Wolbeck (Nordrhein-Westfalen)

Karte Wolbeck ist seit 1975 ein Stadtteil von Münster; als ländlich geprägter Ort liegt er im Südosten der Stadt zwischen den Flüssen Angel und Werse (Ausschnitt aus hist. Karte von ca. 1785, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Stadtbezirke Münster', J.Krause 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Der Arzt Jacob von Korbach war der erste namentlich bekannte Jude in Wolbeck; in den 1550er Jahren aus Münster ausgewiesen, hatte er sich hier niedergelassen. Erst Mitte des 18.Jahrhunderts lässt sich eine zweite jüdische Familie in Wolbeck nachweisen. In Wolbeck lebten stets nur sehr wenige jüdische Familien, die - gemeinsam mit denen von Havixbeck, Nottuln und Telgte - seit Mitte des 19.Jahrhunderts zur Synagogengemeinde des Landkreises Münster gehörten.

Die kleine Gemeinde besaß vermutlich seit den 1820er Jahren eine neue Synagoge mitten im Ort (in der Wallstraße), die eine Betstube in einem Privathause ablöste. Mehrmals - aber immer nur kurzzeitig - bestand im Ort auch eine jüdische Schule, die von häufigen Lehrerwechsel geprägt war. Ansonsten besuchten die wenigen Kinder die katholische Ortsschule und wurden von ihren Eltern im jüdischen Glauben unterwiesen.

Die Ersterwähnung eines jüdischen Friedhofs – am Steintor gelegen – stammt aus dem Jahre 1818; doch soll dessen Anlage bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt sein. Auf dem Areal fanden auch verstorbene Juden aus dem benachbarten Amelsbüren ihre letzte Ruhe.

Juden in Wolbeck:

    --- 1795 ..........................  2 jüdische Familien,

    --- 1802 ...................... ca.  5     “       “    ,

    --- 1818 .......................... 47 Juden (in 6 Familien),

    --- 1843 .......................... 40   "  ,

    --- 1848 .......................... 25   “  ,

    --- 1871 .......................... 42   "  ,

    --- 1895 .......................... 51   "  ,

    --- 1908 .......................... 10 jüdische Familien,

    --- 1925 .......................... 29 Juden,

    --- 1933 .......................... 34   “  (in 7 Familien),

    --- 1942 (Sept.) .................. keine.

Angaben aus: Stefan Evers, Geschichte der Juden in Wolbeck

und                 Gisela Möllenhoff (Bearb.), Münster-Wolbeck, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften ..., S. 516/517

 

Allgemein galten die jüdischen Familien in Wolbeck als arm; nur zwei Familien, Hoffmann und Stolzberg, erreichten gewissen Wohlstand; dies galt in erster Linie für Salomon Hoffmann, der über größeren Landbesitz verfügte und der als Gläubiger vieler Besitzungen in Wolbeck und Umgebung ins Grundbuch eingetragen war. So wurde er als erfolgreicher Geschäftsmann frühzeitig zum Ziel nationalsozialistischer Hetze, die nach 1935 auch auf die anderen jüdischen Familien übergriff. Bereits im März 1938 verübten NSDAP-Angehörige Verwüstungen in der Synagoge; zeitgleich vergriff man sich am jüdischen Eigentum; so wurde u.a. die Wohnungseinrichtung im Hause des Vorstehers Salomon Hofmann zertrümmert. In der Pogromnacht vom November 1938 wurde die Synagoge vollständig zerstört; 1941 wurde die Ruine abgerissen und das Gelände eingeebnet.

Unmittelbar nach den Gewalttätigkeiten der Novembertage 1938 veräußerten alle Wolbecker Juden Hals über Kopf ihren Besitz; doch reichte der oft schmale Erlös nicht aus, um eine Emigration zu realisieren. Die letzten noch in Wolbeck lebenden Bewohner israelitischen Glaubens wurden Ende 1941 bzw. im August 1942 deportiert. Insgesamt 28 Angehörige der jüdischen Gemeinde wurden Opfer der Shoa.

 

Als einziger Überlebender kehrte Helmut Pins nach Kriegsende aus dem Konzentrationslager Buchenwald zurück. Ein Jahrzehnt später wanderte er nach Australien, von hier aus nach Israel aus. Ihm zu Ehren wurde 1989 eine Straße am jüdischen Friedhof benannt. Dort wurde 1968 ein Gedenkstein errichtet; eine 1998 angebrachte Tafel mit historischen Daten zur Gemeindegeschichte endet mit der Inschrift:

Zum Gedenken unserer jüdischen Mitbürger, die hier ihre letzte Ruhestätte fanden und derer,

die durch die Verfolgung in den Jahren 1933 – 1945 ihr Leben lassen mußten.

      Gemeinde Wolbeck

 

2006 wurde dort auf Initiative der Bezirksvertretung Südost, des Bürgerforums und des Heimatvereins zusätzlich eine Glas-Stele aufgestellt, die die Namen von 28 jüdischen Bürgern auflistet, die zwischen 1933 und 1942 in Wolbeck lebten, dort aber nicht ihre letzte Ruhestätte finden konnten, da sie deportiert und ermordet wurden.

Stadt Münster: Stadtarchiv - Erinnern im öffentlichen Raum - Erinnern nach  1945 - Gedenken an Wolbecker Juden   Bildergebnis für Wolbeck jüdischer friedhof

Gedenkstein und gläserne Stele (Aufn. Fritz v. Poblotzki/Stadt Münster  und  aus: ju-muenster.de)

Seit 2001 informiert in der Wallstraße eine Gedenktafel an die einstige jüdische Gemeinde Wolbecks; ihr Text lautet:

Zur Erinnerung an die Wolbecker Synagoge

Hier stand bis zum Jahr 1941 das Bet- und Versammlungshaus der “Synagogengemeinde Landkreis Münster”, zu der die jüdischen Gemeinden Wolbeck, Telgte, Havixbeck und Nottuln gehörten. Wann es errichtet und eingeweiht wurde, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch, daß es schon am Anfang des 19.Jahrhunderts eine Synagoge in Wolbeck gab (erste Erwähnung 1808).

Die schon vorher mehrfach geschändete Synagoge wurde in der Pogromnacht vom 09./10. November 1938 völlig zerstört. 1941 wurde die Ruine abgerissen. Die letzten der 34 jüdischen Bürger, die im Jahre 1933 in Wolbeck gelebt haben, wurden am 10.12.1941 und am 01.08.1942 in die Konzentrationslager von Riga, Auschwitz, Buchenwald, Stutthof und Theresienstadt deportiert.

Nur ein Überlebender, Helmut Pins, kehrte 1945 nach Wolbeck zurück.

Seit 2006 erinnern sog. „Stolpersteine“ an ehemalige jüdische Bewohner; 2016 wurde der bislang letzte der insgesamt 33 Steine verlegt.

Falke, Moritz.jpgFalke, Jette.jpgFalke, Weinberg, Paula.jpgFalke, Caroline.jpgFalke, Paula.jpgFalke, Nijveen,Jenny.jpgFalke, Ruth.jpgverlegt für Angehörige der Familie Falke in der Hofstraße (Aufn. Stfngrbr, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

                                                 "Stolpersteine" in der Münsterstraße (Aufn. Peter Sauer)

 

[vgl. Münster (Nordrhein-Westfalen)]

 

 

Weitere Informationen:

Ferdinand Zumbuisch, Die Geschichte Wolbecks, der ehemaligen Fürstbischöflichen Residenz des Fürstenthums Münster bis 1900, Maschinenmanuskipt, 1902

Franz Elberfeld, Chronik der Gemeinde Kirchspiel Wolbeck im Landkreis Münster i.Westf. o.O. 1938

Andreas Determann/u.a., Geschichte der Juden in Münster. Dokumentation einer Ausstellung, Münster 1989

Stefan Evers, Geschichte der Juden in Wolbeck, Hrg. SPD-Ortsverein, Selbstverlag, 2.Aufl., 1992

Bernhard Franzkowiak/Hans Georg Grosse Jäger, Geschichte vor Ort. Spurensuche am Beispiel Wolbecks, in: "Schriftenreihe zur Lehrerfort- und -weiterbildung", No. 21, Münster 1997

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 571

Gudrun Beckmann-Kircher/Dieter Artmann, Wolbeck in Vergangenheit und Gegenwart, Münster 2001, S. 81 f.

Gisela Möllenhoff (Bearb.), Münster-Wolbeck, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 515 - 526

N.N. (Red.), Wolbeck. Spurensuche: Erinnerung an Wolbecker Juden, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 3.10.2010

Martina Schönwälder (Red.), Stolpersteine: Neuer Glanz gegen das Vergessen, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 27.1.2011

Auflistung der in Münster-Wolbeck verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Münster

Regina Robert, Neue Stolpersteine in Wolbeck, in: muensterlandzeitung.de vom 20.10.2013

Stadtarchiv Münster (Hrg.), Erinnern nach 1945 – Gedenkobjekte zur Erinnerung an das Schicksal der Wolbecker Juden im Nationalsozialismus, online abrufbar unter: stadt-muenster.de/kriegerdenkmale/erinnern-nach-1945/gedenken-an-wolbecker-juden

Iris Sauer-Waltermann (Red.), Der alte jüdische Friedhof: Gedenkstein erinnert an ermordete Juden, in: "Westfälische Nachrichten" vom 11.5.2016

N.N. (Red.), Hier stand einst die Synagoge, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 24.5.2016

Iris Sauer-Waltermann (Red.), Der 33. Stolperstein. Der Verein „Spuren finden“ erinnert an die ermordete Caroline ten Brink, die an der Hofstraße aufwuchs, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 5.10.2016

Martina Schönwälder (Red.), Bedrückende Schicksale, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 31.12.2016

Gudrun Beckmann-Kircher/Peter Schilling/Monika Simonsmeier (Hrg.), Spuren der Erinnerung an jüdische Familien in Münster-Wolbeck. Lebensgeschichten zu Stolpersteinen, 2017

Markus Lütkemeyer (Red.), Ein Gebet am Stolperstein Wolbeck – Großeltern wurden deportiert und ermordet, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 23.9.2022