Walldürn/Odenwald (Baden-Württemberg)

Physische Karte des Baulands Naturraum Nr. 128 (braun umrandet)Datei:Walldürn in MOS.svg Walldürn ist eine heute aus zehn Stadtteilen bestehende Kommune mit derzeit ca. 12.000 Einwohnern im Neckar-Odenwald-Kreis – zwischen Aschaffenburg (in N) und Heilbronn (im S) gelegen (topografische Karte des Baulands, K. Jähne 2009, aus: wikipedia.org gemeinfrei und Kartenskizze 'Neckar-Odenwald-Kreis', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In der Ortschaft Walldürn im badischen Frankenland - anfänglich Dürn genannt - sollen sich bereits Ende des 13.Jahrhunderts Juden aufgehalten haben; allerdings waren es stets nur wenige Familien, die im ausgehenden Mittelalter als Schutzjuden dem Mainzer Erzstift unterstanden.

Von Heimsuchungen der Scharen des Ritters Rindfleisch 1298 waren auch die Juden Dürns betroffen. Auch die knapp 40 Jahre später ausgebrochenen sog. „Armleder-Unruhen“ dezimierten die Judengemeinde von Dürn. Den Pestpogromen von 1348/1349 fiel die kleine Judengemeinde von Dürn dann endgültig zum Opfer. Doch schon wenige Jahre später sind wieder Juden im Orte anzutreffen, wie Schutzbriefe bezeugen. 1470 wurden sie – wie andere Juden des Erzstifts Mainz – ausgewiesen. Mehr als zwei Jahrhunderte lang schweigen dann die Quellen über jüdisches Leben in Walldürn. Urkundliche Hinweise über Walldürner Juden setzten erst wieder Anfang des 18.Jahrhunderts ein. Ihren äußerst bescheidenen Lebensunterhalt verdienten sie damals zumeist als ambulante „Nothändler“ und „Handelsmänner“, die die dörfliche Bevölkerung mit Gebrauchsgütern versorgten. Erst Ende des 19.Jahrhunderts eröffneten die hiesigen Juden in der Kleinstadt einige Ladengeschäfte, auch ein Gasthaus.

              Geschäftsanzeige von 1927

Zu den gemeindlichen Einrichtungen der kleinen Judengemeinde gehörten ein Betraum in der oberen Etage eines Wohnhauses in der Zunftgasse und eine Mikwe in der Untergasse; der Betsaal war vermutlich um 1770/1780 eingerichtet worden.

Über ein eigenes Beerdigungsgelände verfügten die Juden Walldürns nicht; Verstorbene wurden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Bödigheim begraben. 

Seit 1827 gehörte Walldürn zum Rabbinatsbezirk Wertheim, später dann zu dem Rabbinat Merchingen.

Juden in Walldürn:

         --- um 1700 .........................  4 jüdische Familien,

    --- 1783 ............................  7   “         “    ,

    --- 1825 ............................ 23 Juden,

    --- 1858 ............................ 37   “  ,

    --- 1864 ............................ 38   “  ,

    --- 1875 ............................ 25   “  ,

    --- 1900 ............................ 14   “  ,

    --- 1925 ............................ 21   “  ,

    --- 1933 ............................ 19   “  ,

    --- 1940 (Sept.) .................... 10   “  (in drei Familien),

             (Nov.) ..................... keine.

Angaben aus: Peter Assion/Walter Gramlich, Zur Geschichte der Walldürner Juden, S. 292

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d7/Walld%C3%BCrn_im_Odenwald.jpg

Ansicht von Walldürn um 1820 - Ausschnitt aus einer Radierung von Sebastian Eckhardt (Heimatmuseum Walldürn)

 

Während der Revolutionsunruhen 1848 kam es auch in Walldürn zu Ausschreitungen, die u.a. auch ein Anwesen eines jüdischen Kaufmanns betrafen. Jahrzehntelang blieb die Zahl der in Walldürn lebenden Juden stets auf einem niedrigen Niveau; sie betrug zwischen 20 und 40 Personen. Als Filialgemeinde gehörte die Judenschaft Walldürns zur Kultusgemeinde Hainstadt, die für die religiös-kultischen Aufgaben einen Lehrer/Vorbeter/Schächter stellte.

                   https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20177/Hainstadt%20Israelit%2021101909.jpg aus: „Der Israelit“ vom 21.10.1909

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20151/Wallduern%20FrfIsrFambl%2030081912.jpg Informationen aus: "Frankfurter Israelitisches Familienblatt" vom 30.8.1912

Anfang der 1920er Jahre schien der Niedergang der kleinen Gemeinde gestoppt worden zu sein, wie eine Kurznachricht von 1921 vermeldete:

                   aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 13.10.1921

 

Als nach der NS-Machtübernahme 1933 der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde Walldürn verließ, wurde der Betsaal aufgegeben und das Haus veräußert; der neue Besitzer baute es zu einem Wohnhaus um. 1937 löste sich die jüdische Gemeinde schließlich vollständig auf.

In den letzten Jahren ihres Bestehens hatte die Synagoge Walldürns als Treffpunkt für junge Juden einer hier bestehenden landwirtschaftlichen Ausbildungsstätte gedient. In diesem „Hachaluz“-Zentrum bereiteten sich junge Juden für ihre zukünftigen Aufgaben in Palästina vor. Doch diese Ausbildungsstätte war nicht von Dauer, da der NSDAP-Kreisleiter seine zunächst erteilte Erlaubnis bald widerrief. Die letzten zehn in Walldürn verbliebenen jüdischen Bewohner wurden im Oktober 1940 ins französische Internierungslager Gurs deportiert; die meisten wurden Opfer der „Endlösung“.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden zwölf aus Walldürn stammende jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/wallduern_synagoge.htm).

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2027/Wallduern%20Synagoge%20150.jpg Seit 1989 erinnert eine bronzene Tafel (Aufn. J. Hahn, 2003) - angebracht am Standort des ehemaligen Betsaals in der Zunftgasse 3 - an die jüdische Geschichte von Walldürn; der Inschriftentext lautet:

Stadt Walldürn

Seit dem Mittelalter lebte eine kleine jüdische Gemeinde in Walldürn.

In diesem Hause ‘Zunftgasse 3’ richtete sie sich um 1770 ihren Betsaal ein, im Volksmund ‘Synagoge’ genannt. 1937 wurde das Haus verkauft, der Betsaal zur Wohnung umgebaut und die jüdische Gemeinde aufgelöst.

Immer deutlichere Diffamierungen und Bedrohungen durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zwangen viele jüdische Mitbürger zwischen 1937 und 1939 zu Wegzug und Auswanderung.

Die letzten drei Familien wurden am 22.Oktober 1940 aus der Stadt Walldürn vertrieben und nach Gurs/Frankreich deportiert. Acht jüdische Mitbürger verloren dort, in Auschwitz oder in einem anderen Vernichtungslager, ihr Leben.

Wir wollen das Leid, das unseren Mitbürgern widerfahren ist, nicht vergessen.

In Ehrfurcht gedenken wir der Toten. Mögen sie uns Lebende zu gegenseitiger Achtung und Duldsamkeit mahnen.

Seit 2009 befindet sich beim zentralen Mahnmal für die aus Baden verschleppten Juden - auf dem Gelände der evangelischen Tagungsstätte bei Neckarzimmern - auch ein Gedenkstein, den Schüler/innen der Auerbergschule Walldürn geschaffen haben. Anlässlich des Holocaust-Gedenktages 2010 wurde eine Doublette des Gedenksteines in der Kirchstiege in Walldürn aufgestellt (Aufn. Granpar 2019, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0 und  H. Berberich, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

 In dem im Sommer 2002 eröffneten Kunst- und Kulturmuseum in Rippberg, einem Ortsteil von Walldürn, kann man sich über die jüdische Geschichte Walldürns und des Umlandes informieren. Das Museum versteht sich als Begegnungsstätte mit der jüdischen Kultur; Herzstück des Kulturmuseums sind Exponate jüdischer Kult- und Gebrauchsgegenstände.

 

 

 

Weitere Informationen:

Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968

Elmar Weiß, Jüdisches Schicksal im Gebiet zwischen Neckar und Tauber, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 1979

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 396

Walter Gramlich, Zur Geschichte der Walldürner Juden, in: 25 Jahre Heimat- und Museumsverein und Neueröffnung des Museums Walldürn, Walldürner Museumsschriften, Heft 7/1991, S. 51 - 61

Peter Assion/Walter Gramlich, Zur Geschichte der Walldürner Juden, in: 1200 Jahre Walldürn, Hrg. Stadt Walldürn, Walldürn 1994/1995, S. 289 ff.

Daniel H.Mahr/Konrad Pflug, Begegnung mit der jüdischen Kultur im Kultur- und Kunstmuseum Walldürn-Rippberg, in: Orte des Gedenkens und Erinnerns in Baden-Württemberg, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 2007, S. 405/406

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 497/498

Walldürn, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Textdokumenten zur jüdischen Lokalhistorie)