Wollstein (Posen)

Wollstein, heute Wolsztyn, ist eine Stadt mit derzeit ca. 13.000 Einwohnern in der Woiwodschaft Poznan ca. 75 Kilometer südwestlich der Großstadt Posen/Poznan bzw. wenige Kilometer südwestlich von Grätz/Grodzisk Wielkopolski (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Polen' mit Wolsztyn rot markiert, P. 2009, aus: commons.wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Auf Grund zahlreicher Stadtbrände gibt es nur wenige schriftliche Dokumente, die Aufschluss über jüdisches Leben in Wollstein geben könnten. Man kann aber davon ausgehen, dass bereits im 17.Jahrhundert jüdische Familien hier ansässig waren, die unter dem Schutz der adligen Stadtherren standen. Um auf dem Jahrmarkt in Wollstein Handel treiben zu können, mussten fremde Juden zunächst eine Naturalabgabe leisten: 2 Pfund Pfeffer und 2 Lot Safran.

Ende des 18.Jahrhunderts lebten in Wollstein insgesamt etwa 1.500 Personen, mehr als ein Drittel von ihnen war jüdischen Glaubens. Die meisten unter ihnen übten ein Handwerk aus: sie waren Buchbinder, Knopfmacher und Posamentiers. Um 1840 erreichte die Zahl der in Wollstein jüdischen Bewohner mehr als 800 (!) Personen.

Eine 1840/1842 neuerbaute Synagoge (an der Straße nach Posen) ersetzte einen beim großen Stadtbrand von 1810 zerstörten Vorgängerbau. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts erfuhr das Gotteshaus eine grundlegende Renovierung; so veränderte sich auch das Äußere, indem nun das Gebäude mit Türmchen versehen wurde.

 

                          Am Markt in Wollstein - Synagoge in der Bildmitte (hist. Postkarte)                             Synagoge (hist. Bildpostkarte)               

In Wollstein bestand zeitweise auch eine jüdische Elementarschule.

Vor den Toren der Stadt legte die hiesige Judenschaft um 1830 (?) ihren Friedhof an.

Juden in Wollstein:

         --- um 1790 .................... ca. 560 Juden,

    --- 1808 ........................... 718   “  (ca. 42% d. Bevölk.),

    --- 1840 ........................... 858   “  ,

    --- 1849 ........................... 749   “  ,

    --- 1871 ........................... 468   “  (ca. 17% d. Bevölk.),

    --- 1887 ........................... 388   “  ,

    --- 1905 ........................... 330   “  ,

    --- 1913 ........................... 190   “  ,

    --- 1921 ...........................  64   “  (1,5% d. Bevölk.),

    --- 1939 ...........................  18   “  .*    *andere Angabe: ca. 80 Pers.

Angaben aus: Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden ..., S. 1000

und                 The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 3), S. 1462

 Kirchstraße um 1910 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

In den 1930er Jahren löste sich die inzwischen sehr kleine israelitische Gemeinde in Wollstein völlig auf; die 18 zu Kriegsbeginn noch hier lebenden Juden wurden alsbald „ins Generalgouvernement ausgesiedelt“. Nach Angaben des Gedenkbuches von Yad Vaschem sollen 138 gebürtige bzw. länger in der Stadt lebende Juden Opfer des Holocaust geworden sein.

1942/1943 existierte in Wollstein ein Zwangsarbeiterlager für Juden. Nach dessen Auflösung im August 1943 wurden die männlichen Häftlinge nach Auschwitz deportiert.

 

Der jüdische Friedhof wurde während des Krieges fast völlig zerstört; auf dem heute eingezäunten Begräbnisgelände findet man nur noch sehr wenige erhaltengebliebene Grabsteine.

Das baulich erhaltene Synagogengebäude wurde nach dem Kriege in ein Kino umfunktioniert. 2009 wurde das Gebäude durch einen Brand schwer beschädigt.

 

Synagogengebäude als Kino genutzt (Aufn. um 2000) und Brandruine (aus: sztetl.org.pl, 2010)

Nach dem Abriss der Brandruine wurde wenig später hier ein Neubau errichtet, der in seinem äußeren Erscheinungsbild dem ehemaligen Synagogengebäude sehr ähnlich ist.

                               

Aus Wollstein stammte der 1893 als Sohn jüdischer Eltern geborene Bruno Asch. In den 1920er Jahren war er zunächst Bürgermeister von Höchst, anschließend Stadtkämmerer in Frankfurt/M. und danach in gleicher Position in Berlin. Nach Aberkennung seiner deutschen Staatsbürgerschaft emigrierte er 1938 mit seiner Familie in die Niederlande. Nach der Okkupation beging er 1940 im holländischen Exil Selbstmord. Heute erinnert eine Gedenkplatte an einem Gebäude in Höchst an Bruno Asch. 

 

 

 

Im nur ca. zehn Kilometer östlich von Wollstein entfernten Orte Ra(c)kwitz (poln. Rakoniewice, derzeit ca. 3.300 Einw.)* sollen seit dem ausgehenden 18.Jahrhundert jüdische Familien gelebt und hier eine Gemeinde gegründet haben.

* Anm.: „Polnisch Freystadt“ verliert durch eine neue Gründungsurkunde den Namen und wird in „Rakoniewice“ - umbenannt.

Auf dem bereits um 1780/1800 angelegten Friedhof wurden ausschließlich Verstorbene aus Rakwitz begraben.

Um 1880 lag die Zahl der jüdischen Ortsbewohner bei ca. 180, gegen Ende des Ersten Weltkrieges waren es noch ca. 70 und im Jahre 1921 nur noch 21 Personen.                                                 

 

 

 

Weitere Informationen:

A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Koschmin - Bromberg 1909, S. 999 - 1003

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 3), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 1462

Małgorzata Grzenda, Wolsztyn – Jüdische Geschichte, in: sztetl.org.pl

Małgorzata Płoszaj, Jewish cemetery of Woilsztyn, in: kirkuty.xip.pl

Jüdische Familien von Wollstein, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-of-Wolsztyn/18228

Dariusz Wajs (Bearb.), Juden in Rakoniewice, 2015 (online abrufbar unter: historiarakoniewic.pl/zydzi-w-rakoniewicach)