Red.), Juden in Bücken, in: "Heimatbote. Monatsblatt für die Kirchengemeinden des Hoyaer Landes", Ausgabe 171989, S. 8/9

Axel Fahl, Der Judenpogrom in Hoya 1938. Die Ereignisse um den Synagogenbrand – der Versuch einer Rekonstruktion, in: "Heimatkalender für den Landkreis Verden 1990", S. 177 - 188

Heike Malluth-Huth/Hans Huth, “Wann wird man je versteh’n ...“ - Der Weg der Hoyaer Juden bis 1942, in: “Jüdische Bibliothek”, Band 4, Verlag Dr.Peter Wagener, Mannheim 1992

Kerstin-Melanie Kraatz, ... und nur die Toten sind noch da. Der alte Judenfriedhof in Hoyerhagen/Nienburg, Bremen 1994

Ilse Henneberg/B.Gemmeke-Stenzel (Hrg.), Gestern Nachbar - Heute Jude. Verfolgte in der Heimat. Zur Geschichte der Juden im Landkreis Diepholz, Wissenschaftliches Institut für Schulpraxis, Arbeitsberichte 111/95, Bremen 1995

Heinrich Bomhoff (Referent), Dr.phil. Julius Elias - Stationen aus der Geschichte eines jüdischen Kunsthändlers und Herausgebers aus Hoya, Hochschule Vechta (Sommersemester 2003)

Fundstücke’ - Nachrichten und Beiträge zur Geschichte der Juden in Niedersachsen und Bremen, o.O. 2004, S. 19

Daniel Fraenkel (Bearb.), Hoya, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 893 – 899

Cord Meyer (Bearb.), Bücken, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 373 – 375

Ulrich Knufinke, Stätten jüdischer Kultur und Geschichte in den Landkreisen Diepholz und Nienburg, hrg. vom Landschaftsverband Weser-Hunte e.V, Nienburg 2012, S. 38 - 40

N.N. (Red.), Hoyas Synagoge in Öl nachempfunden – Mayk Intemann stellt Bild vor, in: „Die Harke“ vom 20.1.2013

N.N. (Red.), 15 neue Stolpersteine in Hoya, in: "MK-Kreiszeitung" vom 20.3.2013

Liste der Stolpersteine in Hoya, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_stolpersteine_in_Hoya

Jörn Dirk Zweibrock (Red.), Steinernes Archiv der Geschichte, in: „Syker Kurier“ vom 26.1.2014

Jana Wohlers (Red.), Friedhof als Geschichtsbuch, in: "MK-Kreiszeitung" vom 21.6.2016

Elfriede Hornecker, „Woher - Wohin“ - Jüdische Familien im Hoyaer Land, 2017 (Anm.: Es ist die erw. Neuauflage der 1992 erschienenen Publkation „Wann wird man je versteh’n ... “ von Heike Mallus-Huth und Hans Huth)

Zoe-Jane Porter (Bearb.), HOYA – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/hoya/

Horst Achtermann (Red.), Spuren jüdischen Lebens, in: „Die Harke“ vom 8.9.2019

Horst Friedrichs (Red.), Hiweise auf den Eingang zur Synagoge in Hoya gefunden, in: "MK-Kreiszeitung" vom 25.5.2021

Horst Friedrichs (Red.), Ausgrabungen auf dem Synagogengrundstück in Hoya: , in: "MK-Kreiszeitung" vom 24.6.2021

Sigi Schritt (Red.), „War die schönste Synagoge im Königreich Hannover“, in: „MK-Kreiszeitung“ vom 14.10.2022